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Geschichte/Historik

Weimar musste nicht scheitern

(Veröffentlicht in GralsWelt 18/2001)

Die Spannungen eskalieren

Auf den Wiener Kongress von 1815 schufen europäische Diplomaten nach Napoleons Niederlagen ein sogenanntes Mächte-Gleichgewicht, das dem Kontinent stabile Verhältnisse schenken und Kriege ersparen sollte.

Die Einigung der deutschen Provinzen zu einem gemeinsamen Staat (1871) und der anschließende Aufstieg des Deutschen Kaiserreiches zu einer bedeutenden Industrienation störten diese Balance der Kräfte.

Derartige Verschiebungen der politischen, wirtschaftlichen, militärischen Gewichte hatten in der Weltgeschichte regelmäßig zu kriegerischen Konflikten geführt. Kriege galten ja als legitime „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (Clausewitz). Erst Kernwaffen machten diese „anderen Mittel“, also große kriegerische Auseinandersetzungen, für die Diplomaten unverantwortbar.

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts kollidierten die Interessen europäischer Nationen: Franzosen verlangten das 1871 von Deutschland annektierte Elsass-Lothringen; Russen drängten zum Bosporus; Österreich-Ungarn und Russland hatten (wie auch Frankreich und Italien) Optionen am Balkan; das traditionell um das politische Gleichgewicht auf dem Kontinent bemühte England spürte nachteilig die erfolgreiche Konkurrenz der deutschen Industrie, es wurde von Krisen in seinen Kolonien bedrängt und sah seine Bedeutung schwinden; usw. usf. Von den Differenzen zwischen den Kolonialmächten in Übersee ganz zu schweigen.

Gegenseitiges Misstrauen bestimmte die Politik und die europäischen Staaten rüsteten. Im zaristischen Russland eskalierten innere Spannungen und ließen eine Revolution befürchten, die einflussreiche Kreise durch einen Krieg überspielen wollten.

Das Deutsche Kaiserreich, durch verfehlte Diplomatie und Ungeschicklichkeiten seines säbelrasselnden Kaisers Wilhelm II. (1849-1951, Kaiser von 1888-1918) isoliert, hatte sich politisch eng mit Österreich-Ungarn verbunden, dem Vielvölkerstaat, der in den Zeiten des überschäumenden Nationalbewusstseins als Relikt aus dem Mittelalter galt.

Als am 28. Juni 1914 das österreichische Thronfolgerpaar in Sarajewo ermordet wurde, löste die darauf folgende diplomatische Hektik zwischen Österreich und Serbien einen weltweiten Krieg aus, den Egon Friedell (1878-1938) als „das Ende der Neuzeit“ sah.

Europas Selbstmord

Der Erste Weltkrieg war das primäre Unglück für Europa im 20. Jahrhundert. Übersteigerter Nationalismus, Konkurrenzneid, Überrüstung und Unvermögen aller Verantwortlichen – nicht allein Deutschlandes – entfesselten ihn. Mit der dem Ersten Weltkrieg folgenden Friedensordnung begann der Abstieg Europas von der Weltspitze und das Ende des Kolonialismus. Ungerechte, von Habgier und Hass diktierte Friedensverträge (Versailles, St. Germain, Sèvres, Trianon u. a.) stellten die Weichen für den Zweiten Weltkrieg und zeitigten bis heute ungelösten Probleme, zum Beispiel im Nahen Osten. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Deutschlands Wirtschaft von einer Geldentwertung bis dahin unbekannten Ausmaßes zerrüttet, und unbezahlbare Reparationsforderungen der Siegermächte verordneten Armut für Generationen. Eine kurze Erholungsphase der Weltwirtschaft in den „Golden Twenties“ (den „goldenen 20er Jahren“) endete in der Weltwirtschaftskrise von 1929, die sogar die reichen USA in ihre tiefste Krise seit dem Bürgerkrieg stürzte. Das noch unter den Kriegsfolgen leidende Deutschland wurde schwer erschüttert und die Voraussetzungen für den Erfolg des Rechtsextremismus wurden geschaffen.

Wer heute nach Schuldigen für diese Katastrophe sucht, sollte nicht ausschließlich die Artikel des Versailler Vertrages studieren, der Deutschland die Alleinschuld zuschrieb, sondern auch bei dem englischen Premier David Lloyd George (1863-1945) nachschlagen:
„Je mehr man von den Memoiren und Büchern liest, die in den verschiedenen Ländern über den Kriegsausbruch geschrieben worden sind, desto deutlicher erkennt man, dass keiner von den führenden Männern diesen Krieg wirklich gewollt hat. Sie glitten sozusagen hinein oder vielmehr: sie taumelten und stolperten hinein, aus Torheit!“

Im August 1914 ahnte kaum jemand, was bevorstand. Denn der erste „moderne Krieg“ – der amerikanische Bürgerkrieg mit ungeheuren Menschenverlusten und schrecklichen Leiden der Zivilbevölkerung [1] – diente den Europäern mangels Kenntnis nicht als Warnung. So brachen die Schrecken eines mit allen technischen Mitteln geführten Massenkrieges  über den alten Kontinent herein, während man lediglich einen kurzen, schnellen „Waffengang“ erwartet hatte.

Der Verlauf des großen Krieges

Als erstes wollte der deutsche Generalstab, dem Schlieffen-Plan folgend, Frankreich niederwerfen. Dazu marschierten deutsche Truppen durch das neutrale Belgien, worauf England Deutschland den Krieg erklärte. Der deutsche Angriff blieb vor Paris stecken und der gefürchtete Zweifrontenkrieg trat ein. Daran änderte auch ein Sieg über die im Osten einfallenden Russen in der Schlacht von Tannenberg nichts.

