Kategorien
Ökologie

Macht euch die Erde untertan

Was heißt in Wahrheit Naturliebe, Naturschutz, Tierschutz?

(Veröffentlicht in GralsWelt 4/1997)

Wer sich ernsthaft mit Tierschutz beschäftigt, wer die Liebe zur Natur und Pflanzenwelt entdeckt, steht bald vor entscheidenden Fragen: Leiden auch Pflanzen und Tiere? Haben sie ein Bewusstsein? Oder hat der Mensch, wie es die christliche Ethik lehrt, wirklich das Recht, sich die Erde untertan zu machen, weil er angeblich das einzige Wesen mit einer unsterblichen Seele ist? Auf den Spuren der Begriffe Naturliebe, Naturschutz und Tierschutz gehen wir unserem anthropozentrischen Weltbild auf den Grund.

Noch vor wenigen Jahrzehnten waren Tierschutz und Naturschutz Betätigungsfelder für kleine Gruppen von Idealisten, deren Bemühungen von den meisten Menschen als nicht besonders wichtig angesehen wurden. Erst in jüngerer Zeit werden die Anliegen der Naturschützer öffentlich deutlich stärker beachtet: Jede Tageszeitung berichtet vom Waldsterben, von Ozon-„Löchern“, von der Verpestung von Wasser und Luft oder dem zunehmenden Aussterben ganzer Tier- und Pflanzenarten. Denn immer neue Katastrophenmeldungen aus der Umwelt erschrecken die Bürger und stellen die zuständigen Institutionen vor Probleme, derer sie sich kaum mehr zu erwehren wissen.

Was sich allerdings noch nicht geändert hat, ist unsere Grundeinstellung zur Natur, unsere irrige Meinung, dass die ganze Erde zur beliebigen Verfügung des Menschen geschaffen sei; kurz: jene im Abendland als natürlich empfundene Fehlhaltung, die als „anthropozentrische Ethik“ bezeichnet wird.

Die anthropozentrische Ethik

Wenn wir im Abendland von „Ethik“ sprechen, dann unter der selbstverständlichen Voraussetzung, dass alles ethische Denken, Wollen und Handeln einzig auf den Menschen zu beziehen sei. So lässt und ließ sich im Laufe der Geschichte aus dieser Ethik auch ohne weiteres ableiten, dass das Wohl des Menschen immer Vorrang vor anderen Werten habe, z.B. Vorrang auch vor dem Lebensrecht von Pflanzen und Tieren.

Selbst wo wir von Naturschutz sprechen, steht doch das „Wohlergehen“ des Menschen im Vordergrund, ja häufig nicht einmal dies, sondern nur seine finanziellen Interessen.

Wer könnte es wohl wagen, ernsthaft eine Begrenzung der Weltbevölkerung oder eine Verminderung des Bruttosozialproduktes zu fordern, um durch diese Einschränkungen vom Aussterben bedrohten Tier- oder Pflanzenarten ein Überleben zu sichern? Ernst nimmt man die Argumente der Umweltschützer – wenn auch ungern – allenfalls dann, wenn sie auf den Zusammenhang zwischen gesunder Natur und dem Wohlbefinden des Menschen hinweisen können.

Dabei wird uns nur ausnahmsweise bewusst, dass wir ganz gewohnheitsmäßig stets den Menschen, und nur den Menschen im Mittelpunkt sehen und guten Gewissens für die Bedürfnisse einiger oder auch vieler Menschen – z.B. für deren Essgewohnheiten – vielfache Leiden von Tieren in Kauf nehmen.

Auch unser Grundsatz „Leben ist das höchste Gut“ gilt selbstverständlich für menschliches Leben allein. So heißt es beispielsweise bei der Diskussion um Tierversuche regelmäßig: „Es geht darum, ob mit Hilfe dieser Versuche einer großen Zahl von Menschen Leid zu ersparen ist.“

Diesen Grundsatz in Frage zu stellen, käme vielen Menschen vermutlich sogar unmenschlich vor. Das Leid von Tieren fällt gegenüber dem Leid von Menschen nach herrschender Überzeugung eben kaum ins Gewicht. Extrem ausgedrückt, gilt uns das Leben eines Menschen mehr als das aller Pflanzen und Tiere zusammen.

Unterstützt wird diese höchst egoistische Schau von zwei ganz verschiedenen Richtungen, die sich sonst nicht gerade gut vertragen: der Religion und dem Materialismus.

Die christliche Ethik

In der christlichen Ethik hält sich bis heute die Lehre, dass nur der Mensch eine unsterbliche und „vernünftige“ Seele besitze und dementsprechend zum Herrn der Erde bestimmt sei. Wer kennt es nicht, das vielzitierte Wort aus dem Alten Testament: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan, und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ (l. Mos. 1,28)

Dieser „christliche“ Standpunkt, der die anthropozentrische Ethik unterstreicht, war natürlich auch nicht dazu geeignet, extrem materialistischen Standpunkten einen Widerpart zu bieten, wie etwa den Hypothesen des Philosophen Descartes (1596 – 1650), der Tiere als gefühllose Reflexautomaten ansah, die die ihnen vom Menschen zugefügte Leiden gar nicht spüren.

