(Veröffentlicht in GralsWelt 7/1998)
Wurde auch „Mercedes Benz“ ein Opfer der „globalen Beschleunigung“
Seit Ende des 19. Jahrhunderts erarbeitete sich die deutsche Industrie einen hervorragenden Ruf, und das „Made in Germany“ war und ist bis in unsere Tage ein weltweit respektiertes Gütesiegel. (Vgl. „Made in Germany ein Nachruf“)
Etwas Besonderes war auch die Struktur der Mitarbeiter in der deutschen Industrie. Deutsche Facharbeiter und Meister sind für ihre gute Qualifikation bekannt; sie tragen entscheidend zur Produktqualität bei. Dann folgten in der Hierarchie die Ingenieure mit Ingenieurschul-Ausbildung. Diese hatten eine abgeschlossene Lehre als praktische Grundlage, und aufgrund ihres Studiums ausreichende theoretische Kenntnisse, um die Brücke zu bilden zu den Diplom-Ingenieuren mit Hochschulausbildung. Die Aufstiegschancen der Ingenieure waren in der Regel gut. Ein erstklassiger Fachschulingenieur konnte auf der Karriereleiter manchen Hochschulingenieur überholen.
Die an den Hochschulen mehr theoretisch ausgebildeten Diplom-Ingenieure sollten in erster Linie die Führungskräfte stellen und neue Ideen, richtungweisende Entwicklungen einbringen.
Dieser Aufbau, der sich in vielen Jahrzehnten bewährte, musste aufgrund der internationalen Verflechtungen geändert werden, z.B. weil es den Fachschulingenieur in vielen anderen Industrieländern nicht gibt. So wurden die Ingenieurschulen zu Fachhochschulen, die sich an den technischen Universitäten orientieren und sogar das Promotionsrecht anstreben. Den heutigen Fachhochschul-Ingenieuren mit den Titel Dipl.-Ing. (FH) fehlt die fundierte handwerkliche Praxis ihrer Vorgänger, und der traditionelle Mittelbau der Technischen Abteilungen wandelt sich.
Gleichzeitig hat eine Flut von technischen und organisatorischen Änderungen die Betriebe in einem nie gekannten Ausmaß überschwemmt. Datenverarbeitung, Industrieroboter, Mikroelektronik, Qualitätssicherungssysteme haben das Gesicht jeder Entwicklungs- und Produktionsabteilung grundlegend verändert, und Grundsätze, Vorgehensweisen, Organisationsstrukturen mit denen die Industrie ein Jahrhundert lang bestens lebte, gelten im Zeitalter von „lean Management“ und „Globalisierung“ als unhaltbar.
Diese unvermeidlichen Wandlungen zeitigen allem Anschein nach Verwerfungen, die nicht überall rechtzeitig erkannt und zielführend umgesetzt wurden. So hat ausgerechnet der international angesehenste deutsche Konzern im vergangenen Jahr mit drei hässlichen Einbrüchen Schlagzeilen gemacht: Mercedes Benz.
Zuerst wurde bei MB ein neuer Motor fertigungsreif entwickelt, dann gestoppt, weil der Kraftstoffverbrauch den Anforderungen nicht genügte. Bei der Motoren-Entwicklung gehört die Messung des spezifischen Verbrauchs zu den primären Tests, die man mit den ersten vorliegenden Prototypen durchführt. Diese Daten liegen üblicherweise längst vor, bevor weitere Untersuchungen – z.B. der Dauerhaltbarkeit – abgeschlossen sind. Wieso erkennt man ein ungünstiges Verbrauchsverhalten erst kurz vor Serienanlauf?
Dann musste die bereits angelaufene Produktion der A-Klasse gestoppt werden, um die Fahrzeuge umzurüsten, die sonst beim sogenannten „Elch-Test“ kippen können. Dieser Elch-Test ist als „Ausweichtest“ ein von der ISO (International Standardisation Organisation) genormter Test, der seit vielen Jahrzehnten routinemäßig in Automobil- und Reifenfabriken durchgeführt wird. Wie war es möglich, dass erst die Testergebnisse schwedischer Fachjournalisten die Entwicklungsingenieure in Stuttgart aufgeschreckt haben?
Zuletzt ging noch die Nachricht durch die Medien, dass auch der Serienanlauf des „Smart“ verschoben werden muss. Nach Aussagen des Miteigentümers der Smart-Fabrik, des Schweizer Uhrenherstellers Hayek, soll auch der Smart am Elch-Test gescheitert sein, was bisher von Mercedes dementiert wird. Wo immer die Ursache liegen mag, der dritte Reinfall ist perfekt.
Nach Schätzungen von Fachleuten kosten diese drei Flops zusammen eine runde Milliarde DM, den Image-Verlust nicht mitgerechnet. Also eine Summe, die auch von einem der größten deutschen Unternehmen nicht mehr als „pea-nuts“ abgetan werden kann.
Man fragt, ob zu viele neue Konzepte viel zu schnell durchgezogen wurden. Ob ältere, erfahrene Ingenieure mit fundierter Praxis (mit denen ich vor Jahren selbst zusammengearbeitet habe) in den Vor-Ruhestand geschickt wurden, um das Feld jüngeren Theoretikern zu überlassen. Diese können bestimmt hervorragend mit ihren Computern umgehen. Aber vielleicht vergessen sie gelegentlich, dass auch die ausgefeiltesten Modellierungen und Stimulationen ihre Grenzen haben. Die letzte Antwort für die Qualität eines Automobils gibt nach wie vor die Praxis auf der Straße.
Ein Gutes hat allerdings der Reinfall mit der A-Klasse, der Stammtisch-Runden schon um eine neue Art von Witzen bereichert hat: Das elektronische Stabilitätssystem (ESP) wird viel schneller auf breiter Front eingeführt, als man je hoffen konnte. Auch die Konkurrenz wird nachziehen (müssen). Wir können uns also auf diese Verbesserung freuen, die für die Verkehrssicherheit nicht minder wertvoll sein wird, wie das längst zum Standard gewordene ABS (Anti-Blockier-System). –
Der Verfasser unterrichtete Fahrzeugdynamik an einer Hochschule.