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Religionsgeschichte

Bedrohung durch religiösen Fundamentalismus

Veröffentlicht in GralsWelt 22/2001) 
DER 11. SEPTEMBER 2001: 
In der Gralswelt 14/2000 habe ich unter der Überschrift „Wo bleibt die Hoffnung für die Armen der Welt?“ die Ansicht vertreten, dass nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, von dem viele in aussichtsloser Armut lebende Menschen die Lösung ihrer Probleme erhofften, eine Lücke geblieben ist, die in manchen Ländern möglicherweise vom Islam als neuem Hoffnungsträger besetzt wird. 
Nun müssen wir uns erschreckt mit der Tatsache vertraut machen, dass fundamentalistische Muslime vieler Nationen vom Islam nicht nur einen idealen, gerechten Staat erwarten, sondern auch dem Westen und seiner Zivilisation mit abgrundtiefem Hass gegenüberstehen; denn aus muslimischer Sicht 
* wurde die islamische Welt seit Jahrhunderten von westlichen Kolonialmächten unterdrückt und ausgebeutet, 
* will die westliche, die abendländische, die christlich geprägte Zivilisation den Islam zerstören, 
* ist der Westen „gottlos“ und daher der natürliche Feind des „wahren Gläubigen“, also des Moslem, 
* war Mohammed der einzige Religionsstifter, der zum Gründer und Herrscher eines Reiches wurde, das ein idealer Staat war, – weil auf den muslimischer Überzeugung nach von Allah offenbarten Gesetzen gegründet – und das für alle Zeiten vorbildlich bleibt.
So kennt der Islam auch keinen Unterschied zwischen religiösem Gesetz und bürgerlichem Recht, denn die Gebote des Islam regeln sämtliche Lebensbereiche.
Außerdem gilt der Übertritt eines Moslem in eine andere Religionsgemeinschaft strengen Muslimen als todeswürdiges Verbrechen. In der Praxis gibt es daher so gut wie keine Konvertiten.
 
ORIENT UND OKZIDENT 
Nicht abzustreiten ist, dass die meisten islamischen Staaten unter dem Kolonialismus westlicher wie auch islamischer Staaten (z.B. der Türkei) zu leiden hatten.
Doch kann man gerechterweise nicht alle Probleme gegenwärtiger islamischer Staaten, unter denen sich kaum eine Demokratie befindet, auf den Kolonialismus zurückführen, und Volk, Religion und Regierung von jeder Verantwortung „frei“ sprechen. (Wobei jemandem „von jeder Verantwortung freisprechen“ letztlich eine Verletzung seiner Menschenwürde beinhaltet. Es bedeutet im Grunde, ihm keine geistige Selbstbestimmung zuzubilligen.)
 
Man kann auch in der westlichen Zivilisation, die auf Laizismus, Demokratie und wirtschaftliche Prosperität baut, eine Gefahr für Religionen sehen; denn keine Religion ist von ihrem Ursprung her demokratisch.
Das moderne Leben entfernt sich mehr und mehr von althergebrachten Glaubensvorstellungen. So befürchten Muslime nicht ohne Grund, dass unter dem Einfluss des Westens viele „Rechtgläubige“ dem Islam gegenüber ebenso „lau“ werden könnten wie Europäer oder Amerikaner gegenüber den christlichen Konfessionen.
Entsprechend abwehrend ist die Haltung vieler Imame, so dass in islamischen Staaten Reformen kaum durchzusetzen sind, sofern sie sich nicht auf dem Koran berufen können.
 
Zudem neigen monotheistische Religionen ohnehin zur Unduldsamkeit, und der Grundsatz „ein Gott, ein (wahrer) Glaube, eine (rechtmäßige) Kirche“ hat viele, zu viele Gewalttaten gerechtfertigt.
Religiöse Toleranz, Achtung vor anderen Religionen, gab es häufiger in polytheistischen Kulten, z. B. in der Antike, als im vom Monotheismus geprägten europäischen Mittelalter.
 
