Ein König auf okkulten Pfaden
(Veröffentlicht in GralsWelt 71/2012)
Um sich zu profilieren, wandte sich der mangelhaft gebildete Friedrich Wilhelm II. (1786–1797) dem Okkultismus zu – mit schwerwiegenden Folgen für sein Reich.
Während das Zeitalter der Aufklärung die Vernunft ins Zentrum rückte, entstanden zahlreiche dunkle Gegenströmungen, die auch in das preußische Könighaus reichten. Friedrich Wilhelm II. geriet in den Bannkreis von Magiern und Okkultisten – einer Falle, die einst das Ende des modernen Preußen befürchten ließ.
Preußens Weg zum modernsten Staat der Welt
Hier die Vorgeschichte: Das vom Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) stark gebeutelte kleine, arme Kurfürstentum Brandenburg hatte sich überraschend gut entwickelt; mit viel Glück, aber auch mit herausragenden Herrschergestalten.
Den Anfang machte Friedrich Wilhelm I. (1640–1688). Dieser „Große Kurfürst“ setzte Verwaltungsreformen durch und nahm protestantische Flüchtlinge auf. In der Schlacht von Fehrbellin (1675) konnte er einen entscheidenden Sieg über die Schweden erringen, damals die führende Militärnation Europas.
Sein Sohn Friedrich (1688–1713) war ein verschwenderischer Barockfürst, der seine Eitelkeiten befriedigte, indem er sich 1701 in Königsberg zum König von Preußen krönen ließ (vgl. „Kurz, knapp, kurios“ Seite 352 „Scheinbare Nebensächlichkeiten machen Geschichte“). Auf den ersten Blick eine unsinnige Maßnahme, die viel Geld kostete. Doch langfristig wog der Glanz des Königtums die materiellen Opfer auf.
Dessen Sohn Friedrich Wilhelm I. (1713–1740) ist als „Soldatenkönig“ bekannt. Er führte eine sparsame, mustergültige Verwaltung ein. Seine Interessen galten besonders dem Militär, das er förderte und seinem Sohn Friedrich II. (1740–1786) als wertvolle Waffe hinterließ.
Als Kronprinz hatte Friedrich II. unter den brutalen, geradezu grausamen Erziehungsmethoden seines Vaters schwer gelitten. Ein wenig Trost fand er in der Literatur, der Philosophie und der Musik. Von ihm stammt sogar ein „Anti-Machiavel“, eine Schrift mit der er die Ratschläge des Florentiners für die Herrschenden widerlegen wollte. Doch bald nach seiner Krönung handelte Friedrich II., der „Philosoph auf dem Königsthron“, machtpolitisch und kriegerisch. Er entriss dem schlecht gerüsteten Österreich-Ungarn gewaltsam die Provinz Schlesien. Drei Kriege wurden geführt, um diese Beute zu sichern. Der dritte Schlesische Krieg, der „Siebenjährige Krieg“, brachte Preußen an den Rand einer Niederlage, der es nur durch Glück entging.
Innerhalb von knapp zwei Jahrhunderten war aus dem Kurfürstentum Brandenburg das Königreich Preußen entstanden, seinerzeit der modernste Staat der Welt. Es war der erste Rechtsstaat (mit Einschränkungen) der europäischen Geschichte, der sich für seine Bürger angenehm unterschied vom Absolutismus anderer europäischer Monarchien. (Siehe Teil 1 dieser Serie).
Preußen war eine wichtige europäische Macht geworden, argwöhnisch beäugt, aber auch vielfach bewundert und beneidet. Österreich-Ungarn wollte den Verlust Schlesiens nicht verschmerzen. Frankreich lag auf der Lauer, um sich Teile Deutschlands anzueignen. Das Verhältnis zu Russland war nicht spannungsfrei. Das typische Problem einer Binnenmacht, an dem das Zweite Deutsche Kaiserreich gescheitert ist.
Wer sollte nach dem Ableben des „Alten Fritz“ den Preußischen Staat in schwierigen Zeiten des Umbruchs erfolgreich führen? Friedrich II. hatte selbst keine Kinder …
Dem „Philosophen“ folgt ein Okkultist
Dem Erbfolgeprinzip entsprechend, war der Neffe des „Großen Königs“ zum Nachfolger bestimmt: Friedrich Wilhelm II. (1786–1797). Dieser aber war keine große Begabung. Auch seine Bildung war eher mangelhaft, nicht zu vergleichen mit der seines Vorgängers, in dessen Schatten er stand. Wer in die Fußstapfen eines Genies tritt, kann so gut wie nie die hochgesteckten Erwartungen erfüllen. Wie sollte, wie konnte, wie würde sich der nicht gerade herausragende Friedrich Wilhelm II. profilieren?
