„Ritter“ des Papstes und „okkulter Meister“
Giovanni Casanova (1725–1798)
(Veröffentlich in GralsWelt 68/2012)
Der als Frauenheld sprichwörtlich gewordene Venezianer Giovanni Casanova war Abkömmling einer Schauspielerfamilie. Da seine Mutter viel auf Reisen war, erzog ihn die Großmutter, die ihm ein Theologie- und Jurastudium ermöglichte. So konnte er schon mit 17 Jahren einen juristischen Doktorgrad der Universität Padua erwerben. Er sprach mehrere Sprachen.
Nach seinem Studium schlug er eine kirchliche Laufbahn ein. Als angehender Priester fiel er 1741, nach Erhalt der vier niedrigen Weihen, während einer Predigt betrunken von der Kanzel. Drei Jahre später gab Casanova die kirchliche Laufbahn endgültig auf. 1742 konnte er als Sekretär über Korfu nach Konstantinopel reisen. Bei seiner Rückkehr nach Venedig wurde er erstmalig, wegen Erbstreitigkeiten, verhaftet. Anschließend reiste er nach Ancona und Rom. Dort konnte er Papst Benedikt XIV. durch amüsante Plaudereien so für sich einnehmen, dass dieser ihn zum „Ritter des goldenen Sporns“ ernannte. Das gab Casanova die Chance, sich als „Chevalier (Ritter) de Seingalt“ selbst zu adeln. Wegen einer Liebesaffäre musste er Rom allerdings bald wieder verlassen.
Quer durch Europa „rund um die Erde“
Wieder in Venedig, versucht Casanova sich als Fähnrich und verdient seinen Lebensunterhalt als Orchestergeiger. 1755 wird er wegen „Schmähungen gegen die heilige Religion“ verhaftet und landet in den berüchtigten Bleikammern, einem Gefängnis im Dachgeschoß des mit Blei gedeckten Dogenpalastes, in dem es im Sommer unerträglich heiß wird. 1756 gelingt ihm eine spektakuläre Flucht. Seine spannende Beschreibung dieses Abenteuers gehört zu den meistgelesenen Fluchtgeschichten und machte ihn berühmt.
Casanova reist als Hochstapler, Glücksspieler, Mysterienmeister, Wunderheiler von einer europäischen Hauptstadt zur anderen. Als angeblicher Hochgrad-Freimauer[i] kann er über die Logen Kontakte knüpfen und einflussreiche Persönlichkeiten kennenlernen. Sogar Friedrich der Große empfängt ihn und bietet ihm eine Position als Lehrmeister an einer Schule für pommersche Landjunker an. Diese Stelle entspricht allerdings nicht Casanovas Ansprüchen.
Danach reist er nach Sankt Petersburg, wo er bei einer Audienz der Zarin Katharina der Großen vorsprechen darf, die ihm aber keinen Posten anbietet. Nun geht es weiter nach Polen, das er nach einem Pistolen-Duell schwer verwundet verlassen muss. Über Wien gelangt Casanova nach Paris. Hier bekommt er Zugang zum Hof, erhält die Genehmigung zur Gründung einer Lotterie, und glaubt sich aller Sorgen ledig.
Doch wie immer, wenn er zu lange in einer Stadt bleibt, ergeben sich Komplikationen und drohen Prozesse, die ihn zur Abreise zwingen: Mit einem hübschen Vermögen von „hunderttausend Franken in guten Wechseln und mit Juwelen im gleichen Wert“[ii] (1, S. 297) flüchtet Casanova nach Spanien, das er auch bald wieder verlassen muss. Schließlich kehrt er nach Venedig zurück, wird dort Theaterdirektor und spioniert als Geheimagent für die venezianische Staatsinquisition. Die spektakuläre Flucht aus den Bleikammern hat man ihm wohl verziehen. Im Barock fehlte zwar die für uns selbstverständliche Rechtssicherheit, doch dafür konnte über manche lässliche Sünde, wie die Flucht aus den Bleikammern, großzügig hinweggesehen werden.
Historiker haben errechnet, dass Casanova im Laufe seines Lebens auf seinen vielen Reisen eine Strecke zurücklegte, die dem Umfang der Erde entspricht – mit den damaligen Transportmitteln, die im Durchschnitt kaum schneller als sechs Kilometer pro Stunde waren!
