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Wirtschaft und Soziales

Die neue Elite für neue Kriege

(Veröffentlicht in GralsWelt 84/2014, Seite 44)

Im August 2013 ging eine merkwürdige Meldung durch die Medien: Ein Elite-Student leistete sein Praktikum bei einer Großbank ab. Durch totale Überarbeitung brach der 22-jährige junge Mann eines Tages ganz unerwartet erschöpft zusammen und verstarb. Der Vorfall gibt Anlass zu einigen Gedanken über die gegenwärtige Bildung einer neuen Elite, die mit den alten Eliten manches gemein hat, und deren menschliches Versagen.

Über viele Jahrhunderte kämpften Einzelmenschen, kleinere Gruppen, Städte, Staaten, Großmächte mit kriegerischer Gewalt um Besitz und Macht. Erpressung, Raub, Mord und direkte oder indirekte Sklaverei waren bis ins 20. Jahrhundert – und sind mancherorts noch heute[1] – selbstverständliche, wenn auch meist uneingestandene Mittel, um sich Ansehen, Einfluss, Macht und Reichtum zu verschaffen oder zu sichern.

Schließlich galt Krieg nach dem preußischen General Carl von Clausewitz (1780–1831) als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“.

Der Originaltext des oft ungenau wiedergegebenen Zitates lautet:

„Die politische Absicht ist der Zweck, der Krieg ist das Mittel, und niemals kann das Mittel ohne Zweck gedacht werden“[2].

Dementsprechend bestimmten in den Jahrtausenden, die wir aus schriftlichen Überlieferungen kennen, vor allem Gewaltmenschen den Lauf der Geschichte. Mythen und Sagen verherrlichen besonders erfolgreiche, hochtrainierte Einzelkämpfer: die Streitwagenkämpfer der Ilias, keltische, griechische, römische, germanische Helden oder die Ritter des Mittelalters.

Dann konnten nicht mehr wenige, einzelne, besonders fähige Krieger Schlachten entscheiden. Den Ausschlag gaben hochgerüstete, disziplinierte, aufs äußerste belastbare Truppen wie die Phalanx der Spartaner, die römischen Legionen, die eidgenössischen Hellebardenträger oder die Armeen Friedrich des Großen und Napoleons. Nun wurden Feldherrn bewundert, die ihre Truppen perfekt schulen und zum Sieg führen konnten. Manchmal übernahm ein erfolgreicher General auch die Herrschaft über den Staat.

Die Elite der Nation waren die Kämpfer: Soldaten, Offiziere, Feldherrn. Bei inneren Krisen gaben die bewaffneten Kräfte meist den Ausschlag und bestimmten somit die Politik. Noch im Zweiten Deutschen Kaiserreich galten die Offiziere als der erste Stand.

Kriegführung mit anderen Mitteln

Nach dem Zweiten Weltkrieg machte das unerhörte Zerstörungspotential von Kernwaffen weitere Kriege zwischen Großmächten so gut wie unmöglich. Dafür gibt es heute „asymmetrische Kriege“: Aufstände, Bürgerkriege, Partisanen, Terroristen, Sabotageaktionen, Seeräuber usw. gegen die sich die klassische Militärtaktik sehr schwer tut.

Heute werden Rivalitäten vorherrschend auf dem Feld der Wirtschaft ausgetragen. Nicht mehr durch Soldaten mit Gewehren und Kanonen, sondern von Großkonzernen, Geheimdiensten, Banken, Rating-Agenturen, Börsenspekulanten. Dies geschieht mit staatlicher Unterstützung oder zumindest staatlicher Duldung.

Als „moderne“ Waffen (die zum Teil schon alt sind) werden eingesetzt: Auslösung von inneren Konflikten oder Revolutionen, Börsenspekulationen, Dumpingpreise, Embargos, Erpressung, Fehlinformationen, feindliche Übernahmen und Finanzprodukte, außerdem Handelshemmnisse, Korruption, Kredite, Monopole, Spionage, Währungsmanipulationen, Wirtschaftsblockaden, Zölle und mehr.

Diese Finanz- oder Wirtschaftswaffen wirken kontraproduktiv oder gar zerstörerisch. Sie fördern weder die landwirtschaftliche noch die industrielle Produktion noch den Welthandel. Sie leisten keinen positiven Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung, sorgen aber für Turbulenzen, die Krisen auslösen und schwächere Staaten in den Ruin treiben können. Sollten diese Mittel nicht ausreichen, wird gegen deutlich schwächere Gegner zuletzt noch militärische Gewalt eingesetzt (6).

