(Veröffentlicht in GralsWelt 25/2002)
Eine Suche nach dem sagenhaften Schatz
„Im Jahre 1118 erschienen neun der vornehmsten französischen Ritter vor Balduin II., dem König von Jerusalem. Sie wollten einen Orden gründen, welcher die Pilger im Heiligen Land vor Dieben und Mördern schützen, und die Landwege überwachen sollte. Dann bezogen sie ein Haus an der Stelle, an der einst Salomons Tempel stand; daher erhielt ihr Ritterorden den Namen Tempelritter oder Templer. An der Ordensregel der Templer schrieb kein geringerer mit als der heilig gesprochene große Prediger Bernhard von Clairvaux (1091-1153).
Doch die Ritter mit ihrem Gefolge kümmerten sich vorerst wenig um den Schutz der Pilger. Sie betätigten sich als Archäologen, begannen zu graben und legten die riesigen Pferdeställe Salomons unter dem Tempelplatz frei, die nach neueren Erkenntnissen kaum auf Salomon zurückgehen dürften.
1128 reiste der Vorstand (Anführer) der Tempelritter, Hugo von Payens, mit einem großen Teil seiner Ritter im Auftrag des Königs von Jerusalem zum Papst nach Rom. Dort sollte er um Hilfe für das lateinische Königreich Jerusalem bitten, das von den Muslimen bedroht war.
Gekämpft hatten die edlen Ritter in den 9 Jahren ihres Aufenthalts im Heiligen Land nicht, doch ihre Mission dort haben sie anscheinend erfüllt; denn aus der Einleitung der Templerregel scheint hervorzugehen, dass die Ritter nach Erfüllung ihrer Aufgabe von Bernhard selbst zurückgerufen wurden.“ (2, S. 65). (Mehr zum Thema „Tempel-Ritter“ in „Kurz, knapp, kurios“ Seite 143 „Die Vernichtung der Templer“)
Was wollten die hochadeligen Amateur-Archäologen am Tempelberg? Was suchten sie? Was fanden sie?
„Macht eine Lade aus Akazienholz, zweieinhalb Ellen lang, anderthalb Ellen breit und anderthalb Ellen hoch! Überzieh sie innen und außen mit purem Gold, und bringt daran ringsherum eine Goldleiste an! Gieß für sie vier Goldringe, und befestige sie an ihren vier Füßen, zwei Ringe an der einen Seite und zwei Ringe an der anderen Seite! Fertige Stangen aus Akazienholz an, und überzieh sie mit Gold! Steck die Stangen durch die Ringe an den Seiten der Lade, so dass man die Lade damit tragen kann. Die Stangen sollen in den Ringen der Lade bleiben; man soll sie nicht herausziehen. In die Lade sollst du die Bundesurkunde legen, die ich dir gebe. Verfertige auch eine Deckplatte aus purem Gold, zweieinhalb Ellen lang und anderthalb Ellen breit! Mach zwei Kerubim aus getriebenem Gold, und arbeite sie an den beiden Enden der Deckplatte heraus! Mach je einen Kerub an dem einen und dem anderen Ende; auf der Deckplatte macht die Kurubim an den beiden Enden! Die Kerubim sollen die Flügel nach oben ausbreiten, mit ihren Flügeln die Deckplatte beschirmen, und sie sollen ihre Gesichter einander zuwenden; der Deckplatte sollen die Gesichter der Kerubim zugewandt sein. Setz die Deckplatte oben auf die Lade, und in die Lade leg die Bundesurkunde, die ich dir gebe. Dort werde ich mich dir zu erkennen geben und dir über der Deckplatte zwischen den beiden Kerubim, die auf der Lade der Bundesurkunde sind, alles sagen, was ich dir für die Israeliten auftragen werde.“ (2. Mose, 25,19-22).
Die Bundeslade
Zu den merkwürdigsten Schilderungen der Bibel gehört die Beschreibung der Bundeslande, einer Truhe, außen und innen mit Goldblech überzogen und etwa 137,5 cm lang und je 85,5 cm breit und hoch (7, S. 661). Dem biblischen Bericht zufolge, wollte sich Gott dort zu erkennen geben und zu Moses sprechen; daher wird die Lade auch „Schemel der Füße Gottes“ oder „Gnadenstuhl“ genannt. Zahlreiche Mythen und Vermutungen ranken sich um sie.
Im 25. Kapitel des Exodus (2. Buch Mose) beschäftigen sich 12 Verse mit der Bundeslade, doch 17 mit den Altargeräten, und weitere vier Kapitel werden benötigt, die Stiftshütte, Priestergewänder und Altargeräte zu beschreiben. Trotzdem ist nicht klar, wie die Stiftshütte, ein Zelt in dem die Bundeslade untergebracht wurde, genau ausgesehen hat.