Nach einem ebenso abwechslungsreichen wie gefährlichen Leben fand Casanova 1785 einen Unterschlupf als Bibliothekar des Grafen Waldstein. Etwa 1790 begann er mit der Niederschrift seiner umfangreichen Memoiren, die bis zum Jahr 1774 reichen. Schließlich verstirbt er einsam und traurig, mit degradierendem Körper, vermutlich an den Spätfolgen von Geschlechtskrankheiten, auf dem böhmischem Schloss Dux.
Ein charmanter Scharlatan
Durch sein geschicktes Auftreten und seine vielen Tricks vermochte Casanova als brillanter Hochstapler immer wieder gutgläubige Menschen, vor allem Frauen, für sich einzunehmen und beachtliche Summen zu ergaunern, die er dann ebenso freizügig verschwendete. In seinen Memoiren ist er ehrlich genug, seine Betrügereien offen zu beschreiben. Ein schlechtes Gewissen hat er nicht, denn aus seiner Sicht wollten die von ihm Ausgenommenen betrogen sein.
Erste okkulte Erfahrungen-
Als Casanova, etwa achtjährig, oft starkes Nasenbluten hatte, brachte ihn seine Großmutter in eine Spelunke, „wo wir ein altes Weib fanden, das mit einem schwarzen Kater in den Armen auf einem schmutzigen Bett saß und noch fünf oder sechs Katzen um sich hatte. Es war eine Hexe. Die beiden alten Frauen hatten ein langes Gespräch miteinander, das wahrscheinlich mich betraf. Zum Schluss dieser Zwiesprache … bekam die alte Hexe von meiner Großmutter einen Silberdukaten. Sie öffnete eine Kiste, nahm mich auf die Arme, legte mich hinein und schloss den Deckel, indem sie mir sagte, ich solle keine Angst haben. Diese Bemerkung wäre nun gerade genug gewesen, um mir Angst zu machen, wenn ich überhaupt irgendwelche Denkkraft besessen hätte; aber ich war ganz betäubt. Ich lag ruhig in einer Ecke zusammengekauert, hielt mir das Taschentuch unter die Nase, weil ich immer noch blutete, und kümmerte mich übrigens nicht im geringsten um den Lärm, den ich draußen machen hörte. Ich hörte abwechselnd lachen, weinen, singen, schreien und an die Kiste klopfen; mir war das alles gleichgültig. Endlich holten sie mich aus der Kiste hervor, mein Blut ist gestillt. Das sonderbare Weib macht mir hundert Liebkosungen, entkleidet mich, legt mich auf das Bett, verbrennt Kräuter, fängt den Rauch davon mit einem Tuch auf, wickelt mich in dieses ein, macht Beschwörungen wickelt mich darauf wieder aus und gibt mir fünf sehr angenehm schmeckende Zuckerplätzchen. Gleich darauf reibt sie mir die Schläfen und Nacken mit einer lieblich duftenden Salbe ein, und dann kleidet sie mich wieder an. Sie sagt mir, meine Blutungen würden ganz allmählich aufhören; nur dürfte ich niemanden erzählen, was sie gemacht habe …“ (1, S. 11 f.)
Das Nasenbluten hörte danach tatsächlich auf und später hatte Casanova eine ausgezeichnete körperliche Verfassung, mit der er mehrere Syphilis-Anfälle äußerlich geheilt überstehen konnte.
Beispielsweise in Paris die Frau d’Urfé, eine der reichsten Frauen Frankreichs. Diese war von okkulten Ideen geradezu besessen und besaß eine der größten alchemistischen Bibliotheken. Casanova konnte mit seinen alchemistischen und okkulten Kenntnissen glänzen und sich vor ihr als großer „Meister“ produzieren, während er sich reichlich an ihrem Vermögen bediente. Sein schändliches Vorgehen rechtfertigt Casanova auf eine Weise, die zum Ausdruck bringt, dass er selbst gegen den Glauben an den ganzen okkulten Unsinn immun war:
„Wenn ich geglaubt hätte, der Marquise ihren Irrtum benehmen und sie zu einem vernünftigen Gebrauch ihrer Kenntnisse und ihres Geistes zurücklenken zu können, so würde ich dies wahrscheinlich versucht haben, und dies wäre ein verdienstliches Werk gewesen; aber ich war überzeugt, dass ihre Betörung unheilbar war, und glaubte daher, nichts Besseres tun zu können, als auf ihren verrückten Gedanken einzugehen und meinen Nutzen daraus zu ziehen.