Die „Mittelmächte“ (Deutschland und Österreich-Ungarn) sowie die Türkei waren eingekreist von Russland, Frankreich, England, ab 1915 auch von Italien, und mussten zuletzt gegen mehr als 30 Feindstaaten , darunter auch Japan, kämpfen. Der Zugang zu überseeischen Ressourcen war den Mittelmächten versperrt, die auf eine Blockade nicht vorbereitet waren. Eine bis dato unbekannte Rüstungswirtschaft musste aus dem Boden gestampft werden.

Im Jahre 1917 schien dann Friede möglich. Die Mittelmächte hatten unsäglich gelitten, Frankreich stand vor dem Zusammenbruch, und in Russland war Revolution.

Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson (1856-1924) glaubte an die „Vernunft der Nationen“ und versuchte auf der Basis eines „Friedens ohne Sieg“ zu vermitteln; auch der Papst schaltete sich ein. Doch törichte Nationalisten beschworen noch immer den Sieg und verhinderten einen für alle Seiten annehmbaren Kompromissfrieden.

Der Generalquartiermeister Erich Ludendorff (1865-1937) war zum wichtigsten Mann des Deutschen Reiches geworden, dem der Kaiser nicht nur in der Heeresleitung unter dem nominellen Oberbefehl von Paul von Hindenburg (1847-1934) weitgehend freie Hand ließ. Auch die politische Führung stand unter dem Einfluss von Ludendorff, der nach dem Waffenstillstand mit Russland an einen Sieg im Westen glaubte. So waren die Friedensverhandlungen durch überzogene deutsche Forderungen zum Scheitern verurteilt. Deutschland wollte z.B. Belgien annektieren; eine für England unannehmbare Forderung. Großbritannien hatte Jahrhunderte lang keine Seemacht an der Flandrischen Küste geduldet und würde auch jetzt nicht nachgeben!

Deutschland war in den Krieg gezogen in der Überzeugung, mitten im Frieden von seinen Feinden angefallen worden zu sein. 1914 galt es den deutschen Boden gegen eine gewaltige Übermacht zu verteidigen. Verblendeter deutscher Nationalismus machte dann 1917 aus dem Verteidigungskrieg einen Raubkrieg und stellte sich damit der Welt gegenüber ins Unrecht.

Als zuletzt die Vereinigten Staaten doch in den Krieg eintraten, überzeugt Freiheit und Demokratie zu verteidigen, hatten die Alliierten das militärische und wirtschaftliche Übergewicht.

Im Sommer 1918 scheiterte die letzte große Deutsche Offensive, und die vor Wochen noch so siegessichere Heeresleitung musste um einen Waffenstillstand nachsuchen, um die deutsche Armee zu retten. Als die deutsche Regierung am 3. Oktober 1918 bei dem amerikanischen Präsidenten ein Waffenstillstandsangebot auf der Basis von Wilsons „14 Punkten“ unterbreitete, war der politische Handlungsspielraum  vertan. Die Alliierten sahen, dass Deutschland geschlagen war; entsprechend waren ihre Bedingungen, die Deutschland eine evtl. Weiterführung des Krieges nach einen Scheitern der Verhandlungen unmöglich machten. Das musste eine deutsche Delegation am 8. November 1918 zu ihrem Entsetzen erfahren.

Später hat man der Revolution in der Heimat die Schuld für die Niederlage zugeschoben. Die Revolution begann in Kiel. Die Hochseeflotte hatte fast während des ganzen Krieges untätig in den Häfen gelegen, weil man nach der größten Seeschlacht der Geschichte (im Skagerrak, 31. Mai 1916) eine erneute Konfrontation mit der englischen Flotte scheute.

Nun, nachdem der Krieg offensichtlich verloren war, befahl die Seekriegsleitung am 24. Oktober 1918 einen Entlastungsangriff für die Armee in Richtung Themsemündung; eine sinnlose Todesfahrt, die nichts mehr ändern konnte. Da gingen am 29. Oktober in Kiel die roten Fahnen hoch. Die Matrosen meuterten, verbündeten sich mit Werftarbeitern und bildeten einen Soldatenrat nach bolschewistischem Muster. Die Reichsregierung entsandte den sozialdemokratischen Abgeordneten Gustav Noske (1868-1946), der später berichtete:

„Das treibende Moment, das sich mit elementarer Gewalt durchsetzte, war das: Die Sache ist zu Ende, und in dem Augenblick sterben wir nicht mehr, sondern gehen zu Frauen und Kindern heim!“

Am 7. November erreichte die Revolution München und stürzte dort in der Nacht zum 8. November die älteste deutsche Monarchie, die Wittelsbacher.

Noch immer wollte die Mehrheit der Deutschen die Monarchie retten, doch nicht den Kaiser Wilhelm II., denn der hatte den Krieg zu verantworten und musste gehen. Doch dieser zögerte und wurde von den Ereignissen überholt: Am 9. November wurde in Berlin der Generalstreik ausgerufen. Um der bolschewistischen Revolution zuvorzukommen, rief Philipp Scheidemann (1865-1939) um 14 h von einem Fenster des Reichstages die deutsche Republik aus. Nur 2 h später proklamiert Karl Liebknecht (1871-1919) vor dem Berliner Schloss die „freie sozialistische Republik Deutschland“.

Am Abend des 9. November übergab eigenmächtig der letzte „kaiserliche“ Reichskanzler, Prinz Max von Baden (1867-1929) die Regierungsgeschäfte an den Sozialdemokraten Friedrich Ebert (1871-1925).  Die Monarchie war nicht mehr zu retten, und der Kaiser wusste keinen besseren Weg als am 10. November in die Niederlande zu emigrieren.

