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Merkwürdige Geschichten

Die spezielle Kultur der Walser

Vom harten Überleben in den Alpen

Zu den interessantesten Landschaften Europas gehören zweifellos die Alpen. Als Riegel schieben sie sich zwischen den Mittelmeerraum und die nördlicheren Bereiche Mitteleuropas. Über Jahrtausende galten sie als hässlich, gefährlich, ungeeignet für die Landwirtschaft und als Hindernis für den Transitverkehr. Die Alpenpässe wurden zwar schon vor Jahrtausenden überschritten, doch die Besiedelung der Alpen erfolgte langsam und relativ spät.

Als das Land in den Ebenen knapper wurde, drangen Siedler von allen Seiten auch in den Alpenraum vor. Diese Besiedelungsgeschichte erstreckte sich über lange Zeiträume, sie ist höchst kompliziert und wurde lange wenig beachtet.

Vom 18. Jahrhundert an, als das Interesse der Wissenschaftler, später dann auch der Touristen, an den Alpen langsam erwachte, begannen Volkskundler sich auch für die Alpenbewohner mit ihrem, nicht selten einzigartigem Brauchtum zu interessieren.

Unter den Bewohnern der Alpen gibt es eine besondere Gruppe, die erst spät Siedlungsmöglichkeiten in den Alpen suchte und dann auf Hochlagen ausweichen musste, da die Tallagen längst besetzt waren: Die „Walser“ mit ihren speziellen Traditionen.

Seit Ende des 20. Jahrhunderts sind besonders Bergwanderer an den Walsern interessiert. Viele machen sich nun auf die Spurensuche nach Relikten aus einer Zeit, in der die Walser besondere Techniken entwickeln mussten, die es ihnen erlaubten, hoch im Gebirge zu überleben.

Wer ist heute ein Walser?
Die Walser sind ursprünglich eine einfache bergbäuerliche Sprach- und Schicksalsgemeinschaft alemannischer Herkunft. Aber die neue Zeit hat ihre Lebensgrundlagen völlig verändert. Als ein „Walser“ mag sich heute mit Recht betrachten, wer in der alten Heimat oder in den tieferen Tälern Walserdeutsch spricht oder wer einer Walsersippe angehört.

Paul Zinsli. (5, S. 874).

Woher kommen die Walser?
Der Name Walser kommt von Walliser. Sie gelten als deutschsprachiger Stamm, der einst aus dem Wallis eingewandert ist; über die Gebirgspässe oder von Süden über die Täler. Vielleicht sind die Walser sogar der Rest des Gotenvolkes, das sich nach der Schlacht am Milchberg (552) dem Byzantinischen Feldherrn Narses unterwerfen musste. Vermutungen über ihre Herkunft gibt es viele, sogar dass es sich zum Teil um versprengte Katharer und sonstige Religions-Flüchtlinge gehandelt haben könnte.
Im Unterschied zu den im Oberwallis sesshaft gewordenen Alemannen, die man Walliser nennt, bezeichnet man die im Hochmittelalter aus dem obersten Rhone-Tal abgewanderten Kolonisten als Walser.   

Einigermaßen gut belegt scheint, dass die Walser nach dem 11. Jahrhundert in den Alpenraum eingewandert sind. Ihre Religion ist meist katholisch[i]. Ihre verschiedenen Mundarten, die man noch heute hören kann, sind Abwandlungen der deutschen Sprache. Unterschiede in den Walserdialekten Italiens und Graubündens (Schweiz) lassen auf verschiedene Einwanderungswellen schließen.

Walser und Waldenser
Die „Walser“ sind nicht zu verwechseln mit den „Waldensern“.
Die Waldenser sind eine, von dem Reformator Petrus Waldes aus Lyon (gest. vor 1218) im 12. Jahrhundert gegründete, protestantische Kirche, die von der Inquisition rigoros verfolgt wurde. Eines ihrer Rückzugsgebiete waren die schwer zugänglichen „Waldensertäler“ der Westalpen (in Piemont an der Grenze zu Savoyen, Nordwestitalien). Zuerst in diesen Tälern toleriert, wurden sie im 17. Jahrhundert, im Zuge der Gegenreformation, auch hier verfolgt, so dass es heute nur noch wenige Bekenner dieser Religion gibt.
Die Waldenser werden gelegentlich mit den Katharern verglichen, doch sind die religiösen Lehren dieser beiden christlichen Gemeinschaften keineswegs identisch. (Zum Thema „Katharer“ lesen Sie unter „Kurz, knapp, kurios“ auf Seite 302 „“Der Albigenser Kreuzzug“)

(Wikipedia)

Die Besiedlung der Alpen

Die ersten dauerhaften Bewohner von Hochlagen über 1000 m waren im 7./8. Jahrhundert Mönche.

