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Ökologie

Das Diesel-Dilemma

(Stand 2018)

Als Rudolf Diesel (1858-1913) am 22. 2. 1893 sein grundlegendes Patent einreichte, war sein Ziel ein Verbrennungsmotor mit optimalem Wirkungsgrad, der dem theoretischen Ideal (dem Carnot-Prozess) möglichst nahe kommen sollte.
1893 lief bei der Maschinenfabrik Augsburg (später MAN) der erste Prototyp, und nach vielen Verbesserungen kam 1897 das erste praxistaugliche Modell.
Nun trat der Dieselmotor seine Reise in die Welt an.

Nach zahlreichen Weiterentwicklungen dominiert er heute den Antrieb von Aggregaten, Baumaschinen, Lastwagen, Mobilkränen, Panzerwagen, Schiffen, Traktoren, Transportern, und auch ein großer Teil der PKW ist mit Dieselmotoren ausgestattet, die deutlich weniger Sprit schlucken als Benzinmotoren gleicher Leistung. Nicht zu vergessen die Diesellokomotiven, die in vielen Ländern der Welt laufen.

So ist der Dieselmotor vielleicht die letzte, ganz große deutsche Ingenieurleistung, die die Welt eroberte!

Doch neuerdings ist der Dieselmotor in Verruf geraten und manche Öko-Fundamentalisten würden diesen weltweit erfolgreichen Antrieb am liebsten ganz verbieten.

Was ist geschehen?
Das Schlagwort von der „globalen Erwärmung“ tönt durch alle Medien, und die Mehrzahl der Politiker will in Europa drastische Maßnahmen durchsetzen, um diese einschneidende Klimaänderung zu begrenzen.

Als wichtigster Verursacher für den Klimawandel gilt die Verbrennung von fossilen Brennstoffen (Kohle, Erdöl, Erdgas), die seit Beginn der industriellen Revolution vor 250 Jahren laufend zugenommen hat. Dabei entstehen große Mengen Kohlendioxid (CO2), das als „Treibhausgas“ als Hauptverursacher für die von Menschen gemachte Erderwärmung gilt.

Dieses Konzept ist nicht unumstritten. Doch darauf gehe ich nicht weiter ein, denn in unserem „postfaktischen“ Zeitalter sind weniger die Fakten entscheidend, als die – von den Massenmedien gelenkte – Meinung.
Und diese Mehrheitsmeinung ist klar: Die Verbrennung von Kohle, Erdgas und Erdöl muss aufhören!

Der Gesetzgeber wurde gedrängt, etwas zu unternehmen, und entschied sich für halbherzige Lösungen, zuerst für den Straßenverkehr.
Den Verbrauch pro PKW durch gesetzliche Vorschriften direkt zu reduzieren, wagte man nicht. Das wäre ein zu tiefer Eingriff ins Kaufverhalten und die Kundenwünsche gewesen. So entschied man sich den „Flottenverbrauch“ zu begrenzen, also den durchschnittlichen Kraftstoffverbrauch aller von einem Hersteller gefertigten Modelle. Dass dazu genormte Messmethoden nötig waren, die – wie alle Vorschriften – dehnbar sind, soll uns hier nicht weiter beschäftigen.

Grenzwerte für den Flottenverbrauch:
Ab 2015: 130 g CO2 pro km,
entspricht Bei Benzin 5,49 L/100 km. Bei Diesel 4,9 L/100 km.
Ab 2019: 95 g CO2 pro km,
entspricht Bei Benzin 4 L/100 km. Bei Diesel 3,58 L/100 km.
Ab 2030: 59 g COpro km,[1]
Entspricht bei Benzin 2,5 L/100 km. Bei Diesel 2,2 L/100 km.
Die ab 2030 gültige Vorschrift wird sich nur erfüllen lassen, wenn ein wesentlicher Teil der Flotte aus „abgasfrei“ (zero emission) angetriebenen Fahrzeugen besteht.

Der geforderte Flottenverbrauch brachte insbesondere deutsche Hersteller in Bedrängnis. Diese verkaufen besonders viele „Premiumfahrzeuge“ und SUVs, die groß, gut ausgestattet und entsprechend schwer sind und nicht so sparsam fahren können, wie ein Kleinwagen.

Was tun? Ein Ausweg bot sich an mit hochentwickelten Dieselmotoren, die gegenüber vergleichbaren Benzinmotoren bis zu 30% Kraftstoff einsparen und sich obendrein noch angenehmer fahren lassen.

