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Geschichte/Historik

Die machtvollste Erfindung der Weltgeschichte

(Veröffentlicht in GralsWelt 50/2008)

700 Jahre Feuerwaffen – ein Anlass zum Nachdenken.

Zu Beginn des 14. Jahrhunderts, vermutlich im Jahr 1308, also vor 700 Jahren, wurde in Europa die erste Kanone abgefeuert. Damit erreichte eine der folgenschwersten Erfindungen aller Zeiten unseren Alten Kontinent: Feuerwaffen wurden bald zum machtvollsten Einzelfaktor, der je die Weltgeschichte beeinflusst hat. Der Aufstieg Europas zum führenden Kontinent war begleitet vom Donner der Kanonen – einer Erfindung, für die es in der Natur kein Vorbild gibt.

Kanonen schreiben blutige Geschichte

Wenn, wie in den meisten Fällen, Geisteswissenschaftler Geschichtsbücher schreiben, wird die Bedeutung technischer Innovation (ebenso wie der Einfluss von Krankheiten) gegenüber politischen Winkelzügen und militärischen Strategien in der Regel unterbewertet.

Zum Beispiel nehmen die Schilderungen des rätselhaften Aufstieges der Jeanne d’Arc (Jungfrau von Orleans, 1412-1431) und ihres traurigen Untergangs in den Texten französischer Historiker breiten Raum ein. Sie war es demnach, die den Kampfgeist der Franzosen erweckte und es Karl VII. ermöglichte, die englischen Besatzer 1453 aus der Normandie zu vertreiben und damit den Hundertjährigen Krieg faktisch zu beenden.

In der britannischen Geschichtsschreibung wird die Niederlage der Engländer dagegen oft der Misswirtschaft der englischen Regierung zugeschrieben.

Dass Karl VII. eine neue, kriegsentscheidende Waffe einsetzte, wird kaum erwähnt: Mit Hilfe von schweren Belagerungsgeschützen konnte er in 16 Monaten 60 von den Engländern besetzte Orte einnehmen.

Auch die Eroberung von Konstantinopel gelang den Türken im Jahr 1453 vor allem durch den Einsatz der größten bis dahin gesehenen Kanonen, die zu allem Überfluss noch ein europäischer Renegat gegossen hatte. Diese Riesengeschütze konnten viermal pro Tag über 800 Pfund schwere Geschosse abfeuern. Um diese Ungetüme zu bewegen, waren 200 Menschen und 70 Paar Ochsen erforderlich. Für Krieg und Eroberung war, wie immer, nichts zu teuer!

Die Beispiele für die kriegsentscheidende Bedeutung von Kanonen und Gewehren ließen sich beliebig fortführen.  Die Kriegstechnik und die Herrschaftsverhältnisse änderten sich durch die neuen Waffen. Die Kriegskosten stiegen. Burgen waren nicht länger sichere Zufluchtsorte, die nur durch Aushungern zu bezwingen waren. An ihre Stelle traten aufwendigere, mit schwerer Artillerie bestückte Fortifikationen.

Die stolzen Ritter konnten auf ihre schweren Rüstungen verzichten, die vor den modernen Schusswaffen nicht schützten. Die Ritterschaft verlor an Ansehen und Macht. Sie musste widerwillig das Entstehen des Bürgertums und die Entwicklung der Städte zu neuen Machtzentren hinnehmen.

Feuerwaffen gaben ihren Besitzern auch die entscheidende Überlegenheit über Natur- und weniger gut gerüstete Kulturvölker. Eroberer, Kolonialisten, Ausbeuter, Sklavenhändler unterwarfen sich mit ihrer überlegenen Bewaffnung wesentliche Teile der von den großen Seefahrern entdeckten Länder und Kontinente.
Deren Entdeckungsreisen wiederum wären kaum möglich gewesen ohne Kanonen und Musketen, mit denen Navigatoren, Forscher, Händler und Abenteurer ihre meist nur winzigen Schiffe gegen Eingeborene oder Seeräuber verteidigen konnten.

Der Aufstieg Europas zum führenden Kontinent war begleitet vom Donner der Kanonen und dem Knallen von Musketen.