Jeder, der ein Tier auch nur einige Stunden aufmerksam beobachtet, sieht zwar, dass eine solche Sichtweise nicht stimmen kann; doch wenn es um den sogenannten „Nutzen des Menschen“, etwa – als konkretes Beispiel – um den Profit der Agrarlobby geht, scheinen beide, christliche Theologie und abendländische Philosophie, bereit, dem Tier ohne weiteres Gemütsregungen, Leidensfähigkeit, seelische Entwicklungsmöglichkeiten abzusprechen; von Ausnahmen wie Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) oder Albert Schweitzer (1875 – 1965) einmal abgesehen.

Auch die letzten 150 Jahre naturwissenschaftlicher Forschung haben an diesem Standpunkt nicht viel ändern können – obwohl bewiesen wurde, dass auch der Mensch ein Produkt der Evolution ist und dass sich manches „Menschliche“ als Erbe aus dem Tierreich entpuppt.

Die Naturforscher erkennen heute zwar, dass die zweihundert Millionen Jahre der Entwicklung der Säugetiere, die den 10 Millionen Jahren der Entwicklung des „homo sapiens“ vorausgingen, in der menschlichen Psyche deutliche Spuren hinterlassen haben. Doch der Umkehrschluss auf die psychische Beschaffenheit hochentwickelter Tiere fällt offensichtlich schwer.

„Die Tiere leiden und erfüllen mit Ihrem Seufzen die Lüfte,
Die Wälder fallen der Vernichtung anheim,
Die Berge werden geöffnet und ihrer Metalle beraubt, welche in ihren Adern wachsen.
Aber das menschliche Verhalten ist schnell, jene zu loben und zu ehren,
Welche durch ihr Tun der Natur wie der Menschheit den größten Schaden zufügen.“

Leonardo DA VINCI (1452 bis 1519)

Der Umgang des Menschen mit der Kreatur

Das Debakel mit der Rinderseuche BSE (Spongiforme Enzephalopatie) war für viele der Anlass, sich wieder einmal mit den Zuständen in der Massentierhaltung vertraut zu machen.

Hühnerhaltung in Boxen mit der Grundfläche eines Esstellers; Schweine oder Kälber auf Gitterrosten zusammengedrängt; Rinderfutter, dem zu Mehl verarbeitete verendete Schafe oder der noch eiweißhaltigere Kot von Hühnern beigemischt wird: Das alles firmiert unter der Bezeichnung „artgerechte Tierhaltung“, und nur wenige bedrückt es, wenn diese armen Wesen als reine Produktionsfaktoren in ihrem kurzen Leben weder einen Hof, eine Wiese, noch Sonne und Himmel sehen. Es geht allein um die Steigerung der Produktion tierischer Produkte. Die Nutztiere sollen so schnell wie möglich zunehmen. Ihr Lebenszyklus von der Geburt bis zum Schlachthof muss kurz und profitabel sein.

Wirklich, die Agrarindustrie tut dabei ihr bestes, um uns den Appetit zu verderben. Aber sie beklagt sich, schreit nach Subventionen und Entschädigung, wenn der Fleischkonsum zurückgeht.

Lässt sich ein solcher Umgang des Menschen mit der ihm hilflos ausgelieferten Kreatur nun wirklich dadurch rechtfertigen, dass man dem Tier die Beseeltheit abspricht? Oder dass man sich gar zu der Behauptung versteigt, dass diese Ordnung eine vom Schöpfer gewollte sei? Dass er andernfalls auch keine Welt erschaffen hätte, in der die Beute dem Raubtier zufällt? Konsequenter Weise dürfte sich dieser unausgesprochenen Logik zufolge der schlimmste und rücksichtsloseste aller Räuber – der sich selbst „homo sapiens“ nennt – alles nehmen, was er nur zu erlangen vermag.

Wie aber sollten wir uns dem Tier gegenüber wirklich verhalten?

Bisher wurde gezeigt, dass die verbreitete Ethik des abendländischen Menschen einem verantwortungsbewussten Umgang mit der Kreatur nicht gerade förderlich war. Dementsprechend bestätigt fühlen sich bis heute die verschiedensten Interessengruppen in ihrem oft rücksichtslosen Umgang mit der belebten Natur. Natur- und Tierfreunde haben es nach wie vor schwer, gegen Tierversuche und Massen-Tierhaltung aufzutreten, und die Politik steht in der Regel auf der Seite der Industrie, für die Tiere nur „Sachen“ sind, die man als Versuchstiere verschleißen darf und mit denen man als „Produktionsfaktoren“ den „Sachzwängen“ entsprechend umspringen kann.

Wer seinen Hund brutal schlägt, kann als Tierquälerei vor Gericht kommen; wer Tausende von Tieren quält, leistet einen Beitrag zur Forschung oder zur Ökonomie.

Polemik führt jedoch nicht weiter. Um in der Frage des Natur- und Tierschutzes auf einen gemeinsamen Standpunkt zu kommen, brauchen wir zunächst eine brauchbare Grundlage. Diese gemeinsame Basis werden wir nur finden, wenn wir endlich erkennen, dass es sich bei unserer Einstellung zur „Umwelt“ weniger um ein tierschützerisches, wirtschaftliches oder politisches Problem handelt, als vielmehr um eine Frage unserer Weltanschauung; denn eine übergeordnete Betrachtungsweise ist immer unvermeidlich, wenn man ein ernstes Thema erfassen möchte, wie es auch die Frage ist, was denn Naturliebe, Naturschutz und Tierschutz in Wahrheit heißt.