Im Schatten der Niederlage

Die von Scheidemann ausgerufene „deutsche Republik“ stand vor einem Scherbenhaufen. Obwohl kein feindlicher Soldat deutsches Land erobert hatte war der Krieg verloren. Die Wirtschaft, durch Krieg und Blockade gezeichnet, lag danieder und ein von den Siegern diktierter Friedenvertrag, der harte Auflagen befürchten ließ, stand bevor.

Das deutsche Volk konnte  nach ungeheuren Anstrengungen an vielen Fronten und vielen Leiden und Entbehrungen in der Heimat die Niederlage nicht fassen.

Die politische Landschaft wer zerklüftet. An die Vorzüge der Demokratie glaubte vor allem die größte, die Partei der Arbeiter, die SPD. Doch diese war seit 1917 in einen gemäßigten Teil (die SPD oder MSPD = Mehrheits-SPD) und die USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei) gespalten. Ursache war ein Streit um die Bewilligung von Kriegskrediten gewesen.

Im Volk fehlten demokratisches Bewusstsein und Verständnis für die Vor- und auch Nachteile von Demokratien, und Viele sehnten sich nach der alten Ordnung, nach Kaiser und König, nach Ruhe und Frieden.

War der Untergang der Monarchie ein Verlust? Zwei englische Staatsmänner aus unterschiedlichen politischen Lagern – Winston Churchill (1874-1965) und Ernest Bevin (1881-1951) – waren sich nach dem Zweiten Weltkrieg einig, dass Hitler kaum in einem kaiserlichen Deutschland an die Macht gekommen wäre. Und selbst wenn, dann hätte die Autorität eines Monarchen das Schlimmste verhindern können; denn auch die schwache italienische Monarchie konnte sich zuletzt des Diktators entledigen.

Die Folgen des Weltkrieges waren für Europa und die Welt gravierend:

In Russland herrschten Bolschewisten. Die kommunistische Ideologie, deren Ziel die Weltrevolution war, wurde zur Hoffnung der Armen in der Welt.

Zwischen den Staaten Europas, auch innerhalb seiner Völker und Nationen, gab es keine gemeinsamen Wertvorstellungen mehr: Demokratie und Diktatur, freie Wirtschaft und kollektive Planwirtschaft, Nationalismus und Internationalismus, Konservatismus und progressives Denken standen sich unversöhnlich gegenüber und drohten die staatlichen Gebilde zu zerreißen.

Deutschland lag innerlich zerrissen im Spannungsfeld zwischen westlicher Demokratie und bolschewistischer Diktatur; seine aus der Niederlage geborene junge Demokratie, in der Bevölkerung ungeliebt und unverstanden, musste neue Wege finden um sein Staatsvolk zu überzeugen. Es gab Unruhen, Aufstände, Räteregierungen und linke Propagandisten, die zum Volksaufstand aufriefen und glaubten, dass nach russischem Vorbild auf eine gemäßigte Linksregierung (in Russland Kerinski) die Radikalen (in Russland Lenin) folgen müssten um die Revolution, wenn nötig mit Gewalt zu vollenden. Es war ein Glück für Deutschland, das die Mehrheit der Sozialdemokraten eine ehrliche Demokratie anstrebten, wie schon Otto Braun (1872-1955) in einem Kommentar zum bolschewistischen Staatsstreich vom 5. 1. 18 gesagt hatte:

„Der Sozialismus kann nicht auf Bajonetten und Maschinengewehren aufgerichtet werden. Soll er  Dauer und Bestand haben, muss er auf demokratischem Wege verwirklicht werden.“

Eine der ersten Amtshandlungen von Friedrich Ebert war daher der Aufruf zu Ruhe und Ordnung. Unterstützung fand er dabei von der Armee. In einem Telefongespräch mit Wilhelm Groener (1867-1939), dem Nachfolger des zurückgetretenen Ludendorff, wurde der neuen Regierung die Unterstützung der Armee zugesichert die dringend von Nöten war.

Denn die USPD, besonders ihr radikaler linker Flügel, der Spartakusbund, wollte die Vollendung der Revolution und rief zum revolutionären Kampf auf. An seiner Spitze standen mit Rosa Luxemburg (1871-1919) und Karl Liebknecht (1871-1919) zwei charismatische Propagandisten. Vielerorts entfachten sie Streiks und Aufstände, so dass die sozialdemokratische Regierungen mit Waffengewalt gegen Spartakisten vorgehen mussten. Die dazu eingesetzten Ordnungskräfte waren Freikorps und die Armee, beide eher kaisertreu als demokratisch gesinnt und kaum die verfassungstreuen Waffenträger deren eine Demokratie bedarf. Die Mehrheit im Volk wünschte Ruhe und Frieden.

Im Dezember 1918 beschließt ein Rätekongress in Berlin, demokratische Wahlen zur Nationalversammlung für den 19. 1. 1919 auszuschreiben. Der Weg zur parlamentarischen Demokratie war frei. Daran konnte auch im Januar 1919 in Berlin ein Spartakusaufstand nichts mehr ändern, der niedergeschlagen wurde. Dabei wurden die Spartakistenführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von erbitterten Freikorpsoffizieren ermordet.

Der schwere Weg zur Demokratie

Die Wahlen zur Nationalversammlung fanden statt, und nun galt es der Republik eine Verfassung zu geben, die Reichseinheit zu wahren, das Land gegen Gefahren von außen zu schützen, den Extremismus von rechts und links im Zaum zu halten und nicht zuletzt die wirtschaftlichen Probleme, vor allem die Inflation zu bewältigen.

