Der Graf, der ewig lebt
(Veröffentlicht in GralsWelt 70/201
„Wenig weiß man, worin sein Geheimnis bestand. Nur dass er ein verkörpertes Rätsel war, ging in das Bewusstsein ein.“
J. Lenz („Unter den Flügeln des Phönix“, Seite 38)
Dank eines Elixiers, das ewige Jugend verleiht, blickte er angeblich auf ein 2000 Jahre langes Leben zurück; er war Arzt, Komponist, Geheimagent – und vieles mehr. Eine der rätselhaftesten Persönlichkeiten in der Geschichte des Okkultismus, der sich im 17. und 18. Jahrhundert im Schatten der Aufklärung entwickelte, ist der Graf von Saint Germain, dem in manchen esoterischen Büchern umso mehr zugetraut wird, je weniger echte Fakten über ihn nachweisbar sind.
Zu den großen Rätseln um den „Magier“ Saint Germain gehören bereits die Fragen nach seiner Abstammung und dem Ursprung seines großen Vermögens. In der Enzyklopädie „Wikipedia“ sind Vermutungen über seine Eltern aufgelistet: Sohn eines Steuereintreibers, italienischer Geigenspieler namens Catalani, illegitimes Kind eines Königshauses, Fürstensohn. Nach Irene Tetzlaff kam der Graf von Saint Germain als Leopold Georg Prinz von Transsylvanien (geb. 28. 5. 1696) zur Welt. Als Vierjähriger wurde der Erbprinz demnach anonym nach Italien gebracht, um der Verfolgung durch die Habsburger zu entgehen. Seit ihrer Beteiligung am ungarischen Freiheitskampf war seine Familie verfemt.
Wenn sich zwei Hochstapler treffen …
Die Alten Römer waren der Meinung, dass zwei Auguren (= Angehörige eines römischen Priesterkollegiums, das bei wichtigen Staatshandlungen den Willen der Götter erkunden sollte), die sich auf der Straße begegnen, große Mühe hätten, nicht in Gelächter auszubrechen. Jeder kannte ja des anderen Tricks, mit denen er „göttliche Orakel“ dem Publikum verkaufte. Ähnlich mag es bei dem Treffen zweier berühmter Hochstapler gewesen sein. Casanova beschreibt seine erste Begegnung mit dem Grafen von Saint-Germain folgendermaßen:
„Die angenehmste Mahlzeit hatte ich in der Gesellschaft der Frau de Gergi, die mit dem unter dem Namen des Grafen St.-Germain berühmten Abenteurer kam. Er aß nicht, sondern sprach von dem Beginn der Mahlzeit bis zum Ende, und ich hätte es beinahe zum Teil ebenso gemacht wie er, denn ich aß ebenfalls nichts, sondern hörte ihm mit der größten Aufmerksamkeit zu. Es war allerdings schwierig, einen Menschen zu finden, der besser gesprochen hätte als er. St.-Germain gab sich für einen Wundermann aus; er wollte verblüffen, und oft gelang ihm dies. Er sprach in bestimmtem Ton, aber so sorgfältig, dass er nicht missfiel. Er war gelehrt, sprach tadellos die meisten Sprachen; er war ein großer Musiker und Chemiker; hatte ein angenehmes Gesicht und wusste alle Frauen gefügig zu machen; denn er gab ihnen Schminken und Schönheitsmittel und erweckte in ihnen die Hoffnung, nicht etwa sie jünger zu machen – denn so bescheiden war er doch, dass er gestand, dies wäre ihm unmöglich –, wohl aber sie in dem Zustand zu erhalten, in dem er sie vorfand, und zwar mittels eines Wassers, das ihm nach seiner Behauptung viel Geld kostete, trotzdem aber von ihm nur verschenkt wurde.
Er hatte die Gunst der Frau von Pompadour zu erwerben gewusst; sie hatte ihm eine Unterredung mit dem König (Ludwig XV. 1710–1774) verschafft, und er hatte für diesen ein hübsches Laboratorium eingerichtet; denn der liebenswürdige Monarch, der sich überall langweilte, glaubte sich zu unterhalten oder wenigstens ein bisschen die Langeweile zu vertreiben, indem er Farben herstellte. Der König hatte ihm eine Wohnung in Chambord angewiesen und ihm hunderttausend Franken zum Bau eines Laboratoriums gegeben; nach St.-Germains Behauptung wollte der König durch seine chemischen Produkte alle Fabriken Frankreichs zur Blüte bringen.
