(Veröffentlicht in GralsWelt 32/2004)
Rancher, Cowboys und Banditen
Die Eroberung des „Westens“ ging mit einer wirtschaftlichen Entwicklung – um nicht zu sagen: Ressourcen-Verschwendung – einher, in der ein (oft kurzfristiger) „Boom“ den anderen ablöste. Es begann mit dem lukrativen Pelzhandel, der seinen Höhepunkt 1840 erreichte. Dann folgte der kalifornische Goldrausch von 1849, die Entdeckung von Gold und Silber in Arizona, Colorado, Nevada, Utah usw. Darauf der Eisenbahnboom, die Besiedlung des Westens und die Ausrottung der Bisons, sowie der „Lumber-Boom“, der Kahlschlag riesiger Wälder in den Rockies, am Pazifik oder in Michigan, der Goldrausch am Clondyke (Alaska, 1897), schließlich die Industrialisierung.
Zwischen den verschiedenen Wirtschaftsblüten gab es aber immer wieder Rezessionen, die viele Arbeiter und Farmer ruinierten. In diesem letzten Teil dieser Serie über die Geschichte des Wilden Westens geht es um das Leben der Rancher, Cowboys und Banditen.
Ein eigener Beitrag ist der Religion der Indianer gewidmet, jener nordamerikanischen Ureinwohner, die – wie in dieser Serie ausführlich dargestellt — auf der Strecke blieben. („Die Religion der Nordamerikanischen Indianer“, unter „Religionsgeschichte“)
Der große Viehtrieb
Ein Boom hat das Selbstverständnis der Amerikaner in besonderer Weise geprägt: die Rindertrecks. Nach dem Bürgerkrieg waren Nahrungsmittel knapp, während in Texas acht Millionen „Longhorns“ herumstreunten – im Krieg verwilderte Nachfahren der von Spaniern eingeführten Rinder. In Texas waren diese Tiere wenig wert, doch in den Städten des Ostens würden sie ein Vermögen einbringen, sofern man sie nur dorthin zu bringen wüsste.
So begannen im Jahr 1865 wagemutige Rancher, Herden halbwilder, störrischer Longhorns nach Norden zu treiben: über Wüsten, durch Furten unberechenbarer Flüsse, in Unwettern, im Kampf gegen Wölfe und Klapperschlangen, und unter der ständigen Gefahr, von Indianern angegriffen zu werden. Die Männer, die sie trieben, die Cowboys, wurden zu einer amerikanischen Legende (die allerdings gerne verschweigt, dass die Cowboys nicht viel anders arbeiteten als die spanischen Vaqueros).
Die ersten „Cattle Drives“ (Viehtriebe) verloren die Hälfte der Rinder und ein Zehntel der Mannschaft, doch mit zunehmender Erfahrung und mit Proviantdepots, wie sie zum Beispiel Jesse Chisholm (1805-1868) am „Chisholm Trail“ anlegte, wurden die Verluste geringer und die Gewinne größer. Eisenbahnen stellten sich auf den lukrativen Rindertransport nach dem Osten ein. Viehverladebahnhöfe wie Abilene (1867) und Dodge City (1872) wurden zum Inbegriff des Westens mit aus vielen Cowboyfilmen bekannten Staffagen.
Der Rindertrieb ging über „freies Land“, Wasserstellen und Weiden konnten von jedermann benutzt werden. Als jedoch Eisenbahngesellschaften das ihnen geschenkte Land verkauften, und Regierungsland abgegeben wurde, wurden die Viehtriebe durch Farmen blockiert. Der letzte Nachklang des Jahrtausende alten Streites zwischen Nomaden und Bauern eskalierte. Die Auseinandersetzungen zwischen „Cattlemen“ und „Farmern“ nahmen einige Male bürgerkriegsähnliche Formen an. Als wirksamste Waffe der Sesshaften erwies sich schließlich nicht der Colt, sondern der gerade erfundene Stacheldraht, der das gerodete vom Niemandsland schied.
1886 ging das große Herdentreiben zu Ende. Neue, ergiebigere Rinderrassen waren gezüchtet, und die Rinderbarone hatten erkannt, dass die Zucht in abgeschlossenen Parzellen lukrativer ist, als die halbnomadische Wirtschaftsweise.