Ziel dieser Wirtschaftskriege ist die Ausschaltung der Konkurrenz, Behauptung der eigenen Vormachtstellung, weiteres Wachsen des Reichtums der Superreichen (getarnt als „Wirtschaftswachstum“), Sicherung der Rohstoffversorgung und so weiter. Wie sagte der Milliardär Warren Buffett im November 2006:

„Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.“

Neue Elite ohne Grenzen

Für diesen modernen Krieg wird eine „neue Elite“ ausgebildet. Auch diese „Wirtschaftselite“ muss bestens trainiert werden; wenn auch in anderer Form und für andere Vorgehensweisen als die „alte Elite“, doch mit dem gleichen Ziel: Vernichtung des Gegners!

Und auch die neue Elite wird „Belastungstests“ unterzogen. Sie muss bis zur Erschöpfung zielgerichtet und kompetent arbeiten können und eine Flut von fortlaufend auf sie einstürmenden Informationen bewältigen.

An die Stelle der Militär-Akademien treten Elite-Universitäten. In Paris gibt es sogar eine „École de guerre économique“ (Schule für Wirtschaftskrieg). Hier gibt man offen zu, dass militärische Erfahrungen für den Krieg in der Wirtschaft nutzbar gemacht werden.

Da „im Krieg alles erlaubt ist“[3], darf man davon ausgehen, dass es auch für den Wirtschaftskrieg keine ethischen Grenzen gibt.

Von dem „fairem Wettbewerb“ von einst (der oft nur ein Lippenbekenntnis war) ist nicht mehr die Rede. Die gesetzlichen Vorschriften sind häufig unzureichend und für international tätige Konzerne oft zu umgehen.

Unter dem Schlagwort „Deregulierung“ wurde nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 in aller Welt die als Restriktion betrachtete gesellschaftliche Kontrolle der Finanzwelt weitgehend abgeschafft. Der weltweite Finanzcrash von 2008 war eine Konsequenz.

Wer die „wilden Hunde“ von der Leine lässt, darf sich nicht wundern, wenn diese dann wildern. Folgerichtig mussten wir erleben, dass selbst zuvor hoch angesehene Institute, Großkonzerne und weltbekannte Bankhäuser nicht vor schändlichen Manipulationen und Betrügereien zurückgeschreckt waren.

Die alten, die kriegerischen Eliten wurden ausgebildet, um Menschen zu töten. Zuerst Auge in Auge, dann über immer größere Entfernungen, bis zum modernen Todesschuss durch Drohnen, gelenkt vom Bildschirm.

Die neuen, ökonomisch ausgebildeten Eliten treiben, fern der realen Welt am Bildschirm sitzend, ganze Volkswirtschaften in den Ruin und nehmen die Hunderttausende, manchmal Millionen von Menschen oft nicht einmal wahr, die sie – meist weit entfernt von ihrem eigenen Land – in Leid und Elend stürzen.

Die Finanzindustrie hat das Kommando übernommen
„Es ist so, dass man nicht alle Wahrheiten jeden Tag knallhart auf den Tisch legen kann. Sie können, wenn Sie sich im Krieg befinden, auch nicht jeden Tag der Bevölkerung sagen, was Wahrheit ist, möglicherweise noch nicht mal sagen wie viele Verluste Sie gehabt haben, welche Rückzüge Sie haben machen müssen, Das geht nicht, weil Sie sonst das Gelingen des Ganzen gefährden würden. Ich weiß, das ist ein absolut unzulässiges Beispiel, aber es zeigt, wie katastrophal gefährlich die Situation ist.
Natürlich sind die Krisen, die wir jetzt erleben, es sind ja viele Krisen, die sind natürlich nicht sozusagen vom lieben Gott verordnet worden als Strafe für irgendwas, oder anonym über uns gekommen, natürlich haben die Auslöser eine Rolle gespielt. Und diese Auslöser, das sind sehr oft einzelne Menschen, es sind sehr oft menschliche Institutionen, ob das Banken oder Hedge Fonds oder was auch immer sind. Dass die Finanzindustrie, wie es so schön heißt, oder die Finanzwelt inzwischen das Kommando über die Politik übernommen hat, über unser Schicksal übernommen hat, das ist natürlich der Fall. Und insofern ist das ein Terror, weil Terror in dem Sinne heißt, dass er die Menschen zu Dingen zwingt, die sie eigentlich von sich aus gar nicht wollten: Sparen für die Banken etwa oder Steuererleichterungen für die Reichen mitzutragen. Es handelt sich dabei nicht um eine Verschwörung, sondern die Akteure seien klar erkennbar…“
Edzard Reuter, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG. (8).