Die Herkunft der Feuerwaffen
Wie viele grundlegende Erfindungen kam auch das Schießpulver auf unbekannten Wegen aus China. Dort soll es bereits um das Jahr 250 als Sprengstoff, und im 9. Jahrhundert zur Anfertigung von Feuerwerkskörpern gedient haben. Verfügten die Byzantiner vielleicht seit 673 mit dem Griechischen Feuer über einen Vorläufer des Schießpulvers, mit dessen Hilfe sie Konstantinopel fast acht Jahrhunderte lang gegen den Ansturm aus dem Osten verteidigen konnten? Diese Frage muss unbeantwortet bleiben, da das Rezept für das Griechische Feuer verloren ging. (1).
Jedenfalls bauten Chinesen spätestens im 13. Jahrhundert Feuerwerkskörper, Raketen, Brandpfeile und Brandgeschoße. Europäische Heere haben die schreckliche Wirkung dieser „Wunderwaffen“ zuerst in verlorenen Schlachten gegen die überlegenen Mongolen (wie 1241 bei Liegnitz) erfahren. Das Schießpulver wurde im Krieg also zuerst in Form von Brandsätzen und Raketen eingesetzt, später erst in Kanonen. Heute, nach sieben Jahrhunderten, ist wieder die Rakete die modernste Kriegswaffe mit der größten Reichweite.
In der abendländischen Literatur taucht bei dem Franziskaner Roger Bacon (1214-1294), einem Universalgenie des Mittelalters, ein Rezept für Schwarzpulver auf (das aus Salpeter, Schwefel und Holzkohle besteht), und zwar in Form eines Anagramms. Der oft als Erfinder des Schießpulvers genannte Mönch und Alchemist Berthold Schwarz hat im 13. oder zu Anfang des 14. Jahrhunderts nicht das Pulver erfunden, sondern – wenn überhaupt – vielleicht dessen treibende Kraft erkannt. (4, S. 309).
Wer die erste richtige Kanone gebaut hat, ob Chinesen oder Inder, ist umstritten. Jedenfalls gab es in Asien Feuerwaffen bereits im 13. Jahrhundert.
Ebenso umstritten ist, in welchem europäischen Krieg zum ersten Mal eine Kanone abgefeuert wurde. Angeblich setzten Truppen des relativ unbedeutenden Ferdinand IV. – er war von 1295 bis 1312 König von Kastilien und Leon – im Jahr 1308 in der Schlacht um Gibraltar Kanonen ein, die den Arabern abgeschaut waren. Damit wurde der Fels für die Spanier erobert.
Oder knallten die ersten Kanonen erst bei der Belagerung von Puy Guillaume Im Jahr 1338?
Vielleicht war es auch der englische König Eduard II., der 1346 bei Crécy als erster mit der neuen Wunderwaffe einen Sieg errang, der allerdings vor allem der Schnelligkeit und Treffsicherheit der englischen Bogenschützen zugeschrieben wird.
Der Gebrauch von Handfeuerwaffen ist erstmals für 1331 nachgewiesen. Die deutschen Ritter von Crusberg und von Splinberg verwendeten sie bei der vergeblichen Belagerung von Cividale im Friaul. (4, S. 317).
Die ersten Kanonen waren schwerfällige, krachende Ungetüme; sie galten als Teufelszeug. Es war Glückssache, ob das Geschoß (meist eine Steinkugel) traf, oder ob gar das Kanonenrohr explodierte. Der Fama zufolge musste ein Büchsenmeister Buße tun, nachdem er dreimal hintereinander getroffen hatte; denn solche Treffsicherheit war nach Ansicht mancher Priester nur mit der Hilfe des Bösen möglich. An solchen Aberglauben erinnern die Volkssagen von der „Freikugel“, wie sie zum Beispiel in Webers Oper „Freischütz“ verarbeitet sind.
Doch die Entwicklung der Kanonen, der „primitivsten thermodynamischen Maschinen“, war nicht aufzuhalten. Büchsenmeister gossen immer größere und bessere Rohre. Alchemisten verbesserten das Schießpulver. Kanoniere verschossen eiserne Kugeln. Mathematiker entwickelten eine neue Wissenschaft, die Ballistik, um Geschoßbahnen zu berechnen.

Die wichtigste Erfindung aller Zeiten?

Das Feuer zu nutzen war zweifellos eine Schlüsselerfindung der Menschheit, die ihr erst den Aufstieg zu Kultur und Zivilisation ermöglichte. Die Wärme einer Flamme erlaubte – zusammen mit der Erfindung der Bekleidung – die Besiedlung kühler Regionen, die bessere Zubereitung der Nahrung und Schutz vor wilden Tieren.