Der Ehrenkodex der Cowboys
„Für den Cowboy galten folgende 10 Gebote:
1. Du sollst dich nicht um die Vergangenheit deines Nächsten kümmern.
2. Du sollst zu einem Fremden gastfreundlich sein und für sein Wohlergehen selbst dein Leben einsetzen.
3. Du sollst jedem Feind eine faire Chance geben und ihn nur bekämpfen, wenn er das Weiße in deinen Augen sehen kann.
4. Du sollst auf keinen unbewaffneten Mann schießen und von einem Gegner, der aufgibt, ablassen.
5. Du sollst keine Beleidigung aussprechen, ohne mit ernstesten Konsequenzen zu rechnen.
6. Du sollst nicht undankbar sein.
7. Du sollst dich verteidigen, wann immer Selbstverteidigung notwendig ist. Dabei spielt dein Leben keine Rolle, wichtig allein ist deine Ehre und Selbstachtung.
8. Du sollst keinem etwas wegnehmen, das dir nicht gehört.
9. Du sollst hilfsbereit sein, den Schwachen und Frauen beistehen und sie gegen alles und jedermann verteidigen und nicht dulden, dass ihnen auch nur ein Haar gekrümmt wird.
10. Solange niemand deine Hilfe verlangt oder erwartet, kümmere dich um dich selbst.“
Stammel H. J. (Der Cowboy, Gütersloh 1978).
Cowboys – „echte Amerikaner“
In den wenigen Jahrzehnten der großen Viehtriebe wurde der Cowboy zum Typus des „echten Amerikaners“ – vermutlich, weil seine Verhaltensweisen höchst unamerikanisch waren. Denn Geld und Erfolg, diese markantesten Fetische Amerikas, bedeuteten ihm wenig, wogegen Ehre, Selbstachtung, Würde und ein „freies Leben“ ihm alles waren. Cowboys gab es in allen Farbschattierungen, von schwarz über rot bis weiß, denn Rassismus kannten sie nicht. Es waren stolze Reiter, die andere Tätigkeiten als Sattelarbeit ablehnten. Die Cowboyarbeit war hart (nicht selten saßen sie 12 und mehr Stunden im Sattel) und schlecht bezahlt; im Winter wurden die meisten Cowboys entlassen und mussten irgendwie über die kalte Jahreszeit kommen. Die Bürger sahen in ihnen wilde Barbaren.
Als die „Zeit der freien Weide“ und damit auch die des nomadischen Reiters zu Ende ging, zogen es manche Cowboys vor, lieber „freie Banditen“ zu werden, als sich den Zwängen der sich schnell wandelnden Welt zu fügen. Allerdings beraubte ein echter Cowboy keine Privatleute, sondern nur große Unternehmen wie Banken oder Eisenbahnen. Das Töten von Menschen widersprach ihrem Ehrenkodex, und nur wenige Morde sind Cowboys anzulasten, für die es – anders als in der bürgerlichen Gesellschaft – kein Mord war, wenn ein Gegner in einer „ehrlichen Schießerei“ von vorne erschossen wurde.
Spielfilme stilisieren den Cowboy zum Volkshelden hoch, und zeigen ihn bei dem „fast draw“, dem Schnellschuss aus der Hüfte, den es in Wirklichkeit allerdings so selten gab wie die immer wieder gezeigten Duelle Mann gegen Mann.
Der Hollywood-Cowboy ist eine Legende, die Historiker in der Geschichte des Westens nicht finden.
Als die Bisons „geerntet“ wurden
Bisons wurden schon immer gejagt. Ihr Fleisch ist schmackhaft und nahrhaft, und der Bison mit seinem schlechten Sehvermögen ist trotz seiner Größe und Gefährlichkeit leicht zu erlegen. Es gibt Berichte, dass ein einzelner Jäger eine ganze Herde von 100 Bisons erschießen konnte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erkannte man auch den Wert der Felle, die in zunehmendem Maße gehandelt wurden. Die berüchtigte „Buffalo Harvest“ (Bisonernte) begann ab 1868, als die „Kansas und Pacific Railroad“ in die Prärie vordrang.
