(Veröffentlicht in GralsWelt 15/2000)
„Meine Heilmethode ist nicht erlernbar, sie ist mir gegeben.“
Franz Anton Mesmer (1734-1815).
Das 18. Jahrhundert war eine ebenso interessante wie komplizierte Epoche der abendländischen Geistesgeschichte, in der mehrere sehr gegensätzliche Strömungen aufeinanderprallten.
Aberglaube und Wissenschaft
Auf der einen Seite hatte das Zeitalter des Barocks den Durchbruch der modernen Wissenschaft gebracht, der heute noch richtungweisenden naturwissenschaftlichen Methode. Die Entdeckungen auf dem Gebiet der Astronomie, der Mathematik, der Optik und besonders der Mechanik fanden allgemeine Anerkennung und eröffneten Wege für ein völlig neues, streng logisch begründetes Naturverständnis.
Im Widerstreit mit Physik und Astronomie lag die Kirche, die sich von wörtlichen Bibelauslegungen nur schwer verabschieden konnte und größte Schwierigkeiten hatte, das immer überzeugender begründete, immer umfassender werdende Weltbild der neuen Wissenschaft zu tolerieren, geschweige denn in ihre Theologie einzubauen. Der zu Galileis Zeiten losgebrochene, unnötige Streit zwischen Wissenschaft und Religion eskalierte und führte im Zeitalter der Aufklärung zu kirchenfeindlichen Strömungen.
Gleichzeitig blühte der Aberglauben. Alle möglichen esoterischen Gruppen und Orden (Freimaure, Rosenkreuzer, Illuminaten und viele mehr), die sich der Alchemie, Astrologie, Geisterbeschwörung und sonstigen okkulten Geheimnissen verschrieben hatten, traten vor die Öffentlichkeit oder forschten im geheimen. Der abstruseste Aberglauben blühte, gegen den die exakten Wissenschaften mit ihren, noch recht unvollkommenen Instrumenten nur wenig ausrichten konnten. (Vgl. „Die dunkle Seite der Aufklärung“).
Selbst physikalische Phänomene, wie der Magnetismus, blieben noch lange rätselhaft. Auf dem Gebiet der Chemie waren die Erkenntnisse rudimentär, und die Medizin verharrte noch viele Jahrzehnte auf mittelalterlichem Niveau, mehr ein Spielfeld für abenteuerliche Vermutungen als eine Wissenschaft. Denn die Erscheinungsformen des Lebendigen sind so komplex, dass ihnen mit den wissenschaftlichen Errungenschaften des 18. Jahrhunderts nicht beizukommen war. In großen Städten, allen voran Paris, wogten alle diese Strömungen wild durcheinander.
Mesmerismus
Seit 1814 gebräuchliche Bezeichnung für den von F. A. Mesmer postulierten und propagierten „Magnetismus animalis“, dessen Heilwirkung auf einem universellen (auch von Mensch zu Mensch übertragbaren) Fluidum beruhen sollte, zu dessen Übertragung Mesmer anfangs Magnete, später „magnetisierte Gegenstände“ („baquets“) benutzte. Daneben praktizierte er Zeremonien des Handauflegens, Berührens und Streichelns („passes“). Der Mesmerismus hatte am Ende des 18. Jahrhunderts und in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts viele Anhänger. Großen Einfluss übte er auf die Naturphilosophie der Romantik aus. Die Bezeichnung „mesmerieren“ (statt hypnotisieren) hat sich bis heute gehalten.
(Quelle: Brockhaus Enzyklopädie, 20. Aufl. 1996.)
Vor diesem Hintergrund muss man die Lebensgeschichte eines seinerzeit berühmten, verehrten, angegriffenen und sogar berüchtigten Arztes sehen, der einer völlig neuen, bis heute umstrittenen Heilmethode zum Durchbruch verhelfen wollte, mit der er beachtliche Erfolge erzielte: Franz Anton Mesmer (1734-1815).
Franz Anton Mesmer und sein Weg.
