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Merkwürdige Geschichten

Der Haß auf die Symbole

(Veröffentlicht in GralsWelt  24/2002)

Im März 2001 ging die Meldung durch die Medien, dass ungeachtet entschiedener Proteste aus vielen, auch islamischen Ländern, in Afghanistan die gigantischen Buddha-Statuen von Bamian – die größten der Welt – gesprengt wurden.

Angeblich waren es radikale Taliban, die in barbarischer Zerstörungswut ein Zeichen setzen wollten für den unaufhaltsamen Sieg ihrer Ideologie. Schon Mohammed hatte ja nach seinem siegreichen Einzug in Mekka die um die Kaaba versammelten Götzenbilder zerschlagen.

Zerstörung zur Manifestation der Macht
Die Zerstörung von religiösen oder politischen Kultstätten ist keineswegs neu. Schon immer eigneten sich die Sieger das Eigentum der Besiegten an, und um sie zu demütigen, vernichteten die Sieger nicht selten was den Besiegten am heiligsten war; z.B. religiöse oder politische Symbole.

Im Alten Ägypten ließ der Pharao Namen und Statuen unliebsamer Vorgänger aus den Tempeln entfernen; in der Antike wurden Leichname verstorbener Feinde aus den Gräbern gerissen und verbrannt, oder die Tempel eroberter Städte zerstört. 

Nach seinem siegreichen Einmarsch in Mekka (630) zerstört Mohammed die rund um die Kaaba aufgestellten Götzenbilder.   

Christliche Missionare fällten die Donar-Eiche (Bonifatius im Jahre 724), zerschlugen Götzenbilder oder verbrannten „ketzerische“ Schriften, auch altamerikanische Texte, die sie nicht lesen konnten.

Abweichler von der Amtskirche, wie die Hussiten, vernichteten Heiligenbilder und Kruzifixe, Atheisten zerstörten Kirchen und Klöster (z.B. nach der russischen Oktoberrevolution), und Politiker lassen nach geglücktem Umsturz Hoheitszeichen und Statuen der vertriebenen Herrschaft entfernen. 

Der Kampf um das religiöse Bild
Eine einst heiß diskutierte Frage war, ob religiöse Bildnisse verehrt werden dürften. Im Laufe der Jahrhunderte gab es etliche theologische Theorien, die wir nur streifen können.

Im Alten Judentum (wie später im Islam) wurde das Zweite Gebot streng befolgt:
„Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen, kein Abbild von dem, was im Himmel droben oder unten auf der Erde oder im Wasser unter der Erde ist. Du sollst dich nicht vor diesen Bildern niederwerfen und sie nicht verehren…“ (3. Mos. 26). *)

Im Römischen Reich wurden Abbildungen des Kaisers verehrt, und die ersten Christen hatten keine Probleme, vor einem Jesusbild oder Abbild des Gekreuzigten zu beten. Allerdings bedurfte es einiger theologischer Verrenkungen, um den Bilderkult trotz eines eindeutig scheinenden, alttestamentlichen Bibelwortes zu rechtfertigen.

Die Kirchenväter diskutierten, ob und wie der kultische Wert der Bildnisse zu begründen sei; ob ein Jesusbild als Symbol zu gelten habe, oder ob es durch seine Form Anteil habe an der menschlichen und göttlichen Natur des Gottessohnes und dadurch geheiligt sei.

Es kam zum Streit um Wert und Bedeutung christlicher Bilder, sogar zu deren rigoroser Zerstörung, z.B. im 8. Jahrhundert in Byzanz beim sog. „Ikonoklasmus“. Kaiser, Leo III. verbot die verbreitete Inkonenverehrung. Vermutlich ging es weniger um die Ikonen als um die Herrschaft des Kaisers über die Kirche, möglicherweise auch noch um den Kampf der Bischöfe von Rom und Byzanz um die Würde und die Macht des Oberhauptes der Kirche.

Heidnischen Bildnissen gegenüber fehlte die christliche Toleranz. Die Taliban lassen grüßen. Solches „Teufelszeug“ musste vernichtet, die heidnischen Tempel, angeblich Dämonen geweiht, niedergebrannt werden.

