Kategorien
Esoterik

Der Zauberer von Cobenzl

(Veröffentlicht in GralsWelt 9/1998)

Karl Freiherr von Reichenbach (1788 – 1869), der größte, rechtschaffenste und anständigste Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts und der drittgrößte seit dem Untergang von Atlantis.
Franz FERZAK, 1987

In unserer Gesellschaft dominiert die „anerkannte Wissenschaft“, die sich für alle Bereiche des Lebens und der menschlichen Gesellschaft als letzte Autorität für zuständig erklärt und mit diesem Allmachtsanspruch die einst gleichermaßen dominierende Kirche abgelöst hat.
Neben dieser, nur ausnahmsweise in Frage gestellten, scheinbar unangreifbaren Autorität moderner Wissenschaften fristen als „pseudo-“ oder gar „after-wissenschaftlich“ verspottete Bestrebungen ein meist kümmerliches Dasein. Diese „okkulten“ oder „esoterischen“ Forschungen versuchen zum Beispiel in das Reich des Transzendenten einzudringen, Beweise für die Existenz eines „Jenseits“ zu erbringen, das mit dem unserem Tagbewusstsein zugänglichen Diesseits unlösbar verbunden ist, oder ein Weiterleben nach dem Tode, mehrfache Erdenleben und vieles mehr zu belegen und die dabei wirksamen Gesetzmäßigkeiten zu ergründen.
Wer sich auf diesem schwer zugänglichen Gebiet zu bewegen versucht, stößt auf strikte Ablehnung durch anerkannte Wissenschaftler, die in der Regel von Irrtum, Scharlatanerie oder Betrug sprechen. Doch wird einem Erforscher des Okkulten andererseits durch seine Anhänger nicht selten auch maßlose Bewunderung entgegengebracht, wie sie in dem zitierten Ausspruch von Franz Ferzak zum Ausdruck kommt.
Zwischen diesen Extremen finden wir Karl Freiherr von Reichenbach, einem heute fast vergessenen redlichen Forscher, der im beginnenden 19, Jahrhundert als Industrieller wertvolle Beiträge zur Entwicklung der Stahlindustrie geleistet hat, als Chemiker neue Produkte entdeckte, und schließlich als suchender Mensch auf transzendente Phänomene stieß, deren Erforschung er viele Jahre seines Lebens widmete.

Karl Ludwig Friedrich von Reichenbach wurde am 12. Februar 1788 in einer in bescheidenen bürgerlichen Verhältnissen lebenden Familie in Stuttgart geboren und konnte nach Abschluss des Gymnasiums in den Jahren 1807/08 nur wenige Semester studieren. Erst eine reiche Heirat im Jahre 1810 eröffnete ihm die Chance, seine Begabung für die Technik praktisch anzuwenden und Jahre später sogar noch zu promovieren. Besonders fesselte ihn die damals in Deutschland noch wenig entwickelte Stahlindustrie, die zur Verhüttung von Eisenerz auf Holzkohle angewiesen war. Reichenbach erkannte die Schwächen der damals üblichen Verkohlungsverfahren und konstruierte verbesserte gemauerte Öfen, die für Eisenwerke im Schwarzwald beste Holzkohle preiswerter als bisher produzierten.

Industrie-Pionier Reichenbach
So erwarb er sich einen Ruf als Eisenhütten-Ingenieur und bekam die Chance, in Blansko (nördlich von Brünn) umfangreiche Eisenwerke des Altgrafen Hugo von Salm-Reifferscheid-Krautheim als technischer Leiter (später als Direktor) und Teilhaber zu modernisieren. Reichenbach stellte die längst veraltete Methode, Holzkohle in Meilern zu verkoken, auf sein modernes Verfahren um, ließ Walzwerke und Maschinenwerkstätten errichten. Seine erfolgreiche Arbeit fand öffentliche Anerkennung, und der Altgraf war höchst zufrieden.
Weniger Glück hatte Reichenbach mit dem Bau einer Zuckerfabrik. Die von ihm zu verantwortende Technik funktionierte zwar bestens, doch wurden weit weniger Zuckerrüben angeliefert als geplant, und der von einem unfähigen Verwalter geleitete Rübenanbau kam zu teuer, so dass die Gesamtbilanz der Zuckerproduktion nicht befriedigte, was später Reichenbach angekreidet wurde.
Bei der Verkokung von Holzkohle fallen Nebenprodukte an, mit deren Verwertung sich Reichenbach als Chemiker befasste und dabei eine Reihe neuer Stoffe entdeckte, zum Beispiel das Paraffin, dessen Eignung für Kerzen er als erster erkannte. Auch für weitere wichtige Entdeckungen, zum Beispiel der Anilin-Farben, die in chemischen Lexika anderen Wissenschaftlern zugeschrieben werden, dürfte Reichenbach die Priorität zustehen. –
Nach dem Tod das Altgrafen Hugo im Jahre 1836 wurde Reichenbach bei dessen Erben in übler Weise verleumdet und es kam zum Bruch. Reichenbach wurde abgefunden und siedelte auf das von ihm erworbene Gut Reisenberg (im Volksmund nach dem Vorbesitzer „Cobenzl“ genannt) in der Nähe von Wien über.