Im Jahre 1746 fiel Ronald Golon, dem Fürstbischof von Konstanz, bei einer Treibjagd ein besonders intelligenter zwölfjähriger Treiber auf. Es war der Sohn eines Jägers. Der Bischof beschloss, den Jungen zu fördern.
So kam Franz Anton Mesmer aufs Gymnasium, studierte Theologie und Philosophie und promovierte schließlich 1766 in Wien zum Doktor der Medizin.
F A. Mesmer war hochbegabt und sehr musikalisch. Er spielte mehrere Instrumente, kannte die zeitgenössische Musik und hatte freundschaftliche Kontakte zu Musikern, darunter zu der Familie Mozart. Eine reiche Heirat mit Anna von Eulenschenk, Witwe des Hofkammerrates Baron von Bosch, ermöglichte ihm ein komfortables Leben in der gehobenen Gesellschaft von Wien. Hauskonzerte, Begegnungen mit interessanten Persönlichkeiten und Kontakte zu einflussreichen Kreisen des Kaiserhofes bestimmten den luxuriösen Alltag. Mesmer war eine beeindruckende Persönlichkeit von imposantem, feierlichem Auftreten, die überall Beachtung fand, wenngleich sein gelegentlich unbeherrschtes Temperament ihm nicht nur Freunde schuf.
Als sich zeigte, dass das Vermögen seiner Frau bei dem Lebensstil, den das Ehepaar schätzte, nicht unerschöpflich blieb, begann Mesmer als Arzt zu praktizieren. Er knüpfte an seine Doktorarbeit an, die von „magnetischen Curen“ gehandelt hatte. Zuerst behandelte er mit Magneten, dann mit seinen Händen und mit psychologischen Methoden. Er hatte sensationelle Erfolge.
Sein Ziel war weniger, als Arzt reich zu werden, als vielmehr die von ihm entdeckte Heilmethode mit Hilfe des „animalischen Magnetismus“ (ungenau übersetzt als „tierischer Magnetismus“) zur allgemeinen Anerkennung zu bringen.
Intrigen zwangen ihn im Winter 1777/78, Wien zu verlassen und nach Paris zu übersiedeln, wo er berühmt wurde, während seine Frau in Wien blieb.
In der französischen Revolution verlor er einen großen Teil des Vermögens, das er als Prominenten-Arzt erworben hatte. 1792 musste er fliehen und reiste in verschiedene europäische Städte. In Wien kam er für kurze Zeit ins Gefängnis, als „Anhänger der französischen Zügellosigkeit“, weil er einige Worte der Entschuldigung für die Jakobiner fand und erklärte, dass nicht alle Franzosen Diebe seien.
Ab Herbst 1794 lebte er zurückgezogen in verschiedenen Städten am Bodensee. Dort beschäftigte er sich besonders mit Alchemie, bis er am 5. März 1815 in Meersburg verstarb.
Der „animalische Magnetismus“
Im 18. Jahrhundert war die Verwendung der Elektrizität in der Medizin nichts Ungewöhnliches. Man elektrisierte Kranke (Vorläufer des heute noch praktizierten Elektro-Schocks) und machte manche Versuche mit Magneten – ein Ansatz, der schon auf Paracelsus (1493-1541) zurückgeht.
Im Zeitalter der Aufklärung war die Medizin noch im tiefsten Mittelalter verfangen. Noch immer fielen Tausende den Pocken, der Pest, dem Kindbettfieber, der Lungenentzündung oder der Tuberkulose zum Opfer. In Paris berührte Ludwig XVI. (1754-1793, Krönung 1774) am Tag seiner Krönung 2.400 Skrofulöse *). In der aberwitzigen Hoffnung, dass die Kraft eines geweihten „Königs von Gottes Gnaden“ diesen helfen könne. Ein abergläubisches Brauchtum, das seit Jahrhunderten englische und französische Könige zelebrieren mussten. Shakespeare schildert es im 4. Akt des Macbeth, und mitten im Zeitalter der Aufklärung blühte es noch in Frankreich, gegen besseres Wissen der Ärzte.