Später gelang mit Hilfe des Feuers das Schmelzen und die Verarbeitung von Metallen. Im Lauf der Jahrtausende entstanden Hochkulturen, die fast gänzlich auf menschliche und tierische Muskelkraft angewiesen waren, und nur die Kräfte von Wind und Wasser ein klein wenig nutzen konnten .

Aristoteles, der große Blockierer
Viele Jahrhunderte lang galt der „Heide“ Aristoteles für christliche Gelehrte als unanfechtbare Autorität. Dadurch behinderten seine astronomischen und physikalischen Fehlansätze den wissenschaftlichen Fortschritt.
In der Astronomie behauptete Aristoteles, dass „ein Bewegungszentrum nicht selbst bewegt sein könne“. Dementsprechend musste die Erde, als Bewegungszentrum des Mondes, still stehen.
In der Physik galt nach Aristoteles die Proportionalität von Kraft und Geschwindigkeit. Nach der Definition Newtons hieße das: „Kraft gleich Masse mal Geschwindigkeit“ anstelle der richtigen Formulierung „Kraft gleich Masse mal Beschleunigung“. Auf den ersten Blick nur ein geringfügiger Unterschied, aber von entscheidender Bedeutung: Aristoteliker konnten Kraft und Energie nicht von einander trennen, und sie unterschieden nicht zwischen Gewicht und Masse. Begriffe, die auch heute im Alltagsleben noch oft gleichgesetzt werden. Aristoteles kannte keinen Unterschied zwischen Luft und Wasserdampf, und er wusste nichts von Gasen. Sein sprichwörtlicher „horror vacui“ (die Furcht vor dem Leeren) behauptete, dass die Natur keine leeren Räume dulde. Damit galten atmosphärische Dampfmaschinen (sie erzeugen mit Dampf ein Vakuum und lassen den Atmosphärendruck arbeiten), wie sie im 18. Jahrhundert liefen, als unmöglich. Wer von thermischen Energie-Erzeugern träumte, wurde von den Aristotelikern lächerlich gemacht. So ähnlich wie es heute Erfindern widerfährt, die Maschinen bauen wollen, die gegen den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik verstoßen. (Vgl. „Energie, Entropie und Zeit“, unter „Wissenschaft“).
In der Neuzeit widerlegten zuerst die astronomischen Entdeckungen von Kopernikus, Kepler und Galilei manche Vorstellungen des Aristoteles und seiner Epigonen, bis endlich die Newton’sche Mechanik einen entscheidenden Durchbruch brachte. Auf dieser Basis begann das Zeitalter der Naturwissenschaften. Nun erst konnten Wissenschaftler der Aufklärung nach und nach differenzieren zwischen Temperatur (einer Zustandsgröße) und Wärme (Energie). Der Zusammenhang zwischen Temperatur, Druck und Volumen von Wasserdampf und Gasen wurde gemessen und in Zustandsdiagrammen dargestellt. Der Weg war offen für die Entwicklung der Wärmelehre.

Als mechanische Hilfsmittel standen bis weit in die Neuzeit nur Flaschenzug, Hebel, Keil, Rad, Rolle, schiefe Ebene, Schraube, Seil, Winde, Zahnrad und dergleichen zur Verfügung. Mit solch bescheidenen technischen Mitteln wurden Pyramiden, Tempel, Kanäle, Staudämme, Brücken, Thermen, Burgen, Schlösser, große Segelschiffe, romanische, gotische und Renaissance-Kathedralen errichtet, die wir noch heute bewundern.

Dann aber wurde eine weitere, völlig neue Anwendung des Feuers entdeckt und entwickelt: Das Schießpulver und die Kanone. Über Jahrhunderte hinweg wurden Pulver und Feuerwaffen verbessert; doch niemand verstand, was in dieser neuartigen Verwendung des Feuers, in der explosionsartigen Verbrennung des Schwarzpulvers unter großer Hitzeentwicklung, vor sich ging.

Das Weltbild des Mittelalters, aufgebaut auf der Bibel und den irrigen Hypothesen des altgriechischen Philosophen Aristoteles (384-322 v. Chr.), enthielt wohl zu viele Blockaden für das Verständnis eines solchen, aus heutiger Sicht relativ einfachen, Vorganges.

Unklar bleibt auch, warum Schwarzpulver, eine nicht allzu komplizierte Stoffmischung mit auffallenden Eigenschaften, erst im Mittelalter entdeckt wurde. Und eine alte Streitfrage ist, warum nicht schon die Alten Römer Pulvergeschütze bauen und damit ihr Reich gegen den Ansturm der Barbaren über weitere Jahrhunderte verteidigen konnten.
Wahrscheinlich lag es daran, dass der Salpeter, als wichtiger Sauerstofflieferant für eine explosionsartige Verbrennung, in Europa unbekannt war. Erst im 13. oder zu Beginn des 14. Jahrhunderts erfuhren die Araber von diesem „Salz von China“, das bald darauf auch in Europa bekannt wurde.