Er wählte den unglücklichsten Weg und wandte sich dem Okkultismus zu. Die geheimen Wissenschaften sollten ihn erleuchten und magische Mittel zu den Erfolgen führen, die ihm auf natürlichen Wegen verschlossen waren. Das konnte nicht gut gehen. Entsprechend vernichtend fällt das Urteil eines aufgeklärten Historikers über den glücklosen König aus:
„In Preußen war auf den Alten Fritz sein Neffe Friedrich Wilhelm II. gefolgt, auf den straffen, erleuchteten Despotismus folgte eine schlaffe Serailsregierung, welche in jeder Beziehung nach rückwärts deutete und strebte. Der König hatte eine ungenügende Erziehung erhalten, und die sittenlose Offiziersgesellschaft, in welcher er seine Jugend verbrachte, hatte seinen von Natur aus schwachen Charakter abgestumpft und verdorben. Auf den Thron gelangt, fiel er pfiffigen Obskuranten und Geheimbündlern, wie Wöllner und Bischoffswerder, in die Hände, die sich der Regierung völlig bemächtigten und mit dem Monarchen das schnödeste Gespensterspuckspiel trieben“. (6, S. 363).
Unter dem Einfluss von Mystik und Drogen
In Bayern wurde der Geheimbund der Illuminaten verfolgt. (Vgl. „Kurz, knapp, kurios“ Seite 363 „Eine Wurzel für Verschwörungstheorien“). In Königsberg wirkte Immanuel Kant (1724–1804), der bedeutendste Philosoph der Aufklärung. In Frankreich fand die Enzyklopädie, das Standardwerk der Aufklärung in 35 Bänden (erschienen von 1751 bis 1780), große Beachtung. Und in Berlin krönte man einen König, der sich von okkulten Pseudo-Wissenschaftlern lenken ließ.
Okkulte Einweihung in die alten Mysterien
Die Logen des 17. Jahrhunderts bildeten merkwürdige Versammlungen. Einerseits waren sie Träger der Ideen der Aufklärung, der modernen Zeit. Doch manche Geheimgesellschaften – ob sie sich Rosenkreuzer, Illuminaten oder Freimaurer nannten, ist unerheblich – überschritten die Grenzen der „gewöhnlichen“ Freimaurerei. Sie entwickelten okkulte Hochgradsysteme und wandten sich den guten oder „weißen“ Geheimwissenschaften zu. Damit kippten die Ziele der Aufklärung um in ihr Gegenteil.
Die ersten drei Grade der Freimaurerei boten einen Weg zur Selbstfindung. Erst die höheren Grade, beispielsweise die „strikte Observanz“, der von Cagliostro erfundene „ägyptische Ritus“, die „hermetische Maurerei“ oder der „Schottische Ritus“ (es gab oder gibt Dutzende solcher Hochgradsysteme, vgl. 4, S. 396) versprachen die Einweihung in die großen Mysterien des Altertums und die Erlangung übernatürlicher Fähigkeiten.
Giovanni Barberi (1748–1821), der am Prozess gegen Cagliostro beteiligt war, schrieb dazu im Jahr 1791: „Das System verspricht seinen Anhängern, sie vermittels der physischen und moralischen Wiedergeburt zur Vollkommenheit zu führen; durch die physische Wiedergeburt, indem sie vermöge der Erfindung der Materia prima oder des Steines der Weisen und der Akazie*) den Menschen in den Kräften der frühesten Jugend befestigt und unsterblich macht; durch die sittliche Wiedergeburt, da sie durch die Erlangung eines Pentagon**) den Menschen in den Stand der ersten durch die Erbsünde verlorenen Unschuld zurückstellt. Der Stifter gibt vor, dass die ägyptische Maurerei von Enoch und Elias stammte und von denselben in alle Teile der Welt verbreitet worden sei, sie aber durch den Lauf der Jahre von ihrer Reinheit und ihrem Glanz vieles verloren habe.“ (2, S. 91).
*) Die Akazie war ein beliebtes Symbol der Freimaurerei. Aufgrund ihres angeblich unverweslichen Holzes galt sie als Zeichen immer währenden Lebens.