Wie aus der Bibel zu erfahren ist, wirkte die Bundeslade auch Wunder:
Als Josua nach Jericho zog, hielt die Lade die Wasser des Jordan auf, so dass die Israeliten den Fluss trockenen Fußes überschreiten konnten (Jos. 3, 16). An der Eroberung Jerichos war sie ebenfalls beteiligt (Jos. 6).
Nicht immer brachte die zur Schlacht mitgeführte Lade den verheißenen Sieg (4. Mose 10,35). In der Jugendzeit Samuels (um 1000 v.Chr.) geriet die Bundeslade nach der verlorenen Schlacht von Eben-Eser in die Hände der Philister, die sie in den Dagon-Tempel von Aschdod brachten. Am nächsten Tag war die Statue des Gottes Dagon umgestürzt. Wieder aufgerichtet, stürzte dieses Götzenbild zum zweiten Male und zerbrach (1. Sam. 5,2-4). Dann brach in Aschdod noch die Beulenpest aus, bis die Philister die Lade zurückgaben. (1. Sam. 5,6-12).
Keiner durfte die heiligen Geräte berühren oder unverhüllt sehen, wenn er nicht sterben wollte (4. Mose 19-20). Als die Lade im Auftrag Davids von Usa und dessen Bruder nach Jerusalem gebracht wurde, brachen die Zugochsen aus und Usa griff zu, um die Lade zu stützen; als er sie berührte stürzte er tot zu Boden. (2. Sam. 6,7).
Solche biblischen Wunder galten jahrtausendelang als unanfechtbare Tatsachen, und erst in den letzten Jahrhunderten begann man sie differenzierter zu betrachten, bis in unseren Tagen nur noch wenige bibelgläubige Fundamentalisten uneingeschränkt an diese Wunder glauben.
Die Bedeutung der Bundeslade
Religionswissenschaftler sehen in der Bundeslade den Ausdruck eines klugen Schachzugs. Die Alten Völker verehrten häufig ortsgebundene Gottheiten und hatten Probleme, wenn sie den Bezirk, in dem ihr Gott angesiedelt war, verlassen mussten.
Die Israeliten dagegen trugen ihren Gott mit sich; er war immer bei ihnen, konnte jederzeit Beistand leisten und seine Anhänger zum Sieg über ihre Feinde führen. Und dieser allen anderen Göttern überlegene Gott, der seine treuen Diener bestens schützte, war unsichtbar, keine Naturgottheit wie z.B. die häufig verehrte Sonne. Denn die Lade mit ihren Gesetzestafeln ist auch Symbol des Bruches mit der ägyptischen Götzenanbetung, mit Tierverehrung und Totenkult.
Die Bundeslade war der wichtigste jüdische Kultgegenstand der Zeit des Exodus. David brachte sie schließlich nach Jerusalem (um 970 v. Chr.), der von ihm gewählten Hauptstadt. Die Überlieferung will wissen, dass an der Stelle, an der David ein Zelt mit der Bundeslade aufstellte, später Salomons Tempel errichtet wurde und schließlich der Felsendom. Im Salomonischen Tempel stand die Bundeslade im Allerheiligsten, das nur Priester betreten durften.
Spekulationen um die Bundeslade
Um diesen wichtigsten der altjüdischen Kultgegenstände ranken sich zahlreiche Spekulationen und Vermutungen.
So wurde z.B. angenommen, dass die außen und innen mit Goldfolie verkleidete Truhe ein Kondensator war, der sich elektrostatisch aufladen konnte. Dann hätte vielleicht Usa einen Stromschlag erhalten, der jedoch kaum stark genug war einen Menschen zu töten. Doch kann der Schreck, den dieser unerwartete und unerklärliche Funken auslöste, Usa getötet haben.
Andere halten sie gar für ein Funkgerät, das Aliens mit dem von ihnen geführten Moses verband.
Manche Esoteriker sehen in den in der Lade aufbewahrten „Tafeln des Gesetzes“ mehr als nur die Tafeln mit den Zehn Geboten. Sie berufen sich auf die Bibel: „Ich habe die Welt mit dem Maß, der Zahl und dem Gewicht geschaffen“ (Weisheit 11,20) und schließen daraus, dass es ein grundlegendes physikalisches Gesetz gibt, das das Universum lenkt. (2, S. 35).
