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Religionsgeschichte

Religionen der Antike I: Einführung

(Veröffentlicht in GralsWelt 33/2004)

Wenn wir Europäer von der Antike sprechen, denken wir eigentlich nur an den Mittelmeerraum, besonders aber an Griechenland und Rom.

Hier, so lehrte man uns in der Schule, lägen die Wurzeln unserer Kultur, hier wurden schon vor zweieinhalb Jahrtausenden Philosophien erdacht, die bis heute nachwirken; und am Rande des Mittelmeeres – in Palästina – entstand die christliche Religion, die sich zuerst über das Römische Reich und schließlich über die Welt verbreitete.

Doch das Christentum steht nicht für sich. Wie heutzutage fast allgemein bekannt, gründet es – mehr oder weniger – auf dem Judentum, das selbst wieder vielerlei religiöse Ideen in sich vereint, und das möglicherweise sogar seinen Monotheismus persischen Anregungen verdankt.

Auch aus vorchristlichen, „heidnischen“ (=nicht-jüdischen) Religionen, ist mehr in das spätere Christentum eingeflossen, als die Kirchen „wahr haben“ wollen.

Zum besseren Verständnis des Christentums und anderer heutiger Religionen ist es daher sinnvoll, sich auch mit antiken religiösen Ideen zu befassen, die nicht selten tiefere Gedanken enthalten, als man ihnen gemeinhin zutraut.

DIE GÖTTER DER ANTIKE.
„Was der Griechen Kunst erschaffen,
Mag der Franke mit den Waffen
Führen nach der Seine Strand,
Und in prangenden Museen
Zeig‘ er seine Siegstrophäen
Dem erstaunten Vaterland.

Ewig werden sie ihm schweigen,
Nie von den Gestellen steigen
In des Lebens frischen Reihn.
Der allein besitzt die Musen,
Der sie trägt im warmen Busen,
Dem Vandalen sind sie Stein.“

Friedrich v. Schiller (1759-1805)

Schon in der Antike war manches wertvolle Wissen verbreitet, das teilweise vom Christentum übernommen, zum nicht geringen Teil jedoch von christlichen Mönchen bekämpft und ausgerottet wurde.

Zu dem verlorenen Wissen gehört z.B. die Kunde von den wesenhaften Helfern, den Naturwesen (Devas), die wir heute meist nur noch aus Märchen und Sagen als Zwerge, Gnome, Elfen, Nixen, usw. kennen, meist ohne zu ahnen, dass diese einen unentbehrlichen Beitrag leisten zur Entwicklung der Schöpfung und zum Leben auf unserem Planeten.

WAS IST EINE RELIGION ?
Bis weit in das 19. Jahrhundert verstanden Religionswissenschaftler unter „Religion“ fast nur das Christentum.

Seit der Aufklärung wurde die jüdische Religion als Vorläufer des Christentums toleriert, aber gegenüber diesem immer noch abgewertet. Und mit dem asiatischen Religionsverständnis, besonders dem Islam, hat das Abendland noch heute Probleme.

Schon die sprachliche Ableitung des Begriffes Religion ist unsicher. Cicero (106-43 v.Chr.) leitete das Wort Religion vom lateinischen relegere (gewissenhaft beobachten) ab, während der Kirchenschriftsteller Lactantius (gest. nach 317) das christlichem Verständnis nähere religare ((an Gott) gebunden sein) vorzog.

Entsprechend viele Facetten hat dann auch der Religionsbegriff. Meist ist eine Glaubenslehre gemeint, die ihren Bekennern zu innerem Erleben, zu religiösen Erfahrungen, und damit zu einem Erkenntnisprozess führen soll, der den inneren Menschen wandelt. Häufig wird daraus allerdings eine Konfession, die nur formale Bekenntnisse und die Teilnahme an festgelegten Ritualen fordert.

ANTIKES RELIGIONSVERSTÄNDNIS
Rückblickend erscheint uns die Antike manchmal als eine unbeschwerte, fröhliche Zeit.

In Griechenland als Beispiel, lebten die Menschen in hygienischen Städten, trafen sich zu den fröhlichen Olympischen Spielen, und machten sich tiefe Gedanken über Mensch und Welt, die noch heute gerne zitiert werden. Eine gute Zeit allerdings nur für die freien Männer, weniger für Frauen, keineswegs für die zahlreichen Sklaven, und alle, die unter den vielen Kriegen zu leiden hatten.

Religionen waren wichtig für den Zusammenhalt von Gruppen oder Staaten; religiöses und staatliches Gesetze waren oft ein und das selbe, und die Beteiligung an den Kulten war Ausdruck der Loyalität gegenüber Staat und Gesellschaft.

Bis ins 20. Jahrhundert blieben religiös begründete, gemeinsame Wertvorstellungen, gemeinsam gefeierte religiöse Feste, eine wichtige gesellschaftliche Klammer.

