Die Menschheit verlangt der Erde schon lange mehr ab als ihre Ökosysteme verkraften können
(Veröffentlicht in GralsWelt 44/2007)
Mit der GralsWelt-Ausgabe 43 haben wir unter der Überschrift „Wie viel Mensch verträgt die Erde?“ (hier unter „Ökologie) eine immer noch oft verdrängte Problematik angesprochen: die Tragfähigkeit der Erde. Angesichts des dramatischen Klimawandels bleibt dieses Thema hochaktuell. Aber wie kommen Wissenschaftler zu ihren Einschätzungen, welche durch uns Menschen verursachte Umweltbelastung dauerhaft tragbar wäre?
Wir fassen hier die Ansätze und Ergebnisse von Überlegungen zusammen, die für ökonomische und politische Planungen von größter Bedeutung sind. Denn wie wir heute handeln, wird über die Zukunft unserer Kinder und Enkel, im Extremfall sogar über die dauerhafte Bewohnbarkeit unseres Heimatplaneten bestimmen.
„Gott verhüte, dass Indien jemals zu einer Industrialisierung nach dem Muster des Westens schreitet. Der wirtschaftliche Imperialismus eines einzelnen winzigen Insel-Königreichs (England) hält heute die Welt in Ketten. Falls eine ganze Nation mit 300 Millionen Einwohnern auf eine ähnliche ökonomische Ausbeutung setzt, würde die Welt kahlgefressen wie durch eine Heuschreckenplage.“
Mahatma Ghandi im Jahr 1928 (2, S. 37).
Nach dem Erscheinen des Buches „Die Grenzen des Wachstums“ (3) im Jahre 1972 konzentrierten sich viele der Analytiker auf die Endlichkeit der Ressourcen der Erde, die sich heute zum Beispiel in steigenden Preisen für Öl und weitere Rohstoffe zeigt. Aber die in den „Grenzen des Wachstums“ ebenfalls bereits publizierte Feststellung, dass eine fortschreitende Umweltbelastung das Wirtschaftswachstum bremsen könnte, schon bevor die Rohstoffverknappung sehr spürbar wird, wurde seither lange verdrängt.
Welche Belastungen können Ökosysteme dauerhaft verkraften?
Schon seit Jahrzehnten gibt es Versuche, die Tragfähigkeit der Erde in Zahlen auszudrücken. Dabei kann man von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen und entsprechend auch zu verschiedenen Ergebnissen kommen.
Doch in einem gleichen sich diese Ansätze: Sie kommen zu dem Schluss, dass das Produkt aus Bevölkerungszahl und dem Ressourcenverbrauch pro Kopf (oft als „Lebensqualität“ propagiert) durch die Tragfähigkeit der Erde begrenzt ist.
Mit anderen Worten: Wenn die Grenze der Tragfähigkeit eines Ökosystems erreicht ist, darf der Verbrauch pro Kopf nur dann weiter steigen, wenn die Bevölkerung abnimmt. Oder umgekehrt: Bei steigender Bevölkerung muss der Verbrauch pro Person abnehmen. Es muss sich also ein Gleichgewicht zwischen Bevölkerungszahl, Verbrauch pro Kopf und Biokapazität einstellen.
Das von Politikern aller Parteien gepredigte andauernde Wachstum der Wirtschaft ist demnach ebenso unverantwortlich und unmöglich, wie ein fortlaufendes Wachstum der Bevölkerung.
Denn die Ressourcen und die Selbstreinigungssysteme des Planeten Erde sind nach übereinstimmender Aussage der Ökologen begrenzt und mit keinem Trick fortlaufend vermehrbar.
Ist die Leistungsfähigkeit der Umwelt in Deutschland überfordert?
Einer der ersten Ansätze, die Umweltverträglichkeit zu quantifizieren, also mittels Zahlen auszudrücken, stammt aus dem Jahr 1984.
Wolfram Ziegler (4) versuchte im Rahmen einer Dissertation die Summe der Umweltbelastungen in Energie umzurechnen. Damit hatte er eine einfach zu handhabende Vergleichszahl. Aufgrund historischer Daten konnte er dann die Belastungen abschätzen, die für die Ökosysteme in Deutschland noch erträglich scheinen. Daraus ließ sich schließlich die beim seinerzeitigen Wohlstand für die Umwelt noch zuträgliche Bevölkerungsdichte ermitteln. Er kam zu dem Ergebnis, dass schon beim damaligen Stand die Leistungsfähigkeit der Umwelt in Deutschland überfordert wurde. Es schien angezeigt, entweder den Verbrauch zurückzufahren oder die Bevölkerungsdichte zu reduzieren.