Ohne die Durchleuchtung des persönlichen inneren Weltbildes, das sich jeder Einzelne von uns – bewusst oder auch unterbewusst – macht, werden wir zu keinem sicheren Verhältnis zu der Natur, zu Tieren und Pflanzen finden.

Manfred Kybers Erzählung „Nachruhm“ (siehe Kasten) ist eine herausfordernde, ja geradezu beängstigende Schilderung, die eben unser persönliches Verhältnis zur Kreatur berührt, unsere Verantwortung ihr gegenüber. Wer sie liest, wird mit entscheidenden Fragen konfrontiert:

Hat diese Erzählung einen realen Hintergrund? Kann sie etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben (wobei es nicht darum geht, ob die Darstellung Manfred Kybers in allen Einzelheiten zutreffend ist)? Enthält diese Erzählung – gleich vielen Märchen und Sagen, an die ihr Stil erinnert – vielleicht gar Wahrheit?

Kann es also tatsächlich sein, dass wir im Jenseits für unsere diesseitigen Handlungen Rechnung legen müssen? Dass wir Verantwortung tragen für jeden unserer Gedanken, für jedes Wort und jede Tat? Sollte diese Verantwortlichkeit über unser Erdenleben hinaus reichen? Kann es sein, dass die Folgen unserer Taten uns treffen müssen – sei es noch auf Erden, sei es im sogenannten „Jenseits“, oder sei es in einem neuen Leben, wieder hier auf der Erde?

Wenn ja, so müsste es doch unser erstes und wichtigstes Anliegen sein, diese alles umfassende höhere Gerechtigkeit zu beachten, damit wir uns nicht in die Folgen unseres Tuns verstricken und von dieser Gerechtigkeit hart gebeutelt werden müssen. Aber bevor wir nicht wissen, wozu wir leben und was wir auf dieser Erde sollen, werden wir keine Lebensfrage zutreffend beantworten können.

Auch die Antwort auf die Frage, was denn Naturliebe, Naturschutz und Tierschutz in Wahrheit heißt, hängt ganz entscheidend von unserem Weltbild ab: Wenn wir in der Natur nur ein Ausbeutungsobjekt sehen; wenn wir glauben, so leben und handeln zu können, als ob wir noch viele weitere Erden zur Verfügung hätten, auf die wir umsiedeln können, nachdem wir unseren jetzigen Heimatplaneten zerstört haben, so wurzelt dies alles tief in einer bestimmten Weltanschauung, die, den meisten Beteiligten noch unbewusst, in immer schärferen Gegensatz zur Wirklichkeit gerät.

Wie stehen wir zur Natur?

Mehrheitlich stützt man sich heute auf wissenschaftliche Lehren, wenn es um weltanschauliche Fragen geht und glaubt, alle Probleme nur mit entsprechend wissenschaftlichen Methoden anpacken zu können. Wenn sich irgend etwas in unserer Gesellschaft oder auch in der natürlichen Umwelt nicht wunschgemäß entwickelt, dann sollen Wissenschaftler Wege zur Abhilfe finden. Forschungsaufträge sind zu vergeben, Gesetze zu verabschieden, die Bürokratie ist auszubauen, und vor allem sind die dafür erforderlichen Geldmittel bereitzustellen.

Gelingt es auf solchen Wegen nicht, eine gefährliche Entwicklung in den Griff zu bekommen; wächst z.B. das Ozonloch trotz aller internationalen Konferenzen und politischen Absichtserklärungen weiter, dann steht man verständnislos vor den Folgen des Fortschritts, die zwar niemand bewusst wollte, aber die auch keiner mehr unter Kontrolle bekommt.

Der moderne Mensch vermeint eben alles „von außen“, also mit dem Intellekt, mit wissenschaftlichen Methoden angehen zu müssen.

Die Begründung für solches Vorgehen liefern moderne, materialistische Denkgebäude, welche lehren, dass unsere Welt nur durch Zufall entstanden sei, dass die Evolution des Lebens, einschließlich der Entwicklung des Menschen, folglich ein sinn- und zweckloses Spiel des Zufalls wäre.

Und sofern man ernstlich wähnt, dass die ganze Harmonie des Kosmos das Ergebnis blinden Zufalls sei, ist natürlich auch der Gedanke naheliegend, dass mit gezieltem Nachdenken und durch intensives Forschen Besseres zu erreichen sein müsste, als der ungelenke, blinde Zufall während der Naturgeschichte es vermochte.

Diese verbreitete Denkhaltung, die – wenn auch meist nur unausgesprochen – auf so gut wie allen unseren Schulen gelehrt wird, öffnet dann Tore für jeden Eingriff in die Natur und für jeden Übergriff auf ihre Lebensformen.

Die Anhänger dieser modernen Irrlehre sind geneigt, vieles, vielleicht alles zu riskieren, um den technischen und den ökonomischen Fortschritt weiter voranzutreiben. Ob Atomtechnik oder Genmanipulation – der an materialistische Weltbilder glaubende Mensch wird kein Risiko scheuen, wenn es nur Gewinn oder weiteres Wirtschaftswachstum verspricht.

Von Jahr zu Jahr wird es allerdings schwieriger, das naturfremde Kunstgebilde unserer naturwissenschaftlich-technischen Zivilisation vor dem Absturz zu bewahren. Die zur Erhaltung dieses rein materialistischen Systems erforderlichen Eingriffe werden immer drastischer und riskanter; die Gefahr wächst, dass dieser gegen die Natur errichtete Babylonische Turm außer Kontrolle gerät und kippt.