Die Nationalversammlung traf sich im Februar im Weimar, nicht im von Unruhen geschüttelten Berlin, und setze eine neue Regierung ein. Erster Regierungschef wurde Philipp Scheidemann (1865-1931), der erste Reichspräsident Friedrich Ebert (1871-1925).

Weimar wurde gewählt, um dem „Geist von Potsdam“ den „Geist von Weimar“, der Goethe-Stadt, entgegenzustellen.

Doch nicht für alle Deutschen war Potsdam ein Symbol für Militarismus und seelenlosen Kadavergehorsam. Millionen sahen in Potsdam das Sinnbild einer Vergangenheit, in der unbestechliche Treue galten und das Prinzip, um der Sache, nicht um des Geldes willen zu dienen. Die Forderung, dass der Geist von Potsdam untergehen müsse, war daher dazu angetan, die Nation von Anfang an zu spalten und rechten Kräften Auftrieb zu geben. Auch die Wahl der Farben schwarz/rot/gold der 48er Revolution für die Reichsflagge war für viele nicht nachzuvollziehen.

Der Ausgang der ersten Wahlen war übrigens für die SPD, der stärksten demokratischen Kraft, eine Enttäuschung. Sie erreichte nur 37 % und war auf die Zusammenarbeit mit DDP (Deutsche Demokratische Partei),  CVP (Christliche Volkspartei, Zentrum) angewiesen. Man hatte sich für ein sehr demokratisches Wahlverfahren entschieden: freie, gleiche, geheime Wahl (zum ersten Mal auch für Frauen) und ein Mandat für je 60.000 Stimmen, so dass die Zahl der Abgeordneten von den Wahlbeteiligung abhing. So kamen viele Splittergruppen ins Parlament und Koalitionen wurden später oft schwierig.

Doch vorerst hatte die Regierung andere Sorgen. Die ersten Monate des Jahres 1919 verliefen unruhiger als die November- und Dezember-Wochen des Jahres 1918. In vielen Teilen des Reiches kam es zu Streikaktionen, Besetzungen von Betrieben und öffentlichen Gebäuden und sogar kurzlebige Räterepubliken (Bremen, München) entstanden. Es bedurfte des massiven Einsatz von Armee und Freikorps um den Aufruhr zu beenden.

Als Konsequenz dieses Bürgerkrieges sahen sich die Träger der parlamentarischen Republik neben der vehementen Gegnerschaft rechter Kräfte mit einer nachdrücklichen, sogar systemfeindlichen Opposition der äußersten Linken konfrontiert. Schon in den ersten Monaten der jungen Republik entstand so die doppelte Bedrohung der Demokratie von rechts und links, der sie letztlich erliegen sollte.