Eine Erfindung ohne Vorbild in der Natur

Ohne es zu bemerken, trat die Menschheit mit der Erfindung der Feuerwaffen in einen bis dahin unerschlossenen Bereich der Physik ein: in die Thermodynamik (Wärmelehre), deren Bedeutung für Waffenentwicklung, Kriegführung, Energietechnik, Wirtschaft, Verkehr, wissenschaftliches Weltbild, kaum zu überschätzen ist.

Eine Kanone ist – neben der Rakete – die einfachste thermodynamische Maschine. Bei der explosionsartigen Verbrennung von Schwarzpulver entstehen hohe Temperaturen. Die glühend heißen Verbrennungsgase wollen sich um das 3.000fache ausdehnen und drücken in einer Feuerwaffe das Geschoß mit starker Beschleunigung aus dem Rohr. Schon einfache Gewehre und Kanonen feuern Geschosse mit Geschwindigkeiten von 100 Metern pro Sekunde und mehr ab. Dabei wandelt sich die chemische Energie des Pulvers um in Wärmeenergie, und diese wiederum wird in der gerichteten Bewegung des Geschosses zu Bewegungsenergie.

In der Natur gibt es kaum ein Vorbild für diesen Prozess, am ehesten noch in einem Vulkanausbruch. Denn die Natur bevorzugt auf der Erde energetische Umsetzungen bei niedrigen Temperaturen. Bei Pflanzen und vielen Tieren ist es die jeweilige Umgebungstemperatur, bei gleichwarmen Tieren und beim menschlichen Körper sind es um 37 Grad Celsius.

Ließ die Erfindung von Raketen und Kanonen so lange auf sich warten, weil Vorbilder in der Natur dafür fehlen?

Thermische Energie-Erzeuger
Ende des 17. bzw. bzw. Anfang des 18. Jahrhunderts wurden in England die ersten „Feuermaschinen“ (atmosphärische Dampfmaschinen) in Betrieb genommen. Sie hatten einen geringen Wirkungsgrad, waren aber schon in der Lage, absaufende Kohlebergwerke auszupumpen und damit vor dem Totalverlust zu retten (Savary, Newcomen, Smeaton).
Nach jahrelangen Mühen gelang James Watt (1736-1819) um 1776 der große Wurf: Die Konstruktion der ersten modernen Dampfmaschine, die schon etliche Merkmale aufwies, die sich bis ins 20. Jahrhundert gehalten haben. Watts erste Dampfmaschinen wurden übrigens nicht verkauft, sondern gegen ein Drittel der Betriebskosten-Einsparung gegenüber einer Newcomen-Maschine verleast! Nach den von Watt gefunden Verbesserungen konnte das Dampfzeitalter und mit ihm die industrielle Revolution beginnen.
Als Ende des 18. Jahrhunderts die ersten brauchbaren Dampfmaschinen liefen, wurde dringend die Theorie der Wärmekraftmaschinen verlangt. Dazu veröffentliche 1824 der geniale Nicolaus Léonard Sadi Carnot (1798-1832) seine bis heute richtungweisende Theorie der idealen Kreisprozesse. Nun musste noch die Verbindung zwischen Wärme und mechanischer Energie hergestellt werden: Dazu fand 1842 Julius Robert Mayer (1814-1878) den Energiesatz, und 1843 maß James Prescott Joule (1818-1889) das mechanische Wärmeäquivalent. Damit war die Thermodynamik als Wissenschaft etabliert, und die thermischen Maschinen entwickelten sich schnell weiter.
Im 19. Jahrhundert dominierten Kolbendampfmaschinen, die im 20. Jahrhundert von Dampfturbinen, Gasturbinen und Brennkraftmaschinen mit innerer Verbrennung verdrängt wurden.
Die Umwandlung von Wärme in Bewegungsenergie (mechanische Energie) hatte mit den primitivsten Maschinen – Raketen und Kanonen – begonnen. In der weiteren Entwicklung entstanden die vielen thermischen (auf Wärme beruhenden) Kraftmaschinen, auf denen unsere heutige Energietechnik basiert: Kohlekraftwerke, Ölkraftwerke, Gaskraftwerke, Kernkraftwerke, Automobile, Motorräder, Baumaschinen, Schiffe, Flugzeuge, Diesellokomotiven, Motorsägen, Rasenmäher, usw. Alle arbeiten sie mit thermischen Kreisprozessen, wie sie schon Carnot idealisiert dargestellt hat. Heute hängt die Versorgung mit elektrischer oder mechanischer Energie zu über 90 Prozent von thermischen Maschinen ab, die zum größten Teil auf nicht-erneuerbare Brennstoffe angewiesen sind. Die viel diskutierte globale Erwärmung ist angeblich zu einem erheblichen Teil diesen thermischen Energieumwandlern zuzuschreiben.

