Kategorien
Religionsgeschichte

Religionen der Antike X: Ein persischer Wahrheitsbringer: Zarathustra

(Veröffentlich in GralsWelt 20/2001).

In Deutschland ist der Name Zarathustra (griech. Zoroaster) besonders durch Friedrich Nietzsche bekannt geworden, dessen Hauptwerk den Namen des persischen Priesters trägt. Allerdings hat Nietzsches philosophische Kunstfigur mit diesem Vorbild nur den Namen gemein.

„Man hat mich nicht gefragt, man hätte mich fragen sollen, was gerade in meinem Munde, im Munde des ersten Immoralisten, der Name Zarathustra bedeutet: denn was die ungeheure Einzigkeit jenes Persers in der Geschichte ausmacht, ist gerade dazu das Gegenteil. Zarathustra hat zuerst im Kampf des Guten und Bösen das eigentliche Rad im Getriebe der Dinge gesehen: die Übersetzung der Moral ins Metaphysische, als Kraft, Ursache, Zweck an sich ist sein Werk.“                     Friedrich Nietzsche (1844-1900).

Wie Nietzsche selbst sagt, ist der religiöse Reformator ein Gegenpol zu der atheistisch-nihilistischen Denkweise des deutschen Philosophen.

Was wissen wir von dem altpersischen Religionsgründer, der möglicherweise als Erster von dem einzigen Gott kündete?

Das Leben Zarathustras
In grauer Vorzeit lebte in Persien ein religiöser Reformer, dessen Lehren sich nur mühsam aus lückenhaften Überlieferungen rekonstruieren lassen. Wann er lebte ist ungewiss; Schätzungen schwanken zwischen 600 v. Chr. und 1.500 v. Chr. Philologen und Archäologen liegen in ihren Zeitangaben weit auseinander. Sollte die letztgenannte Zeit (um 1.500 v.Chr.) zutreffen, so hätte Zarathustra vor Echnaton (Amenophis IV., 1384-1347 v. Chr.), Moses (um 1.225 v. Chr.), die beide monotheistische Religionen verkündeten, und lange vor Buddha (560-480 v. Chr.) gelebt. Er wäre der erste Monotheist der Religionsgeschichte.

Zarathustra war ein ausgebildeter Priester aus angesehener, adeliger Familie, der sich gedrängt fühlte, die in seiner Heimat praktizierte altarische Religion zu reformieren.

Die vorzarathustrische Gesellschaft war in 3 Stände gegliedert: Adel, Priester, Bauern und Hirten, mit dem Kriegeradel als herrschende Klasse.

Man verehrte eine Vielzahl von Göttern mit Mithra als oberstem Gott, den die Griechen Zeus gleichstellten.

Die religiösen Riten, unter dem Einfluss von Haoma (indisch „soma“, einem Rauschmittel), gipfelten in orgiastischen Ausschreitungen, die bis zur Raserei gingen. Dabei wurden Tiere, z.B. Ochsen, grausam geopfert.

So weit überliefert, verließ Zarathustra als Zwanzigjähriger seinen Geburtsort (entweder Raga im Westiran oder Shiz am Urmiasee im heutigen Aserbaidschan) und widmete sich religiösen Betrachtungen. Im Alter von 30 Jahren erschien ihm am Fluß Daitya (Oxus) der Engel Vohu Mano (guter Sinn) und führte ihn zum Thron des höchsten Gottes Ahura Mazda, der sich ihm offenbarte. Zarathustra hatte also ein Berufungserlebnis, wie es ähnlich alttestamentliche Propheten und auch Mohammed berichteten.

Danach versuchte Zarathustra 12 Jahre lang vergebens Anhänger für seine „Offenbarungsreligion“ zu gewinnen. Erst nachdem es ihm gelungen war in Baktrien (Ostiran) den Fürsten Vishtaspa und dessen Gemahlin, sowie den Hofadel zu bekehren, erlangte Zarathustra Einfluss. Als ein Nachbarfürst Vishtaspa überfiel und in dessen Hauptstadt eindrang, wurde Zarathustra im Alter von 77 Jahren im Kampf getötet.

Die Lehren des Zarathustra
Zarathustra verurteilte blutige Opfer und den Gebrauch des Haoma. Die Verehrung zahlreicher Gottheiten, Devas genannt, wollte er durch seinen Monotheismus überwinden. Er verkündete den höchsten Gott, Ahura Mazda, den Schöpfer aller Dinge, von dem alles Gute ausgeht.

