(Veröffentlicht in Gralswelt 37/2005)
Priester in weißen Gewändern posieren vor der Megalithkultstätte Stonehenge. Sie fühlen sich dem klassischen Druidentum aus Caesars Zeiten verbunden und wollen als Neo-Druiden eine alte Religion neu beleben. Denn das Leben der Druiden und ihre Weltanschauung findet in unseren Tagen nach wie vor großes Interesse. Phantastische Romane und auch Comics präsentieren die keltische Elite von einst und lassen gedanklichen Spielraum für so manche Vermutung. Aber was wissen wir wirklich über die Kelten, deren Religion und ihre Weisen, die Druiden?
Vor ungefähr drei Jahrtausenden begann eine Völkerwanderung in Zentralasien, die etwa von der Kirgisensteppe im heutigen Kasachstan ausging. Die Wege dieser Wanderbewegungen sind heute vor allem aufgrund der Sprachen nachzuvollziehen, die dort ihren gemeinsamen Ursprung hatten. Die sogenannte indogermanische Sprachfamilie reicht von Europa bis Indien und umfasst alle europäischen Sprachen (mit wenigen Ausnahmen wie Finnisch oder Ungarisch).
Ein Zweig aus dem Strom dieser frühgeschichtlichen Völkerwanderung bewegte sich nach Nord- bis Mitteleuropa: die späteren Germanen. Eine zweite große Gruppe besiedelte Mittel- bis Südeuropa sowie die britischen Inseln und schuf vor zwei bis drei Jahrtausenden eine bedeutende Kultur: die Kelten.
Trotz vieler Gemeinsamkeiten in Sprache, Religion und Kultur gelang es den freiheitsliebenden Kelten nie, sich zu einem Großreich zu vereinigen, so dass es Angreifern von außen, wie den Römern oder den Germanen, nicht allzu schwer fiel, die in sich zerstrittenen keltischen Lande zu erobern. Die keltische Kultur ging dann in der Kultur der Eroberer auf, abgesehen von wenigen Relikten, die in abgelegenen Regionen überdauerten, zum Beispiel in Irland, Schottland, Wales.
Von den Kelten wissen wir nur wenig
Unsere lückenhafte Kenntnis der keltischen Kultur und Religion stützt sich auf archäologische Funde und Berichte antiker Schriftsteller; es fehlen eigene Aufzeichnungen der Kelten, die sehr wohl ihre Schriftsprache hatten.
Oft wird versucht, die keltische Mythologie aus bildlichen Darstellungen zu entschlüsseln, zum Beispiel aus dem berühmten Silberkessel von Gundestrup, einem Moorfund aus dem dänischen Jütland. Hoffentlich treffen die so gewonnen Deutungen einigermaßen zu – spekulativ bleiben sie in jedem Fall.
Ich stelle mir dazu gerne vor, die Archäologen des Jahres 5.000 würden die Wies-Kirche (diese Wallfahrtskirche bei Steingaden in Oberbayern ist ein Juwel des Barock) mit ihren Malereien und Skulpturen ausgraben. Ob sie das Christentum als monotheistische Religion bezeichnen würden oder den Katholizismus zutreffend beschreiben könnten?
Woran glaubten die Kelten?
Caesar bescheinigt den Kelten in seinem Werk „Der gallischen Krieg“ (IV, 16-17) tiefe Religiosität:
„Alle gallischen Stämme sind sehr religiös…Unter den Göttern verehren sie Merkur am meisten. Von ihm besitzen sie besonders viele Götterbilder, ihn halten sie für den Erfinder aller Künste, für den Führer auf allen Straßen und Wegen, und von ihm glauben sie, er habe den größten Einfluss auf den Erwerb von Geld und auf den Handel. Auf Merkur folgen Apollo, Mars, Jupiter und Minerva. Der Glaube an diese Götter hat etwa denselben Inhalt wie bei den übrigen Völkern: Apollo vertreibt Krankheiten, Minerva lehrt die Anfangsgründe des Handwerks und der Künste, Jupiter hat die Herrschaft über die Himmelsbewohner, und Mars lenkt die Kriege.“
Der von Caesar als Merkur bezeichnete Gott hieß wohl Teutates, und der keltische Cernunnos wird mit Pluto gleichgesetzt.
Bei den meisten anderen Göttern sind Entsprechungen mit den Göttern der Römer umstritten. So tritt zum Beispiel der Sonnengott Lug (Aed, Belenes) als lebensrettender, junger Krieger und prächtiger Fürst auf und gilt als Symbol der Frühlingssonne. Als monströser, zerstörerischer Riese Goll oder Balor hingegen ist er das Symbol der sengenden Sommersonne.