Auf dem Gebiet des Umwelt- und Naturschutzes wird dies längst deutlich; doch nicht nur hier, sondern genau genommen in allen menschlichen Aktivitäten. So gut wie überall fehlt des Entscheidende: Die Leitlinie unentbehrlichen Schöpfungswissens.

Aber wo beginnen? Würde man zum Beispiel in einer Parlamentsdebatte über Naturschutzgesetze auf solche – von menschlicher Meinung unabhängige – Schöpfungstatsachen hinweisen, wie sie in Manfred Kybers Tiergeschichte im Anhang anklingen, so könnte man dadurch einzig erreichen, von der öffentlichen Meinung lächerlich gemacht zu werden.

Dabei müsste es doch eigentlich jedem logisch Denkenden einleuchten, dass es auch in den Fragen des Naturschutzes Naturgesetze geben könnte, also unabänderliche Gegebenheiten, die sich nach der Gesetzgebung von Staaten ebenso wenig richten, wie die Sonne in ihrem Wirken auf unsere Wünsche eingeht.

Der Mensch hat Gott vergessen

Wie wird sich unter solchen Voraussetzungen unsere Zukunft gestalten? Eines ist jedenfalls sicher: Mit den alten Rezepten werden sich die Probleme des Naturschutzes nicht meistern lassen, und alle Ansätze, die nur die Folgen menschlicher Fehlleistungen sanieren wollen, ohne dabei die tieferen Ursachen zu erkennen, werden fruchtlose Bemühung bleiben.

Die Zukunft wird von Staaten wie von jedem einzelnen Menschen mehr fordern, als sein Anklammern an das materialistische, menschenbezogene Weltbild, das zur Ausbeutung und Unterdrückung anderer Kreaturen geführt hat.

Alexander Solchenizyn hat schon vor mehr als einem Jahrzehnt dazu folgendes gesagt: „Vor mehr als einem halben Jahrhundert, noch als Kind, hörte ich, wie ältere Leute die ungeheuren Erschütterungen, von denen Russland damals heimgesucht wurde, so erklärten: ,Die Menschen haben Gott vergessen, daher kommt dies alles…‘

Wenn man mich nun auffordern würde, auch das wesentlichste Charakteristikum des gesamten 20. Jahrhunderts kurz zu benennen, dann finde ich dafür wiederum nichts Genaueres und Gewichtigeres als ,die Menschen haben Gott vergessen…‘

Wir sind Zeugen, sei es einer erzwungenen Zerstörung, sei es einer freiwilligen Selbstzerstörung der Welt. Das ganze 20. Jahrhundert wird in den Mahlstrom des Atheismus und der Selbstvernichtung hineingerissen. Und dieser Sturz der Welt ins Bodenlose trägt zweifellos globale Züge, ist unabhängig vom staatlichen, politischen System, vom ökonomischen und kulturellen Niveau, von nationaler Eigenart.“
(Alexander Solchenizyn: „Die Menschen vergaßen Gott, daher kommt alles.“ aus „
Die Welt“ Nr. 128 vom 4. Juli 1983).

Nicht nur unter Naturschützern finden sich immer mehr Menschen, die spüren, dass sich unsere Zivilisation fehlentwickelt hat. Sie suchen nach Wegen zur Abhilfe, möchten die Naturzerstörung bremsen, Tierversuche abschaffen oder andere ungesunde Entwicklungen stoppen. Doch in ihrem Bemühen stoßen sie auf andere, die wollen, dass der Fortschritt so weiter läuft wie bisher und die nicht einsehen möchten, dass wir so wie bisher nicht weiter machen dürfen.

Die Auseinandersetzungen um notwendige Maßnahmen zur Sicherung der Zukunft unseres Planeten und des darauf sich entwickelnden Lebens enden daher meist recht unerfreulich und alle begrüßenswerte Aufklärung kann nur Teilerfolge bescheren, so lange es an der unerlässlichen Kenntnis des ganzen Systems und seiner Gesetze fehlt. Ich nenne dieses System „die Schöpfung“.

Wir haben bereits festgehalten, dass die Mehrzahl der Menschen einem materialistischen Weltbild verhaftet ist. Als „Materialist“ wäre in diesem Zusammenhang ein Mensch zu bezeichnen, der aus Überzeugung nur die irdische Materie für wertvoll und wesentlich hält. Der Horizont eines solchen Menschen wird dann nicht über sein derzeitiges Erdenleben hinaus reichen, und den Hinweis auf übergeordnete Schöpfungszusammenhänge, die auch ins Jenseits reichen, wird er in das Reich des Aberglaubens verweisen. Menschen, die so denken, bestimmen derzeit jedoch die politische und die weltwirtschaftliche Bühne.

Neues Schöpfungswissen

Wenn Alexander Solchenizyn die Ursachen für die Katastrophen des 20. Jahrhunderts im Verlust des Glaubens an Gott sieht, so wäre zu ergänzen, dass wir allen Lebensfragen, auch der, was in Wahrheit Natur,- und Menschenliebe sei, nur gerecht werden können, wenn wir uns mit weiterführenden, also auch mit nicht-materiellen Zusammenhängen vertraut machen.