Es gibt aber auch zwei Triebkräfte (mainyus) mit denen der Mensch konfrontiert ist. Die eine ist „spenta“ (heilig, tugendhaft) und Ahura Mazda zugeordnet, die andere ist „angra“ (böse, feindselig). Spenta Mainyu und Angra Mainyu stehen sich unversöhnlich gegenüber und jeder Mensch ist aufgerufen, sich zu Spenta Mainyu als dem Urheber von Leben und Fortschritt zu bekennen, und sich von Angra Mainyu abzuwenden, der Nicht-Leben und Rückschritt bedeutet.

Zum vermutlich ersten Mal erscheint in der Religionsgeschichte die Dualität zwischen Gut und Böse, die sich auch im Christentum als Kampf zwischen Jesus und Luzifer fortsetzt.
Einen Kompromiss zwischen beiden konträren Prinzipien gibt es für Zarathustra nicht. Gut und Böse stehen sich schroff entgegen, bis am Ende der Tage Ahura Mazda ein Endgericht erzwingt, in dem Gute wie Böse ihren Lohn erhalten. Das ist die große Entscheidung, auf die der ganze Weltenlauf hinzielt. Dieses Weltgericht taucht hier zum ersten Mal in einer Religion auf; erst später werden jüdische, christliche, islamische Prediger vom „jüngsten Gericht“ sprechen.

Auf Zarathustra geht auch die Lehre von den Weltzeitaltern zurück, die später bei christlichen Mystikern wie Joachim von Fiore (um 1130-1202) eine wichtige Rolle spielt. Zarathustra spricht von 4 Zeitaltern zu je 3.000 Jahren, so dass der ganze Zyklus der Welt 12.000 Jahre dauert. Wir lebten demnach im letzten dieser Zeitalter, in dem nach jeweils 1.000 Jahren ein Begnadeter erscheinen soll, bis der letzte dieser Gottgesandten, der Saoshyant (Helfer) die Auferstehung der Toten herbeiführt. Darauf folgt der Endkampf, der mit der Vernichtung Angra Mainyus und alles Bösen endet.

Neben Ahura Mazda als Höchstem und dem Gegensatzpaar Spenta Mainyu – Angra Mainyu kennt die zoroastrische Religion noch eine Hierarchie von Geistern, die Engeln, Wesenhaften (Devas), Dämonen und Teufeln entsprechen.

Das von Zarathustra geforderte gute Handeln verlangt neben gütigem Betragen auch den Kampf gegen Glaubensfeinde, die „Genossen der Lüge“. Die Anhänger Zarathustras sind verantwortlich für ihr Denken und Tun; nicht nur sofern es Menschen betrifft sondern auch gegenüber Tieren, besonders gegenüber dem Rind. Der gewissenhafte Viehzüchter ist für Zarathustra das Sinnbild für einen frommen Menschen. Diese Anschauung war zu seiner Zeit nicht ohne sozialen Sprengstoff, da die Viehzüchter zur untersten gesellschaftlichen Klasse gezählt wurden. (Auch in der Bibel wird der „Gute Hirte“ gelobt).

So muss sich jeder Mensch in seinem Handeln zwischen Gut und Böse entscheiden. Nach seinem Ableben darf er dann entweder ins Paradies oder muss in die Hölle. Für solche, deren gute und schlechte Taten sich die Waage halten, gibt es einen Zwischenzustand. Am Weltende werden dann Seele und Körper neu zusammengefügt und im Weltgericht über jeden Einzelnen endgültig entschieden. Entsprechende Vorstellungen von Paradies, Fegefeuer, Hölle, Auferstehung der Toten und jüngstem Gericht finden sich im Christentum wieder.

Auch das Problem der Theodizee tritt erstmalig bei Zarathustra auf: die Frage, ob Gott gleichzeitig gut und allmächtig sein kann, wenn er so viel Böses in der Welt duldet. (Lesen Sie dazu „Weshalb lässt Gott das alles zu?“, unter „Religionsgeschichte“).

Zarathustra kündet, dass ein guter Gott nichts Übles hervorbringe, so dass für alles Übel ein „Gegengott“, ein abgefallener Geist verantwortlich sei; eine Schau, die das Christentum übernommen hat.

Der zoroastrische Kult
Im Kult der Zoroastrier spielt das Feuer eine zentrale Rolle. Im Tempel brennt das „heilige Feuer“, fünfmal am Tage von einem Priester geschürt, und in jedem Heim brannte ein Herdfeuer, das doppeltem Zwecke diente: Die Mahlzeiten wurden darauf gekocht, und es musste sorgsam rein gehalten werden, damit die Familiengebete an ihm gesprochen werden konnten. Das Feuer durfte nicht verunreinigt werden, z.B. durch Verbrennen von Abfall, nur sauberes, trockenes Holz war zu verwenden.