**) Das Pentagon (Fünfeck) vereinigt aus esoterischer Sicht das Gerade (zwei) mit dem Ungeraden (drei) und hebt damit die Gegensätze auf.
Schon als Kronprinz wurde Friedrich Wilhelm II. Freimaurer. Er geriet in den Einfluss zweier Hochgrad-Freimaurer der „strikten Observanz“[i], die sich der Rosenkreuzerei[ii] in ihrer phantastischsten Form (4, S. 912) hingaben: Dem Geistlichen Johann Christoph Wöllner (1732–1800) und dem General Johann Rudolf v. Bischoffswerder (1714–1803). Beide waren dem Okkulten verfallen und beeindruckten den Thronerben mit ihren magischen Künsten. Bischoffswerder, „jedem magischen und alchimistischen Schwindel seiner Zeit zugänglich“, hatte ihn als Prinz mit einer „Ordensarznei“ geheilt, deren „übernatürliche Eigenschaften“ Wunder wirkten (4, S. 135). Bischoffswerder bereitete künstliche Stimulantien, die sogenannten „Diavolini“ und machte sich damit unentbehrlich. (6, S. 382).
Im Charlottenburger Schloss ließ sich Friedrich Wilhelm im Jahr 1781 – als Ormesus Magnus – in die Mysterien der Gold- und Rosenkreuzer einweihen. Er glaubte an den übelsten Geisterschwindel, den Wöllner und Bischoffswerder produzierten. Die beiden hatten den späteren König „tief in die Netze mystischer Ordensgaukeleien verstrickt, so tief, dass sie und ihre Kreaturen es wagen durften, die leichthantierliche Majestät mit dem handgreiflichen Betrug von Geisterbeschwörungen zu äffen und zu ängstigen. Es existiert eine Erzählung aus dem Munde der Gräfin Lichtenau[iii], wodurch wir erfahren, dass Friedrich Wilhelm durch eine solche mit der plumpsten Taschenspielerei veranstaltete Geisterzitation, wobei man ihm Mark Aurel, Leibniz und den Großen Kurfürsten sehen ließ, in die lächerlichste Todesangst versetzt wurde.“ (6, S. 382).
Für diese schmachvollen Vorstellungen „rosenkreuzerischer Verdummung und Gaunerei“ (6, S. 382) verwendeten die Betrüger Apparate (Laterna magica), die der Leipziger Schwindler Johann Georg Schrepfer (oder Schröpfer, 1739–1774) für seine spiritistischen Seancen benutzt hatte. Schrepfer war ein besonders exzentrischer, verrufener Freimaurer, der durch einen theatralisch inszenierten Selbstmord vor Augenzeugen aus dem Leben schied. (4, S. 758).
Aber nicht alle Historiker werten Friedrich Wilhelm II. so sehr ab. Beispielsweise schreibt Wilhelm Bringmann: „Der König Friedrich Wilhelm II. hat niemals Geister gesehen, weder echte noch vorgetäuschte. Seinen Ordensbrüdern hat er niemals von selbst erlebten Geistererscheinungen berichtet, vielmehr beklagte er, derartiger Offenbarungen nicht teilhaftig werden zu können. Er beneidete Menschen, die das von sich behaupteten und er hätte viel darum gegeben, selbst zu dem Kreis der ‚Begünstigten‘ zu gehören.“ (1, S. 137).
Wider die reine Vernunft
„Dass der König Rosenkreuzer war, wird wohl von niemandem bestritten. Dass Bischoffswerder und Wöllner innerhalb der Rosenkreuzerei die Führungsgestalten gewesen sind, wird ebenso wenig zu bestreiten sein. Dass es dagegen die Ordensoberen wirklich gegeben hat, wage ich zu bezweifeln. Die geheimnisvollen, imaginären unbekannten Ordensoberen unterschrieben ihre Briefe mit ihrem rosenkreuzerischen Pseudonym. Einmal nannten sie sich Hannageron, dann Numen oder Rosarius. Da sie angeblich stets in Ordensangelegenheiten in fernen Ländern weilten, vergingen oft Wochen, ja Monate, bis ihre Antworten eintrafen. Die Ordensoberen waren sicher eine Erfindung Wöllners und Bischoffswerders, in den Anfängen gehörte möglicherweise auch Herzog Friedrich August (von Braunschweig, 1740–1805, preußischer General) zu dem Kreis der Briefe schreibenden Magi von Übersee.