Revolution in Bayern
Im November 1918 gab es in so gut wie jeder Residenz eine eigene Revolution. Allerorts bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte, die sich der vorhandenen Verwaltungsstrukturen bemächtigten und eigene Regierungen bildeten. Diese dachten zunächst nicht daran, sich der fernen Zentralgewalt in Berlin unterzuordnen. Es bestand also die Gefahr der Aufspaltung des Reiches, die der Reichsregierung eine Sorge mehr bereiten musste. Der ernsteste Fall war Bayern, das eine turbulente politische Entwicklung erfuhr.
Das katholische Bayern hatte der Reichsgründung von 1871 nur schweren Herzens zugestimmt; zu tief saßen die Vorbehalte gegen das übermächtige, protestantische Preußen. So weckte die Revolution von 1918 separatistische Bestrebungen, die auf freundliche Unterstützung durch Frankreich hoffen konnten; denn die Franzosen wünschten die Abspaltung des Südens und der Rheinprovinzen vom Deutschen Reich.
Die Bayrische Revolution begann am 7. November 1918 mit einer Kundgebung, für die meine damals 16-jährige Mutter schulfrei erhielt. Der Magistrat der Stadt München gab für den Nachmittag auch seinen Bediensteten frei. So versammelten sich gegen 15 h etwa 50.000 Menschen auf der Theresienwiese. Meiner Mutter machten dort die hasserfüllten Angriffe auf das Königspaar, den „Millibauern“ und die „Topfenresl“ Angst. Der Anarchist Erich Mühsam verlangte – angeblich als erster in Deutschland – „die Absetzung der Dynastien und die Errichtung einer freien bayrischen Räterepublik“. Dann zogen Demonstrationszüge durch die Stadt und zu den Kasernen; die meisten Soldaten entschieden sich für die Revolution. Noch im Laufe der Nacht wurden alle wichtigen öffentlichen Gebäude der Stadt München besetzt.
Der König Ludwig III. (1845-1921) wurde von der Revolution überrascht. Sicher wusste er, dass der Krieg verloren – seinem Sohn Rupprecht, der als Kommandeur an der Front stand, war das längst klar – und die Monarchie in Gefahr war. Aber was konnte er jetzt noch tun, um das Schlimmste abzuwenden?
Dann wurde ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, und am 8. November 1918 stellt dessen erster Vorsitzender, Kurt Eisner (1867-1919) als neuer Ministerpräsident sein sozialistisches Kabinett vor. Die neue Regierung kann sich problemlos etablieren; die von den Revolutionären abgesetzten Minister des inzwischen geflohenen Königs weisen sogar ihre Nachfolger in ihr Amt ein. Eisner ist kein Extremer und will die anstehenden Probleme in Ruhe und Frieden lösen.
Die Macht der neuen Regierung reicht nicht weit. Überall gibt es bald Arbeiter- und Soldatenräte, welche die Landesregierung nur widerwillig akzeptieren. Eisner gerät in Verruf, weil er angeblich von der Kriegsschuld Deutschlands sprach, die Berliner Regierung als zu wenig revolutionär anprangert und ein unabhängiges Bayern anstrebt. Am 21. Februar 1919 wird er auf dem Weg zum Parlament, wo nach einer verheerenden Wahlniederlage seine Abdankung bevorsteht, von einem rechtsdenkenden Fanatiker ermordet. Dieser sinnlose Mord wird für die Linken zum Fanal, Eisner selbst gilt als Märtyrer.
Nach diesem Mord fiel die Macht den Räten zu, die zusammen mit linken Parteien (SPD, USPD und KPD) einen Aktionsausschuss bilden und einen „Zentralrat der Bayrischen Republik“ wählen, der die Regierungsgeschäfte übernehmen sollte. Erster Vorsitzender wird Ernst Niekisch (1889-1967) vom linken Flügel der SPD. Über die politische Zukunft Bayerns entschied dann ein „Kongress der Arbeiter- Soldaten- und Bauernräte“, der Ende Februar in München zusammentrat. Ein Antrag Erich Mühsams (1878-1934) auf Ausrufung der Räterepublik wurde abgelehnt und die Macht dem Landtag übertragen. Dieser tagte am 17. und 18. März und setzte eine Regierung unter Johannes Hoffmann (1867-1935)  ein, die sich nicht durchsetzen konnte.
Das linke Lager war zerstritten. Polit-Parolen und Gerüchte peitschen die Arbeiterschaft auf, die Parteiführer taktierten, und die Bürgerschaft fürchtete den Bolschewismus. Die Nachricht von der Ausrufung der ungarischen Räterepublik am 21. März schlug wie eine Bombe ein. Um  vollendete Tatsachen zu schaffen wurde in der Nacht vom 6. zum 7. April die „Baierische Räterepublik“ ausgerufen. Die Regierung Hoffmann wich nach Nürnberg, später nach Bamberg aus. Radikale Sozialisten bzw. Anarchisten wie Ernst Toller (1893-1939), Gustav Landauer (1870-1919) und Erich Mühsam (1878-1934) wollten mit der Utopie einer humanen Gesellschaft Ernst machen. Fehlende politische Erfahrung sahen sie eher als Vorteil an.
In den folgenden Tagen (7. Und 8. April 1919) wurde die Räterepublik in großen Teilen Bayers ausgerufen, in der Hoffnung auf eine Erhebung der Massen. Doch im konservativen Bayern blieb die Resonanz, besonders in der Bauernschaft, minimal. Der anarchistische Spuk schien vorüber, als in der Nacht zum Palmsonntag, den 13. April, die sozialdemokratisch geführte „Republikanische Schutztruppe“ das Wittelsbacher Palais besetzte und mehrere Mitglieder der Räteregierung verhaftete. Am nächsten Morgen gelang es jedoch spontan gebildeten Arbeiterwehren, unter der Führung des Matrosen und Kommunisten Rudolf Egelhofer (1896-1919), die Konterrevolution zurückzuschlagen. Eine zweite Räterepublik wurde ausgerufen, die sogar einigen Zulauf von der Arbeiterschaft gewann.
Eigentlich war die Lage dieser zweiten Räterepublik von vornherein aussichtslos. Auf München beschränkt, vom Rest des Landes isoliert, und von anrückenden Einheiten der Freikorps und der Armee bedroht. Aber die fanatischen Revolutionäre hofften auf ein Wunder und gaben nicht auf. Bei Dachau errangen sie sogar einen kleinen militärischen Erfolg.
Am 1. Mai begann dann der Einmarsch der Freikorps und Regierungstruppen in München, die nur auf wenig Widerstand stießen. Die „Rote Armee“ Egelhofers hatte sich aufgelöst und die meisten Arbeiter kehrten den Räten den Rücken. Leider gab es durch die siegreichen „Weißen“ Erschießungen, auch als Vergeltung für Geiselmorde der Rotarmisten, die am 30. Mai 2 Soldaten und 8 Angehörige der rechten Thule-Gesellschaft erschossen hatten. Insgesamt gab es mindestens 600 Tote, darunter Landauer und Egelhofer. Es folgten an die viertausend Strafverfahren, die harte Strafen für Kommunisten und Anarchisten verhängten.
In der Münchner Bevölkerung hinterließen die Räterepubliken ein antikommunistisches Trauma. Meine Mutter erinnerte sich noch in hohem Alter voll Abscheu an die „Rucksack-Spartakisten“, die als bewaffnete Plünderer durch die Stadt zogen und das Bürgertum verschreckten. Mein Großvater wurde aktives Mitglied der „Einwohnerwehr“, um einen weiteren Umsturz zu verhindern. Beide verdrängten den gegen die Linken gerichteten Terror von rechts; denn für Bürgerschaft und Kirche vertrat der Kommunismus eine teuflische Ideologie, deren Bekämpfung jedes Mittel rechtfertigte.
Niemand kann sagen, in wie weit der Schock der Räterepubliken zu einem Rechtsruck im ohnehin konservativen Bayern führte, der Bayern vom Reich entfremdete und später Hitler, als entschiedenem Antikommunisten, seinen Aufstieg erleichterte.
Das im großen Zusammenhang gesehen unbedeutende revolutionäre Geschehen in München ist mit reichlichem Bildmaterial ausnehmend gut dokumentiert, da Heinrich Hoffmann (1885-1957), der spätere Leibfotograf Adolf Hitlers, und andere Foto.grafen mit ihren Kameras fast überall dabei waren.
Literatur:
Beyer, Hans „Revolution in Bayern“, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaft, Berlin 1988.
Bosl, Karl „Bayern im Umbruch“, Oldenbourg, München 1969.
Herz, Rudolf/ Halfbrodt, Dirk „Revolution und Fotographie, München 1918/19“, Dirk Nishen, Berlin 1988.
Neubauer, Helmut „München und Moskau“, Isar Verlag, München 1958.