Im Hochmittelalter folgte eine Zeit der Kriege und Wirren mit politischen Flüchtlingen. Aber es gab auch neue Ideen, Verbesserungen der landwirtschaftlichen Anbaumethoden und bessere Arbeitsgeräte.

In der mittelalterlichen Warmzeit, von 12. Jahrhundert an, wurde das Klima milder, und die Vegetationsgrenze vorschob sich um etwa 200 Höhenmeter. Getreideanbau und Viehzucht wurde auch in höheren Lagen möglich. Die Bevölkerung war deutlich gewachsen. Klöster und weltliche Fürsten ermunterten abenteuerlustige Siedler, in bislang allenfalls als Weiden genutzte Hochlagen einzuwandern, Wälder zu roden, Felder anzulegen, Vieh zu züchten, Siedlungen zu bauen und sich so eine neue Heimat zu schaffen. Verschiedene Vergünstigungen, z. B. geringe Steuern oder Befreiung vom Wehrdienst, wurden versprochen. So zogen Gruppen von alemannischen Bauernfamilien vom Oberlauf der Rhone in verschiedenen Schüben über die Gebirgspässe und gründeten eine Vielzahl verstreuter Siedlungen im heutigen Italien, der Schweiz und Österreich. Sie standen vor der Aufgabe, ein bisher nur temporär genutztes Gebiet ganzjährig zu bewohnen. Walsersiedlungen liegen daher häufig in Hochtälern oder sogar in ausgesetztem Gelände, weil gutes Land in tieferen Lagen schon längst von der alteinheimischen Bevölkerung genutzt wurde.

Diese Walserwanderungen begannen Ende des 12. Jahrhunderts und kamen um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert zum Abschluss.

Die Kolonisation der Walser gilt im Wesentlichen als „friedliche Eroberung mit Axt und Sense“. Doch ganz ohne Zusammenstöße mit der einheimischen Bevölkerung, die viele der nun von den Walsern besetzten Hochlagen längst als Sommerweiden nutzte, wird es nicht abgegangen sein. Die historischen Quellen berichten kaum von derartigen Streitigkeiten; zu einem ernsthaften Eroberungskrieg kann es bei den kleinen Gruppen der Betroffenen nicht gekommen sein.

Als dann Mitte des 16. Jahrhunderts die Kleine Eiszeit mit Gletschervorstößen einsetzte, mussten etliche Walsersiedlungen aufgegeben werden, und ihre Bewohner ins Tal ziehen. Als Minderheiten inmitten der romanischen Bevölkerung wurden sie dort bald assimiliert.

Überleben im Gebirge

Die Wanderungen der Walser fielen in eine Epoche des Übergangs von der Kleintierzucht (Schafe und Ziegen) zur Rinderhaltung. Die Walserbauern führten bei ihren Wanderungen wohl nur Schafe und Ziegen mit, und sie blieben diesen Nutztieren Jahrhunderte lang treu. In der Tat sind Schafe und Ziegen im steilen Berggelände leichter zu halten als die schwereren Rinder. Diese sind allerdings als Tauschware für die Märkte im Tal geeigneter. Die Walser belieferten die lokalen Märkte mit Vieh, Butter, Käse und Trockenfleisch. Dafür konnten sie Getreide, Leder, Salz, Werkzeuge wie Sensen, Wein usw. eintauschen.