Der bedeutende frühchristliche Kirchenlehrer Origines (185-254) war der Meinung, die Druiden Galliens hätten „den einen Gott angebetet“. Außerdem waren die Kelten nach der (nicht belegbaren) Meinung des Origines „dem Christentum lange schon geneigt aufgrund der Lehre der Druiden … die bereits die Doktrin von der Einheit der Gottheit verkündeten.“ (10).
Wahrscheinlich kannten die Kelten einen Himmel, als Land der immerwährenden Schönheit, und eine Hölle. Wie bei Griechen und Römern hatte die Welt auch im Glauben der Kelten ewigen Bestand, der allerdings durch Feuer- oder Wasserkatastrophen unterbrochen wurde, vergleichbar den Kataklysmen, von denen griechische Philosophen sprachen.
Von der einst reichen keltischen Mythologie gibt es nur unklare Überlieferungen, doch dürfte einiges ins Christentum, vieles in Märchen, Sagen und ins Brauchtum eingeflossen sein, besonders in Wales, Schottland und Irland. Der neuerdings auch bei uns zelebrierte „Halloween“ ist ein Nachklang des keltischen Erntedank- und Totenfestes, das am letzten Oktobertag gefeiert wurde.
Die Kelten kannten Naturwesen und verehrten Jagd- und Fruchtbarkeitsgottheiten, die oft nur regionale Bedeutung hatten. Fast alle Kelten opferten dem Himmelsgott, der Pferdegöttin Epona und den Muttergöttinnen, die in der Regel zu dritt auftraten. Eine Erinnerung an diese Triade der Göttinnen findet sich sogar noch im Christentum. Südlich von Schönwies im Weiler Obsaurs (Bezirk Imst/Tirol) steht zum Beispiel ein altes Heiligtum, an dem die heiligen Frauen Ambett, Gwerbett und Wilbett verehrt werden. Bei Mühltahl (nahe München) ist diesen drei Frauen eine Heilquelle geweiht und auch noch andere Kultstätten erinnern an sie.
Bei den Kelten bevölkerten zahllose Naturwesen, „Geister“, „Götter“ und „Göttinnen“ Natur und Welt in einer Vielfalt, die sich mit dem Götterhimmel der Hindus (deren Religion ja auch indogermanischen Ursprungs ist) vergleichen lässt.
Folgt man dem Autor Jean Markale, sind die zahllosen keltischen Gottheiten jedoch „Manifestationen der vielfältigen Funktionen eines absoluten, unbekannten, unfassbaren, unbenennbaren und damit unendlichen Gottes, den man sich als Ursprung alles Seienden denkt.“ In seinem Buch „Die Druiden“ schreibt Markale weiter: „Dieser Gott der Druiden ist, ebenso wie der christliche Gott, Anfang und Ende aller Dinge“.
Falls diese, vielleicht etwas eigenwillige Deutung des keltischen Gottesbildes zutrifft, ist Julius Caesar nur bis zum Volksglauben vorgedrungen, den er römischem Religionsverständnis entsprechend interpretierte, und hat die tieferen Einsichten der Kelten-Priester, also der Druiden, nicht erfahren.
Nach Markale ist das Weltbild der Druiden nicht polytheistisch sondern monistisch, das heißt, dass alles auf eine Ursache zurückgeführt wird. Es kennt nicht den Gegensatz zwischen Gott und dem Widersacher, keine scharfe Grenze zwischen gut und böse, auch keine grundsätzliche Trennung zwischen Geist und Materie.
Der Todesmut keltischer Krieger wird auf den Glauben an das Weiterleben nach dem Tode und an die Wiedergeburt als Mensch (nicht auch als Tier, wie bei den Hindus) zurückgeführt.
Berüchtigt sind die grausamen religiösen Zeremonien der Kelten, in denen manchmal Dutzende, gar Hunderte von Kriegsgefangenen geopfert wurden. Vielleicht haben die antiken Autoren übertrieben, doch archäologische Funde belegen rituelle Menschenopfer. Auch die keltische Sitte, die Köpfe (in denen nach ihrem Glauben die Seele wohnt) der getöteten Feinde zur Schau zu stellen, spricht für grausame barbarische Riten.
Keltische Kultstätten waren oft geweihte Plätze in der Natur wie Eichenhaine, Quellen, Flüsse usw., kaum geschlossene Gebäude. Die im Zusammenhang mit den Druiden oft erwähnte Steinsetzung von Stonehenge ist älteren Ursprungs als die keltische Invasion. Die Kelten tauchten in Mitteleuropa zwischen 900 und 700 vor Christus auf, während Megalithbauten wie Stonehenge zwischen dem 4. und 2. vorchristlichen Jahrtausend entstanden.