Die Verbrennung von Leichen, die als unrein galten, kam so wenig in Betracht wie eine Erdbestattung, welche die Erde verunreinigen würde. So gibt es noch heute in Indien die „Türme des Schweigens“, in denen „Parsen“ ihre Toten den Geiern überlassen.

Der Zoroastrismus nach Zarathustra
Nach Zarathustras Ableben breitete sich die von ihm gekündete Lehre über Persien aus. Im persischen Großreich des 3. und 4. vorchristlichen Jahrhunderts wurde der Zoroastrismus zur Staatsreligion. Von da an hielten die Perser an ihrer besonderen Religion fest, bis 641 n.Chr. islamische Araber das Perserreich eroberte.

Von da an wurden die Anhänger des Zarathustra in ihrer Heimat unterdrückt und viele ihrer heiligen Schriften verbrannt. Erst im 20. Jahrhundert wurden die Repressalien gegen Nicht-Muslime im Iran gelockert.

Im Jahre 936 n.Chr. wanderten viele Anhänger Zarathustras nach Indien aus. Dort mussten diese „Parsen“ sich an die Gepflogenheiten ihrer neuen Heimat anpassen, durften aber ihren Glauben bewahren. Heute bilden sie die größte geschlossene Gruppe, die sich zum Zoroastrismus bekennt.
Kleinere zoroastrische Gemeinden gibt es in England, Kanada, den USA. Diese stehen vor dem Problem, sich der westlichen Umgebung anzupassen ohne ihre religiöse Identität zu verlieren. –

DAS AVESTA
Das Awesta, die heilige Schrift der Zoroastrier, wurde erst ziemlich spät kodifiziert, etwa zur Zeit des Sassanidischen Königs Shapur II. (309-379 n.Chr.). Vom Awesta ist gegenwärtig etwa ein Viertel erhalten, der Rest fiel Arabern und Mongolenstürmen zum Opfer.
Das Awesta besteht aus:
1. Den Gathas, den Originalzitaten Zarathustras
2. Den Yasnas, das sind liturgische Texte
3. Den Vispered, d. i. eine Liturgieschrift mit Lobgesängen
4. Den Venidad, d.i. ein priesterlicher Verhaltenskodex
5. Den Yashts, eine hymnische Opferliedsammlung
6. Dem Khorda, ein Andachts- und Gebetbuch
Die Yashts und die Yasnas werden als ähnlich alt wie die Gathas angesehen, obwohl ihre sprachliche Gestalt etwas jünger wirkt.

KLEINES GLOSSAR ZUM ZOROASTRISMUS

Ahura
Guter Geist, im Gegensatz zu den Devas. In Indien sind Devas die Guten und Ahuras die Üblen, genau umgekehrt wie bei Zarathustra.

Ahura Mazda (allweiser Herr)
Für Zarathustra ist Ahura Mazda der eine, wahre, allmächtige und allweise Schöpfergott, der sich von vorzarathustrischen Gottheiten unterscheidet. Dieser einzige Gott ist etwas grundlegend Neues, das überkommene Vorstellungen von Gottheiten überwindet. In den Gathas sagt Zarathustra:
„Wer ist der Erzeuger, der Urvater des göttlichen Rechtes?
Wer setzte die Bahn fest der Sonne und den Sternen?
Wer ist’s, durch den der Mond bald zunimmt und bald schwindet?
Wer hält die Erde unten, wie auch die Himmelsgewölbe,
Dass sie nicht stürzen? Wer die Gewässer und die Pflanzen?
Wer schirrt dem Winde und den Wolken das Rennzwiegespann vor?
Welcher Meister schuf die Lichter und die Finsternisse?
Welcher Meister schuf Schlaf und Wachen?
Wer ist’s, durch den Morgen Mittag und Abend sind,
Den Verantwortungsbewussten an seine Pflicht mahnend?“ (3, S. 185)

Angra Mainyu, Ahriman (arger Geist)
Bei Zarathustra ein Zwillingsbruder des Spenta Mainyu. Angra Mainyu entscheidet sich gegen die „Ordnung der Wahrheit“ und für die Lüge und wird zum Ursprung des Bösen. Er wurde mitsamt den Engelscharen, die sich ihm angeschlossen hatten, von Spenta Mainyu gestürzt:

„Als aber diese beiden Geister aufeinandertrafen, das stifteten sie erstmals Leben und Tod, und dass am Ende
Bösestes Dasein harrt der Lügenknechte – des Rechtgläubigen aber der beste Sinn..
Von diesen beiden Geistern erkor sich der Lügengeist, Böses zu wirken,
Das göttliche Recht aber erwählte der Heiligste Geist, der die festesten Himmel zum Gewand hat,
Und erwählen all jene, die willig den Allweisen Herrn durch lautere Taten zufriedenzustellen trachten.“ (3, S. 170).