Schon das Alte Testament der Bibel, die Grundlage des Judentums, einer der ältesten monotheistischen Religionen *), ist voller Abscheu gegenüber „Götzendienern“ und „Heiden“.
Auch das Christentum hat oft genug die von Jesus gepredigte Nächstenliebe vergessen und alttestamentlichen Hass praktiziert.
Der Islam, der nach seiner eigenen Zeitrechnung jetzt im 14. Jahrhundert **) lebt, schwankt zwischen Mäßigung und Hass auf die Ungläubigen, die auf Befehl Allahs zu bekehren oder aber zu vernichten sind. Beides lässt sich aus dem Koran belegen ***).
Da eine für jeden Gläubigen verbindliche Auslegung des Koran und der Scharia ****) fehlt, gibt es viele Gruppen, deren Prediger zu recht verschiedenen Interpretationen kommen. Allen gemeinsam scheint das Ziel, den Islam in der ganzen Welt zu verbreiten.
 
Auch fehlt Muslimen die Erfahrung mit dem Leben unter Andersgläubigen.
In den ersten islamischen Jahrhunderten wurden von Arabien aus die südlichen Mittelmeerküsten und Spanien erobert, und die neuen Untertanen zum großen Teil zum Islam bekehrt.
Dann drangen Turkstämme, Mongolen, Tataren in islamische Länder ein und übernahmen bald deren Glauben.
Der Islam überdauerte – wie bei den Kreuzzügen -, oder die Feinde wurden bekehrt.
Dann breitete sich der Islam in Teilen Indiens, in Südostasien und bis zu den Philippinen durch Eroberung oder friedliche Missionsarbeit aus. Meist wurde der Islam dann zur dominierenden Religion. Sein schnelles Wachstum zeigt aus Sicht der Muslime das sichtbare Wirken Allahs. In islamischen Staaten beanspruchten die Gläubigen Vorrechte gegenüber den nur geduldeten Andersgläubigen, die z.B. höher besteuert wurden.
Erst seit einigen Jahrzehnten leben bedeutende muslimische Minderheiten, z.B. in Europa, unter Völkern mit anderem Religions- und Staatsverständnis und diese müssen erkennen, dass das ihnen anerzogene Überlegenheitsgefühl gegenüber den „Ungläubigen“ in diesen Zivilisationen nicht gebilligt wird, ja sogar gegen geltendes Recht verstößt, und dass die Unversehrtheit des Lebens auch Andersdenkender ein unentbehrlicher Teil westlicher Kultur ist. Diese „westlichen“ Zivilisationen betrachten ihre Einstellung auch keineswegs als einen Ausdruck von Schwäche, sondern als eine wertvolle kulturelle Errungenschaft.
 
RELIGIÖSER FUNDAMENTALISMUS 
In der Westlichen Welt glaubte man gegen Ende des 20. Jahrhunderts den religiösen Fanatismus überwunden, und hielt den fundamentalistischen „Gottesstaat“ Iran für eine Ausnahme. Ignoriert wurde, dass religiöse Intoleranz nach wie vor virulent ist, sogar mitten in Europa: 
In Nordirland führte jahrzehntelang der für unbeteiligte Beobachter unbegreifliche Hass zwischen Protestanten und Katholiken zum Bürgerkrieg, und in Jugoslawien schlachteten sich Katholiken, Orthodoxe und Muslime gegenseitig grausam ab.
In Indien gab es hasserfüllte Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen, und in Sri Lanka, Malaysia oder auf den Philippinen brach religiöser Hass auf.
Von Palästina ganz zu schweigen, wo einerseits Araber das Lebensrecht des Staates Israel nicht anerkennen, während auf der Gegenseite jüdische Extremisten das ganze, zu biblischen Zeiten einst jüdische Land fordern, und die Palästinenser vertreiben wollen. Extremisten und Fundamentalisten, die religiöse Argumente als Vorwand für Nationalismus und Rassismus, Neid und Hass ins Feld führen, finden sich auf allen Kontinenten.
 