Im Sommer 1919 wurde gegen die Stimmen der Opposition die „Weimarer Verfassung“ beschlossen, verfasst von überzeugten Demokraten. Die Regierung war dem Parlament verantwortlich, die Möglichkeit eines Volksentscheides schränkte die Alleinherrschaft des Parlamentes ein. Das direkt von Volk gewählte Staatoberhaupt, der Reichspräsident, konnte in Ausnahmezeiten mit Notverordnungen das Parlament übergehen. Dieser Paragraph 48 der Weimarer Verfassung sollte von 1930 an eine Rolle spielen, an die 1919 niemand denken konnte. Das Reich schien fürs erste verfassungsmäßig geordnet.

Die Länder hatten allerdings geringere Freiheiten als zur Kaiserzeit. In Ländern wie Bayern, mit seiner langen Geschichte als selbständiger Staat, wollte man diesen Zentralismus nicht hinnehmen: Das bayrische Zentrum trennte sich von der Gesamtpartei und in Bayern wurde die „rote Republik“ abgelehnt. Nachklänge aus dieser Zeit wirken bis heute in der Trennung von CDU und CSU.

Wie feindselig mächtige Kräfte dem neuen Staat gegenüberstanden, zeigte sich am 13. März 1920. Ein Freikorps, die Brigade Ehrhardt, marschierte in Berlin ein und setzte Wolfgang Kapp (1858-1922) als Reichskanzler ein. Die Reichswehr blieb neutral, denn „Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr“, wie der Chef des Truppenamtes General Hans von Seeckt (1866-1936) meinte. Nach 5 Tagen musste Kapp fliehen, denn die Arbeiter riefen den Generalstreik aus und die Beamtenschaft verweigerte ihre Zusammenarbeit. Das Ansehen der Republik hatte gelitten.

Der Vertrag von Versailles

Die gerade etablierte demokratische Regierung sah sich mit unzähligen Problemen aller Art konfrontier; doch das Schlimmste, das zuletzt entscheidend zum Scheitern der ersten deutschen Demokratie beitrug, stand noch bevor: der Friedensvertrag. Die harten Waffenstillstandsbedingungen ließen von diesem Vertrag kaum Gutes erwarten, doch die dann von den Alliierten geschaffenen Fakten übertrafen die Prognosen der schlimmsten Pessimisten.

Am 18. Januar 1919, einen Tag bevor die Deutschen ihre Nationalversammlung wählten, trafen sich Vertreter der Siegermächte in Versailles. Schon in der Wahl des Ortes lag Symbolik, denn auf den Tag genau vor 48 Jahren war an diesem Ort Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser ausgerufen worden.

Deutsche waren zu den Verhandlungen zunächst nicht zugelassen; sie konnten nur auf den amerikanischen Präsidenten und seine Menschlichkeit hoffen, der in seinen „14 Punkten“ akzeptable Kriegsziele konzipiert hatte. Doch Wilson war den europäischen Diplomaten nicht gewachsen. Nicht nur Frankreichs „Tiger“ Georges Clemenceau (1841-1929) hasste und fürchtete die Deutschen; auch Englands Premier David Lloyd George (1863-1945) hatte noch im Dezember 1918 einen Wahlkampf mit der Parole „Hang the Kaiser“ geführt.

Die Bürger beider Länder – England und Frankreich – standen  noch unter dem Eindruck einer hasserfüllten Kriegspropaganda, die in den Deutschen die Alleinschuldigen für alle Leiden der letzten Jahre sah. Nicht zu vergessen, dass die Alliierten ohne die Hilfe der USA den Krieg nicht durchgestanden hätten. Nun waren die Verbündeten bei den USA immens verschuldet und empfanden es nur als gerecht, diese Schulden von den Deutschen abzahlen zu lassen.

Am 7. Mai 1919 wurde deutschen Delegierten ein praktisch fertiges Vertragswerk von 440 Artikeln überreicht, und den deutschen Unterhändlern eine Frist von 14 Tagen gelassen, innerhalb derer sie Einwände vorbringen konnten. In einem zähen Notenwechsel wurden nur wenige, geringfügige Erleichterungen erreicht, und in Deutschland sprach man bald nur noch vom „Diktat von Versailles“, dessen demütigende Paragraphen vor allem Hitler ein Jahrzehnt lang Munition für seine Propagandareden lieferten.

Durch den von geheuchelter Gerechtigkeit durchdrungenen Vertrag verlor Deutschland ein Zehntel seiner Bevölkerung – wovon etwa die Hälfte Deutsch als Muttersprache hatte –, ein Achtel seines Landes, den größten Teil seiner Eisenerze und einen beträchtlichen seiner Kohlen. Alle deutschen Patente wurden kassiert. Unermessliche Werte, die erst gar nicht berechnet wurden, da sie nur als Wiedergutmachung alten Unrechts galten.

Natürlich verlor Deutschland auch seine Kolonien, die nie viel eingebracht hatten; aber nicht weil es geschlagen war, sondern weil die Deutschen durch ihre Barbarei sich des Kolonialbesitzes als unwürdig erwiesen hatten. Dass andere Nationen sich in ihrer Kolonialpolitik weit mehr Schuld aufgeladen hatten – man denke nur an den Kongo – spielte bei den Gerechtigkeit heuchelnden Siegern keine Rolle.

Um Deutschland herum konnten polnische, tschechische und slowakische Nationalisten den Traum vom eigenen Staat verwirklichen, der leider mit der Unterdrückung der nun auf ihrem Staatsgebiet lebenden Deutschen begann.