Wenn ich ihr als anständiger Mensch gesagt hätte, alle ihre Ideen seien albern, so würde sie mir nicht geglaubt haben; sie hätte angenommen, ich wäre neidisch auf ihre Kenntnisse; und wenn sie mich auch darum nicht für weniger gelehrt gehalten haben würde, so hätte ich doch in ihren Augen eingebüßt. Hiervon überzeugt, wusste ich nichts Besseres zu tun, als die Sache ihren Gang gehen zu lassen. Übrigens konnte ich mich in meinem Selbstgefühl geschmeichelt fühlen, dass eine berühmte Frau, die im Rufe bedeutender Kenntnisse stand, die mit den ersten Familien Frankreichs verwandt war und außerdem aus ihren Wertpapieren ein noch höheres Einkommen hatte als die achtzigtausend Livres Rente, die ein herrliches Landgut und eine Anzahl schöner Häuser in Paris ihr eintrugen, dass solch eine Frau, sage ich, mich als den tiefsinnigsten Rosenkreuzer und als den Mächtigsten aller Sterblichen ansah. Ich wusste auch auf das bestimmteste, dass sie im Notfalle mir nichts hätte verweigern können; und obgleich ich keinen bestimmten Plan hatte, um mir ihre Reichtümer ganz oder zum Teil zunutze zu machen, so empfand ich doch ein gewisses Vergnügen bei dem Gedanken, dass es in meiner Macht stände, dies zu tun“ (1, S. 294).
Casanova, groß gewachsen, breitschultrig und überheblich (3, S. 42), war ein gewissenloser Falschspieler, Hochstapler und schamloser Betrüger. Er war vielseitig gebildet und seine wissenschaftlichen Kenntnisse – von der Alchemie bis zur Mathematik – sind nicht zu unterschätzen. Casanova war ein typischer Barockmensch – voller Charme, Energie, „Saft und Kraft“. Dazu ein höchst unterhaltsamer, intelligenter Gesprächspartner, exzellenter Tänzer und vermutlich auch ein erfolgreicher Geheimagent. Er war hoch gebildet, sprach neben Italienisch auch Französisch, Griechisch, Lateinisch und konnte sich in den Spelunken der Falschspieler mit gleicher Selbstverständlichkeit bewegen wie auf einem Fürstenhof.
Seine in mehr als 20 Sprachen übersetzten Schriften gehören zu den bedeutendsten kulturgeschichtlichen Quellenwerken des 18. Jahrhunderts. Casanovas Memoiren gelten als das genaueste und persönlichste Sittengemälde einer Zeit, die in Glanz und Elend auseinander fiel. Es ist die Beschreibung einer frivolen Gesellschaft in leichtlebiger Zeit, wie wir sie uns kaum mehr vorstellen können. Im Alter wird er sich der Dekadenz dieser Gesellschaft bewusst, die ihrem Untergang in der Französischen Revolution entgegeneilte…
Fortsetzung „Die dunkle Seite der Aufklärung“ Teil 4.
Literatur:
(1) Casanova Giovanni Giacomo, Memoiren, Goldmann, München, 1960.(2) Hagl Siegfried, Spreu und Weizen, Gralsverlag, Hart-Purgstall, 2003.(3) McCalman Iain, Der letzte Alchemist, Insel, Frankfurt, 2004.
www …
Casanovas Reisen:
http://www.giacomo-casanova.de/.
Das Leben Casanovas:
http://de.wikipedia.org/wiki/Giacomo_Casanova.
Fußnoten:
[i] Es gibt die normale oder „blaue“ (nach der Farbe des Schurzes) Maurerei mit drei Graden (Lehrling, Geselle, Meister) und die mystische, „rote“ oder Hochgrad-Maurerei mit 33 oder mehr Graden. (Vgl. Lit. 2).
[ii] Die Kaufkraft von 1 Franc oder Livre entspricht etwa 10 Euro.