Nach dem friedenstiftenden, völkerverbindenden Einfluss der Religionen forscht man dagegen oft vergebens, obwohl entsprechende Vorgaben in allen Weltreligionen enthalten sind. Nicht überraschend, dass sich viele, besonders auch jüngere Menschen von Religionen abwenden und sich fragen, ob die Weltgeschichte nicht ohne Priester und deren Machtansprüche glücklicher und friedlicher verlaufen wäre! 
DIE WELTRELIGIONEN
Religion:         Gläubige in Mio.
Katholiken                1038
Protestanten              346
Orthodoxe                  216
Juden                           14
Muslime                    1200
Hindus                        811
Buddhisten                360
Shintoisten                 107
Der Spiegel Nr. 41, vom 8.10.2001.  

KAMPF DER KULTUREN ?
 
Im Zuge der unaufhaltsamen Globalisierung der Erde rücken Völker und Nationen enger zusammen, die unterschiedlichen Volkswirtschaften verzahnen sich, und in so gut wie allen Ländern gelten die gleichen ökonomischen Prinzipien, während religiöse Lehren, Sitten und Gebräuche noch recht verschieden sind.
Von Erfolg kann eine multinationale Zusammenarbeit nur gekrönt sein, wenn auch grundlegende Wertvorstellungen, als eine Art „Weltethos“ (6) von allen Erdbewohnern anerkannt werden und sich global durchsetzen: Achtung der Menschenwürde jedes Einzelnen, religiöse Toleranz, bürgerliche Freiheiten, Trennung von Kirche und Staat. Die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verkündete „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ ist noch kein geltendes Recht weltweit, könnte jedoch eine Arbeitsgrundlage dafür sein.
Christliche Kirchen mussten sich in einem Jahrhunderte langen Prozess an den Schwund ihrer Macht gewöhnen und unter dem Druck der Aufklärung schließlich Staaten akzeptieren, die verfassungsmäßige Rechte, darunter Religionsfreiheit, für alle garantieren.
Andere Hochreligionen, wie der Buddhismus, hatten die meiste Zeit keinen großen politischen Einfluss.  
Anders der Islam: Wie Mohammed einst Prophet und Herrscher eines Staates war, so kennt der Islam bis heute keine Trennung von Staat und Moschee, keinen Unterschied zwischen religiösem und staatlichem Recht; denn das von Allah seinem Propheten offenbarte göttliche Recht steht selbstverständlich über jeder irdisch-menschlichen Rechtsordnung. Das Ziel jedes strenggläubigen Moslem muss daher sein, in einem Staat das islamische Recht durchzusetzen. Das gilt auch für Staaten, in denen Muslime in der Minderheit sind!  
Es besteht kein Zweifel, dass die große Mehrheit der Muslime in Frieden leben möchte, und gegen Andersgläubige nicht aggressiv ist. Aber es ist auch nicht zielführend, die Augen vor den Fundamentalisten zu verschließen, wie das viele Jahre im Westen aus falsch verstandener Humanität praktiziert wurde: Denn es gibt im Islam einen harten Kern fanatischer menschlicher Wesen, die aus  Überzeugung und Hass gegen alles Westliche zum Dschihad *****) aufrufen, die Verbrechen, Gewalt und Terror mit dem Koran rechtfertigen, und als Endziel die Vernichtung westlicher Lebensart und die Ausbreitung des Islam über die ganze Erde anstreben. Zielscheibe dieses Hasses sind in erster Linie die USA als die Führungsmacht der freien Welt. In muslimischen Augen führen die USA und Europa die Kolonialpolitik vergangener Jahrhunderte fort, zum Schaden vieler Millionen in den Entwicklungsländern, und dieser Vorwurf ist leider zum Teil berechtigt.
Auch im Westen gibt es Heuchler, die von Menschenrechten reden, sie jedoch aus Geldgier mit Füssen treten ******).
Dass muslimische Fanatiker ihre Intelligenz und gute (westliche) Ausbildung einsetzen macht sie als Verbrecher noch gefährlicher. Wir sehen, dass es ein verhängnisvoller Irrtum ist, wenn wir denken, dass Verstandesschlauheit und wissenschaftliche Ausbildung geistig gesunde Menschen garantieren.  
Die Mehrheit der friedliebenden Muslime wird sich von den Menschen anderer Bekenntnisse daran messen lassen müssen, ob sie Fundamentalisten, – sei es heimlich mit Geld oder nur gedanklich – , unterstützen, oder ob sie sich zu den Menschenrechten bekennen und gegen den Extremismus in ihren Heimatländern stimmen. Sie sind aufgefordert, sich entschieden davon abzukehren und dieser üble Sumpf wird austrocknen.
Wenn Muslime in westlichen Ländern leben wollen, müssen sie deren Verfassungen achten; was bedeuten kann, in der Abwehr von religiös verbrämten Verbrechen mit den dortigen Behörden zusammenarbeiten.  
Dann wird es uns leichter fallen, ein achtungsvolles Verhältnis zum Islam zu finden und zu erkennen, dass es sich beim Islam um eine „Hochreligion“ handelt, die große Menschen hervorgebracht hat, und Respekt verdient.    