Wissenschaft und Scharlatanerie ließen sich oft nicht säuberlich trennen, und ein Heiler, der mit einer neuen, wissenschaftlich nicht fassbaren, weder lehr- nach erlernbaren Methode erfolgreich arbeitete, musste Aufsehen erregen.
Waren Mesmer schon in Wien spektakuläre Heilerfolge geglückt, so steigerte sich sein Bekanntheitsgrad in Paris ins Unerhörte. Die sensationelle Heilung der Jane Miotte, der bekanntesten Pariser Fischhändlerin, machte ihn berühmt. Der Andrang der bei ihm Heilung Suchenden ließ sich kaum mehr bewältigen. Mesmers Behandlungen – einzeln oder in Gruppen – waren geschickt, geradezu theatralisch inszeniert, so dass seine magische Persönlichkeit voll zur Geltung kam. Er ließ sich zwar von den Reichen angemessen entlohnen, behandelte aber die Armen umsonst, was seine Popularität steigerte.
Mesmers exzentrische Behandlungsweise fand viele Nachahmer, die nicht immer seriös arbeiteten und das „Magnetisieren“ in Verruf brachten.
So gab es auch bald in Paris wieder skeptische Stimmen gegen Mesmer. 1784 wurde eine königliche Kommission ernannt, die den animalischen Magnetismus wissenschaftlich untersuchen sollte. Dieser Kommission gehörten führende Wissenschaftler an, wie Antoine Lavoisier (Chemiker, 1743-1794), Benjamin Franklin (amerikanischer Botschafter und Gelehrter, 1706-1790) und Jean Sylvain Bailly (Astronom, 1736-1793).
Trotz seiner Bemühungen in verschiedenen Veröffentlichungen hatte Mesmer keine überzeugende Theorie für seine Heilmethode anzubieten. Die königliche Kommission konnte keine wissenschaftlich nachweisbaren Tatsachen erkennen, die für die von Mesmer behaupteten „magnetischen Fluide“ sprachen. So kam er schließlich auch in Paris wieder unter den Verdacht der Scharlatanerie.
Auf derartige Kritik reagierte der sonst doch so weltmännische Mesmer empört und emotional und wurde manchmal auch unsachlich. Er sprach dann von Ränken der katholischen Kirche, die ihm Gottlosigkeit unterstellte, oder von Verleumdungen durch Freimaurer (Mesmer war selbst Freimaurer), die ihn des Okkultismus bezichtigten.
Heute würde man Mesmer vielleicht als „Geistheiler“ oder „Magnetopathen“ bezeichnen; Benennungen, die recht unscharf sind und bei Schulmedizinern wenig Gnade finden. Wahrscheinlich hatte er starke Heilkräfte. Vermutlich beruhten seine Erfolge aber auch auf Suggestion. Heute betrachtet man Franz Anton Mesmer als Vorläufer in der Hypnosetherapie und, da er oft mehrere Patienten gleichzeitig behandelte, auch der Gruppentherapie.
In jedem Fall war Mesmer eine schillernde Persönlichkeit in einer bewegten Zeit, in der die noch jungen exakten Wissenschaften mit dem Aberglauben rangen. Er erregte Aufsehen, wurde bewundert, bekämpft, imitiert, verspottet. Seine Methode, deren wissenschaftliche Anerkennung er nicht erzwingen konnte, ist bis heute nicht vollkommen verstanden, denn solche Heilweisen sind sehr von der Persönlichkeit des Heilers und dessen Ausnahmebegabung abhängig.
Endnote:
*) Ein früher gebräuchlicher Begriff für einen Symptomkomplex bei tuberkulösen Kindern, gekennzeichnet durch Lymphknotenschwellungen, Augenentzündung, chronischen Schnupfen.
Literatur:
(1) Schott, Heinz: „Franz Anton Mesmer“, Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 1983.
(2) Thuillier, Jean: „Die Entdeckung des Lebensfeuers“, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 1990.
(3) Titschner, Rudolf: „Franz Anton Mesmer“, Verlag der Münchner Drucke, München, 1928.