Dazu gehört in erster Linie das Wissen von einem Geschaffensein der Welt. Wir müssen uns die Erkenntnis zu eigen machen, dass auch unsere Erde zu einer erhabenen Schöpfung gehört. Sie, die Erde, ist ein winziger Teil eines göttlichen Werkes, von dessen wahrer Größe die stärksten Teleskope, die den Kosmos absuchen, nur einen geringen Abglanz ahnen lassen.

Dieses Universum entwickelt sich im Rahmen vollkommener Gesetze, die von dem ewigen Willen des vollkommenen Schöpfer-Gottes getragen sind. Jedes Menschen vornehmstes und wichtigstes Ziel ist, diese Gott- oder Naturgesetze zu erkennen, um sich darnach zu richten. Naturliebe, Naturschutz, Tierschutz werden sich dann aus dieser Grundhaltung zwingend ergeben.

Zu den Naturgesetzen gehört weit mehr, als die Gesetzmäßigkeiten von Physik und Chemie. Die Schöpfungsgesetze umfassen zum Beispiel auch die Lebensgesetze, die unser persönliches Sein im Diesseits wie im Jenseits absolut beherrschen. Eine Menschheit, die glücklich auf ihrem Planeten leben will, muss nach diesen höheren Gesetzmäßigkeiten forschen, sie erkennen und befolgen.

Auch für den Umgang mit der Natur müssen wir diese umfassenden Lebensgesetze beachten: Es reicht nicht, das Pflanzen- und Tierleben zu klassifizieren und so zu tun, als wäre die Erde unser Eigentum, ja unser Sklave, mit dem wir nach Belieben verfahren können.

Unsere Einstellung zu der uns vertrauten Erde mit ihren belebten Wesen, wird geprägt von unserem Verständnis dieser in die Natur eingeprägten Lebensgesetze. Diese zeigen uns auch die Stellung von Mensch und Tier in der Natur.

Aus dem zuerst nur störenden Menschen ist ein zerstörender geworden in allem, was er denkt und tut, wo er auch ist.

Er hat sich damit unter alle Kreatur gestellt.

Lernt die Natur erst einmal gründlich kennen, von der Ihr Euch schon lange abgewendet habt, dann ist es möglich, dass Ihr wieder Menschen werdet, die in Gottes Schöpfungswillen leben und damit durch die Natur Gesundheit ernten zu freudigem, aufbauendem Schaffen auf der Erde, das allein dem Geist zu seiner notwendigen Reife fördernd helfen kann!

Abd-ru-shin

Pflanze, Tier und Mensch

Wir Menschen sind Geschöpfe voller Widersprüche. Einerseits lehren wir, dass auch der Mensch als Produkt der Evolution aus dem Tierreich hervorgegangen sei und dem entsprechend der Tierwelt nahe stehe. Andererseits behandeln wir das Tier als reine „Sache“ und sprechen ihm eine Seele ab.

Um eine bessere Einsicht in die Zusammenhänge zu gewinnen, wäre als erstes die Stellung von Mensch und Tier in der Natur zu klären. Beginnen wir bei den Pflanzen, den primären Lebewesen, auf die alle anderen angewiesen sind. Pflanzen sind zweifellos belebt, sie verfügen über die für alles organische Leben typischen Funktionen Nahrungsaufnahme – Stoffwechsel – Wachstum – Fortpflanzung und unterscheiden sich damit grundlegend von der sogenannten „toten“ Materie.

Schon in der einfachsten Pflanze schafft also ein zusätzlicher Einfluss eine höhere Ordnung, als die uns bekannten chemischen und physikalischen Prozesse der „toten“ Materie alleine es vermöchten. Offensichtlich wirkt auch in der einfachsten Pflanze ein höheres Ordnungsprinzip, sie steht auf einer höheren Daseinsstufe als alles Unbelebte. Diesen belebenden Kraftstrom kann man als „Lebenskraft“ (vis vitalis), „Innenwesen“ oder auch als „Pflanzenseele“ bezeichnen.

Beim Tier begegnet uns mehr als die „vis vitalis“, nämlich bereits ein „Daseinsbewusstsein“. Dieses ist stärker oder schwächer ausgeprägt und weist darauf hin, dass das Tier eine „Seele“ hat. Die einzelne Tierseele rekrutiert sich dabei aus einer „Gruppenseele“.

Der Begriff „Gruppenseele“ will besagen, dass jedes Tier für das Leben auf der Erde ein Teilchen oder einen „Tropfen“ aus einer Schöpfungsart erhält, aus der viele gleichartige Tierseelen austreten, die sich gleichen wie ein Regentropfen dem anderen. Nach dem Ableben des Tieres geht seine Seele wieder in der großen Gruppenseele auf. Jede Seele bringt dabei Erlebtes und Erfahrenes in die Gruppenseele ein und trägt wiederum zu deren Entwicklung bei. Wer ein Bild wünscht, kann sich die Gruppenseele wie eine Wolke vorstellen, aus der sich Tropfen lösen, die einen Kreislauf auf der Erde beginnen, nach dessen Vollendung sie wieder in die Wolke eintreten.

Ich gehe davon aus, dass die irdische Evolution des Tierlebens mit der Entwicklung der Gruppenseele verbunden ist. Diese nahm das vielfache Erleben der von der Erde immer wieder zurückkehrenden Seelentropfen in sich auf, erstarkte, entwickelte sich und bildete nach und nach auch unterschiedliche Reifestufen aus. Diese Evolution muss noch nicht zu Ende sein.