Durch den Abfall Angra Mainyus und der von ihm verführten Devas war erstmals der Tod entstanden, der – wie in der Bibel – als Trennung von Gott, dem ewigen Lebensquell gedeutet wird.

Awesta (Wissen, Grundtext)
Die Awesta ist die heilige Schrift des Zoroastrismus, von der nur etwa ¼ erhalten ist. Der älteste Teil, die Gathas, werden Zarathustra zugeschrieben. Die Urschriften des Awesta sind in altiranischer Sprache verfasst, die man schon im Altertum teilweise nicht mehr verstand. Zoroastrische Priester fertigten daher Übertragungen ins Mitteliranische an und verfassten Kommentare. Dieses Zweitschrifttum wird als „Zend-Awesta“, als „Kommentar und Grundtext“ bezeichnet.

Deva, Daeva
Götterbezeichnung die dem lateinischen „deus“ entspricht. Zarathustra bekämpfte die altpersische Religion, die der vedischen Religion der Inder ähnlich war, und deutete die Devas im Sinne von Dämonen.
In der heutigen Esoterik werden Engel bzw. Naturwesen (Wesenhafte) gelegentlich als Devas bezeichnet.

Gathas
Der älteste Teil des Awesta, der auf Zoroaster selbst zurückgehen soll.
Die Gathas sind in einer sehr altertümlichen Sprache abgefasst, die besondere poetische Formen ermöglicht, welche die Gathas zu einem dichterisch-religiösen Kunstwerk ersten Ranges machen. Diese Kunstfertigkeit des Dichters ist in Übersetzungen nicht zu vermitteln.

Haoma
Altiranischer Name einer heil- und zauberkräftigen Pflanze der Gattung Ephedra, aus der ein Rauschtrank bereitet wurde. Er spielte bei Tieropfern, besonders im Kult des Mithra, eine wichtige Rolle. Wurde von Zarathustra verboten.

Mazdaismus (nach Ahura Mazda)
Bezeichnung für die Lehre des Zarathustra, dessen Anhänger auch als „Mazdayasnier“ bezeichnet werden.

Parsen, Parsi
Die Nachfahren jener Perser, die den Islam nicht annehmen wollten und im 10. Jahrhundert nach Indien auswanderten, wo sie nur untereinander heirateten. Sie bilden in Indien bis heute eine geschlossene Gemeinschaft von etwa 100.000 Personen.

Spenta Mainyu (heiliger Geist)
Zarathustra sieht in Spenta Mainyu den Erstlingsgeist und Sohn Gottes. Er hat auf Weisung des Vaters alle Dinge geschaffen, darunter die Welt der Tiere, Pflanzen und Gewässer. Gewandet mit den festen Himmeln, wohnt er als Herr des Reiches im Paradies, das er im Auftrag Gottes sich entfalten lässt. Mit Gott zusammen hat er die rechte Ordnung, die Gesetze und den Heilsplan ersonnen. Am jüngsten Tag wird er auf Gottes Geheiß über Gerechte und Ungerechte richten; denn er kennt den geheimen Ratschluss des Vaters, mit dem er in Ewigkeit eins ist. (Nach 3, S. 137).

Zervanismus
Eine Lehre innerhalb des Zoroastrismus, die in der Sassanidenzeit (224-642 n.Chr.) aufkam. Sie will den Dualismus zwischen Ahura Mazda und Ahriman überwinden durch den monistischen Gedanken, beide seien aus „zervan akarnan“ (der ausdauernden Zeit) hervorgegangen.

Zoroastrismus
Bezeichnung für die von Zarathustra (Zoroaster) gegründete Religion, die nach seinem Tode Veränderungen erfuhr.
Als Symbol des zoroastrischen Glaubens gilt der Flügelmensch, d.h. der weiblich gedachte Genius des Ahura Mazda. Er wird als Mensch dargestellt, der sich in einer geflügelten Sonnenscheibe befindet.

Literatur:
(1) Eliade, Mircea/Coulino, Ioan P. „Handbuch der Religionen“, Artemis & Winkler, Zürich/München 1990.
(2) Glasenapp Helmuth „Die nichtchristlichen Religionen“, Fischer, Frankfurt 1957.
(3) Hinz, Walther „Zarathustra“, W. Kohlhammer, Stuttgart 1961.
(4) König, Franz „Christus und die Religionen der Erde“, Herder, Freiburg 1951.
(5) Tworuschka, Monika und Udo „Religionen der Welt“, Orbis, München 1996.
(6) Widengren, Geo „Die Religionen Irans“, Kohlhammer, Stuttgart 1965.