Die Industrie hatte herausgefunden, dass sich Büffelleder bestens für Treibriemen eignet; der Bedarf wuchs ins Gigantische, und jede Haut brachte etwa drei Dollar. Dies ließ Hoffnungen aufkeimen, wie zum Beispiel folgender Bericht zeigt:
„Als ich mich diesem Geschäft zuwendete, setzte ich mich hin und rechnete. Da gab es 20 Millionen Bisons, jeder 3 Dollar wert, macht 60 Millionen Dollar. Eine Patrone kostete 25 Cents, wenn ich sie selber lud, nur 10 Cents. Bei einer gekauften Patrone verzwölffachte sich meine Investition, bei einer wiedergeladenen verdreißigfachte sie sich. Ich konnte 100 Bisons pro Tag töten, das ergab einen Profit von 200 Dollar pro Tag, mal dreißig ergab dies 6000 Dollar im Monat, oder dreimal soviel wie der Präsident der Vereinigten Staaten verdiente und 150 mal soviel wie man mit einem normalen Job verdienen konnte.“
(H. J. Stammel, Der Cowboy, Gütersloh 1978).
Bald waren Zehntausend Büffeljäger unterwegs, um die „Bison-Bonanza“ auszubeuten. Da meist nur die Haut geborgen wurde, verpesteten verwesende Fleischberge die Prärien – eine ökologische Katastrophe. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte es – je nach Schätzung – zwischen 10 und 50 Millionen Bisons gegeben (nach neueren Schätzungen scheint die niedrigere Zahl realistischer), die von Büffeljägern, Westwanderern, Eisenbahnpassagieren und Indianern eifrig dezimiert wurden, bis um 1900 in den USA nur noch etwa 300 Bisons lebten. Das große Büffelschlachten, die größte Ausrottung einer Tierart in der Neuzeit, war damit vorbei, und eine Ressource mehr verschwendet.
Inzwischen gibt es wieder 300.000 Bisons, die wegen ihres schmackhaften, gesunden Fleisches zunehmend auch gezüchtet werden. Auf den einstigen Büffelprärien grasen heute 100 Millionen Rinder und machen riesige Gebiete durch Überweidung zur Wüste.
Die Schießerei am OK-Corral
Die berühmteste Straßenschlacht der amerikanischen Geschichte fand am 26. 10. 1881 in Tombstone, einer Silberminenstadt in Arizona statt. Der legendäre Wyatt Earp (1849–1929), damals kein Sheriff, sondern Gastwirt, mit seinen Brüdern Virgil und Morgan, sowie dem Trinker Doc Holliday schossen sich mit fünf Cowboys, von denen sie drei töteten. Auf die Schießkunst der Revolverhelden kann man schließen, wenn man erfährt, dass auf eine Distanz von wenigen Metern 36 Schuss abgefeuert wurden, die drei Menschen töteten und zwei verletzten. Dieser „Showdown“ (Entscheidungskampf) wurde inzwischen mehr als zwanzigmal verfilmt, und Wyatt zum Helden hochstilisiert; vermutlich weil der Berufsspieler seine Biographie selbst diktierte. Heute wird diese eigentlich unbedeutende Schießerei an jedem Wochenende in Tombstone nachgestellt.
Ob die Earps das Gesetz vertraten oder Rivalen beseitigen wollten, ist umstritten; die offizielle Geschichtsschreibung des Staates Arizona spricht von „erwiesenem Mord“.
Tatsächlich waren derartige Auseinandersetzungen eher eine Ausnahme, über die danach wochenlang gesprochen wurde. In der Mehrzahl der Siedlungen des Wilden Westens gab es keine solchen Zwischenfälle, und wer in Boomstädten wie Lost City oder Tombstone lebte, war in keiner größeren Gefahr, überfallen und beraubt zu werden, als ein Bewohner moderner Großstädte: 1879, im wildesten Boomjahr, gab es in Dodge City, der wildesten Boomstadt, ganze 5 Morde. Zum Vergleich gab es 1993 in den USA 30.000 Tote und 200.000 Verletzte durch Schusswaffen und 650.000 Raubüberfälle mit Feuerwaffen (laut Wolfgang Ebert „Wilder Westen“, Film des ZDF, 1994).
Die Mehrzahl der Westener hat nie auf einen Menschen gefeuert; sie wollten vor allem selbst überleben und sich nicht auf gefährliche Duelle mit fraglichem Ausgang einlassen.
