Kategorien
Religionsgeschichte

Religionen der Antike II: ÄGYPTEN

(Veröffentlich in GralsWelt 34/2004)

LEBEN FÜR DEN TOD ?

„Du sollst nicht aus deinem Haus hinausgehen (=sterben), wenn du nicht die Stelle kennst, wo dein Leichnam ruhen wird. Lasse deine Ruhestätte, wo du wünschst, dass dein Leichnam begraben werden soll, bekannt sein, damit man dich begraben kann…Schmücke…das Grab, das deinen Leichnam bergen soll.“
Aus einem altägyptischen Text des Schreibers Ani. (5, S. 202).

RELIGIÖSE TEXTE DER ÄGYPTER
Die ägyptischen Mythen sind meist erst durch antike Schriftsteller (z.B. Herodot, Plutarch, Diodor) überliefert.
Das religiöse Schrifttum Ägyptens umfasst zahlreiche Texte wie Götterhymnen, Anrufungen, Verklärungen und seit dem neuen Reich auch Gebete. Sie wurden in Tempeln entworfen und zierten die Wände der Königsgräber, später auch der Privatgräber. Dogmatische Festlegungen fehlen, so daß man nicht von einer Buchreligion sprechen kann. Die bekanntesten dieser Texte sind:
Altes Reich: Pyramidentexte,
Mittleres Reich: Sargtexte,
Neues Reich: Unterwelttexte und das Totenbuch.
Religionswissenschaftler diskutieren die überlieferten Texte. Von Esoterikern wird vermutet, daß die tieferen Lehrinhalte geheim waren und nur mündlich weitergegeben werden durften. Uns stünden demnach nur die für die Allgemeinheit bestimmten profanen Texte zur Verfügung, die von den tieferen Lehren weiter entfernt sein könnten, als die Predigt eines Dorfpfarrers von den Vorlesungen an einer Jesuiten-Akademie.

ÄGYPTEN IST ETWAS BESONDERES:

Im trocknen Wüstenklima erhalten sich die Artefakte einer uralten Kultur so gut wie nirgendwo sonst, und die archäologischen Funde „im Sand“ sind an Umfang und materiellem wie ideellem Wert unvergleichlich.

Reich ausgestatte, mit Bildern geschmückte, und mit Inschriften versehene Gräber erzählen vom Jahrtausende zurückliegenden Alltagsleben, von den religiösen Überzeugungen, und von den allen Abgeschiedenen bei ihrer Jenseitsreise bevorstehenden Prüfungen.

Was Experten aus den zahlreichen altägyptischen Tempeln, Gräbern, Mumien, Inschriften, Artefakten, für das religiöse Verständnis der damaligen Menschen ermitteln, ist allerdings befremdlich: Es entsteht der Eindruck, dass nicht das Leben im Mittelpunkt des Alltags stand, sondern der Tod; dass nicht die Gestaltung der Lebensverhältnisse das Wichtigste auf Erden war, sondern die Vorbereitung auf das Ableben, auf die Anderswelt, das Sein nach dem Tod.

„Das Leben ist kurz, der Tod ist lang“ war dem Anschein nach der Glaube der Alten Ägypter; und auf dieses lange, sehr lange nachtodliche Sein galt es sich vorzubereiten. Wie sonst sollte man verstehen, dass Handwerker im „Tal der Könige“, die an den Arbeitstagen Gräber für die Elite schufen, an Feiertagen an ihrem eigenen Grab arbeiteten?

Nach dem Ableben war die Leiche jedes Ägypters, dessen Angehörige es sich leisten konnten, zu konservieren und in einem möglichst dauerhaften, vor Räubern geschützten Grab unterzubringen, das alle für die Jenseitsreise notwendigen und nützlichen Geräte enthielt. Je einflussreicher eine Persönlichkeit, desto großartiger ihr Grab, der Grabschmuck, die Grabbeigaben. Dieser Totenkult nahm Ausmaße an, wie sie kaum bei einem zweiten Volk zu finden sind, auch wenn prachtvolle Grabdenkmäler für hervorragende Persönlichkeiten bis in unsere Zeit als unerlässlich gelten.