Nun ist nicht mehr weit zu der Vermutung, dass in der Bundeslade universelle Weisheitslehren aufbewahrt wurden, vergleichbar der „Weltformel“ von heute oder der „Tabula smaragdina“ *) der Esoterik.
Folgt man Charpentier (2), dann haben Tempelritter die Bundeslande tatsächlich gefunden. Die darin überlieferten Geheimnisse machten angeblich den phänomenalen Aufstieg des Templerordens erst möglich, der auch den gotischen Baustil eingeführt haben soll. Nach dem Geheimnis der Bundeslande oder dem Templergeheimnis, das mit der gewaltsamen Auflösung des Templerordens durch den Papst verschwunden sein soll, wird heute noch gefahnde.t (Vgl. 2 und 6).
Was geschah mit der Bundeslade?
Wahrscheinlich ging die Bundeslade bei der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Tempels durch die Babylonier verloren.
Doch mit dieser naheliegenden Erklärung sind weder jüdische Mystiker noch christliche Schatzsucher zufrieden.
Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende alte sagenhafte Berichte erzählen, dass die Lade gerade noch rechtzeitig vor den Babyloniern gerettet und versteckt werden konnte; vielleicht in einer Höhle unter dem Tempelberg.
Eine romantische Erzählung der Bibel spricht von einem Besuch der Königin von Saba, die selbst die vielgerühmte Weisheit Salomons erleben wollte (1. Kön. 10.1-10). Wie alte Sagen berichten, bekam sie von Salomon einen Sohn, der den Namen Melech erhielt. Dieser besuchte als Jüngling seinen Vater, ließ sich von diesem auf den Namen David taufen, und entführte bei der Heimreise die Bundeslande samt den Gesetzestafeln nach Äthiopien, wo sie angeblich heute noch in Aksum aufbewahrt wird und über besondere Kräfte verfügen soll. Hancock (5) und Grierson (4) berichten ausführlich über diese sagenhafte Story, deren Wahrheitsgehalt höchst unsicher ist.
Das Reich der Sabäer, deren Königin Salomon aufgesucht haben soll, wird in Südarabien lokalisiert; möglicherweise mit einer Kolonie in Äthiopien. Der Besuch dieser Königin in Israel wird von Historikern bezweifelt, die auch in Salomon keinen hervorragenden Herrscher sehen; denn in außerbiblischen Quellen wird Salomon – anders als andere jüdische Könige – kaum erwähnt. So lange die in Aksum aufbewahrte, angebliche Bundeslade mit den Gesetzestafeln nicht untersucht werden kann, muss die Frage offen bleiben, was die äthiopischen Christen dort verehren.
Die heutige Sicht
Heute gilt die Bundeslade als ein Kultgegenstand, der vermutlich im 6. Jahrhundert v.Chr. verschwand; denn sie wird schon vor der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier (601 v.Chr.) nicht mehr erwähnt.
Die biblischen Berichte von der Bundeslade und den von ihr bewirkten Wundern, sind kaum authentisch. Sie entstanden Jahrhunderte nach Moses Zeiten und wurden möglicherweise erst nach dem Ende der Babylonischen Gefangenschaft niedergeschrieben **).
Endnoten:
*) Tabula smaragdina = Smaragdene Tafel; geheimnisvolle Manuskripte, angeblich von Hermes auf smaragdenen Tafeln geschrieben. Sie sollen u.a. die Geheimnisse der Alchemie enthalten.
Man darf davon ausgehen, dass diese Tafeln – sofern sie mehr als reine Phantasie sind – nicht auf Erden zu finden sind.
**) Der Auszug aus Ägypten (der Exodus) wird um 1225 v.Chr. datiert, die Babylonische Gefangenschaft zwischen 597 und 538 v.Chr.
LITERATUR:
(1) Barthel, Manfred „Was wirklich in der Bibel steht“, Econ, Düsseldorf 1987.
(2) Charpentier, Louis „Die Geheimnisse der Kathedrale von Chartres“, Gaia, Köln 1972.
(3) Freedman, David Noel/Robinson, Thomas L. „1000 Fragen an die Heilige Schrift“, Das Beste, Stuttgart 1992.
(4) Grierson, Roderick/Munro-Hay, Stuart „Der Pakt mit Gott“, Gustav Lübbe, Bergisch Gladbach 2001.
(5) Hancock, Graham „Die Wächter des heiligen Siegels“, Lübbe, Bergisch Gladbach 1992.
(6) Lincoln/Baigent/Leigh „Der heilige Gral und seine Erben“, Lübbe, BergischGladbach 1994.
(7) Mertens, Heinrich A. „Handbuch der Bibelkunde“, Bechtermünz, Augsburg 1997.