Im 4. Jahrhundert wurden schließlich heidnische Religionen verboten, die Kultstätten zerstört oder in christliche Kirchen umgewandelt. Bei Ausübung heidnischer Kulte drohte die Todesstrafe.

Kunst im Dienst des Glaubens
„Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib es den Armen – und du wirst einen Schatz im Himmel haben – und komm und folge mir nach“. (Matth. 19, 21). *)
All sein Gut zu verkaufen und das Geld den Armen zu schenken, diese harte Forderung an die Reichen ließ sich nicht durchsetzen. Daher suchten die Kirchenväter seit dem 4. Jahrhundert nach Kompromissen: wer nicht alles den Armen und damit Christus schenken wollte, der sollte wenigstens einen Teil weitergeben.

Kamen in frühchristlicher Zeit solche Stiftungen, Erblassungen, Schenkungen, Vermächtnisse vorwiegend den Armen zugute, so entwickelte sich im Mittelalter die Ansicht, dass das „geistige Brot“ nicht weniger wichtig sei als das leibliche, dass also Stiftungen von Klöstern, Kirchen, Kapellen, Altären, religiösen Bildnissen nicht weniger verdienstvoll wären als milde Gaben für die Armen. Wer der Kirche kein großes Gebäude schenken konnte, der beteiligte sich im Rahmen seiner Möglichkeiten wenigstens an der Innenausstattung, so dass „Kirchenschmücken“ zu einer Sonderform das Almosengebens wurde. Im Mittelalter blühten Kunsthandwerke und Künste im Dienste der Religion, und die damals geschaffenen Werke künden bis heute von einer tiefen, uns fremd gewordenen Frömmigkeit.

Besonders zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert wurde ein großer Teil des Volksvermögens für die Pflege christlicher Kulte eingesetzt. In den Städten dominierten Kathedralen, in jedem Dorf stand eine Kirche, und die weite Landschaft war mit Klöstern, Kapellen, Kruzifixen übersät.

Allgemein war die Furcht vor dem Fegefeuer. Mit einer frommen Stiftung konnte man sich davon frei kaufen, und z.B. das Lesen einer Seelenmesse bis zum „Jüngsten Tag“ finanzieren.

Schließlich floss ein so großer Teil des Volksvermögens in kirchlichen Besitz, dass die Lage für die Wirtschaft bedrohlich wurde; seit dem 13. Jahrhundert mussten Gesetz erlassen werden, die sich gegen das Festhalten von Grundbesitz durch kirchliche Institutionen richteten. 

Ohne gute Werke in den Himmel ?
Dieses System mittelalterlicher Jenseitsvorstellungen, Höllen- und Fegefeuerängsten, stellte Luthers Schrift „Von den guten Werken“ (1520) in Frage. Luther glaubte an die Prädestination (Vorbestimmung) und lehrte, dass Gott von uns keine Werke wie Fasten, Wallfahren oder das Stiften von Altären und Kirchen fordere, sondern nur „den Glauben an Christus, der uns mit seinem Tod erlöst habe“. Mit Stiftungen, Schenkungen, Ablass oder sonstigen materiellen Gaben ließ sich nach seiner Überzeugung das Himmelreich nicht erkaufen. 

Bilderstürme in der Reformation
Durch die Reformation wurden nun in den evangelischen Landen die Kirchen von allem überflüssigen Beiwerk gereinigt; denn die neue Spielart des Christentums konzentrierte sich ganz auf das „Buch“, die „Heilige Schrift“. Die Gläubigen sollten auf Bildnisse verzichten, die doch nur vom Kern des Glaubens ablenken.

Die Menschen des Mittelalters waren zum größten Teil Analphabeten. Die zahlreichen religiösen Abbildungen sollten in dieser Epoche der Erziehung der Ungelehrten dienen, und zur Andacht anregen.

Mit der Reformation wurde die Bibel, in die Landessprachen übersetzt und jetzt auch gedruckt, immer mehr Menschen zugänglich, die nun zum großen Teil Lesen und Schreiben konnten; die Schrift verdrängte das Bild. So wurden aus protestantischen Kirchen Bildnisse und Statuen entfernt, denn die Gläubigen sollten sich auf das Wesentliche konzentrieren, auf das Buch.