Weiterleben nach dem Tode

DER OSIRIS-MYTHOS
Osiris war der älteste Sohn des Erdgottes Geb und der Himmelsgöttin Nut, somit rechtmäßiger Erbe des irdischen Reiches, das er mit seiner Gemahlin Isis regierte. Es war eine glückliche Zeit, die ein jähes Ende fand, als Seth, der jüngere Bruder, Osiris ermordete und die Leiche zerstückelte. Isis machte sich auf die Suche nach den Leichenteilen, konnte diese zusammensetzen und so lange zum Leben erwecken, dass Osiris mit ihr den Horus zeugen konnte.
Osiris erlangte Unsterblichkeit und wurde zum Herrscher der Unterwelt, auch des Paradieses, sein Sohn Horus der rechtmäßige König.
Kultbilder zeigen Isis mit dem Horus-Knaben, und ein Ägypter könnte entsprechende Darstellungen, in modernerem Gewand, noch heute vielerorts entdecken.
Der Mythos vom gestorbenen (ermordeten) und auferstandenen Gott ist eine verbreitete religiöse Idee, die z.B. in der griechischen Mythologie in der Gestalt des Adonis und des Attis, in germanischen Mythen als Baldur erscheint.

Die Alten Ägypter glaubten an ein Weiterleben nach dem Erdentode und hatten Paradieses-Vorstellungen, sie erwarteten aber anscheinend nicht mehrmalige Erdenleben.

Es scheint, sie konnten sich nicht von der Vorstellung frei machen, dass das Weiterleben des immateriellen, des geistigen Wesens der Person (seines Ka) nur in enger Verbindung, ja Abhängigkeit von seinem Leichnam möglich sei. Entsprechend groß waren ihre Anstrengungen, den Körper durch Einbalsamieren haltbar zu machen und durch aufwendige Grabanlagen vor dem Zerfall zu schützen:

Da der Ka des Dahingegangenen nur dann ein ewiges Leben behält, wenn er in dem erhaltenem Leib oder in einem verewigten Bildwerk eine bleibende Heimstatt findet, lassen die Könige aus Sorge, dass einmal ihr einbalsamierter Leib zerfällt, ihr steinernes Abbild in einem geheimen Raum der Pyramide aufstellen.“ (7)

Ähnlich verwirrend erscheint uns auch die altägyptische Jenseitsreise:

„Der Ägypter wünschte den Tag in der Kühle seiner Gruft zu verbringen und sich an den Vorräten zu laben, die seine Nachkommen zum Grabe brachten, oder die die Magie ihm verschaffte…beim Einbrechen der Nacht zur Sonnenbarke zu kommen, sie anzuhalten, dort Platz zu nehmen, um über den Horizont zu setzen und so sicher in die unzugänglichen, gefahrvollen Bereiche des Jenseits zu gelange…dort in den Gärten des Osiris oder einem anderen Paradiese nach Belieben zu verweilen und angenehmen Zeitvertreib zu finden … in dem Augenblick, in dem die Sonne sich anschickte, diese zauberhaften Gefilde zu verlassen, die wieder ins Dunkel getaucht wurden, erneut die Barke des Re zu besteigen, auf ihr über den östlichen Horizont zu ziehen und mit dem anbrechenden Tag zur Erde zurückzukehren … und schließlich in Gestalt eines Vogels mit Menschenkopf, wie die Überlieferung sie den Seelen für diese Pilgerreise verlieh, in Eile das Grab zu erreichen.“ (3, S. 47 f.):

Die Welt der Götter

Die Alten Ägypter hatten die Vorstellung von einem einheitlichen, geordneten Kosmos. Der Lauf der Sonne zeigte diese Ordnung, die ihre Personifizierung in der Himmelsgöttin Ma’at fand, der Tochter des Sonnengottes.

Das Ägyptische Volk verlangte anschauliche Bilder für die Inhalte ihres Glaubens. So entstanden zahlreiche Göttergestalten, die den Kosmos regierten, in der Natur oder der Gesellschaft wirkten, oder das persönliche Leben des einzelnen beeinflussten.

Doch diese Göttergestalten entsprangen wohl mehr dem
Volksglauben (oder einem noch viel älteren Dämonenglauben?), waren nicht unbedingt „Gottheiten“, sondern eher Wirkungsprinzipien des Unnennbaren, Unbeschreibbaren:

„Die Gottesbilder sind nicht Abbilder einer Gottheit, sowenig wie die Namen den Unnennbaren wirklich benennen, und hätte er Tausend Namen.“ (2. S. 8).

