Kategorien
Merkwürdige Geschichten

Zählen die Indios zu den Menschen?

 (Veröffentlicht in Gralswelt 61/2010)

Wie in der „Disputation von Valladolid“ vor nicht einmal 500 Jahren darüber gestritten wurde, ob Indianer eine Seele haben und im Erlösungsplan Christi eine Rolle spielen. 

Wer Heinrich Heine gelesen hat, erinnert sich vielleicht an dessen Ballade über eine Disputation im mittelalterlichen Spanien. In seiner unnachahmlichen Art lässt Heine einen Rabbi und einen Mönch über die Wahrheiten ihrer Religionen diskutieren. Dabei kann es zu keiner echten Aussprache kommen, weil für beide Parteien die Richtigkeit ihrer eigenen Standpunkte von vornherein feststeht, und keiner der Diskutierenden den Gesichtspunkt des anderen zu würdigen bereit ist.

Was Heine in zynischer Poesie schildert, ist nicht ohne realen historischen Hintergrund. Im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit waren in Spanien öffentliche Disputationen durchaus üblich. Auf dem Königshof oder vor einem breiteren Publikum ging es meist um Auseinandersetzungen zwischen der jüdischen und der christlichen Religion, die oft von antisemitischen Emotionen getragen waren.

Doch der Wahrheitsgehalt von Religionen, oder gar die Wahrheit selbst, lässt sich in Streitgesprächen zwischen unbelehrbaren Parteien nicht ergründen, seien diese auch noch so gebildet. Die meisten Streitgespräche verfolgen ja auch ganz andere Ziele. –

„Indianer wurden schlechter als Tiere behandelt“
„Christen haben lediglich um des Goldes willen, um in kürzester Zeit unermesslich reich zu werden und um höchste Positionen einzunehmen, die ihnen in keiner Weise zustehen, so viele wertvolle Menschen getötet und ihre Seelen zerstört […]
Sie erwiesen diesen bescheidenen, geduldigen und so leicht gefügig zu machenden Menschen weder Respekt noch Anerkennung noch Achtung …
Sie haben sie nicht wie Tiere behandelt (gäbe Gott, sie hätten sie so gut und rücksichtsvoll behandelt wie Tiere); sie haben sie schlechter behandelt, wie den letzten Dreck.“
Bartolomé des Las Casas (2, S. 13)

Ein Gesetz gegen die Versklavung

Noch in den Jahren 1550 und 1551 gab es eine außergewöhnliche Diskussion um ein brisantes Thema: In der Disputation von Valladolid (Junta de Valladolid) wurde darüber gestritten, ob Indianer zum Menschengeschlecht gehören und eine Seele haben.

Karl V. (König von Spanien und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation) berief eine Kommission von Juristen und Theologen ein, die das vielfach beanstandete Vorgehen der Konquistadoren in der Neuen Welt überprüfen sollte. Denn in den spanischen Kolonien gab es ernste Probleme.

Im Jahr 1542 wurde durch ein „Indianergesetz“ – Las Leyes Nuevas de las Indias – die Versklavung der Indios verboten. Auch die Encomiendas sollten nach und nach abgeschafft werden. Diese Encomiendas waren große Ländereien, die mitsamt den darauf lebenden Eingeborenen vom König an die Kolonialisten übertragen wurden.

„Sie gieren nach Gold wie hungrige Schweine“

Im Codex Florentinus aus dem 16. Jahrhundert beschreibt ein aztekischer Augenzeuge die Plünderung von Tenochtitlán: „Die Spanier sind außer sich vor Freude. Wie Affen schleudern sie das Gold in die Luft. Sie lassen sich niederfallen mit Gesten, die ihr Frohlocken ausdrücken. […] Es ist offenkundig, daß sie nach dem hier fiebern. Ihr ganzer Leib schwillt an bei diesem Gedanken, sie lassen alle Anzeichen eines unstillbaren Verlangens erkennen. Sie gieren nach dem Gold wie hungrige Schweine.“
„Für diese „hungrigen Schweine“, die weder Kultur noch Mitleid hatten, dafür aber Schwarzpulver, Pferde und scharfe Schwerter, waren die Astronomen, Bauern, Baumeister, Mathematiker und Botaniker aus den Völkern der Azteken, Aymara, Quechua oder Maya lediglich Tiere, mit denen man nach Belieben verfahren kann“. (3, S. 181 f.).