Es ist also durchaus richtig, wenn wir von „höheren“ Tieren sprechen, die nicht nur einen differenzierteren Körperbau, ein leistungsfähigeres Gehirn, sondern auch eine entwickeltere Seele besitzen. Aus solchen hochentwickelten Tierarten rekrutieren sich unsere Haustiere (die wir neuerdings aber lieber als „Nutztiere“ bezeichnen und dementsprechend behandeln).

Der belebende Kern des Menschen hingegen stammt aus einer anderen Schöpfungsebene als die Tierseele. Während diese einen „wesenhaften“ Kern hat, besitzt der Mensch einen „geistigen“ Kern. Im Unterschied zur Gruppenseele ist der geistige Kern des Menschen bereits am Anfang seiner Entwicklung ein Individuum, ausgestattet mit Entscheidungsfähigkeit, verbunden mit Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen.

In der Natur unserer Erde können wir demnach folgende Stufen unterscheiden, die in der Entwicklung aufeinander aufbauen:

Unbelebt: sog. „tote Materie“
belebt: Pflanze
belebt mit Seele: Tier
belebt mit Geist: Mensch

Im Tier ist also ein beseeltes Mitgeschöpf zu erkennen, das Leid, Angst, Freude, Zuneigung fühlen kann. Hochentwickelte Tiere „erziehen“ ihre Kinder und opfern sich für ihren Nachwuchs notfalls sogar auf; sie stehen dem Menschen, was beispielsweise die „Mutterliebe“ angeht, nicht nach.

Wir haben also allen Grund, dem Tier – ohne dessen Sein auch wir nicht auf Erden leben könnten – mit der Achtung zu begegnen, die einem Mitgeschöpf gebührt, das vom Schöpfer gleich uns Lebensrechte und Entwicklungsmöglichkeiten auf dem Planeten Erde zugewiesen erhielt.

Wer immer mit Tieren in Kontakt kommt – gleichviel, ob es sich um einen Schoßhund, ein Zuchtschwein oder ein Versuchstier handelt – muss sich darüber im Klaren sein, dass er ein lebendiges Wesen vor sich hat, das Ergebnis einer Milliarden von Jahren währenden körperlichen und seelischen Evolution.

Wie wir mit diesen Mitgeschöpfen umgehen, lässt Schlüsse auf den geistigen und kulturellen Stand unserer Zivilisation zu. Wer meint, er habe das Recht, „zwischen dem Leiden der Menschen und dem Leiden der Tiere abzuwägen“, muss sich seiner Verantwortung gegenüber dem Schöpfer bewusst sein.

Wer Tiere aus Eitelkeit, Gewinnsucht oder sonstigen wenig edlen Bestrebungen leiden lässt, wird sich vor der unausweichlichen Wechselwirkung göttlicher Gesetze nicht hinter seiner vorgeschobenen Menschenliebe verstecken können.

Die folgende Geschichte Manfred Kybers kann als Warnung dienen, nicht zu leicht zu nehmen, was uns nach unserem Ableben in gerechtem Ausgleich begegnen kann. Auf irdische Gesetze und Vorschriften, auf die Ansichten von Kirchen, Philosophen und Ethikkommissionen werden wir uns dann ebenso wenig hinausreden können, wie auf die derzeit herrschende verbreitete Meinung.

Es wäre zu wünschen, dass sich das grundlegende Wissen vom Weiterleben nach dem Tode, vom Zusammenhang zwischen dem Denken und Handeln des Menschen und seinem Schicksal, allgemein durchsetzt. Dann würde es mehr verantwortlich Handelnde geben, die keiner Vorschriften oder Kontrollen bedürfen, um auch Pflanzen und Tiere in einer Weise zu begegnen, deren sie sich nicht zu schämen haben.

Nachruhm

Die Totenfeier am Sarge des berühmten Anatomen und Leiters des Physiologischen Instituts der alten Universität gestaltete sich zu einer ergreifenden Huldigung der akademischen Kreise vor den Verdiensten des großen Verstorbenen…

Der Priester hatte soeben seine Rede beendet, die allen tief zu Herzen gegangen war: „Er war ein vorbildlicher Mensch und ein vorbildlicher Gelehrter“, schloss er, „er war das eine, weil er das andere war, denn ein großer Forscher sein, heißt ein großer Mensch sein. Wir stehen an der Bahre eines ganz Großen, mit Trübsal in der Seele, weil er uns genommen ist. Aber mitnichten sollen wir trauern und wehklagen; denn dieser große Tote ist nicht tot, er lebt weiter und stehet nun vor Gottes Thron im vollen Glanz seines ganzen arbeitsreichen Lebens, wie es denn in der Schrift heißt: Sie ruhen von ihrer Arbeit, und ihre Werke folgen ihnen nach!“

Alle schwiegen ergriffen, und es fiel auch niemand auf, dass der Priester anscheinend eine Kleinigkeit vergessen hatte, nämlich die, dass der große Tote, der nun vor Gottes Thron stehen sollte, sein ganzes Leben lang für die Überzeugung eingetreten war, dass es gar keinen Gott gäbe. Aber solche Kleinigkeiten werden bei Grabreden meistens vergessen.

