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Geschichte/Historik

Das war der Wilde Westen Teil 4

(Veröffentlicht in GralsWelt 30/2003)

Zug der Tränen

Nach dem Unabhängigkeitskrieg – siehe dazu Teil 3 dieser Serie – waren die USA eine unangefochtene, souveräne Macht, die an den inneren Ausbau ihres Landes denken konnte. Die Kriegskosten waren allerdings groß gewesen, die Staaten verschuldet – und die Regierung geneigt, das fehlende Geld da zu beschaffen, wo es am einfachsten zu bekommen war: durch den Verkauf von Indianerland.

Stimmen, die für die Indianer und deren Rechte sprachen, waren die Ausnahme; es gab sie vor allem im Osten. An der Grenze, im Westen, hörte man fast nur indianerfeindliche Parolen; von den Lokalpolitikern, oft aus Überzeugung übernommen. Mit zunehmender Bevölkerung in den westlichen Gebieten wurde deren Einfluss auch in Washington größer, und schließlich fand sich in keinem Kongress mehr eine Mehrheit, die Indianerrechte anerkennen wollte.

Das „rote Volk“ wurde in Reservate abgeschoben, erhielt karges Land zugewiesen, das für die Weißen unbrauchbar war, wurde belogen, betrogen, dezimiert, vernichtet. Das entstehende amerikanische Imperium gründete sich auf purem Rassismus, der für die meisten freien, stolzen Prärieindianer in einem „Zug der Tränen“ endete.

Die Mountainmen
Den von Lewis und Clarke erschlossenen Pfaden folgten nicht nur weitere Entdecker wie Zebulon M. Pike, der 1806/07 bis zum Rio Grande vorstieß, und Stephen H. Long, der 1820 die „Große amerikanische Wüste“ (die Großen Ebenen) bis zu den Rocky Mountains durchquerte, sondern Händler, Fallensteller, Abenteurer, die als die legendären „Mountainmen“ (Männer der Berge) in die Geschichte eingegangen sind. Diese reisten meist in kleinen Gruppen, oft den Flüssen folgend, bis zum Felsengebirge und weiter, um Pelztiere zu jagen.
Von besonderer Bedeutung wurde der Biberfang. Etwa von 1830 an waren Hüte aus Biberfilz die große Mode, und bis zu 100.000 Biber wurden pro Jahr gefangen, von Mountainmen wie von Indianern. Legendär ist das „große Rendezvous“, bei dem sich seit 1825 einmal im Jahr einige Tausend Indianer und weiße Pelzjäger trafen, um die Beute der vergangenen Saison bei den anwesenden Händlern gegen Gewehre, Pulver, Blei, Schnaps und Sonstiges einzutauschen und ausgelassene Feste zu feiern. Die Händler machten enorme Gewinne, und manch einer von ihnen konnte sich nach wenigen Jahren zur Ruhe setzen. Dieses System hielt bis 1840. Dann änderte sich die Mode; anstelle von Biberhüten waren nun Hüte aus Chinaseide gefragt, und die Totalausrottung des Bibers gerade noch abgewendet.
Die Mountainmen mussten sich einer anderen Beschäftigung zuwenden. Bei ihren Jagdzügen hatten sie unerforschte Gebiete betreten, die Wunder der Geysire des Yellow Stone (des heutigen Nationalparks) entdeckt (John Colter, 1807), und Pässe über die Gebirge gefunden. Nun wurden sie Scouts der Armee, Leiter von Entdeckungsreisen oder Planwagenführer. Einige wurden berühmt und reich, doch die meisten blieben arm. Zu ihrer Zeit waren sie verachtete Analphabeten und Vagabunden, die ihr Auskommen als „freie Jäger“ finden mussten; Loblieder auf ihr Abenteurerleben wurden erst später gedichtet. Viele Amerikaner sind noch heute heimlich erfüllt vom Hunger nach unerschlossenen Weiten und von der Sehnsucht nach einem ungebundenen Dasein, wie es die Mountainmen leben durften.