Verfällt dieser Zusammenhalt, werden religiöse Kulte zur Folklore, so geraten auch einst unbestrittene Wertvorstellungen ins Wanken. Die Gesellschaft kann dann in Gruppen von Individuen ohne gemeinsames Wertverständnis zerfallen, und die Staaten werden zu reinen Zweckgemeinschaften ohne übergreifende Legitimation. Geraten solche Staaten in ernste Schwierigkeiten, so kann das fehlende Gemeinschaftsbewusstsein zum Zerfall des staatlichen Gebildes führen.

In der Antike sah man – bei aller Großzügigkeit gegenüber den verschiedenen Religionen – die staatlichen Kulte als Klammer für das Gemeinwesen. Als die ersten Christen sich den Staatskulten verweigerten, erklärten sie sich damit im antiken Verständnis als Staatsfeinde.

Vom biblischen Sündenfall wussten die Alten Griechen nichts, die Furcht vor der ewigen Verdammnis war ihnen fremd, und die vielleicht einzige „Sünde“, die sie kannten, war die Hybris, die Selbstüberhebung, welche die Götter bestrafen.

Allerdings waren Menschen (und auch Götter) einem rätselhaften Schicksal unterworfen, dem sie nicht zu entfliehen vermochten.

Die für Christen so wichtige seelische Entwicklung, oder gar die „Erlösung von Sünden“, war in der Regel nicht das Ziel antiker Religiosität, die in vorchristlichen Zeiten eigentlich nur die Teilnahme an Kulten und Opferhandlungen erwartete, ohne vertieftes, persönliches religiöses Verständnis zu verlangen. In wie weit das bei den vielen Mysterienkulten anders war, ist nicht sicher bekannt, da von diesen Geheimkulten zu wenig überliefert ist. Wenn ein Philosoph wie Sokrates (470-399 v.Chr.) von seinem persönlichem religiösen Erleben sprach, traf er bei der Mehrzahl seiner Zeitgenossen auf so totales Unverständnis, dass seine Feinde seine Hinrichtung als Lästerer durchsetzen konnten. (Vgl. Götter und Orakel – ein „alter Hut“?

Hinzu kamen zahlreiche verschiedene Gottheiten, unzählige Kulte, geheimnisumwobene Mysterien, die uns auf den ersten Blick die antike Religiosität als chaotisch erscheinen lassen.

Aber in all dem Chaos gab es auch wieder Parallelen (vgl. Kasten): Die zahlreichen Gottheiten hatten bei den unterschiedlichen Völkern zwar verschiedene Namen, doch der antike Mensch erkannte allem Anschein nach in ihnen die gleichen Wirkensprinzipien. So setzte z. B Cäsar (100-44 v. Chr.) die Götter Galliens mit denen der Römer gleich.

Auch ein vages Empfinden des einen, über allen Göttern stehenden Gottes liegt in ägyptischen, indischen, mediterranen Lehren, die von monotheistischen Ideen nicht unberührt waren, die auf Zoroaster, Echnaton, Moses zurückgeführt werden.

Antike Religionen waren meist keine Buchreligionen. Sie hatten keine schriftlich festgelegten, verbindlichen Lehren; kein unantastbares „Wort Gottes“, dessen Aussagen nicht hinterfragt werden durften, keine ausgefeilten Theologien, keine strikte Unterscheidung zwischen „wahrer“ und „falscher“ Religion. Dadurch waren sie offener, beweglicher, entwicklungsfähiger als wir das von späteren, oft buchstabengläubigen Lehren kennen, die nicht selten dogmatisch festgefahren sind und Andersdenkende ausgrenzen.

Dementsprechend kannte die Antike keine Ketzer, die von der „reinen Lehre“ abwichen; allenfalls Frevler, oder Lästerer, welche Heiligtümer schändeten oder Gottheiten beleidigten. So ließen sich viele Formen der Volksgläubigkeit, zahlreiche Göttergestalten in antiken Religion vereinigen.

Später wurden dann christliche Feiertage häufig auf heidnische Festtage gelegt, und an heidnischen Kultplätzen Kirchen oder Kapellen gebaut, um so die Anhänger der alten Traditionen an die neue Religion zu binden.

DIE ORDNUNG DER WELT
In der unbelebten wie in der belebten Natur laufen unzählige, mehr oder weniger komplizierte physikalische und chemische Vorgänge ab, neben und miteinander. Zum Verständnis dieser Naturprozesse fehlten in der Antike die Voraussetzungen, die erst in der Neuzeit nach und nach gefunden wurden. Es schien aussichtslos, Ordnung in diese verwirrende Vielfalt der Naturvorgänge zu bringen.

Die notwendigen Welterklärungen lieferten die Religionen mit Mythen und Sagen, mit Berichten von Göttern und Heroen. Diese mythischen Überlieferungen boten seinerzeit befriedigende Antworten, mit denen sich leben ließ.

Als rationale Welterklärungen gesucht, die alten Überlieferungen hinterfragt wurden, entstand bereits bei den Sophisten in Griechenland eine Naturphilosophie, die sich von den vorwissenschaftlichen Mythen entfernte und eine Spaltung zwischen Wissenschaft und Religion einleitete, wie sie in der Neuzeit so bedeutsam wurde.