Sheriffs und Outlaws
Die große Mehrzahl der Siedler waren friedlich, und Schießereien im „Wilden Westen“ weitaus seltener als uns Bücher und Filme glauben machen; wahrscheinlich lebte man dort sicherer als heute in den Problemvierteln mancher Großstadt.
Andererseits war für manche die Versuchung groß, sich mit einem schnellen Raub in einer Bank oder einem Eisenbahnzug ein Vermögen zu verschaffen und damit zu verschwinden; das Land war riesig und die Verfolgung eines Verbrechers, zum Beispiel in den unwegsamen Schluchten der Gebirge, schwierig.
Für Ordnung sollte der Sheriff sorgen. Die Namen berühmter Sheriffs werden in Filmen und Büchern verklärt. In Wirklichkeit waren Gut und Böse aber nicht immer klar voneinander geschieden. Bei manchem legendären Gesetzeshüter weiß man nicht so genau, ob er nicht eher ein Bandit war, während berüchtigte Verbrecher wie „Billy the Kid“ (Henry McCarthy, 1859-1881) möglicherweise Opfer gezielter Verleumdungen waren. Denn Korruption war das bevorzugte Kampfmittel der Reichen, die Sheriffs, Richter, Abgeordnete und Presse kauften. Daher die wehmütigen Erinnerungen an das freie Leben in Gangs wie der „Wild Bunch“ (Wilde Horde) mit ihrem Anführer Butch Cassedy (1867-1907). Gleich Robin Hood stahlen diese Gangs angeblich das Geld der Reichen und gaben es großzügig an die ausgebeuteten Armen weiter.
Buffalo Bills „Wild West“:
William Frederic Cody (Buffalo Bill, 1846-1917) ist eine amerikanische Legende, um die sich unzählige Geschichten und Anekdoten ranken. Er war Ponyexpressreiter, Soldat, Büffeljäger der Kansas-Pazifik-Railroad, Scout der Armee in den Kämpfen gegen Sioux und Cheyenne.
1872 wurde er in das Repräsentantenhaus gewählt, und 1873 gründete er seine berühmte Wild-West-Show, mit der er Amerikas Osten und Europa den Wilden Westen nahe brachte. Er trat mit Indianern und rauen Reitern auf. Prominente Mitglieder seiner Truppe waren Sitting Bull (1834-1883), der berühmte Medizinmann der Sioux, und die Kunstschützin Annie Oakley (1859-1926), die dem jungen Kaiser Wilhelm II. eine Zigarette aus dem Mund schoss. Durch diese Show wurde der bereits historische Wilde Westen in Europa populär, und Schriftsteller wie Karl May zu phantasievollen Indianergeschichten angeregt.
Wie jeder Boom im Wilden Westen ging auch die Zeit der Banditen schnell vorüber.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das Land so weit entwickelt, dass die wilden Reiter gegen die Polizei mit ihren technischen Hilfsmitteln, wie dem Telegraphen, ins Hintertreffen gerieten.
Heute ist der „Wilde Westen“ Legende – in mancher Hinsicht eine allzu verklärte Legende, denn die Wirklichkeit zeigte – bei den Weißen wie bei den Indianern – alle Aspekte unseres Menschseins: Weisheit und engagierte Entscheidungen ebenso wie gedankenlose Gier und abgrundtiefe Böswilligkeit. Und manches aus der Geschichte des Westens, vor allem die Enteignung und Vernichtung der indianischen Ureinwohner, harrt bis heute einer ehrlichen Aufarbeitung.
Lesen Sie dazu auch unter „Kurz, knapp, kurios“ Seite 33 „Der wilde Osten.“
Literatur:
Davis William C., Der Wilde Westen, Erlangen 1994.
Hetmann Frederik, Die Erde ist unsere Mutter, Freiburg 1998.
La Farge Oliver, Die große Jagd, Olten 1961.
Stammel, H. J., Der Cowboy, Gütersloh 1978.
Steuben Fritz, Großer Häuptling Tecumseh, Stuttgart 1866.
Vanderwerth W. C., Indian Oratory, University of Oklahoma 1971.
Wilson, R. L./Martin, Greg, Buffalo Bills Wild West, New York 1992.
http://home.t-online.de/home/gymbarntrup/re/natur.html.