Literatur:
(1) Bartlett, Richard A./Goetzmann, William H. „Exploring the American West“, National Park Service, Washington, 1982.
(2) Cooke, Alistair: „Geschichte Amerikas“, Pawlak, Herrsching, 1975.
(3) Stammel, H. J.: „Indianer“, Bertelsmann, Gütersloh, 1977.
(4) Utley, Robert M.: „Indian, Soldier and Settler“, Jefferson National Expansion Historic Association, St. Louis, 1979.

Thomas Jefferson (1743-1826), Verfasser der Unabhängigkeitserklärung und dritter Präsident der Vereinigten Staaten, träumte von einem Imperium, das sich vom Atlantik bis zum Pazifik erstrecken sollte. Einen großen Erfolg hatte er im Jahre 1803 mit dem Kauf Louisianas für 15 Millionen Dollar, der das Territorium der USA mehr als verdoppelte, und den Weg nach dem fernen Westen, zu den Großen Ebenen (Great Plains), den Rocky Mountains (Felsengebirge) und weiter zum Pazifik öffnete.

Allerdings wusste man von diesen Gebieten wenig. Zwar waren schon vor Jahrzehnten französische „Coureur de Bois“ (Waldläufer) weit nach Westen vorgestoßen, hatten Pelztiere gejagt und mit Indianern gehandelt; doch die Erzählungen dieser Vagabunden wollte in den USA keiner glauben. Eine Erforschung der unbekannten Weiten schien an der Zeit. Und so sandte Jefferson eine Expedition aus, die in keiner amerikanischen Geschichte unerwähnt bleiben darf.

Lewis und Clarke

Die von Meriwether Lewis (1774-1809) und William Clarke (1770-1838) geleitete, 43-köpfige Erkundungsfahrt dauerte zwei Jahre, von 1803 bis 1805. Sie ging von St. Louis aus den Missouri stromauf, über die Rocky Mountains, zum Pazifik und zurück. Sie brachte erste verlässliche Kunden von den Großen Ebenen, den Rocky Mountains und dem Weg zum späteren Oregon am Pazifik.

Lewis und Clarke hatten mit den Indianern keine großen Probleme, nicht zuletzt durch die Hilfe der Sacajawea von Stamm der Shoshonen, die mit einem Frankokanadier verheiratet war, der die Expedition ebenfalls begleitete. Zudem hatten die Indianer der Großen Ebenen andere Weiße kennengelernt als die Waldindianer: Jäger, Fallensteller, Händler, die europäische Waren gegen Pelzwerk tauschten; ein für beide Seiten interessanter Handel.

Die allein oder in kleinen Gruppen reisenden Abenteurer waren auf gute Kontakte zu den Indianern angewiesen und verhielten sich entsprechend. Das kam der Expedition unter Lewis und Clarke zugute. Ein wichtiges Ergebnis dieser Expedition, das bald von weiteren Entdeckungsreisenden bestätigt werden sollte, war der Eindruck von der Unbewohnbarkeit der Großen Ebenen. So kam die Regierung zu der Auffassung, man brauche die Indianer nur über Mississippi und Missouri zu treiben und ihnen die für Weiße unbrauchbaren Landschaften bis zu den Rockies zu überlassen, um das Indianerproblem zu lösen.