Kampf um die Weltherrschaft

Die Welt-Führungsmacht USA sieht sich vor Problemen: Als vor einigen Jahren Saddam Hussein (1937–2006) sein Erdöl gegen Euro anstatt Dollar verkaufen wollte und Kuwait besetzte, löste er 2003 den Irak-Krieg aus. Denn wenn der Welthandel nicht mehr auf Dollar-Basis abläuft, kommen die Vereinigten Staaten von Amerika finanziell wirklich in Schwierigkeiten!

Nun wird die Volksrepublik China auf ökonomischem Gebiet wohl die USA in wenigen Jahrzehnten überholen und dann voraussichtlich den Status der wichtigsten Weltmacht anstreben. Mit militärischen Mitteln ist die Vormachtstellung der USA gegen die asiatische Konkurrenz längst nicht mehr durchzusetzen. Vielleicht mit einem Wirtschaftskrieg?

Auf währungspolitischem Gebiet hat der Kampf um die führende Rolle schon begonnen:

China will den Dollar als Welt-Leitwährung durch den chinesischen Yuan ablösen (7). Das geht nicht von heute auf morgen. Doch die Asiaten haben – anders als Europäer und Amerikaner – Geduld, können abwarten und vorsichtig Schritt für Schritt vorgehen.

Dieser „Kampf der Kontinente“ (Sven Hedin) zieht Europa in Mitleidenschaft. Nach Ansicht kompetenter Beobachter hat er sogar die Euro-Krise ausgelöst (5).

Bisher wollen in Europa nur wenige die Augen öffnen und erkennen, dass auch bei uns die sogenannte Hochfinanz dabei ist, die Demokratie de facto unwirksam zu machen.

In den USA kann man dies schon beobachten: Hier hat eine kleine Gruppe Superreicher mit Hilfe der von ihr finanzierten „Tea Party“ das Land an den Rand der Regierungsunfähigkeit getrieben! Nun müssen die stolzen USA – mit „Amtsträgern, die sich an die Reichen dieses Landes meistbietend verkaufen“ (2) – sich ausgerechnet von den Chinesen zu Recht Defizite der Demokratie vorhalten lassen! (3).

In aller Welt sind Regierungen korrupt, knicken ein vor den Forderungen der Hochfinanz, verschleiern Fakten aus Angst vor den Wählern und treiben ihre angeblich demokratischen Staaten tiefer und tiefer in die Verschuldung.

Wo bleiben die Politiker, welche die Fakten realistisch sehen und das falsch gestellte Ruder herumreißen wollen?

Längerfristig kann es jedenfalls nicht gelingen, jeden kritischen Einwand als „Verschwörungstheorie“ abzutun!

Endnoten:
[1] Laut „Der Spiegel“, 42/2013, Seite 16 „leben in der EU rund 880.000 Sklavenarbeiter“.
[2] Leider lesen heutige Entscheidungsträger nicht mehr Clausewitz. Sonst würden sie darüber nachdenken, was nach den Kampfhandlungen folgen soll, bevor sie in Vietnam, im Irak, in Afghanistan einmarschieren, oder in Libyen Gaddafi wegbomben.
[3] Das Zitat „In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt“ wird Napoleon zugeschrieben.
Literatur:
(1) Der Spiegel, 41/2013, Seite 63.
(2) Der Spiegel, 41/2013, Seite 81.
(3) Der Spiegel, 43/2013, Seite 93.
(4) Keegan, John, Die Kultur des Krieges, Rowohlt, Berlin 1995.
(5) Müller, Dirk, Showdown, Droemer, München 2013.
(6) Perkins, John, Bekenntnisse eines Economic Hit Man, Goldmann, München 2007.
(7) Rohmann, Jörg, Kampfansage an USA: China rüstet im Wirtschaftskrieg mit tonnenweise Gold auf, Focus Online, 27.09.2013. (http://www.focus.de/finanzen/experten/rohmann/yuan-gegen-dollar-kampfansage-an-usa-china-ruestet-sich-mit-tonnenweise-gold_id_3236769.html).
(8) N. N., Europa befindet sich im Wirtschaftskrieg, Akademie Integra, Blogeintrag vom 12.11.2012 (http://akademieintegra.wordpress.com/2012/11/12/europa-befindet-sich-im-wirtschaftskrieg/).