Hierauf erhob sich der Rektor der Universität mit der goldenen Amtskette um den Hals und sprach mit bewegter Stimme warme Worte des Nachrufes für seinen berühmten Kollegen: „Er war allezeit eine Zierde unserer alten alma mater und eine Zierde der Wissenschaft, der er sein ganzes Dasein geweiht hatte, ein Vorbild für uns und alle, die nach uns kommen werden, denn auf ewig wird sein Name in goldenen Lettern auf den Marmortafeln der menschlichen Kultur glänzen. Ich kann in ernsten und feierlichen Augenblick nur weniges aus der Überfülle seines Geistes herausgreifen, nur andeuten, wie er unermüdlich an unzähligen Tierversuchen Beweis auf Beweis gehäuft. Es ist nicht auszudenken, welche unerhörten Perspektiven sich mit diesen völlig neuen medizinischen Tatsachen der leidenden Menschheit und der Wissenschaft als solcher eröffnen.

Es hat unserem großen Toten nicht an reicher Anerkennung gefehlt, wie wir dankbar feststellen können, auch von allerhöchster Stelle sind ihm ehrenvolle Zeichen der Huld zuteil geworden,“ – alle Blicke richteten sich staunend auf das Samtkissen mit den Orden, die einige Pfund wogen – „ja, noch kurz vor seinem Tode war ihm die Freude, zum Wirklichen Geheimen Medizinalrat mit dem Prädikat Exzellenz ernannt zu werden, eine Ehrung, die mit ihm auch unsere ganze Hochschule als solche empfunden hat. So reich aber sein Ruhm auch war, noch reicher wird sein Nachruhm sein für alle Zeit, und wir, die wir ihm nachtrauern, wollen es ihm gönnen, dass er nun ruhe von seiner Arbeit, dass er auf der Asphodeloswiese lustwandele mit den großen Geistern aller Zeiten, zu denen ihn seine Werke erhoben haben, und so darf auch ich schließen mit den Worten meines geistlichen Vorredners: Und ihre Werke folgen ihnen nach!“

Alle waren voller Andacht, teils vor der europäischen Wissenschaft und teils vor dem Prädikat Exzellenz. Der Rektor Magnifikus hatte nur die Kleinigkeit außer acht gelassen, dass die europäische Wissenschaft die Asphodeloswiese eine Fabel nennt und von den großen Geistern der Vergangenheit behauptet, dass sie sich in chemische Substanzen aufgelöst haben. Aber das sind ja Kleinigkeiten, und es ist das Vorrecht der heute üblichen Bildung, ein griechisches Wort zu gebrauchen für etwas, bei dem man sich nichts mehr denkt.

Der Tote hatte die ganze Zeit dabeigestanden. Ihm war, als habe er sich eigentlich nicht viel geändert. Erinnerte sich nur, einen sehr lichten Glanz gesehen zu haben, dann war alles wieder wie sonst, und er wusste kaum, dass er gestorben war. Nur leichter war alles an ihm, keine Schwere mehr und keine grobe Stofflichkeit. Ein großes Erstaunen fasste ihn – es gab also doch ein Fortleben nach dem Tode, die alte Wissenschaft hatte recht, und die neue hatte unrecht. Aber es war schöner so, und es beruhigte ihn sehr, obwohl es anfangs etwas Quälendes hatte, dass er mit niemand mehr sprechen konnte, dass keiner seiner Angehörigen und seiner Kollegen merkte, wie nahe er ihnen war. Immerhin war es tröstlich, zu hören, wie man ihn feierte und dass man so zuversichtlich von Gottes Thron und von der Asphodeloswiese gesprochen hatte. Freilich – die Titel und Orden fehlten ihm, sie erschienen nicht mehr greifbar. Aber war er nicht immer noch der große Gelehrte, der berühmte Forscher? Hieß es nicht: und ihre Werke folgen ihnen nach?

Er war nun allein, die Umrisse des Raumes wurden dunkel und verschwammen ins Raumlose. Es war sehr still, nur ganz fern verklang das alte Lied, kaum noch hörbar: Wenn wir zieh’n in Salem ein – in die Stadt der goldenen Gassen…

Das würde nun erfolgen, vielleicht gleich. Eine große Spannung erfüllte ihn; aber in dieser Spannung war etwas von Angst, etwas Unsagbares, eine große bange Frage, die ihn ganz ausfüllte. Es war auch so dunkel geworden, man konnte nichts mehr sehen.

Dann wurde es hell, und ein Engel stand vor ihm. Also auch das gab es. Dann würde es ja auch einen Gott geben und die vielen Toten, die lebendig waren, und das geistige Jerusalem. Wie schön war das alles! Aber der Engel sah ernst und sehr traurig aus.

„Wohin willst du?“ fragte er.

„Ins Paradies“

„Komm!“ sagte der Engel.