Zusammenfassend gesagt: Das uns zugängliche Bild der keltischen Religiosität wirkt sehr widersprüchlich: Einerseits archaische Opferriten und magische Beschwörungen, andererseits tiefe Gedanken über die Welt und ein dem Monotheismus nahe kommendes Gottesbild.
Die keltische Elite
Besonderes Interesse findet in unserer Zeit eine keltische Elite: die Druiden (und auch Druidinnen; vgl. 3). Ihr Name wird oft auf den Wortstamm dru (indo-german.: Eiche) zurückgeführt, so dass Druide als Eichenpriester zu übersetzen wäre. Nach Plinius pflückten sie von den Eichen Misteln (eine Heilpflanze), die rituelle Bedeutung hatten.
Der gesellschaftliche Aufbau, den Caesar schildert (vgl. Kasten), ist ein (indogermanisches) Drei-Klassen-System: Priester, Krieger, Bauern. Nach Meinung der Religionshistoriker lassen sich die keltischen Druiden mit den indischen Brahmanen vergleichen. Allerdings stellten die Druiden keine geschlossene Kaste dar, der man durch Geburt angehörte, sondern jeder konnte Druide werden, ob Mitglied einer Königsfamilie, ob Krieger, Künstler, Hirte, Bauer oder Sklave. Druide wurde man durch Berufung und lange, intensive Studien im Rahmen einer bestimmten Ausbildung. Die christliche Religion, Erbin der Druiden-Religion in mehr als einer Hinsicht, hat dieses Prinzip übernommen.
Druidische Lehren waren geheim und durften nicht aufgeschrieben werden. Nach Caesar hielten es die Druiden für Sünde, religiöse Texte schriftlich festzulegen („Der gallische Krieg“, VI, 14). Wer Druide werden wollte, musste sich einer bis zu 20 Jahre dauernden Ausbildung unterziehen, während der er viele heilige Texte auswendig lernen musste. Niemand weiß genau, was Druiden können mussten, doch ihr beachtliches Wissen beeindruckte antike Autoren.
Druiden waren Priester, Wahrsager, Philosophen, Ärzte, Richter, Mathematiker, Astronomen, Dichter, Barden, Astrologen, vielleicht auch Seher, Propheten oder Schamanen – also die Wissenschaftler der Kelten. Ihre vielseitigen Aufgaben ließen sich kaum ohne Spezialisierung bewältigen.
Die Druiden formten eine hauptberufliche, hierarchisch organisierte Priesterschaft:
„An der Spitze aller Druiden steht ein Mann, der den höchsten Einfluss unter ihnen genießt. Stirbt er, so folgt ihm entweder der nach, der unter den übrigen das höchste Ansehen besitzt, oder aber sein Nachfolger wird von den Druiden gewählt (…) Nicht selten wird dann jedoch auch mit Waffen um die leitende Stellung gekämpft“ (Caesar, „Der gallische Krieg“, VI, 13).
Einmal in jedem Jahr versammelten sich die Druiden Galliens an einem geweihten Ort, wahrscheinlich bei dem heutigen Chartres (dem römischen Autricum) im Land der Carnuten. Ihr Kultplatz lag vermutlich unter der heutigen Kathedrale. Bei dieser Versammlung wurden zum Beispiel wichtige Streitigkeiten entschieden. Weitere bedeutende Kultzentren waren der heilige Eichenhain der Galater in Kleinasien, sowie das Heiligtum der Inselkelten auf Mona (Anglesey), das 60 n. Chr. von den Römern zerstört wurde.
„Menschen, die Geltung und Ehre genießen“
„In ganz Gallien gibt es zwei Klassen von Menschen, die Geltung und Ehre genießen, denn das niedere Volk nimmt beinahe die Stellung von Sklaven ein…Die eine Klasse ist die Klasse der Druiden, die andere Klasse ist die der Ritter. Die Druiden versehen den Götterdienst, besorgen die öffentlichen und privaten Opfer und legen die Religionssatzungen aus. Bei ihnen finden sich junge Männer in großer Zahl zur Unterweisung ein, und sie genießen hohe Verehrung, denn sie entscheiden bei fast allen öffentlichen und privaten Streitigkeiten. Sie sprechen das Urteil, wenn ein Verbrechen begangen wurde, ein Mord geschah, Erbschafts- oder Grenzstreitigkeiten ausbrechen; sie setzen Belohnungen und Strafen fest. Fügt sich ein Einzelner oder ein Volksstamm ihrer Entscheidung nicht, so schließen sie die Betroffenen vom Götterdienst aus. Dies stellt bei den Galliern offenbar die härteste Strafe dar*).