Luther selbst war kein bilderstürmerischer Eiferer. Er ließ zwar die Bildnisse, von denen die meisten (Heiligenbilder, Marienstatuen usw.) ohnehin nicht mehr zur neuen Lehre passten, aus den Kirchen entfernen, verlangte aber nicht deren Zerstörung.

Andernorts kam es zu Bilderstürmen, zu mutwilligen oder von Behörden angeordneten Zerstörungen sakraler Kunstwerke. Calvin und Zwingli predigten gegen die papistischen Bildnisse und forderten deren Vernichtung. Unzählige Bilder, Statuen, Schnitzereien gingen verloren, und ganze Landschaften (z.B. in der Schweiz und in den Niederlanden) wurden von „Götzenbildern“ gesäubert. Dass es sich dabei zum großen Teil um wertvolle Kulturgüter handelte, war den meisten Menschen seinerzeit wohl nicht bewusst.

Im katholischen Verständnis waren sakrale Bildnisse Gott geweihte und daher geheiligte Objekte. Wer Kirchenbilder zerstörte, beging ein Sakrileg (sacrum legere = das Heilige stehlen), ein todeswürdiges Verbrechen.

Wie oft in der Religionsgeschichte, hob sich die neue Lehre von einer älteren dadurch ab, dass sie „Tabu-Brüche“ beging, also Handlungen, die im Verständnis der älteren Religion als Verbrechen galten.

Ein strenggläubiger Jude konnte Jesus nicht als lebendigen Teil aus Gott anerkennen; ein orthodoxer Christ erschrak, wenn er sah, dass in der katholischen Kirche der Priester beim Vorzeigen der Hostie mit dem Rücken zum Altar steht; und ein Katholik wiederum betrachtete die Vernichtung geweihter Sakralgegenstände als Wirken des Satans.

Es mag uns heute schwer fallen, an solchen Details zu kleben, die nach heutigem Verständnis mit echter Religiosität wenig zu tun haben; doch vor Jahrhunderten waren den meisten Menschen die äußeren Formen sehr wichtig. 

Die Folgen der Reformation und ihrer Bilderstürme
Die Entfernung sakraler Bildnisse aus den Kirchen war auch Ausdruck eines notwendigen Wandels, den die Reformatoren bewirkten: die Abkehr von der Angst vor dem Jenseits; die Abwendung von dem Irrglauben, dass durch irdische Schenkungen, durch Ablasskauf, oder sonstige materielle Aufwendungen die ewige Seligkeit zu erkaufen sei. So betrachtet waren die Bilderstürme der Reformationszeit ein Indikator für einen Wandel des religiösen Bewusstseins. Wie bei allen Revolutionen wurde auch hier unnötig viel zerstört.

In den reformierten Gemeinden entwickelte sich ein neues Verständnis christlichen Lebens. Das sinnliche Glaubenserlebnis, das die Gegenreformation im Barockstil dann erneut vermitteln wollte, trat zurück gegenüber einer engeren, auf dem biblischen Wort gegründeten Religion.

Die religiöse Kunst verlor an Bedeutung. Seelenmessen und sonstige Stiftungen zur Rettung vor dem Fegefeuer waren überflüssig, und die Aufwendungen für die Religion schrumpften auf einen Bruchteil der einstigen Ausgaben.

Durch Streichen der den Heiligen geweihten Festtage kamen 30 Arbeitstage pro Jahr hinzu, und es entwickelte sich die protestantische Arbeitsethik, die zumindest teilweise (Puritaner) im wirtschaftlichen Erfolg den besten Beweis für einen christlichen Lebenswandel sah. –

Ein weiterer Beitrag zum Thema ist „500 Jahre Reformation“ unter „Gedenktage“. 

Endnote: 
*) Dieser, dem reichen Jüngling von Jesus persönlich gegebene Rat wurde einfach verallgemeinert.

Literatur:
(1) Bredekamp, Horst „Kunst als Medium sozialer Konflikte“, Suhrkamp, Frankfurt 1975.
(2) Depeux, Cécile / Jetzler, Peter / Wirth, Jean „Bildersturm“, Bernisches Historisches Museum, Bern 2000.
(3) „Der Spiegel“, 11/2001 vom 12. 3. 01, Spiegelverlag, Hamburg.