Ein Wegbereiter der Esoterik
In Wien hatte Reichenbach eine für sein weiteres Leben richtungweisende Begegnung, die sein Biograph Schrötter folgendermaßen beschreibt: „Es ereignete sich nun zu Anfang Mai 1844, dass Reichenbach eines Tages von dem Wiener Arzte Eisenstein über gewisse eigentümliche Erscheinungen, welche derselbe am Krankenbette beobachtet hatte, zu Rate gezogen wurde. Es handelte sich um einen Fall von Katalepsie (Anm.: = Starrsucht, Spannungszustand der Muskeln; gilt als Symptom der Schizophrenie). Der kataleptische Zustand lässt sich durch Hypnose auch künstlich herbeiführen.), in welchem die betreffende Kranke außerordentliche Reizbarkeit gegen den Einfluss von Magneten, die man in ihre Nähe brachte, äußerte, ferner in großer Dunkelheit Lichteindrücke wahrnahm, wo andere Personen nichts sahen. In Folge eines Besuches, welchen Reichenbach bei jener Patientin zu machen veranlasst war, verfiel er auf den Gedanken, ob nicht auch die Emanationen eines Magneten derselben sichtbar sein möchten. Es wurde daher ein Versuch in diesem Sinne durch ihn veranstaltet, welcher in der Tat Reichenbachs Vermutung vollkommen bestätigte. Indem Reichenbach von diesem Augenblicke an jenes auffallende neue Faktum mit großem Eifer weiter verfolgte, wurde er in jene lange Reihe von physikalisch-physiologischen Untersuchungen hineingezogen, welche er später unter dem Namen ,odische‘ oder ,über Od und Sensitivität‘ in mehreren kleineren Abhandlungen und größeren Werken veröffentlicht hat.“
Bald kam Reichenbach durch weitere Experimente mit verschiedenen Medien zu ersten Ergebnissen, die sich folgendermaßen zusammenfassen lassen:
· Ein starker Magnet übt auf viele gesunde und kranke Menschen eine eigentümliche Reizwirkung aus; er ist ein Agens der Lebenskraft. (Vor Reichenbach versuchten schon Paracelsus – Theophrastus Bombastus von Hohenheim, 1493 bis 1541 – und Johann Baptist von Helmont – 1577 bis 1644 – die Behandlung Kranker mit „Magnetsteinen“. Helmont spekulierte, dass die Funktion des menschlichen Körpers auf dem Magnetismus beruhen könnte.)
· Diejenigen, bei welchen diese Reizbarkeit in hohem Grade eintritt, zeigen häufig sehr geschärfte Sinne und sind dann im Stande, am Magnet Licht und flammenähnliche Phänomene wahrzunehmen.
· Auch an Kristallen kann Reichenbach feststellen, dass sie an ihren Polen ein feines Licht aussenden, das gewöhnlichen, gesunden Augen nicht, wohl aber denen gereizter Nervenkranker sichtbar ist, bei denen alle Sinne in einem ungewöhnlich geschärften Zustande sich befinden.