Die Durchführung des „Indianergesetzes“ stieß in Südamerika auf heftigen Widerstand, der bis zu regelrechten kriegerischen Erhebungen führte. Karl V. musste auf die Durchsetzung dieses indianerfreundlichen Gesetzes in der Neuen Welt verzichten und suchte nun für seine Sicht Unterstützung von theologischer und juristischer Seite.

Die von ihm einberufene Kommission bestand aus anerkannten, hochgelehrten Wissenschaftlern. Sie tagte von 15. August bis 15. September 1550 und von 11. April bis 4. Mai 1551 im Dominikanerkloster San Pablo in Valladolid. Es gab dabei keine direkten Streitgespräche zwischen den Teilnehmern, denn die Kontrahenten traten nicht direkt gegeneinander an, sondern trugen dem einberufenen Kollegium nur einzeln ihre Standpunkte vor.

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand die rechtliche Stellung der Indianer. Man kann somit im Disput von Valladolid eine frühe Diskussion über die Menschenrechte sehen.

Die bedeutendsten Antagonisten in dieser Disputation waren der Dominikaner Bartolomé de Las Casas (1474–1566), Bischof von Chiapas, und der Weltpriester und Humanist Juan Ginés de Sepúlveda (1490–1573). 

Zur Debatte stand nicht die europäische Expansion nach Übersee, die für beide Parteien genauso selbstverständlich war wie auch die Ansicht, dass der christliche Glaube in der Neuen Welt verkündet werden müsse. Umstritten waren allerdings die Methoden dieser Landnahme, und wie das Christentum den Indios nahegebracht und in der Neuen Welt durchgesetzt werden sollte.

Entscheidende Fragen waren: Gehören die jüngst entdeckten Völker zum Menschengeschlecht oder nicht? Sind sie im Erlösungsplan Christi vorgesehen? Sind sie Geschöpfe des lebendigen Gottes oder eine kaum noch menschliche Unterart der Menschheit? Haben Indianer eine Seele? Ist Christus auch für sie gestorben? (3, S. 178).

Disputation
In der Aula zu Toledo
Klingen schmetternd die Fanfaren;
Zu dem geistlichen Turnei
Wallt das Volk in bunten Scharen.
Das ist nicht ein weltlich Stechen,
Keine Eisenwaffe blitzet –
Eine Lanze ist das Wort,
Das scholastisch scharf gespitzet.
Nicht galante Paladins
Fechten hier, nicht Damendiener –
Dieses Kampfes Ritter sind
Kapuziner und Rabbiner.
Statt des Helmes tragen sie
Schabbesdeckel und Kapuzen;
Skapulier und Arbekanfeß
Sind der Harnisch, drob sie trutzen.
Welches ist der wahre Gott?
Ist es der Hebräer starrer
Großer Eingott, dessen Kämpe
Rabbi Juda, der Navarrer?
Oder ist es der dreifaltge
Liebegott der Christianer,
Dessen Kämpe Frater José
Gardian der Franziskaner?
Durch die Macht der Argumente,
Durch der Logik Kettenschlüsse
Und Zitate von Autoren,
Die man anerkennen müsse,
Will ein jeder Kämpe seinen
Gegner ad absurdum führen
Und die wahre Göttlichkeit
Seines Gottes demonstrieren.
Heinrich Heine (1, S. 440)

„Die Ureinwohner sind natürliche Sklaven!“

Juan Ginés de Sepúlveda vertrat die Interessen der vom Encomienda-System profitierenden spanischen Siedler und Landbesitzer. Er sah die Ureinwohner Amerikas als Barbaren und natürliche Sklaven an und suchte – aufbauend auf dem aristotelischen Naturrechtsdenken – die „Inferiorität“ (Minderwertigkeit) der Indianer zu belegen. Seiner Meinung nach handelte es sich bei ihnen nicht um menschliche Wesen. Versklavung und Sklavenarbeit wären daher aus dem Naturrecht gerechtfertigt, genauso wie die damit verbundene Gewaltanwendung. –