Das Schlimmste waren die Reparationen. Sie begannen mit der sofortigen Ablieferung von Schiffen, Lokomotiven, Kabeln, usw. und bürdeten dem Reich unerträgliche Zahlungen für Jahrzehnte auf. Begründet wurden diese ruinösen Demütigungen mit der deutschen Alleinschuld am Krieg, die nicht explizit im Vertrag stand, doch durch eine Note Clemenceaus befestigt wurde. Insgesamt ging dieser Vertrag selbst dem damals nicht gerade deutschfreundlichen Lloyd George zu weit, als er sagte: „Jetzt haben wir einen Vertrag, der uns Krieg in zwanzig Jahren garantiert“.

Durch Deutschland lief eine Welle der Empörung; selbst die Gutwilligsten konnten einen solchen Vertrag nicht einfach hinnehmen. Die Regierung Scheidemann trat zurück und die Fraktionen der Nationalversammlung wehrten sich erbittert. Doch die Alliierten blieben unnachgiebig. Da an eine Wiederaufnahme des Krieges nicht zu denken war, blieb nur die Wahl zwischen Annahme der Vertrages oder Einmarsch alliierter Truppen.

Die Regierung Gustav Bauer (1870-1944) musste ihre hilflose Lage akzeptieren und die Zustimmung des Nationalversammlung zu dem „Schandvertrag“ erringen. Außenminister Hermann Müller (1876-1931) und Verkehrs- und Kolonialminister Johannes Bell (1868-1949) unterzeichneten am 28. Juni 1919 in Versailles. Die einsichtigen Befürworter der Unterzeichnung, darunter auch Matthias Erzberger (1875-1921) wurden von da an von den Rechten als „Erfüllungspolitiker“ diffamiert.

Der Kampf an der Ruhr

Der Friedensvertrag war kaum unterzeichnet, da begann der Kampf gegen den Vertrag und die Männer die ihn unterzeichnet hatten. Im Land war Not und Inflation und es kam zu Aufständen, die blutig niedergeschlagen werden mussten. Die Last durch die Reparationen war drückend.

Als Deutschland mit seinen Lieferungen an die Alliierten in Rückstand geriet (es fehlten ein paar Eisenbahnladungen von Telegrafenstangen und Kohle) ließ der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré (1860-1934) am 11. Januar 1923 fünf französische Divisionen ins Ruhrgebiet einmarschieren; Belgien schloss sich mit einer Division an, während England sich zurückhielt. Damit wollte Poicaré sich holen, was die Deutschen angeblich nicht liefern wollten.

In Deutschland war man  empört; im gemeinsamen Abwehrwillen gegen die Erpressung zeigte das Volk eine Einmütigkeit wie man sie seit 1914 nicht mehr gekannt hatte. Reichspräsident Ebert und die Reichsregierung riefen den „Passiven Widerstand“ aus. Industrie, Eisenbahn und Verkehr lagen still. Es gab Repressalien, blutige Zwischenfälle, Massenausweisungen, Attentate und Hinrichtungen. Auf allen politischen Kundgebungen hieße es „Hände weg vom Ruhrgebiet“ und aus Frankreich schallte es zurück: „Das deutsche Luder wehrt sich noch!“.

Der passive Widerstand führte in eine Sackgasse und verursachte auf Dauer untragbare Kosten. Steuererhöhungen waren angesichts der allgemeinen Notlage kaum durchzusetzen, und so blieb nur der Weg, die Notenpressen laufen zu lassen. Die Reichsmark fiel ins Bodenlose; am 1. August 1923 kostete der Doller schon über eine Million Reichsmark.

Am 12. August musste die Regierung von Wilhelm Cuno (1876-1933) zugunsten von Gustav Stresemann (1878-1929) abdanken.

„Man kann mit einem gewissen Recht behaupten, dass die Weltwirtschaftskrise wegen ihrer Auswirkungen auf die Verhaltensweise des Menschen das bis jetzt wichtigste Ereignis des Jahrhunderts war – jedenfalls für die Amerikaner.“   John Kenneth Galbraith, 1975.

Die „goldenen“ Zwanziger

In Erinnerungen an die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wird von den „golden twenties“, den  „goldenen zwanziger Jahren“ gesprochen. In diesem Jahrzehnt, zwischen 1920 und 1930, erholte sich Europa langsam von den Wunden des Krieges, Kunst und Kultur blühten auf. Viele Entwicklungen, deren Auswirkungen bis heute spürbar sind, wie der Aufstieg der Filmindustrie, nahmen damals ihren Anfang. Auch das von Kriegsfolgen und Reparationen schwer belastete Deutsche Reich erlebte eine kurze (Schein-)Blüte.

Diese, im sentimentalen Rückblick zumindest für die Oberschicht und die Intellektuellen glückliche Zeit, fand ein abruptes Ende durch den Börsenkrach von 1929, der die bisher einschneidendste Weltwirtschaftskrise einleitete.

Vorausgegangen war ein Aktienboom, der viele Spekulanten ermutigte, mit kreditfinanzierten Aktien zu spekulieren. Banken gaben bereitwillig Kredite, die durch Aktien gedeckt schienen. So lange die Aktienkurse schneller stiegen, als sich Kreditzinsen anhäuften, war das ein gutes Geschäft. Doch kein Boom dauert endlos; wenn die Kurse im Übermaß stiegen, folgte noch jedes Mal eine „Korrektur“. In den USA begann der Kursrutsch am 24. Oktober 1929 (einem „schwarzen“ Donnerstag), der sich am „schwarzen Dienstag“ dem 29. Oktober zu einem erschreckenden Kurssturz ausweitete.