Von nun an sieht Reichenbach seine Lebensaufgabe in der Erforschung dieser Phänomene durch zahlreiche Versuche mit „Sensitiven“ (die Bezeichnung „sensitiv“ geht auf Reichenbach zurück).
Es lag für Reichenbach nahe, eine Beziehung zum sogenannten „animalen Magnetismus“ (ein von Franz Anton Mesmer, 1734 – 1815, geprägter Begriff, vgl „Mesmers magischer Magnetismus“) zu suchen und herauszufinden, dass ähnliche Wirkungen auch ohne Magnet und zwar mit bloßen Händen („Be-Handlung!“) bewirkt werden können. Entsprechende Licht- oder Flammenerscheinungen, nur für Sensitive sichtbar, wurden dann an Händen, Pflanzen, ganzen Menschen entdeckt, bis Reichenbach schließlich in der „Od-Kraft“ eine universelle Lebenskraft zu entdecken glaubte, die er ausführlich untersuchte. Die wichtigsten Ergebnisse wurden zum Beispiel 1854/55 in einem zweibändigen Werk mit dem Titel „Der sensitive Mensch“ veröffentlicht.
Ob und in wie weit diese Beobachtungen Reichenbachs durch moderne Messungen von Dr. Fritz Albert Popp (vgl. GralsWwelt Heft 3, „Die Entdeckung der Aura“) bestätigt werden, ist noch nicht untersucht.
Nachprüfungen der Reichenbachschen Experimente durch Gustav Theodor Fechner (1801 – 1887) oder die Society for Psychical Research (1882) brachten keine Bestätigung.
Häufig lassen sich esoterische Beobachtungen nicht beliebig wiederholen. Das Gelingen eines solchen Experimentes scheint vom Medium, vom Versuchsleiter und etlichen weiteren, noch weitgehend unerforschten Einflüssen abzuhängen. Andernfalls wäre der unwiderlegliche Beweis für die Existenz des Okkulten oder des Transzendenten längst geglückt.

Wissenschaft gegen Transzendenz
In wissenschaftlichen Kreisen seiner Zeit – darunter Koryphäen wie Justus von Liebig – fanden Reichenbachs Od-Forschungen fast durchweg ablehnende Bewertungen. Damals wie heute haben es die mit physikalischen Methoden nicht beweisbaren Effekte schwer. Unfaire bis bissig-polemische Schriften gegen das Od und seinen Entdecker vergällten Reichenbachs Leben und veranlassten ihn zu entsprechend deutlichen Erwiderungen, die jedoch keinen seiner Gegner auch nur zur Überprüfung ihrer Standpunkte brachten. Nach seinem Tod ebbten die Kontroversen ab, und heute ist Karl Freiherr von Reichenbach fast in Vergessenheit geraten.
Zwar gibt es inzwischen Hunderte, vielleicht Tausende von Schriften (von denen einige sogar Reichenbachs Namen erwähnen) über Aura, Orgon, Shakras, Geistheilung, Magnetopathie, Kirlian-Photographie, Biophotonen usw. – alles Effekte, die mit Reichenbachs „Od“ zusammenhängen können, vielleicht sogar damit identisch sind. Doch der von Wissenschaftlern akzeptierte Beweis für diese Erscheinungen steht wie zu Reichenbachs Zeiten aus, wenn man von den nicht mehr wegzudiskutierenden Biophotonen absieht. Wissenschaft gegen Transzendenz – eine unendliche Geschichte?

Selbst die gewählten Bezeichnungen für esoterische Phänomene stehen einem Verständnis manchmal im Wege. Wir neigen nämlich dazu, bislang Unbekanntes jeweils mit den gerade neuesten technischen Errungenschaften zu erklären:
· Zu Mesmers Zeiten waren Experimente mit Magneten ein viel beachtetes Phänomen. Also wurden Mesmers Heilkräfte als „animaler Magnetismus“ bezeichnet. Mit dem, was ein Physiker heute unter „Magnetismus“ versteht, haben Mesmers Heilkräfte wahrscheinlich wenig zu tun. –
· Seit der Jahrhundertwende versuchte man alle möglichen transzendenten Effekte – von der Astrologie bis zum Pendel – mit „Strahlung“ zu erklären. Wohl weil drahtlose Telegraphie, Röntgenstrahlen, Radium, Echolot, Radar usw. neue Dimensionen der Technik eröffneten.
· Heute ist „Information“ ein Lieblingswort, das sich auf viele Welträtsel anwenden läßt. Zum Beispiel nennen populärwissenschaftliche Kommentatoren den Menschen gerne das Produkt seiner Gene, die man wiederum als „Information“ beschreiben kann.
· Ähnliche Ansätze gibt es seit kurzem mit der „Chaos-Theorie“, die den „Zufall“ wissenschaftlich erklärbar zu machen scheint und Ordnung im scheinbar Chaotischen entdeckt.

Die Begriffe „Magnetismus“, „Ausstrahlung“, „Information“, „Chaos“ erzeugen aber bestimmte Vorstellungen, die zu den angesprochenen transzendenten Vorgängen nicht unbedingt gute Analogien liefern müssen. Einen Physiker schrecken sie eher ab und erschweren es ihm, die Hypothesen der Esoteriker ernsthaft zu betrachten.