Dass Dampf Kräfte ausüben kann, hatte schon im ersten nachchristlichen Jahrhundert der geniale Heron von Alexandria gezeigt, dessen „Aeolsball“ (eine drehbar gelagerte, mit Wasser gefüllte Kugel, die durch Dampfdüsen in Rotation versetzt wird) eine primitive Reaktionsturbine ist. Doch niemand dachte an ernsthafte Anwendungen oder gar Weiterentwicklungen. War Sklavenarbeit so billig, dass eine aufwendige Technik nicht lohnend erschien?

In der Neuzeit musste dann ein mühsamer Weg durchschritten werden, bis die „Neue Wissenschaft“, die Naturwissenschaft, Schritt für Schritt die mittelalterlichen Vorurteile überwinden konnte. Es waren besonders die Fehlansätze der – im Mittelalter als unantastbar geltenden – aristotelischen Physik, die über fast zwei Jahrtausende die Entwicklung der Technik blockierten.

Der Weg war weit von Experimenten mit Schießpulvermotoren, wie sie Christian Huygens (1629-1695) durchführte, Denis Papins (1647-1712) Versuchen mit Kolbenmaschinen und vielen Ansätzen mehr, bis zur Erfindung von Dampfmaschinen, die Wärme-Energie fortlaufend in Bewegungsenergie umsetzen konnten.

Bei Kanonen funktionierte die Verwandlung von Wärme in Bewegung schon seit vierhundert Jahren; aber nur als „offener Prozess“, also als Einweg-Prozess, der anschließendes Nachladen erfordert.

Eine gefährliche Einseitigkeit?

Erst seit wenigen Jahrzehnten werden wir uns der Einseitigkeit bewusst, mit der wir uns von thermischen Maschinen mit hohen Temperaturgefällen abhängig gemacht haben. Ganz im Gegensatz zur irdischen Natur, die den Energiebedarf der Lebewesen durch chemische Umsetzungen bei relativ niedrigen Temperaturen und geringeren Leistungsdichten deckt. Eine (auch nur entfernt) mit der Natur vergleichbare Niedrig-Temperatur-Energietechnik gibt es bisher nur in Ansätzen, zum Beispiel mit Fotovoltaik und Brennstoffzelle.
Heute ist die neue Herausforderung für uns, aus derzeitigen Gegebenheiten umsichtig auszusteigen und für die Zukunft auf naturnähere Technologien zu setzen.

Der 700ste Jahrestag seit dem Abfeuern der ersten Kanone in Europa mag ein gutes Datum sein, um nicht allein über Kriege und Kriegswaffen zu diskutieren, die natürlich geächtet werden sollten, sondern um umfassend auch über Energieprobleme und die Energieversorgung nachzudenken.

Lesen Sie dazu auch in „Kurz, knapp, kurios“ Seite 369 „Wie das ‚Flüssige Feuer‘ die Christenheit rettete“.


Literatur:
(1) Frischler Kurt, Wunderwaffen, Fritz Molden, Wien 1956.
(2) Gohlke Wilhelm, Geschichte der gesamten Feuerwaffen bis 1850, Göschen 1977.
(3) Leithäuser Joachim G., Die zweite Schöpfung der Welt, Safari, Berlin 1957.
(4) Lippmann Edmund O., Zur Geschichte des Schießpulvers und der älteren Feuerwaffen, Zeitschrift für Naturwissenschaften, 71. Band S. 295 f., E. Schweizerbart, Stuttgart 1898.
(5) Meyer Moritz, Handbuch der Geschichte der Feuerwaffentechnik, Schlesinger, Berlin 1825.
(6) Pope Dudley, Feuerwaffen, R. Löwit, Wiesbaden 1971.
(7) Störing Hans Joachim, Kleine Weltgeschichte der Wissenschaft, Kohlhammer, Stuttgart 1954.