Europäische Forschungsreisende im Westen
Verschiedene Forscher aus Europa haben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Westen Amerikas bereist, und wertvolle Dokumente zur untergehenden Kultur der Indianer gesammelt:
Herzog Paul Wilhelm von Württemberg (1797-1860).
Dem Vorbild von Alexander von Humboldt (1769-1859) folgend, bereiste Herzog Paul zwischen 1822 und 1860 fünfmal den amerikanischen Westen. Außerdem war er als Forschungsreisender in Südamerika und Ägypten.
Balduin Möllhausen (1825-1905).
Der Maler Balduin Möllhausen begleitet Herzog Paul 1851/53 auf einer abenteuerlichen Westfahrt. Dann kann sich Möllhausen 1853/54 einer offiziellen Expedition als Topograph anschließen. Von diesen Reisen bringt er zahlreiche Skizzen und Aquarelle vom Leben der Indianer mit.
Nach Deutschland zurückgekehrt, wird er ab 1861 Autor „ethnographischer Gesellschaftsromane“, die das Leben im Westen schildern, und damit einer der Wegbereiter für die populäre Indianerliteratur.
Maximilian Prinz zu Wied (1782-1867).
Auch Prinz zu Wied war ein Naturforscher, der Brasilien und Nordamerika bereiste. Von seiner Reise in den amerikanischen Westen in den Jahren 1832/34 liegen Berichte über die indianische Kultur vor.
Ihn begleitete der Schweizer Maler Karl Bodmer (1809-1893), dessen Bildtafeln schöne Dokumente des damals bereits dem Untergang geweihten indianischen Lebens sind.
Sir William Drummond (1795-1871), Stewart of Murthly Castle.
Der schottische Baron reiste unter dem Namen „Captain Stewart“ zwischen 1833 und 1843 mehrmals, teilweise wie ein Mountainman, auf verwegenen Pfaden in den Westen. Dem Oregon-Trail folgte er bis zum Pazifik, lernte berühmte Moutainmen kennen, bewunderte die Geysire des Yellow Stone, und erwies sich als aufmerksamer Beobachter der mit atemberaubender Geschwindigkeit voranschreitenden Erschließung des Westens. Von 1836 an verarbeitete er seine Erlebnisse in Novellen. (Biographie: www.lawrieweb.com/eis/eis10.html).
1837 begleitete ihn ein junger Maler aus Baltimore, Alfred Jacob Miller (1810-1874), der zahlreiche Skizzen anfertigte, die in ihrer romantischen Frische ihrer Zeit voraus waren.
Wenige Reisende sahen mehr von quirligen Leben im Westen als William Drummond, und neben Karl Bodmer und George Catlin (1796-1872) hat es keiner so gut in Bildern festgehalten wie Miller.
Literatur:
(1) Bartlett, Richard A. / Goetzmann, William H.: „Exploring the American West“, US Department of the Interior, Washington, 1982.
(2) Catlin, George: „Die Indianer Nordamerikas“, Kiepenheuer, Leipzig, 1979.
(3) Goetzmann, William H. / Goetzmann, William N.: „The West of the Imagination“, W. W. Norton, New York, 1986.
(4) Hansen, Walter: „Die Reise des Prinzen Wied zu den Indianern“, Prisma, Gütersloh, 1977.
(5) Möllhausen, Balduin: „Geschichten aus dem Wilden Westen“, DTV, München, 1995.
(6) Paul Wilhelm, Herzog von Württemberg: „Erste Reise nach dem nördlichen Amerika in den Jahren 1822 bis 1824″, J.G. Cotta, Stuttgart, 1835.
(7) Paul Wilhelm von Württemberg: „Reisen und Streifzüge in Mexiko und Nordamerika 1849-1856″, Thienemann, Stuttgart, 1986.

Indianer in die Reservate!

Der Krieg um Kanada von 1812/14 hatte Vereinbarungen über die Grenzen zwischen Kanada und den USA gebracht. Versuche der Engländer, bei den Friedensverhandlungen auch ein Gebiet für die Indianer festzulegen, scheiterten schon im Ansatz, da die amerikanischen Diplomaten sich weigerten, darüber auch nur zu sprechen. (4, S. 763).

Für die meisten Amerikaner war das Indianerproblem damit weitgehend erledigt: die Indianer waren in Reservationen abzuschieben, am besten auf die Großen Ebenen, also in für die Weißen nutzlose Regionen. Menschenrechte, Bürgerrechte gar, wurden ihnen nicht zugebilligt. Im Jahre 1830 wurde unter Präsident Andrew Jackson (1767-1845) der „Indian Removal Act“ (Umsiedlungsgesetz) verabschiedet, der alle eingeborenen Völker zwang, sich westlich des Mississippi niederzulassen. (6, S. 23).