An der Spitze aller Druiden steht derjenige, der das größte Ansehen genießt. (…)
Die Druiden ziehen gewöhnlich nicht in den Krieg und zahlen auch keine Abgaben wie die übrigen Gallier (…) Der Kernpunkt ihrer Lehre ist, dass die Seele nach dem Tod nicht untergehe, sondern von einem Körper in den anderen wandere. Da so die Angst vor dem Tod bedeutungslos wird, spornt das ihrer Meinung nach die Tapferkeit ganz besonders an. Sie stellen außerdem häufig Erörterungen an über die Gestirne, über die Natur der Dinge, über die Macht und Gewalt der unsterblichen Götter und vermitteln dies alles der Jugend.“
Caesar, „Der gallische Krieg“ (VI, 13/14).*) Diese druidische Bestrafung wurde von der mittelalterlichen Kirche übernommen: als „Kirchenbann“.
Das Ansehen der Druiden war groß. Sie waren in der Lage, als Schlichter bei Streitigkeiten aufzutreten, sogar Kriege zu verhindern, und selbst Stammesfürsten wagten es nicht, sich ihnen zu widersetzen.
Die Macht der Druiden beruhte darin, dass sie Menschen von den Opferzeremonien ausschließen konnten, wodurch der Übeltäter praktisch vogelfrei wurde.
Die anfängliche Hochschätzung der Druiden (zum Beispiel bei Poseidonios, 135-50 v. Chr.; Caesar, 100-44 v. Chr.; Strabon, ca. 60 v.-25 n. Chr.) änderte sich mit der Unterwerfung der keltischen Lande. Nun wurden Druiden zu Hütern der Traditionen, zu Verteidigern des Keltentums und seines Nationalismus, damit zu erbitterten Feinden Roms und Drahtziehern bei nationalen Erhebungen.
Dieses Feindbild färbte auf spätere römische Historiker ab (wie Plinius, 24-79; Lukan, 39-65 und Tacitus, 55-115), die in den Druiden eine Bedrohung der (römischen) Zivilisation sahen.
Römische Kaiser des ersten nachchristlichen Jahrhunderts verfolgten die Druiden und verboten ihre geheimen Kulte. Im 2. und 3. Jahrhundert gab es dann kaum noch systematische Verfolgungen der Druiden, die sich – teilweise im Untergrund – bis zum Untergang des römischen Reiches halten konnten. In Irland gab es sie möglicherweise noch im 7. Jahrhundert.
Die Druiden der Neuzeit
Der Name Druide hat einen guten Klang. In der Neuzeit erwachte das Interesse an den Druiden im 16. Jahrhundert, und „Druiden-Vereinigungen“ wurden gegründet. Der bis heute existierende, den Freimaurern ähnliche „Druiden-Orden“ (Ancient Oder of the Druids, A.O.D.) entstand 1781. Weitere Gründungen von Orden, Logen, Gruppen oder Bruderschaften folgten, die sich berufen fühlen, eine Renaissance der alten keltischen Religion mit ihren sagenumwobenen, wissenden Priestern einzuleiten.
Die Neo-Druiden glauben zum Beispiel an eine geheimnisvolle Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Sie suchen aus Überlieferungen, an alten Kultstätten, oder mit Hilfe von Ritualen intuitiv die alten Weisheiten neu zu erfahren. Ganz im Sinne der „New-Age-Bewegung“, in deren vielfarbiges Spektrum sich die Neo-Druiden gut einfügen. Deren „grüne Religion“ des Friedens und der Bewahrung der Natur steht auch mit modernen ökologischen Bewegungen in Einklang.
Ob und in wie weit es den „neuheidnischen“ Neo-Druiden gelingt, altes Wissen neu zu beleben, um zu zeitlosen Erkenntnissen zu gelangen, die zur Lösung der Probleme unserer Zeit beitragen, ist abzuwarten.
Fortsetzung Religionen der Antike VII.
Lesen Sie dazu auch „Der Christus-Kelch und die Suche nach dem Gral“.
Literatur:
(1) Demandt Alexander, Die Kelten“, C. H. Beck, München 1998.
(2) Ellis Peter Berresford, Die Druiden, Eugen Diederichs, München 1996.
(3) Green Miranda, Die Druiden, Econ, Düsseldorf 1998.
(4) Markale Jean, Die Druiden, C. Bertelsmann, München o. J.
(5) Die Kelten in Mitteleuropa, Amt der Salzburger Landesregierung, Kulturabteilung, 5010 Salzburg.
(6) http://www.euro-celts.com.
(7) http://www.der-hexagon.de/die_neodruidenlogen.htm.
(8) http://www.hexenburg.de/Bibliothek/Heidnisches/Druiden/druiden.html.
(9) http://www.keltenwelt.de/druiden.htm.
(10) http://www.uni-leipzig.de/~prtheol/Queens/35.htm.
(11) http://www.vaod.de.