Lesen Sie dazu auch „Der Hass auf den Westen„, „Krieg der Religionen“ unter „Buchbesprechungen“, „Der moderne Fundamentalismus“ und „Schonungsloser Kampf um die „Grundwahrheiten„, unter „Religionsgeschichte“

Nachtrag 2014:   
Nach einer WZB Studie vom März 2014 muss man davon ausgehen, dass etwa die Hälfte der in Europa lebenden Muslime fundamentalistisch eingestellt ist. (WZB Discussion Papar SP VI 2014-101. Berlin. WZB.) 

Endnoten:  
*) In “Ein persischer Wahrheitsbringer“ haben wir darauf hingewiesen, dass historisch gesehen nicht klar ist, ob Zarathustra, Echnaton oder Moses der erste Monotheist war.  
**) Die Zeitrechnung der Mohammedaner beginnt mit der „Hidschara“, der Flucht Mohammeds von Mekka nach Medina im Jahre 622 n.Chr.  
***) Man vergleiche z. B. die Suren 9,5; 47,4; 61,4 mit 2,59 und 46, 31-34. Zu Beginn seiner Missionstätigkeit hoffte Mohammed, Christen und Juden für den Islam zu gewinnen. Als sich diese Hoffnung nicht erfüllte, nahm seine Aggressivität gegenüber Andersgläubigen stark zu. So erklärt sich auch der auffallende Unterschied zwischen den in Mekka und den in Medina gegebenen Suren.  
****) Scharia = das islamische Recht  
*****) Dschihad = heiliger Kampf. Die Idee eines Kampfes um ein Ziel, das im religiösen Sinn gut ist. Das muss nicht unbedingt Gewalt und Krieg sein. Der Dschihad gilt „als eines der Mittel, den Islam zu verbreiten. Folglich „sollen Nicht-Muslime den Islam entweder freiwillig, durch Weisheit und guten Rat annehmen, oder unfreiwillig durch Kampf und Dschihad“ (7, S. 71). Manche Imame versprechen den im Dschihad Gefallenen das Paradies: “Und wahrlich, so ihr im Wege Allahs erschlagen werdet oder sterbet, wahrlich, Verzeihung von Allah und Barmherzigkeit ist besser, als was ihr zusammenscharrt. Und wahrlich, wenn ihr sterbet oder erschlagen werdet, werdet ihr zu Allah versammelt.“ (Koran Sure 3, 151-152).
******) Die große Mehrzahl der US-Amerikaner sind außenpolitisch kaum interessiert. Daher entgehen ihnen Versäumnisse amerikanischer Außenpolitik, und sie können nicht verstehen, warum die USA in vielen (nicht nur islamischen) Entwicklungsländern unbeliebt sind.  

Literatur:  
(1) „Der Koran“, aus dem Arabischen übertragen von Max Henning. Reclam, Stuttgart 1960.    
(2) Essad Bey „Mohammed“, DTV München 1991.    
(3) Glasenapp, Helmuth v. „Die fünf Weltreligionen“, Diederichs, München 1963.    
(4) Huntington, Samuel „Der Kampf der Kulturen“, Europa-Verlag, München 1997.    
(5) Kepel, Gilles „Die Rache Gottes, Radikale Moslems, Christen und Juden auf dem Vormarsch“, Piper, München 1991.
(6) Küng, Hans „Projekt Weltethos“, Piper, München 1996.    
(7) Laffin, John „Islam“, Heyne, München 1989.    
(8) Tworuschka, Monika und Udo „Religionen der Welt“, Orbis, München.