Dabei war es unerheblich, wie anpassungswillig die Indianer waren. Im Heft 14/2000 der GralsWelt berichteten wir über Sequoya (vgl. „Kurz, knapp, kurios“ Seite 404 „Ein kaum bekannter Genius“) und die erfolgreichen Bemühungen der „fünf zivilisierten Stämme“, die Lebensweise der Weißen zu übernehmen. Sie wurden trotzdem von ihrem kultivierten Land vertrieben. Ihr „Zug der Tränen“ nach Oklahoma ist in die Geschichte des Westens eingegangen als eines der finstersten Kapitel des amerikanischen Rassismus.

Die Tscherokesen kämpften vor Gericht. Sie appellierten noch an den Obersten Gerichtshof und bekamen in ihrer Sache Recht zugesprochen. Doch Präsident Andrew Jackson, ein alter Indianerkämpfer mit dem Spitznamen „Old Hickory“, nannte diese Entscheidung „schlicht absurd“ und ließ alle Dreißigtausend Tscherokesen von der Armee vertreiben.

Bezeichnend für die amerikanische Taktik den Indianern gegenüber ist der Umgang mit den Semiolen. Diese widersetzten sich der Umsiedlung in die ihnen fremden, fernen Wüsteneien und führten, unter ihrem genialen Häuptling Osceola, in den Sümpfen Floridas einen erbitterten Guerillakrieg. Nacheinander scheiterten an ihnen vier Generale der Armee unter hohen Verlusten.

Als auch der fünfte, General Thomas Sidney Jesup, zwar fieberkranke Truppen, aber keine Erfolge hatte, lud er die führenden Semiolen zu Friedensgesprächen ein. Diese vertrauten auf das Wort eines amerikanischen Offiziers – und wurden unter der weißen Parlamentärsflagge in Ketten geworfen (1837). Osceola starb ein Jahr später im Gefängnis.

Krieg der verbrannten Erde

Dieses Vorgehen ging sogar der amerikanischen Öffentlichkeit zu weit. Jesup wurde abgelöst. Doch auch seine Nachfolger hatten erst Erfolg, als sie einen systematischen Krieg der verbrannten Erde führten, der viele Semiolen zur Kapitulation zwang. Diese wurden nach Oklahoma gebracht. Als die Armee 1841 die verlustreichen Kämpfe abbrach, hielt sich noch ein kleiner Rest der Indianer in den Sümpfen versteckt – stolz darauf, nie mit den USA Frieden geschlossen zu haben. Probleme mit ihnen gab es seitdem keine mehr.

Auf solche Art wurden nach und nach alle Stämme, die östlich von Mississippi und Missouri ihre Heimat hatten, ausgerottet, dezimiert, in Reservationen gezwungen.

Die Stämme, die – dem Druck der Weißen nachgebend – von sich aus auf die Großen Ebenen auswichen, stießen dort mit anderen Indianersippen zusammen. So trieben Chippewa, die im 17. Jahrhundert von den Franzosen Feuerwaffen erhalten hatten, die Sioux (Dakota) aus Wisconsin nach Westen. Auf der Suche nach Land trafen diese am Missouri auf die Arikara, von denen sie Pferde erhielten. Die nördlichen, die Teton-Sioux wurden zu dem bekannten Reitervolk, das seinerseits die Shoshonen bedrängte; die südlichen Sioux blieben Ackerbauern. So setzten die Weißen, schon bevor sie mit der Umsiedlung der Indianer begannen, eine Kettenreaktion in Gang, die das Leben so gut wie aller Stämme veränderte und Ursache vieler Kriege zwischen Indianern wurde. 

Fortsetzung „Das war der wilde Westen“ Teil 6.

Literatur:
(1) Bartlett, Richard/Goetzmann, William H.: „Exploring the American West“, National Park Service, Washington 1982.
(2) Cooke, Alistair: „Geschichte Amerikas“, Pawlak, Herrsching, 1975.
(3) Dillon, Richard, H.: „Indianerkriege“, Lechner, Limassol (Cypern),
1994.
(4) Eckert, Allan W.: „Gateway to Empire“, Bantam, New York 1984.
(5) Stammel, H. J.: „Indianer“, Bertelsmann, Gütersloh, 1977
(6) Zimmermann, Larry J.: „Indianer“, Droemer-Knaur, München, 1996.