Auch die für uns so fremdartigen Gestalten mit Tierköpfen muss man nicht allzu einseitig sehen:

„Vielen Göttern wird ein Tier zugeordnet, in dessen Gattung (in klassischer Zeit nicht im Individuum) sich Funktion und Wesen der Gottheit manifestiert. Die Kunst stellt diese Gottheit häufig mit Menschenleib und Tierkopf dar, etwa den Horus mit Falkenkopf, oder Thot, den Gott der Schreib- und Rechenkunst und Erfinder der Schrift, mit einem Ibiskopf, aber auch als Ibisvogel.
Der Tierkopf bezeichnet einen Wesensteil des Numen , den man meinte, so präzis und zugleich umfassend, nicht gültiger ausdrücken zu können.“ (2. S. 8).

Die Ägyptischen Götter waren meist zuerst Lokal-Gottheiten, vielleicht manchmal Naturwesen (Devas), deren Verehrung im Volk tief verwurzelt war:

„Doch hinter den Hunderten von Göttern verbirgt sich letztendlich nur der eine Hauptgott. Der große Sonnengott, der an sich unfassbar, heilig und anonym bleibt, personifiziert sich uns in einem breiten Fächer von Göttern, männlichen und weiblichen.“ (6).

Wie in anderen Religionen der Antike waren auch in Ägypten, zumindest in der Oberschicht, monotheistische Vorstellungen nicht unbekannt, und von der geistig führenden Schicht wurde immer wieder versucht, Ordnung in die Vielfalt der religiösen Vorstellungen zu bringen und sie ihrem philosophischen Monotheismus anzugleichen.

Das Volk, unterstützt von Priestern, widersetzte sich religiösen Reformen, und so scheiterte beispielsweise Echnatons (Amenophis IV, 1364-47 v.Chr.) revolutionärer Versuch, die verschiedenen Götter und Kulte durch eine monotheistische Lehre zu ersetzen, unter anderem an dieser starken Traditionsgebundenheit des Volkes. (3, S. 59).

Mittler zu den Göttern

Zentren des Götterkultes waren die Tempel. Deren wichtigster Teil ist Sekor, die Kapelle, das Allerheiligste. Ein niedriger, dunkler Raum, in dem sich ein Bild der Hauptgottheit befand, der Priester in einem täglichen Ritual opferten und huldigten. Die Gläubigen durften sich dem Götterbild nur an Feiertagen nähern, an denen es, mit Tüchern verhüllt, aus dem Tempel getragen wurde. Dann konnte jeder zu der Gottheit beten oder Fragen an sie stellen. Zustimmende oder ablehnende Antworten zeigten sich in den Bewegungen des Bildes.

Wichtigster Mittler zu den Gottheiten war der Pharao, der diese im Allerheiligsten direkt befragen konnte, und Antworten von ihnen erhielt, die wir uns heute nur noch als Manipulationen der Priesterschaft erklären können. Jedem Besucher Ägyptens fallen die fast an jedem Tempel befindlichen, in Stein gehauenen großen Bilder auf, die zeigen wie ein Pharao einem Gott opfert und so den Schutz der Gottheit für das Land garantiert.

Nach seinem Ableben wurde der Pharao zum „Osiris“, der nun vom Jenseits aus sein Land beschützt. So entstand der aus heutiger Sicht unverständliche Personenkult um den Pharao, als dem unentbehrlichen Fürsprecher bei den Gottheiten.

Fortsetzung „Religionen der Antike“ III.

LITERATUR:
(1) Barnett, Mary: „Götter und Mythen des alten Agypten“, Gondrom, Bindlach, 1998.
(2) Brunner-Traudt, Emma/Brunner, Hellmut: „Osiris, Kreuz und Halbmond“, Philipp von Zabern, Mainz, 1984.
(3) Drionton, Étienne: „Die Religionen des Alten Orients“, Pattloch, Aschaffenburg, 1963.
(4) Friedell, Egon: „Kulturgeschichte Ägyptens und des Alten Orients“, DTV, München, 1982.
(5) Morenz, Siegfried: „Ägyptische Religion“, W. Kohlhammer, Stuttgart, 1977.
(6) http://www.aegypten-rundreise.de/religion.htm.
(7) http://religion.orf.at/tv/lexikon/le_aegypten08.htm.