Leider gibt es noch weitere Vorschriften, die Probleme bereiten: Nämlich Grenzwerte für Feinstaub, Kohlenmonoxid, Ruß, Stickoxid usw., die seit 1992 ebenfalls laufend verschärft wurden.
So lag z.B. im Jahr 2006 der Grenzwert für Stickoxide (NOx) in der EU für PKW (Abgasnorm Euro 5) bei 160 mg pro Kilometer, in den USA bei 30 mg pro Kilometer; ein Wert der technische Probleme machte.
Die Festlegung solcher Grenzwerte ist schwierig. Eindeutige wissenschaftliche Kriterien gibt es nicht, also werden Grenzwerte ausgehandelt und zuletzt gesetzlich festgeschrieben.

Um die gesetzlichen Vorschriften zu erfüllen, muss sowohl beim Benziner wie beim Diesel das Abgas nachbehandelt werden. Dazu ist eine kleine „chemische Fabrik“ erforderlich, die auf katalytischem Wege die gasförmigen Schadstoffe in harmlosere Substanzen umwandelt, und – zumindest beim Diesel – auch noch ein Feinstaubfilter für die Rußpartikel.
Hier ist der Dieselmotor gegenüber den Benzinmotor im Nachteil.
Als Selbstzünder arbeitet der Diesel mit höheren Brennraumtemperaturen als ein Benziner; die Hauptursache für den bessern Wirkungsgrad, aber auch für einen höheren Anteil von Stickoxiden und anderen Schadstoffen im Abgas. Durch die direkte Kraftstoffeinspritzung in den Zylinder ist die Gemischbildung erschwert und es entsteht mehr Feinstaub bzw. Ruß. So benötigt der Dieselmotor eine aufwendigere Abgasreinigung, die Platz braucht und Geld kostet. Um die Stickoxide zu neutralisieren gibt es derzeit zwei Möglichkeiten:
1. Man verwendet einen Absorber Katalysator.
2. In das Abgas wird noch eine Harnstofflösung, genannt „AdBlue“ eingespritzt. AdBlue zersetzt sich bei ausreichender Temperatur (170 Grad C) zu Ammoniak, das die Stickoxide zu Stickstoff und Wasser reduziert. Dazu sind ein Tank für AdBlue, Einspritzung, Leitungen, Sensorik, Elektronik usw. erforderlich.
Diese beiden Möglichkeiten sind kombinierbar.

Verschärft wird die Situation durch den Umweltschutz. So dürfen z. B. die Stickoxide auch an viel befahrenen Straßen den Grenzwert von 40 Mikrogramm (1 µg = 1/1.000.000 g = 1 Millionstel g) pro Kubikmeter Luft nicht überschreiten. Am Arbeitsplatz liegt der Grenzwert bei 950 Mikrogramm, dem mehr als Zwanzigfachen. Die 40 µg sind wissenschaftlich nicht gut abgesichert, sondern mehr ein ideologischer Wert der WHO, den die EU übernommen hat. In den USA gelten 103, sogar im in Umweltfragen besonders strengen Kalifornien 57 Mikrogramm.

An andere Erdölverbraucher wurde kaum gedacht. „Laut Naturschutzbund Deutschland stoßen die 15 größten Containerschiffe  pro Jahr so viele Schadstoffe aus wie 750 Millionen Autos.“ (Autobild Nr. 33 vom 18. 8. 2017). In Deutschland gibt es 45 Millionen PKW, weltweit 900 Millionen (Internet).

Nach www.Klimafakten.de entweichen ca. 750 Gigatonnen Kohlendioxid aus natürlichen Quellen in die Atmosphäre. Von Menschenhand werden jährlich 33 Gigatonnen freigesetzt, also nur rund 4,4% des Gesamtausstoßes. Offen bleibt in dieser Rechnung, wie viel Kohlendioxid durch Assimilation von Pflanzen und in den Meeren wieder gebunden wird, und wie stark der Rückgang der Assimilation durch Abholzen der Wälder, Bodenversiegelung usw. ist.

Dass ein Rind mehr Kohlendioxid erzeugt als ein durchschnittlicher PKW mit 15.000 km Fahrstrecke pro Jahr wird besser nicht erwähnt. Zudem produziert ein Rind noch 72 kg Methan pro Jahr, das als Treibhausgas mindesten 20 mal so wirksam ist wie Kohlendioxid.
Allerdings ist ein Rind als Pflanzenfresser in den Naturkreislauf eingebunden und kann keinen fossilen Kohlenstoff freisetzen, der seit Jahrtausenden aus dem Naturkreislauf entfernt war.