Wer Menschen unterdrücken oder gar ermorden will, kann solche Verbrechen vor sich selbst und anderen am bequemsten rechtfertigen, wenn er den Unterdrückten die Menschenwürde abspricht. Das war während der Kolonialzeit nicht anders als bei den ideologisch, rassistisch oder religiös-fundamentalistisch begründeten Exzessen des 20. und 21. Jahrhunderts.

Gegen die grausame Behandlung der Indios durch die spanischen Herren wandte sich entschieden Bartolomé de Las Casas, der „Apostel der Indianer“. Die aristotelische Vorstellung von den „Barbaren“ oder „natürlichen Sklaven“ war aus seiner Sicht auf die Indios nicht anwendbar. Denn diese wären bereits zum vollen Vernunftgebrauch gelangt, während Aristoteles den „natürlichen Sklaven“ den vollen Gebrauch der Vernunft abspricht.

Auch das Argument Sepúlvedas, dass die Unterlegenheit der Indios durch die von ihnen begangenen „widernatürlichen Verbrechen des Götzenkultes und des Kannibalismus“ bewiesen sei“, ließ Las Casas nicht gelten. Er meinte, man könne kein Volk für Handlungen bestrafen, über deren Kriminalität es sich nicht bewusst sei und unterstrich seine Argumentation mit Berichten von persönlichen Erfahrungen mit Indianern. Für ihn waren die Indios Menschen mit einer Seele, die der göttlichen Gnade teilhaftig werden konnten. Nach seiner Meinung durfte kein Volk je gezwungen werden, sich aufgrund seiner angeblichen Unterlegenheit einem anderen Volk zu unterwerfen. Auch das Christentum dürfe man nicht durch das Schwert verbreiten.

Die Disputation stagnierte schließlich auf theoretischer Ebene. Ihr Ausgang blieb offen und beide Parteien sahen sich als Sieger.

 Die Gier der Ausbeuter entscheidet

Wie in der Vergangenheit fast immer, triumphierte auch am spanischen Hof eines „Katholischen Königs“[i] der Mammon[ii] über die christliche Ethik.

Hinter Juan Ginés de Sepúlveda standen die Reichen und das spanische Schatzamt; enorme wirtschaftliche Interessen standen auf dem Spiel. Also ging – ungeachtet der ethischen Bedenken – die gewaltsame Expansion der spanischen Kolonien weiter, und die Misshandlungen der Indianer wurden nicht gestoppt.

Die „Indianergesetze“ von 1452 blieben in zwar Kraft, sie wurden aber in den Kolonien nicht durchgesetzt. Die Sklaven auf iberischem Boden kamen frei, während die Millionen gefangener Indianer, die in den amerikanischen Minen oder auf den Encomiendas schufteten, ihr schreckliches Schicksal weiter ertragen mussten. (3, S. 180).

Ein klassisches Beispiel für den Sieg der Realpolitik über die Moral?

Vergleiche mit dem Neo-Kolonialismus und dem Neo-Liberalismus in unserer Zeit drängen sich auf …

Literatur:
(1) Heine Heinrich, Werke Erster Band, Kiepenheuer & Witsch, Köln, Berlin, o. J.
(2) Las Casas Bartolomé de, Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung des westindischen Landes, Frankfurt a. M., 1990.
(3) Ziegler, Jean, Der Hass auf den Westen, Bertelsmann, München, 2009
Endnoten:
[i] „Katholische Könige“ war der Titel, den Papst Alexander V. nach der Vertreibung der Mauren (1492) dem Herrscherpaar Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon verlieh.
[ii] Mammon = Besitz; im Neuen Testament der irdische Besitz im Sinne des Verführerischen (Matth. 6, 24; Luk. 16, 13) und des ungerechten Gewinns (Luk. 16,9; 11).