Die Auseinandersetzungen zwischen Philosophie und Religion, zwischen logischem Denken und religiöser Erfahrung begann spätestens im Alten Griechenland, z.B. in dem Todesurteil gegen Sokrates, oder in der Verbannung Platons. Seitdem ist es nicht mehr dauerhaft gelungen, eine religiöse Weltsicht mit dem wissenschaftlichen Weltbild zu vereinen, obwohl vorübergehend das Weltbild des christlichen Mittelalters diese Einheit herzustellen schien.

ANTIKE GOTTHEITEN

Uns allen sind die Götter der Griechen und Römer aus alten Sagen bekannt, und wir wissen auch, dass griechische und römische Gottheiten weitgehend identisch sind.

Schwieriger wird der Fall, wenn wir Übereinstimmungen zwischen germanischen und griechischen bzw. römischen Göttern suchen. Auf den ersten Blick möchte man Parallelen ziehen zwischen Odin und Zeus, zwischen Frigga und Hera, doch bei näherem Hinsehen werden solche Identitäten wieder fraglich. Je nachdem, welche der „nordischen“ Göttermythen zugrunde gelegt werden, kommt der Forschende zu unterschiedlichen Ergebnissen. So kann man mit gleichem (oder besserem?) Recht auch den hammerschwingenden Thor (der von manchen germanischen Stämmen als höchster der Götter verehrt wurde) mit dem blitzeschleudernden Zeus gleichsetzen.

Vollends verwirrend aber erscheinen uns die mit Tierköpfen oder sogar in Tierform dargestellten ägyptischen Götter (von den hinduistischen ganz abgesehen). Diese machen es uns in ihrer Fremdartigkeit schwer, einen Zugang zu ihnen selbst oder zu den für sie einst zelebrierten Kulten zu finden.

Menschen der Antike hatten es damit anscheinend leichter; sie sahen wie selbstverständlich die Gemeinsamkeiten zwischen den Göttern der verschiedenen Zivilisationen, und entdeckten auch in fremdartigen Zeremonien die Spuren der ihnen vertrauten Kulte. So hatte beispielsweise Herodot (ca. 490-520 v.Chr.) während seiner Ägypten-Reise keine besonderen Probleme mit der Zuordnung der ihm bekannt gewordenen ägyptischen Götter zu den griechischen. (Vgl. Kasten).

Ägyptische Gottheiten und Griechische bzw. Römische Entsprechungen nach Herodot:

Ägyptisch:    Griechisch:  Römisch:

Aton              Jupiter          Zeus
Atum-Re       Helios           Sol
Bubastis        Artemis         Diana
Chons-shu    Herakles        Herkules
Hathor          Aphrodite     Venus
Horus           Apollon        Apollo
Isis                Demeter        Ceres
Mendes         Pan                Faunus
Osiris            Dyonisos       Bacchus
Ptah              Hephaistos    Vulcanus
Thot              Hermes         Merkur (1)

Die verschiedenen Götterkulte der Antike waren nicht nur weit verbreitet, sondern es gab auch mehr Parallelen zwischen den unterschiedlichen Kulten, als uns heute bewusst ist.

Der persische Mithraskult wurde von römischen Legionären am Rhein praktiziert. Der ägyptische Isis/Osiris-Kult fand weite Verbreitung im römischen Reich und hatte seine Anhänger z.B. in Rom, Ungarn und Rumänien.

Selbst die zahlreichen Götter der Hindus waren den Menschen der Antike nicht so fremd wie uns heute; gibt es doch nicht wenige Parallelen zwischen den Gottheiten Ägyptens und Indiens. Z.B. die Triaden (Dreiheiten): Im Hinduismus Brahma-Wischnu-Schiwa; im altägyptischen Osiris-Isis-Horus, Amun-Mot-Chons, bei den Römern Jupiter-Juno-Minerva, usw. Sogar der indische Affengott Hanuman findet eine Entsprechung im ägyptischen Chons, der ebenfalls teilweise in Affenform dargestellt wird. Alles Zufall, oder Ausdruck des gleichen Erlebens, entsprechender visionärer Schaungen?

So kann man durchaus den Eindruck gewinnen, dass es in der Antike eine verhältnismäßig ähnliche, fast einheitliche Religion gab, die in vielfachen kultischen Formen vom Himalaya bis zum Atlantik, von der Ostsee bis zur Sahara reichte. Die Liturgien, die Tempel, die Götterbilder waren unterschiedlich, doch die Inhalte nicht gänzlich verschieden, so dass sich ein antiker Reisender wie Herodot in fremdländischen Kulten zurechtzufinden wusste.

Allerdings gibt es Ausnahmen: Den persischen (Zoroaster, vgl. „Religionen der Antike X“) und den jüdischen Monotheismus, schließlich das Christentum und zuletzt den Islam, die nicht in das genannte Schema passen.

Fortsetzung „Religionen der Antike“ II.

Literatur:

(1) Kolta, Kamal Sabri „Die Gleichsetzung ägyptischer und griechischer Götter bei Herodot“, Diss. Tübingen, 1968.