Einige an der Ökologie Interessierte (ich selbst hielt damals Ökologie-Vorlesungen an einer Fachhochschule und studierte regelmäßig die einschlägige Literatur) fanden diese Arbeit richtungweisend.
Doch von Entscheidungsträgern aller Couleur kam nur Ablehnung. Auch Zieglers Engagement in einer politischen Partei und im Naturschutz scheiterte. Seine immerhin wissenschaftlich fundierten Warnungen brachten ihm Ablehnung, Rassismusverdacht und sonstige Diskriminierungen ein. Niemand wollte die Tatsache akzeptieren, dass die notwendige ökologische Stabilität der Umweltbelastung Grenzen setzt!
Die Größe unseres Planeten (Milliarden Hektar[1])
Oberfläche der Erde 51
davon Land 15
Eisfreie Landfläche 13,4
Global verfügbare Fläche
für die Biokapazität 11,4
Potentiell bebaubares Land 3,2
Derzeit genutztes potentiell
bebaubares Land 3,2
davon für landwirtschaftliche
Kulturen 1,5
davon für Weideflächen,
Wälder, Sträucher 1,7
Das bebaubare Land wird sich kaum noch wesentlich vermehren lassen. Es besteht sogar die Gefahr, dass Ackerland durch Übernutzung geschädigt oder zerstört wird.
Eine heute häufig verwendete Vergleichsgröße für die Umweltbelastung wird der ökologische Fußabdruck genannt. Jedes Land hat seinen spezifischen ökologischen Fußabdruck:
„Er beschreibt die Gesamtfläche, die es benötigt, um seine Infrastruktur zu errichten, Nahrung und Güter wie Dienstleistungen zu erzeugen und die Emissionen fossilen Energieverbrauchs zu absorbieren. Werden so alle Belastungen der Biosphäre – außer der Umweltverschmutzung – in eine Flächengröße umgerechnet und aufsummiert, dann lässt sich der globale ökologische Fußabdruck quantifizieren, den die Menschen auf dem Planeten hinterlassen. Auf die letzten vierzig Jahre gesehen, enthüllt dieser Indikator eine dramatische Entwicklung: Zwischen 1960 und 2000 hat sich der globale ökologischen Fußabdruck um 80 Prozent vergrößert. Setzt man ihn in Beziehung zur biologisch produktiven Weltfläche – ausgeschlossen also Wüsten, Eisflächen und tiefe Meere -, dann zeigt sich, dass er seit Mitte der 1970er Jahre die biologisch produktive Fläche an Größe übertrifft.“ (2, S. 36)
Die Größe des ökologischen Fußabdrucks (Hektar/Kopf)
Industrieländer: ca. 6,54
Entwicklungsländer mit oberem mittleren Einkommen: ca. 2,66
Entwicklungsländer mit unterem mittleren Einkommen: ca. 1,73
Entwicklungsländer mit niedrigem Einkommen:
ca. 0,91
Welt: ca. 2,2
2, S. 62)
Die Entwicklungsländer streben ein den Industrieländern vergleichbares Einkommen an, das dann zu einem ähnlich großen ökologischen Fußabdruck führt. In den Industrieländern fehlt die Bereitschaft, sich einzuschränken und dadurch ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern.Der ökologische Fußabdruck der Menschheit betrug 1999 etwa 13,5 Milliarden Hektar. Davon entfallen 42 Prozent auf die Industrieländer und 58 Prozent auf die Entwicklungsländer. Der Bevölkerungszahl nach dürften die Industrieländer nur 30 Prozent in Anspruch nehmen. Die im günstigsten Fall global verfügbare Biokapazität wird mit 11,4 Milliarden Hektar angegeben, so dass derzeit die Erde bereits zu 20 Prozent übernutzt wird. (2, S. 62)
Diese ungleiche ökologische Lastenverteilung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern blockiert derzeit die Maßnahmen zum Klimaschutz. So verlangen die Entwicklungsländer dringend weiteres Wachstum und machen die Industrieländer für die Umweltprobleme verantwortlich.