Große, dunkle Tore öffneten sich lautlos, und sie traten in einen Raum, der grell erleuchtet war. Die Wände waren blutrot, und auf dem Boden hockten unzählige verstümmelte Tiere und wimmerten. Sie streckten die zerschnittenen Glieder nach dem Toten aus und sahen ihn aus geblendeten und erloschenen Augen an. Immer weiter, ins Unabsehbare, dehnte sich Ihre Reihe. „Hier sind die Hündinnen, denen du bei lebendigem Leibe die Jungen herausgeschnitten hast. Hattest du keine Kinder, die du liebtest? Wenn deine Kinder sterben, und sie suchen den Vater im Paradies, so werden sie dich hier finden. Es ist das Paradies, das du dir geschaffen hast. Hier sind die Katzen, denen du das Gehör zerstört hast unter grässlichen Martern. Gott gab ihnen ein so feines Gehör, dass es ein Wunder der Schöpfung ist. Du wirst nichts mehr hören als das. Hier sind die Affen und Kaninchen, denen du das Augenlicht nahmst. Sahst du nicht auch die Sonne dein Leben lang? Du wirst nun nichts mehr sehen als diese geblendeten und erloschenen Augen. Soll ich dich weiter führen? Es ist eine lange, lange Reihe.“

„Das ist entsetzlich“, sagte der Tote.

„Das ist es“, sagte der Engel.

„Leben dann alle diese Tiere weiter?“ fragte der Tote.

„Alle diese Tiere leben bei Gott“, sagte der Engel, „du kannst nicht dorthin, denn sie stehen davor und klagen dich an, sie lassen dich nicht durch. Was du hier siehst, sind ihre einstigen Spiegelbilder, es sind deine Werke, und sie bleiben bei dir. Du wirst alle Qualen an dir erfahren, bis du wieder zur Erde geboren wirst, um zu sühnen. Es ist ein langer und trauriger Weg. Aber sie werden nicht deine einzigen Gefährten sein, du hast noch einen anderen, sieh her, wer vor dir steht inmitten all deiner Werke!“

Der Tote sah auf und erblickte ein scheußliches Gespenst mit einer menschlichen Fratze*), in einem Gewand voll Schmutz und Blut und mit einem Messer in der Hand. „Das ist das Scheußlichste, was ich jemals sah“, sagte der Tote, und es packte ihn ein Grauen, wie er es noch nie erlebt. „Wer ist dies Scheusal? Muß ich das immer ansehen?“

„Das bist du“, sagte der Engel.

„Aber die Wissenschaft?“ fragte der Tote angstvoll, „habe ich ihr nicht gedient? Gehöre ich nicht zu den großen Geistern, auch wenn ich diese Taten beging?“

„Die großen Geister waren den Tieren Brüder und nicht Henker“, sagte der Engel, „sie würden dir den Rücken kehren, wenn du es wagen könntest, zu ihnen hinauf zu gelangen. Aber du gelangst gar nicht in ihre Nähe. Du warst eine Null und kein großer Geist. Du wusstest es auch, dass du eine Null warst, du wusstest, dass dir nichts einfallen würde, und darum hast du aus Eitelkeit all diese Gräuel begangen, in der Hoffnung, der Zufall könnte dir etwas von den Geheimnissen der Natur enträtseln, wenn du sie folterst. Nachher kam die Mordlust, die Herrscherwut kleiner Seelen dazu. Siehst du das alles? Du kannst es deutlich sehen an deinem Spiegelbild, es hat getreulich alle Züge aufgezeichnet. Bleibe bei ihm, wasche sein blutiges und schmutziges Kleid, bis es weiß wird wie Schnee! Es kann tausend Jahre dauern, vielleicht auch länger. Bleibe bei ihm, denn du kannst ihm nicht entrinnen. Es ist dein Gefährte, und diese verstümmelten Geschöpfe Gottes sind dein Paradies.“

„Das ist alles wahr“, sagte der Tote, „aber auch wenn ich so dachte und tat, habe ich nicht doch eine Erkenntnis gefördert? Tritt nicht doch die Wissenschaft für mich ein?“

„Eine Erkenntnis durch Verbrechen?“ fragte der Engel. „Erkenntnisse hatte die Wissenschaft einst, als sie ein Tempel war. Ich will dir zeigen, wie eure Wissenschaft heute aussieht.“ Ein hässliches gelbes Licht zuckte auf, und der Tote sah einen Narren sitzen, der mit blutigen Händen Kartenhäuser baute. Ein Luftstoß fegte sie um, aber der Narr baute immer weiter.

„Ist das alles?“ fragte der Tote und klammerte sich Hilfe suchend an das Gewand des Engels.

„Das ist alles“, sagte der Engel, „lehrt eure Wissenschaft nicht auch, dass es keinen Gott und keine Vergeltung und kein Leben nach dem Tode gibt? Ich muss nun geh’n. Bleibe in deinem Paradies!“

Manfred KYBER
Entnommen aus: „Gesammelte Tiergeschichten“, Christian Wegner Verlag, Hamburg, S. 188 f.

Endnote zur Novelle „Nachruhm“:
*) Bei diesem scheußlichen Dämon handelt es sich um den „kleinen Hüter der Schwelle“ der Anthroposophen, der verschiedentlich in der Esoterik-Szene, sogar in der christlichen Mystik herumspukt. Man kann darin den symbolischen Ausdruck der Wechselwirkungen sehen, die die Seele an die Grobstofflichkeit binden. Diese müssen abgelöst werden, bevor die Seele in die Feinstofflichkeit eintreten kann..
(Vgl. Siegfried Hagl, „Spreu und Weizen“, Gralsverlag, Eggersdorf bei Graz, 2003, Seite 219 f.).

Lesen Sie dazu auch „Der gewalttätige Mensch – Opfer seiner Entwicklung?“, „Weshalb lässt Gott das alles zu?„ und „Die ersten Schritte in der Anderswelt“.