Um in den Hochlagen zurechtzukommen, half eine für die Walser typische Erfindung: Die Walserbauern im Osten brachten das Futter von den Hochalmen nicht hinab in die Siedlungen. Um längere Transportwege einzusparen, wurde das im Sommer geerntete Heu in Stallscheunen eingelagert, die sich auf den Almen befanden. Im Herbst zog dann das Vieh etappenweise bergab in diese „Ausfütterungsställe“. Diese verfügten meist noch über einen bescheidenen Wohnteil. Dann erst ging es hinab in die eigentliche Siedlung zum Überwintern.

Inneralpine Täler erhalten oft – im Gegensatz zu den Randbereichen – wenig Niederschlag. Daher mussten mancherorts die von den Gletschern abfließenden Bäche angezapft, und ihr Wasser auf die Felder verteilt werden[ii].

Es war ein hartes Leben, und wer die eine oder andere Walsersiedlung aufgesucht hat, und sich das dortige Leben vor Jahrhunderten vorstellt, ist beeindruckt von dem Überlebenswillen und dem harten Überlebenskampf der Walser.

Noch heute ist die kleine Walser-Siedlung Juf in 2126 m über dem Meer (bei Avers in Graubünden/Schweiz) das höchstgelegene, dauerhaft besiedelte Dorf Europas

Die Walser heute

Heute finden sich noch rund 150 Walser-Siedlungen mit ca. 40.000 Menschen, die über 300 km Luftlinie vom südwalserischen Gressoney im Aostatal (Italien) bis zum ostwalserischen Mittelberg (Allgäuer Alpen) verstreut liegen. Für die wenigen, noch in den alten Gebirgssiedlungen lebenden Walser hat sich das Leben grundlegend geändert. Die Siedlungen sind mit Elektrizität versorgt, auf Straßen erreichbar, und landwirtschaftliche Maschinen bestimmen die Bewirtschaftung auf den noch rentabel gebliebenen Flächen oder Hängen im Gebirge.

Zunehmende Beachtung finden neuerdings die Walser bei Bergwanderern. Diese spüren den Relikten aus dem harten Leben der Walser im Hochgebirge nach, bewundern die alten Holzhäuser in Blockbauweise, nicht selten aus Lärchenholz, manchmal noch mit Granitplatten gedeckt, und lassen sich vom speziellen alten Brauchtum der Walser berichten. Nicht zu vergessen die für das Wallis und die Walser typischen Speicher mit den charakteristischen „Mäuseplatten“, die das Eindringen von Ratten und Mäusen verhindern.

Wer das freundliche Volk der Walser genauer kennen lernen will, der kann auf alten Walserwegen durch das Gebirge wandern; z. B. auf dem „Großen Walserweg“ (2). Dieser führt auf 29 Etappen von Zermatt nach Mittelberg. Die wenigsten werden ihn ganz gehen, aber auch die eine oder andere Etappe ist eine Wanderung wert.

So hat auch der Tourismus in den Dörfern der Walser Einzug gehalten und es fehlt nicht an Hotels, Restaurants, Cafes und Läden für Reiseandenken.

Literatur:
(1) Balmer Emil, Die Walser im Piemont, A. Francke, Bern, 1949.
(2) Irlinger Bernhard, Der grosse Walserweg, J. Berg, München. 1996.
(3) Waibel Max, Unterwegs zu den Walsern, Huber, CH-8501 Frauenfeld, 2003.
(4) Welte Adalbert, Die große Flucht (Roman), Österreichische Buchgemeinschaft, 1952.
(5) Zinsli Paul, Handbuch der Schweizerischen Volkskultur, Band 2, 1992.
(6) http;//www.kleinwalsertal.com/tal-walser/die-walser.html.
(7) http://www.walserweg.com.

Endnoten:
[i] Nur einzelne Gemeinden schlossen sich der Reformation an.
[ii] Die kompliziertesten Anlagen dieser Art waren die „heiligen Wasser“ des Wallis. Hier wurden Wasserleitungen (Suonen genannt) manchmal hoch an Felswänden entlang geführt. Die Reparaturen der steinschlag- und lawinengefährdeten Leitungen waren nicht selten lebensgefährlich. Der Roman „An heiligen Wassern“ von Jakob Christoph Heer von 1898 hat dieses Thema dichterisch verarbeitet. Dieser Roman wurde 1960 verfilmt.