Da auch Atomkraftwerke als zu gefährlich abgeschaltet werden müssen, bleibt nur die „Öko-Energie“: Sonne, Wind, Wasserkraft, nachwachsende Rohstoffe, Biogas, Erdwärme, Gezeiten usw.
Für den PKW wird derzeit der Elektromotor mit Akkumulator propagiert. Alternativen wie Brennstoffzelle, Biogas usw. werden in Deutschland kaum ernst genommen.

Das Auto als Luftverschmutzer
Im Mittelpunkt der Interessen stand bald der PKW mit seinem zu hohen Energieverbrauch. Die Öko-Aktivisten verlangten sparsamere Autos, doch die Verbraucher kauften immer größere und damit auch schwerere Modelle, die zu viel Sprit verbrauchen und zu viele Schadstoffe, vor allem Stickoxide, auspusten.

„Wenn Sie in Ihrem Wohnzimmer einige Kerzen anstecken, ist der EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm bald überschritten. Und sofern Sie auf Ihrem Gasherd mehrere Flammen gleichzeitig brennen lassen, liegen Sie auch auch schnell weit über dem Grenzwert von 950 Mikrogramm für den Arbeitsplatz.
Dabei ist noch nicht einmal sicher, dass der Dieselmotor vor allem oder gar allein für das Stickoxid verantwortlich ist. In Oldenburg war rund um eine Messstation die Straße wegen eines Marathon gesperrt. Erhöhte Stickoxid-Werte gab es trotzdem.“        (Focus-online, 29. 1. 19, 19:30).

Um den Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft einzuhalten, drohen in vielen deutschen Städten für Diesel-Fahrzeuge Fahrverbote, die durch Gerichtsurteile erzwungen werden. Dabei spielt auch die Lage der Messstationen (Entfernung von der Straße, Höhe usw.) eine Rolle. Hier sind die meisten EU-Länder – in denen die selben Vorschriften gelten  – großzügiger als die pingeligen Deutschen.

Durch die strenge Durchsetzung der Vorschriften in Deutschland wird die Brauchbarkeit von einigen Millionen Diesel-PKW eingeschränkt; diese verlieren an Wert und es entstehen Milliardenverluste, die gutgläubige Dieselfahrer zu tragen haben.

Wurde geschummelt?
Auf den ersten Blick scheint die Lage klar: Gesetzliche Vorschriften sind einzuhalten.
Doch die Praxis ist – wie immer – komplizierter.
AdBlue ist zwar keine gefährliche Flüssigkeit, doch etwas ätzend und sollte nicht auf das Seidenkleid gespritzt werden. Anders als beim LKW, dessen Fahrer Profis sind, wollte man beim PKW die Nachfüllung von AdBlue nicht beim Tanken, sondern nur bei den Inspektionen vornehmen. Dazu müsste der Tank für AdBlue ca. 30 Liter fassen, etwa ein Drittel des Volumens des Kraftstofftanks. Ein so großer Tank hätte den Kofferraum verkleinert und zu wenig Platz für den Einbau einer teuren Stereoanlage (an der der Automobilhersteller klotzig verdient), für sperriges Gepäck wie Golfschläger usw. gelassen.

So gab es wohl eine Absprache zwischen verschiedenen Herstellern, den AdBlue-Tank auf ca. 7 Liter zu begrenzen. Den Rest musste die Computer-Steuerung leisten mit folgenden (und evtl. weiteren) Tricks:
1. Die Steuerung erkennt, ob der PKW auf dem Prüfstand läuft und schaltet dann auf ein spezielles Programm für die vollständige Abgasreinigung, das im Normalbetrieb nur bedingt zum Tragen kommt. Damit verstößt man gegen Vorschriften und muss sich Betrug vorwerfen lassen.
2. Bei Normalbetrieb muss möglichst viel AdBlue eingespart werden, z. B. durch große „Thermofenster“.
Da sich AdBlue erst bei ca. 170 Grad C zersetzt, ist es sinnlos, es bei niedrigeren Temperaturen im Auspuff einzuspritzen. Die Einspritzung wird dann abgeschaltet und bei Kurzstrecken und sehr niedrigen Außentemperaturen fällt dann die Abgasreinigung durch AdBlue weitgehend weg. Das Thermofenster lässt sich dehnen, mit dem Argument der Schonung des Motors.
3. Weitere Manipulationen sind möglich und zum Teil schon eingebaut worden: Abschalten der AdBlue-Einspritzung bei hohen Geschwindigkeiten, starker Beschleunigung oder ab einer gewissen Höhe über dem Meeresspiegel. (Der Spiegel, Nr. 39/2017 S. 69).