Aufbau und Organisation des Ordens bis hin zu den fiktiven Ordensoberen waren rosenkreuzerspezifisch, charakteristisch für diesen Geheimbund, dessen innere Struktur für alle tabu war, teilweise selbst für Ordensbrüder …
Die ganze Rosenkreuzer-Bewegung wird nur aus der Zeit heraus verständlich, in der sie entstand. Rationalismus und Aufklärung zeugten die Illuminaten und zeitgleich auch die Rosenkreuzer als emotional verständliches Gegengewicht. Während der atheistische Zug der Aufklärung an die reine Vernunft appellierte und alle Erscheinungen des Lebens so zu erklären suchte, schalteten die Rosenkreuzer das Gefühl und den Glauben ein und sahen in ihrem Wirken einen Auftrag ihres Schöpfers. Rosenkreuzer zu sein, war daher nicht zwangsläufig etwas Makelbehaftetes, von Haus aus Negatives.“
Hans-Joachim Neumann. (Aus 5, S. 164 f.)
Das Ende des modernen Preußen?
Als König vertraute Friedrich Wilhelm II. Wöllner hohe Ämter an. Unter anderem ernannte er den Ehrgeizling zum Justizminister: „Ein ehrgeiziger Mann, von zelotischer (griech.: Zeloten = Eiferer) Gesinnung, erließ er, kaum Minister geworden, sein berüchtigtes Religionsedikt; durch dieses und andere Maßnahmen, die sein Einfluss auf den König durchsetzte, wusste er fast alles wieder zu zerstören, was unter Friedrich dem Großen an Aufklärung und tolerantem Geist ins Land gekommen war. Mit Recht hat man ihn einen der Totengräber des alten Preußen genannt. Auch der Freimaurerei fügte er erheblichen Schaden zu.“ (4, S. 912).
Wöllner und sein rosenkreuzerischer Kreis befehdeten alles, was nach Aufklärung aussah. Sein unseliger Einfluss schadete dem einst fortschrittlichsten Land. Anstelle fälliger Reformen wurde vieles bereits Erreichte zerstört. Die Bürger waren verunsichert, die einst vorbildliche, rechtsstaatliche Verwaltung litt, und die Armee verrotte. Ein gutes Jahrzehnt schlechter Regierung unter dem von okkulten Wahnvorstellungen verdrehten Friedrich Wilhelm II. genügte, um Preußen um Jahrzehnte zurückzuwerfen.
Sein Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm III. (1797–1840) entging der Okkultismusfalle und wurde auch kein Freimaurer. Er trennte sich von Wöllner und Bischoffswerder, sah aber nicht klar genug, um das Ruder herumzureißen. Er berauschte sich am Nimbus seines Großonkels, des „alten Fritz“, und wollte nicht sehen, wie weit das echte Preußentum schon verkommen war.
Die Quittung bekam der einst modernste Staat der Welt in den Napoleonischen Kriegen durch die vernichtendste Niederlage seiner Geschichte. Doch Preußen war noch nicht verloren, der friederizianische Geist nicht erloschen. Noch gab es in Preußen große Persönlichkeiten, die das Nötige sahen und es wenigstens teilweise durchsetzten, so dass sich das beinahe untergegangene Land nach den Napoleonischen Kriegen erholen konnte. (Vgl. „Kurz, knapp, kurios“ Seite 315 „Ein Reformer in turbulenterer Zeit“). Viele dieser Reformer waren Freimaurer; zum Beispiel Blücher, Fichte, Gneisenau, Hardenberg, Scharnhorst, v. Stein. Ebenso die Deutschen Kaiser Wilhelm I. und Friedrich III.
Literatur:
(1) Bringmann Wilhelm, Preußen unter Friedrich Wilhelm II. (1786–1797), Peter Lang, Frankfurt 2001.
(2) Freller Thomas, Cagliostro, Sutton, Erfurt 2001.
(3) Hagl Siegfried, Spreu und Weizen, Gralsverlag, Hart-Purgstall, 2004.
(4) Lenhoff Eugen/Posner Oskar/Binder Dieter A., Internationales Freimaurer Lexikon, Herbig, München 2000.
(5) Neumann Hans-Joachim, Friedrich Wilhelm II., Preußen unter den Rosenkreuzern, Edition q, Berlin 1997.
(6) Scherr Johannes, Deutsche Kultur- und Sittengeschichte, Agrippina, Wiesbaden
www …
Friedrich Wilhelm II.
http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilhelm_II._(Preußen).
Strikte Observanz:
http://de.wikipedia.org/wiki/Strikte_Observanz