Reichenbachs bitteres Ende
Als interessante Glosse bleibt noch nachzutragen, dass das arbeits- und erfolgreiche Leben des Industriellen Reichenbach kein in jeder Beziehung glückliches Ende fand; denn zwei Jahre vor seinem Ableben, also im Alter von 79 Jahren, verlor es fast sein gesamtes Vermögen.
Reichenbach hatte sich mit Bankkrediten an einem österreichischen Eisenwerk in Ternitz (ca. 60 km von Wien, an der Semmering-Bahn) beteiligt, das er als hervorragender Fachmann zu sanieren gedachte. Doch ein törichter Teilhaber ließ ihm zu wenig Einfluss, bis das Unternehmen so gut wie bankrott war. Nun musste Reichenbach die Leitung selbst in die Hand nehmen und weitere Kredite aufnehmen. Alles schien planmäßig zu verlaufen, bis das Schicksal unerwartet zuschlug:
In Indien brach der berüchtigte Sepoy-Aufstand aus (1857), mit dem sich die Inder gegen die englische Kolonialverwaltung erhoben. Anlass war ein neues Gewehr, dessen Patronen mit den Zähnen abgebissen werden mussten. Diese Patronen waren mit dem für Hindus rituell verbotenen Rinderfett versehen; eine Tatsache, die den letzten Anstoß zu dem Aufstand gab. Diese Erhebung der Inder schlug Wellen bis nach Österreich: Für Indien bestimmte Eisenbahnschienen wurden dort vorerst nicht mehr gebraucht und kurzerhand auf dem Europäischen Kontinent verschleudert, was die österreichischen Stahlwerke in größte Schwierigkeiten brachte.
Für Reichenbach schien vier Jahre lang doch noch alles gut zu gehen; denn er hatte einige Güter, deren Einkünfte ausreichten, seine Schulden zu tilgen, und er durfte hoffen, dass der Aufstand in Indien niedergeschlagen und sich der europäische Stahlmarkt wieder normalisieren würde. Doch dann traf ihn ein weiteres, unvorhersehbares Unglück; diesmal in Form einer Dürre in Galizien. Der Fluss San trocknete aus, und Reichenbach konnte das für den Verkauf bestimmte Holz von seinem Gut Nisko (ca. 80 km südsüdwestlich von Lublin) nicht über die Weichsel nach Danzig flößen lassen. Im Jahr darauf gab es eine Revolution in Polen, und im Folgejahr brach der Ostseekrieg aus (Deutsch-Dänischer Krieg, 1864). So fehlten drei Jahreseinnahmen des Gutes Nisko, mit denen Reichenbach gerechnet hatte. Die Kreditanstalt schritt zur Zwangsvollstreckung, in der Reichenbachs Eigentum unter den Hammer kam…
Es ist interessant, im heutigen Zeitalter der Globalisierung zu registrieren, wie vor anderthalb Jahrhunderten mit Rindertalg eingefettete Patronen in Indien eine Erhebung auslösten, die eine Kettenreaktion bewirkte, welche unter anderem zum Ruin österreichischer Stahlwerke führte…

Was bleibt?
Uns bleibt das Gedenken an einen Pionier des Eisenhüttenwesens und der Chemie, der seinem Forscherdrang folgend die Grenzen zwischen strenger Wissenschaft und Transzendenz durchlässiger gestalten wollte.
Anerkannt ist bis heute weder seine Entdeckung des Ods, noch die Existenz des Transzendenten. Hoffentlich ändert sich das bald; denn so lange die Menschheit nur das Materielle, das Diesseitige sehen will, gleicht sie einem Schachspieler, der weniger als die Hälfte des Brettes samt Figuren berücksichtigt und nicht verstehen kann, dass seine klug durchdachten Züge immer wieder in Fehlschlägen enden.

Literatur:
(1) Ferzak, Franz: „Karl Freiherr von Reichenbach“, München 1987.
(2) Reichenbach, Karl Freiherr von: „Untersuchungen über die Dynamide des Magnetismus, der Electrizität, der Wärme, des Lichts in ihren Beziehungen zur Lebenskraft“ 2 Bände, Brauschweig 1849/50.
(3) Reichenbach, Karl Freiherr von: „Odisch magnetische Briefe“, Stuttgart 1852.
(4) Wie vor: „Der sensitive Mensch und sein Verhalten zum Od“, Stuttgart 1854.
(5) Wie vor: „Die Pflanzenwelt in ihren Beziehungen zur Sensitivität und zum Od“, Wien 1858.
(6) Schrötter, Anton Ritter von Kristelli: „Karl Ludwig von Reichenbach“,
Almanach der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien 1869.