Dieser eigentümliche Mann, der zum Betrüger allerersten Ranges wie geschaffen war, sagte im zuversichtlichsten Ton und so ganz beiläufig, er sei dreihundert Jahre alt, besitze das Allheilmittel, mache mit der Natur, was er wolle; er besitze das Geheimnis, Diamanten zu schmelzen und aus zehn oder zwölf kleinen ohne Gewichtsverlust einen großen vom reinsten Wasser zu machen. Alle diese Operationen waren für ihn nur Kleinigkeiten. Trotz seiner Aufschneidereien, lächerlichen Lügen und übertriebenen Seltsamkeiten konnte ich mich doch nicht überwinden, ihn unverschämt zu finden. Allerdings fand ich ihn auch nicht achtenswert, aber beinahe wider Willen und unbewusst fand ich ihn erstaunlich; denn ich war wirklich erstaunt über ihn.“
Casanova, Giovanni Giacomo (aus „Memoiren“, Goldmann, München, 1960, Seiten 290/91)
Der angeblich letzte Aufenthaltsort des Grafen von Saint-Germain war der Hof des Landgrafen von Hessen-Kassel, der ein begeisterter Alchemist war. Dort sei Saint-Germain in Abwesenheit des Landgrafen am 27. Februar 1784 in Eckernförde in den Armen zweier Kammermädchen gestorben. Sein Ableben und die Beerdigung am 2. März sind im Sterberegister der Sankt-Nikolaus-Kirche verzeichnet. Aber als der Landgraf zurückkehrte und den Sarg öffnen ließ, war dieser angeblich leer. War der Tod des Grafen von Saint Germain also nur vorgetäuscht?
Ein Jahr später, im Februar 1785, trafen sich in Wilhelmsbad (bei Hanau) Freimaurer, Illuminaten, Rosenkreuzer und Kabbalisten. Saint-Germain soll vor dieser Versammlung, wie Peter Krassa in seinem Buch „Der Wiedergänger“ darstellt, eine Rede gehalten haben.
Das Leben des Abenteurers, Alchemisten, Arztes, Geheimagenten, Komponisten, Okkultisten und Rosenkreuzers ist von vielen, zum Teil von ihm selbst geschaffenen Legenden verzerrt. Dazu gehört die wenig glaubhafte Behauptung, dass Saint Germain nicht nur in Ägypten, sondern auch in Indien und China war. Oder dass er seit mehr als 2000 Jahren lebe, dank eines geheimnisvollen Elixiers, das lebensverlängernd wirke und ewige Jugend verleihe.
Der Graf wusste amüsante Geschichten zu erzählen vom Klatsch am Hofe zu Babylon (der sich von dem am Pariser Hof nicht sehr unterschieden haben dürfte), von Unterhaltungen mit der Königin von Saba oder von der Hochzeit von Kanaan. Seine Geschichtskenntnisse waren so gut, dass er flüssig über Heinrich IV. (1589–1610) und Franz I. (1494–1547) von Frankreich plaudern und diese so genau beschreiben konnte, als hätte er sie persönlich gekannt. Madame de Pompadour (1721–1764), Mätresse des französischen Königs Ludwig XV., gelang es nicht, ihn mit Fragen nach historischen Persönlichkeiten in Verlegenheit zu bringen.
Abenteurer, Weltenbummler, Geheimagent
Saint-Germain zog sich luxuriös an und ließ an seiner Kleidung Juwelen glitzern. Er war universell gebildet und beherrschte angeblich Arabisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Griechisch, Latein, Portugiesisch und Spanisch in Sprache und Schrift. Dazu war er ein begabter Maler und ein Virtuose auf der Geige und dem Cembalo. Er komponierte Lieder und Opern. In der Chemie und als Arzt schien er den meisten seiner Zeitgenossen überlegen, und wenn er tatsächlich, wie man ihm nachsagt, Flecken aus Diamanten entfernen, kleine zu großen Diamanten zusammenschmelzen oder Blei in Gold verwandeln konnte, so verfügte er über ein verlorengegangenes Wissen.