Je nach Betriebsweise funktioniert dann die geforderte Abgasreinigung nur bei einem Bruchteil der Betriebsstunden; es wird weit mehr Stickoxid in die Umgebung geblasen als vom Gesetzgeber erlaubt.

Die Folgen der Gesetzesübertretungen waren Milliarden-Strafen und Schadenersatz für die Fahrzeughalter in Milliardenhöhe in den USA, sowie Gerichtsprozesse gegen leitende Manager in den USA und Deutschland. Dieselfahrer verlangen auch in Deutschland Schadenersatz.

Wie wurde dieser Betrug möglich?
Allem Anschein nach haben die Entscheidungsträger mehrerer Automobilfabriken nicht wahrhaben wollen, dass ein wissenschaftlich wenig fundierter Grenzwert für Stickoxide mit aller Härte von den Behörden durchgesetzt werden könnte. So haben diese Autobosse sich auf ein riskantes Spiel eingelassen, das bei nüchterner Betrachtung nicht gut gehen konnte.

Wie durfte man darauf hoffen, dass ausschließlich auf dem Prüfstand gemessen wird, und es niemand auffällt, wenn ein spezielles Prüfstands-Programm zwar alle gesetzlichen Anforderungen erfüllt, dieses Programm aber im Normalbetrieb ganz oder teilweise abgeschaltet wird?

Oder man findet alle möglichen Gründe (Temperatur, Geschwindigkeit, Beschleunigung usw.) um die Abgasreinigung in einem großen Teil der Betriebszustände ausfallen zu lassen.

Und diese vorschriftswidrigen Manipulationen soll keiner merken?
Erfahrungsgemäß muss man immer damit rechnen, dass Schwindeleien früher oder später aufgedeckt werden.
In diesem Fall gibt es genug Universitäten und sonstige Forschungseinrichtungen, die Abgasmessungen durchführen können; auf dem Prüfstand und auf der Straße. Nicht zuletzt gibt es auch noch die Konkurrenz, die ein Interesse daran haben kann, Manipulationen eines Wettbewerbers aufzudecken.

Mir persönlich, als ehemaligem Entwicklungschef einer Reifenfabrik mit Produktverantwortung für ein überkritisches Sicherheitsteil (den Luftreifen), ist völlig unverständlich, dass sich verantwortliche Konstrukteure angesehener Großkonzerne auf ein derart riskantes Spiel einlassen konnten. Aber ich stamme wohl aus einer anderen Ingenieur-Generation, bei der das „Made in Germany“ großgeschrieben wurde, und vorsätzlicher Betrug durch deutsche Ingenieure undenkbar schien.

Oder handelt es sich bei dem Dieselbetrug nur um einen Ausdruck des moralischen Niederganges unserer Gesellschaft, wie er sich auch in Computer-Betrügereien, kriminellen Clans, Finanzmanipulationen, Hausbesetzungen, Parallelgesellschaften, rechtsfreien Räumen usw. zeigt?

Endnote:
[1] Neuerdings wurde dieser Wert noch verschärft auf 47,5 g CO2/km. Damit will man wohl Verbrennungsmotoren für PKW so gut wie abschaffen.

Nachtrag 2019:
Die Einstufung des Elektroautos als „emissionsfrei“ (zero emission) ist schlicht Unsinn. Emissionsfrei kann es nur dann sein, wenn sämtliche Schritte, von der Produktion an, mit Ökostrom erfolgen. Berücksichtigt man die Herstellung des Akkus und den derzeitigen Energie-Mix bei der Stromerzeugung, kann die CO2-Bilanz eines Elektroautos nach einer Studie des Info-Instituts sogar schlechter sein als die eines Diesel:
https://www.heise.de/autos/artikel/Ifo-Institut-E-Autos-erhoehen-CO2-Ausstoss-4401639.html.

Nachtrag 2023:
Wie der Abgas-Betrug (erwartungsgemäß) aufgedeckt wurde, und wer für diese kriminellen Manipulationen verantwortlich zeichnet, schildert eine ausführliche, dreiteilige Serie „Die Akte Winterkorn“ in „The Pioneer Briefing“ vom 27., 28. und 29. 12, 2023.
Als der Betrug aufgeflogen war, hat sich demnach VW gegenüber den US-Behörden so ungeschickt wie möglich aufgeführt und alles noch verschlimmert.