Die als Sicherheit hinterlegten Aktien deckten nach dem Kursverfall die Kredite nicht mehr; die Banken forderten ihre Gelder zurück. Aktien wurden panikartig verkauft. Die Kurse stürzten und stürzten; leichtfertige Spekulanten waren bankrott.

Und so sahen die Fakten aus:
Der Aktienindex der New York Times stieg von Ende 1924 bis Sommer 1929 von 134 auf 449; also in weniger als 5 Jahren um das mehr als Dreifache. Im Juli 1932 stand dieser Index dann bei 58, also etwas mehr als einem Achtel des Höchstkurses! Den Immobilien erging es nicht anders; vorübergehend fielen sie bis auf ein Zehntel des Wertes von 1929.

Aus Angst vor Bankzusammenbrüchen zogen viele Anleger ihre Bareinlagen ab; die Hälfte der amerikanischen Banken wurde zahlungsunfähig und das ihnen von ihren Kunden anvertraute Geld war verloren.

Dieser Crash blieb nicht auf die USA begrenzt. Aufgrund der monetären Verflechtungen (die europäische, besonders die deutsche, Wirtschaft war zu einem großen Teil durch Kredite aus den USA gestützt) stürzte auch die europäische und damit die Weltwirtschaft in eine tiefe Krise. Firmenpleiten, Entlassungen, Liquidationen, Produktionseinschränkungen, Preisverfall und Lohnsenkungen dominierten das Geschehen rund um den Globus, und die Massen arbeitsloser Menschen stiegen explosionsartig an.

1932 gab es Bürgerkrieg in China, Krieg in Südamerika, Ölkrieg in Kleinasien. Industrieproduktion und Erzeugerpreise waren drastisch gesunken und Arbeitslose gab es überall (in Deutschland fast 7 Millionen, in den USA 13 Millionen).

Ein Ausweg aus dieser Weltdepression musste gefunden werden!

Heute ist man der Ansicht, dass diese Börsenkrise, wie sie nach einer Überhitzung einzutreten pflegt, nicht zu einer Wirtschaftskrise hätte führen müssen. Die verantwortlichen Regierungschefs dachten zu restriktiv und handelten nicht koordiniert.

Dem Deutschen Reichskanzler Heinrich Brüning (1885-1970) muss man zugute halten, dass er der Welt beweisen wollte, wie unerfüllbar die Reparationsforderungen des Versailler Vertrages waren. Doch auch Herbert Hoover (1874-1964), der 31. Präsident der USA, wusste für sein reiches Land kein Mittel gegen die Depression. Beide  – Hoover wie Brüning –  mussten ihre Posten räumen.

In den USA wurde im Januar 1933 Franklin D. Roosevelt (1882-1945) Präsident. Er machte unter der Überschrift „new Deal“ staatliche Mittel verfügbar und startete vielfältige Maßnahmen um die erlahmte Wirtschaft anzukurbeln[2].

In Deutschland verhalf die Krise am 30. Januar 1933 Adolf Hitler (1889-1945) zum Amt des Reichskanzlers. Fachleute rieten Hitler zu einem ähnlichen Programm, wie es Roosevelt wagte. Allerdings mit dem Unterschied, dass das „Dritte Reich“ vor allem in die Rüstung investierte, während in den USA zivile Investitionen vorgesehen waren.

Weltweit geriet die „freie Marktwirtschaft“ in Verruf, die angeblich zwischen Boom und Crash pendelt. Es folgte eine Zeit, in der Devisenkontrollen, hohe Zölle und Kontingentierungen den Welthandel behinderten. Dafür wurde auf bilaterale Zusammenarbeit gesetzt. Totalitäre Wirtschaftsweisen, wie in der UDSSR oder im nationalsozialistischen Deutschland, konnten sich durch die von der freien Wirtschaft verursachte Krise bestätigt fühlen, und die Politik der „Achse Berlin-Rom“ lag ebenfalls im Trend der Zeit.

Endnoten:
[1] Vgl. dazu in „Kurz, knapp, kurios“ Seite 446 „Die Sklaverei endete, der Rassismus blieb“.
[2] Die dazu noch fehlende Wirtschaftstheorie des „deficit-spending“ liefert John Maynard Keynes (1883-1946) dann 1936 nach.
Literatur:
(1) Ambrosius, Gerold „Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Europas im 20. Jahrhundert“, C.H. Beck, München 1986.
(2) Eyck, Erich „Geschichte der Weimarer Republik“, Eugen Rentsch, Erlenbach-Zürich/Stuttgart 1954.
(3) Fernau, Joachim „Deutschland, Deutschland über alles…“, Gerhard Stalling, Oldenburg 1952.
(4) Friedell, Egon „Kulturgeschichte der Neuzeit“, C.H. Beck, München 1931.
(5) Galbraith, John K. „Geld“, Droemer-Knaur, München 1976.
(6) Krummacher, F.A.; Wucher, Albert „Die Weimarer Republik“, R. Löwit, Wiesbaden 1965.
(7) Mann, Golo „Deutsche Geschichte im 19. Und 20. Jahrhundert“, Fischer, Frankfurt 1962
(8) Schulz, Gerhard „Weimarer Republik“, Ploetz, Freiburg/Würzburg 1987.
(9) Schulze, Hagen „Die. Deutschen und ihre Nation, Band 4 Weimar“, Severin & Siedler, 1982.
(10) Senf, Bernd „Der Nebel um das Geld“, Gauke, Lütjenburg 1987.
(11) Sethe, Paul Deutsche Geschichte“, Heinrich Scheffler, Frankfurt a.M. 1960.
(12) Zierer, Otto „Neue Weltgeschichte“ Bd. III, Fackel, Stuttgart o.J.