Das Schwellenland China als Beispiel weigert sich, seinen Ausstoß an Kohlendioxid zurückzufahren, obwohl es in wenigen Jahren mehr Kohlendioxid emittieren dürfte als die USA. Derzeit sind die USA der größte Produzent von klimaschädlichen Gasen.
China und Indien melden Wachstumsraten, wie es sie noch nie gab
Die Weltwirtschaft wächst weiter. Parallel zum wirtschaftlichen Wachstum nehmen Umweltbelastung und Ressourcenverbrauch zu. Aus den beiden größten Nationen – China und Indien – werden Wachstumsraten gemeldet, wie es sie in der Geschichte noch nie gegeben hat. In den Industrieländern schreien die Regierungen nach Wirtschaftswachstum, um die Arbeitslosigkeit zu verringern und die Sozialsysteme zu retten.
Von Maßhalten redet niemand. Im politischen Jargon lehnt man „Verzichtsideologien“ ab und setzt auf die Wunderwaffe Technologie, die alles richten soll!
„Superlativ“ Dubai: Naturfern und weit von jeder ökonomischen Vernunft
Den Gipfel des Irrsinns aus ökologischer Sicht kann man in Dubai finden, der bekanntesten Stadt der Vereinigten Arabischen Emirate. Dort schießen Wolkenkratzer mit Luxushotels aus der Wüste empor. Glamouröse Shopping-Malls verleiten zum Einkauf. Ein Flughafen entsteht, mit einer Kapazität wie London und Frankfurt zusammen.
Die größte Schihalle der Welt lockt (bei 40 Grad Außentemperatur!). Auf künstlichen Inseln im Persischen Golf entstehen riesige Hotelkomplexe, Bungalows, Yachthäfen. Dieser Inbegriff der Verschwendung hält zweifellos den Weltrekord im ökologischen Fußabdruck von etwa 12 Hektar pro Kopf, während ein Europäer 4,8 Hektar pro Kopf benötigt, was auch schon viel zu viel ist (1, S. 28).
Wollten wir alle so luxuriös leben wie in Dubai, dann würde die Erde für weniger als 1 Milliarde Menschen reichen. Oder, anders herum: Für solchen Wohlstand wären für die derzeitige Bevölkerung fast sieben Erden nötig!
Dubai, die utopische Mega-City, wird voraussichtlich in einigen Jahrtausenden – dann längst vom Wüstensand verschlungen – den Archäologen Rätsel aufgeben. Wer hat wann, warum, zu welchem Zweck solche gigantischen Bauten in die Wüste gesetzt?
Derartige Superlative zur Selbstdarstellung, naturfern und weit jenseits jeder ökonomischen Vernunft, waren oft das Menetekel für den Abstieg einer Nation.
Dieses Mal wird allerdings nicht nur ein Reich oder eine Stadt zusammenbrechen – wie das biblische Babel mit seinem sprichwörtlichem Turm -, sondern die ganze, von den Vertretern einer naturfeindlichen Ökonomie auf ökologische Abwege gelockte Weltzivilisation gerät in Gefahr.
Die Bevölkerung unseres Planeten
Weltbevölkerung ca.: Ackerland pro Kopf
1950: 2,5 Milliarden 0,59 Hektar
1960: 3 0,50
1974: 4 0,35
1994: 5,6 0,27
2000: 6,3 0,23
(2050: 10,3 0,15)
Quellen:
http://www.fh-lueneburg.de/u1/gym03/expo/jonatur/wissen/biologie/gentech/chancen.htm
http://www.berlin-institut.org/pages/fs/fs_umwelt_ressour_land.html.
http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/37883/
http://www.weltbevoelkerung.de/pdf/fs_entwicklung.pdf
Literatur:
(1) Geo 1, 2007 vom 1. 1. 2007.
(2) Sachs Wolfgang/Santarius Tilman, Fair Future, Report des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, C. H. Beck, München 2005.
(3) Meadows Denis, Die Grenzen des Wachstums, dva, Stuttgart 1972.
(4) Ziegler Wolfram, Umweltschutz – Versuch einer Analyse. Jahrbuch 1984 der Technischen Universität München, S. 305 f.