„Die schönsten Geheimnisse der Natur“
„Saint Germain sieht aus wie ein kräftiger Fünfundvierziger, aber er selbst gibt zu verstehen, dass er kein Fleisch isst, nur etwas Hühnerfleisch, Fisch und Gemüse. Wenn es mir gelingt, ihm sein Geheimnis, lange zu leben, zu entlocken, so werde ich es dem König (August III. von Polen, Kurfürst von Sachsen) nicht verschweigen. Saint Germain kennt die schönsten Geheimnisse der Natur und weiß Ungläubige zu bekehren oder zu überzeugen …
Um Reichtum und irdische Größe kümmert er sich nicht, es genügt ihm, wenn er den Titel ‚Bürger des Staates‘ beanspruchen darf. Auch besprach er das Schicksal Frankreichs. Der Ursprung des Übelstandes ist die Schwachheit des Fürsten und die Uneinigkeit des Hofes. Er spricht frei über die Verhältnisse am französischen Hof: vom König bis zur Hanswursterei. Es geschieht bisweilen, dass er unvorsichtig in seinen Ausdrücken ist …“
Aus einem Brief des sächsischen Gesandten Kauderbach an den Minister Wackerbarth in Dresden vom 14. März 1760. (Zitiert aus: Teztlaff Irene, Unter den Flügeln des Phönix, Seite 35)
An phantastischen Übertreibungen über die Fähigkeiten des geheimnisvollen Grafen ist kein Mangel, aber niemand ist gezwungen, zu glauben, was über ihn kolportiert wird. Allerdings kommt man nicht umhin, in ihm eine Ausnahmebegabung zu sehen, nicht zu vergleichen mit anderen zeitgenössischen Hochstaplern, wie zum Beispiel dem berühmten Cagliostro, dem es an Bildung mangelte und der kaum seine italienische Muttersprache beherrschte.
Reisen durch Europa
Die ersten einigermaßen gesicherten Berichte über den Grafen von Saint Germain stammen aus London, aus dem Jahr 1745. Sie sprechen von einem exzellenten Geigenspieler, der komponierte, eine italienische Liedersammlung und Violinsonaten drucken ließ. Zudem besaß er eine ausgesuchte Sammlung von Juwelen. Aufgrund des jakobinischen Aufstandes in Schottland wurden Katholiken in England mit großem Misstrauen betrachtet, so dass Saint-Germain sich nach zwei Jahren veranlasst sah, England zu verlassen.
Da er häufig seinen Namen wechselte (Irene Tetzlaff erwähnt in ihrem Buch 32 Pseudonyme), sind seine Reisewege kaum mehr zu verfolgen. Doch war er in Berlin, Paris, Sankt Petersburg, Wien. Er lebte wie ein Adeliger von hohem Rang und fand Eingang in die maßgeblichen Kreise – vielleicht als Diplomat, Agent in geheimer Mission, Alchemist? Oder als Angehöriger des Hochadels? Wie sonst hätte ihn Ludwig XV. gnädig aufgenommen?
Manches spricht dafür, dass er für Friedrich den Großen tätig war, der ihn als den „Mann, der nicht sterben könne“ bezeichnete. Wenig wahrscheinlich, dass der skeptische Preußenkönig an Saint Germains Unsterblichkeit glaubte. Aber vielleicht war er an der geheimnisvollen Aura seines Spions interessiert? War er es, der ihn, finanzierte?
Der Mann, der niemals stirbt – live im französischen Fernsehen?
Aus drei Jahrhunderten gibt es Berichte von Menschen, die dem Grafen von Saint-Germain begegnet sein wollen. In der freimaurerischen Esoterik gilt er als Reinkarnation von Christian Rosencreutz und Hiram Abif, dem Baumeister des Salomonischen Tempels (2, S. 565). Heute wird sogar vermutet, dass er ein Zeitreisender war (siehe Internet-Links). Das nach meinen Recherchen „letzte öffentliche Auftreten des Grafen“ fand in einem Pariser Fernsehstudio statt: Im Januar 1972 trat im französischen Fernsehen ein Mann mit Namen Richard Chanfray auf, der vor laufender Kamera mit Hilfe eines primitiven Camping-Kochers und einem geheimnisvollen Lebenselixier einen Klumpen Blei in Gold verwandelte. Weder die Kameraleute, noch die anwesenden Experten konnten ihn eines Schwindels überführen. Als der verblüffte und etwas ratlose Moderator fragte, wie er zu seinen Kenntnissen gekommen sei, antwortete der Studiogast lakonisch: „Dies alles beherrsche ich seit vielen Jahrhunderten. Lassen Sie sich deshalb von meinem bürgerlichen Namen nicht irritieren, denn in Wahrheit bin ich – der Graf von Saint-Germain.“ (3, S. 171 f.). Ein beeindruckendes Beispiel jedenfalls für die „unsterbliche“ Faszination, die das Okkulte bis heute ausübt.
Nach wie vor ein Rätsel
Von allen fragwürdigen Persönlichkeiten der Barockzeit ist der Graf von Saint-Germain die schillerndste und am schwersten einzuordnende. Manche Esoteriker trauen ihm vom Goldmachen bis zu Zeitreisen alles Mögliche und Unmögliche zu und bewundern ihn noch heute. Selbst mit dem Prädikat „Hochstapler“ tut man sich schwer. Saint-Germain ist der Name eines französischen Adelsgeschlechtes, dem unser Rätselgraf aber nicht angehörte; insoweit darf man ihn vielleicht einen Hochstapler nennen. Eine meines Erachtens gut recherchierte und einigermaßen glaubhafte Biographie Saint Germains liegt von Irene Tetzlaff vor: „Unter den Flügeln des Phönix“. Demnach nahm er als Firmling in Florenz den Namen „San Germano“ oder „Saint Germain“ an.
Aber betrügerische Machenschaften wurden ihm nicht vorgeworfen; jedenfalls fühlte sich – soweit bekannt – niemand durch ihn geschädigt. Belegt scheint, dass er für den König von Frankreich Geheimverhandlungen führte – ohne Wissen des Außenministers, der ihn dafür gefangen setzen wollte. (3, S. 112).
War der Graf von Saint-Germain ein Geheimdiplomat, vielleicht ein Doppelagent, dem sein Rosenkreuzertum, seine Wunderarzneien oder die Beschäftigung mit den Geheimwissenschaften als Tarnung dienten? Manche sehen in ihm einen Vorreiter der Idee von der europäischen Union und loben seinen Einsatz für den Frieden. Die französische Revolution mit ihren schrecklichen Begleitumständen hat er angeblich vorausgesehen und vergeblich davor gewarnt.
Kurt Seligmann ist der Meinung, dass der Graf zur Lösung der Rätsel um seine Person selbst beigetragen hat: „Saint-Germain verrät sich mit seinen erstaunlichen Erzählungen von einer politischen Vergangenheit als Diplomat. Da er Zugang zu Geheimakten hatte, konnte er sich eingehend und planmäßig dem Studium der Geschichte widmen, während seine anderen Gaben, was auch darüber erzählt werden mag, dilettantisch waren. Seine Opern sind wertlos; seine Begabung als Maler kann nicht bedeutend gewesen sein, da keines seiner Werke erhalten ist. Seine chemischen Entdeckungen bestanden lediglich in schmerzstillenden Mitteln – man weiß nichts mehr von ihnen …“ („Das Weltreich der Magie“, S. 380).
Fortsetzung „Die dunkle Seite der Aufklärung“ Teil 6.
Literatur:
(1) Casanova Giovanni Giacomo, Memoiren, Goldmann, München 1960.
(2) Black Jonathan, Die geheime Geschichte der Welt, Goldmann, München 2008.
(3) Krassa Peter, Der Wiedergänger, Herbig, München 1998.
(4) Seligmann Kurt, Das Weltreich der Magie, Bechtermünz, Eltville 1988.(5) Teztlaff Irene, Unter den Flügeln des Phönix, Mellinger, Stuttgart 1992.
www …
Der Graf von Saint Germain:
http://de.wikipedia.org/wiki/Graf_von_Saint_Germain.
http://www.ta7.de/txt/mystik/myst0007.htm.