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Buch- und Filmbesprechungen

1421 – Als China die Welt entdeckte

Von Menzies, Gavin, Droemer, München, 2003.

(Veröffentlicht in GralsWelt 57/2010)

In der Geschichtsschreibung Chinas wird eine Seeexpedition erwähnt, die unter dem Oberkommando des Eunuchen Zheng He eine chinesische Flotte in den Indischen Ozean führte. Das war fast acht Jahrzehnte bevor Portugiesen (Vasco da Gama 1498) die indische Küste erreichten, und gegen die weitaus größeren, zahlreicheren, besser bewaffneten chinesischen Schiffe hätten die Europäer bei einem Seegefecht damals keine Chance gehabt. Die Erschließung des Ostindien-Handels wäre den Eindringlingen aus dem Westen verwehrt geblieben.

Diese allgemein bekannte chinesische Forschungsreise in den Indik war allerdings nur Anfang und Teil eines weit größeren Vorhabens, das bislang unbekannt geblieben ist: Die Erforschung der Welt durch chinesische Seefahrer und Geographen.

Kaiser Zhu Di (1360-1424)

Zu Beginn des 15. Jahrhunderts war China das bedeutendste Reich der Erde. Der „Sohn des Himmels“ hatte innerhalb weniger Jahrzehnte das Reich geeint, die Hauptstadt von Nanking nach Peking verlegt, und dort gewaltige Bauwerke errichten lassen. Zur Versorgung der schnell wachsenden neuen Hauptstadt (bald die größte Stadt der Welt) musste der Kaiserkanal (die Verbindung Pekings mit der See) vergrößert und erweitert werden, und zum Schutz der grenznahen neuen Hauptstadt ließ Zhu Di die Chinesische Mauer renovieren.  

Die Schatzschiffe

Im 14. Jahrhundert bauten Chinesen die zuverlässigsten und mit Abstand größten Segelschiffe, die je die Weltmeere befahren hatten. Diese „Schatzschiffe“ hatten Heckruder, Schotten, mehrere Decks, Kabinen für die Reisenden. Ein Standard-Maß für solche Riesenschiffe, die viele Häfen Ostasiens, Afrikas, Arabiens anliefen, war 142 m Länge und 55 m Breite.[i] Sie exportierten Porzellan, Seide, Tee und brachten Waren aus Afrika, Arabien, Persien, Indien, Südostasien.  

Der große Plan des Kaisers

Am Höhepunkt seiner Macht ließ Kaiser Zhu Di die bislang größte Armada aller Zeiten bauen. Hunderte von mit Kanonen bewaffneten Kriegsschiffen, Transportern, Handelsschiffen lichteten 1421 ihre Anker und stachen in See. Sie waren bestens proviantiert, konnten 3 Monate auf See bleiben und dabei mindestens 4.500 Seemeilen zurücklegen. Ihr Auftrag war, zu kartographieren und mit aller Herren Länder Handelsbeziehungen anzuknüpfen: Zwischen 1421 und 1425 erforschte die in vier Flotten geteilte Armada tatsächlich die Welt!

Chinesische Schiffe waren nicht nur im Indischen Ozean. Sie umrundeten das Kap der Guten Hoffnung und befuhren die Magellanstraße. Amerikanische Ost- wie Westküsten wurden vermessen, Grönland umrundet (bei dem damals wärmeren Klima!), und die Nord-Ost-Passage, von Island nach Kamtschatka, bezwungen. Fast nebenbei wurde Neuseeland entdeckt, Australien umrundet, und in die Antarktis (Süd-Shetland-Inseln) vorgestoßen.

Diese Leistungen scheinen unglaublich, vor allem weil sie uns bisher unbekannt waren, doch die von dem erfahrenen Seeoffizier Gavin Menzies in seinem beeindruckenden Buch vorgelegten Beweise überzeugen.

Die erste zuverlässige Weltkarte

Chinesische Astronomen hatten eine Methode gefunden, die geographische Länge zu ermitteln: Durch die zeitgleiche Beobachtung von Mondfinsternissen auf der gesuchten Länge und in Peking.[ii] Für die unmittelbare Seenavigation war diese Methode nicht hilfreich, doch aufgrund der Messungen und der angelegten Datensammlung der großen chinesischen Armada ließen sich die bis dahin genauesten Weltkarten zeichnen!

Europäische Seefahrer konnten zuverlässige Längenmessungen erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts durchführen.[iii]

Ein Blitzschlag bringt das Ende der chinesischen Seefahrt  

Als die Flotten schließlich nach Jahren voller Abenteuer zurückkehrten, gefüllt mit Schätzen aus aller Welt, und mit geographischen und hydrographischen Messungen von unschätzbarem Wert, hatte sich inzwischen ihre Heimat verändert: Der große Kaiser war tot, und das Land von Krisen erschüttert.

In China hatte sich folgende Geschichte wiederholt: Qin Shi Huang Di (Ying Zheng, 259-210 v. Chr.), der erste Kaiser, einigte das Land, ließ die Chinesische Mauer und das berühmte Grabmal mit der Terrakotta-Armee bauen. Er überforderte sein Reich in Kriegen und durch Baumaßnahmen so sehr, dass es bald nach seinem Tod auseinanderbrach.

Viele Jahrhunderte später hatte Kaiser Zhu Di, auch ein Einiger des Reiches, wiederum mehr vom  Volk verlangt, als es leisten konnte. Bürgerkriegsspannungen lagen in der Luft. Als während eines Unwetters ein Blitz den erst kürzlich fertiggestellten Kaiserpalast in Flammen aufgehen ließ, begann sogar der Kaiser an seinem „Mandat des Himmels“ zu zweifeln. In den Provinzen gab es Unruhen, und Mandarine, die Gegner der Expansion waren, triumphierten.

Der Nachfolger Kaiser Zhu’s ließ den Bau von großen Schiffen verbieten, sogar deren Pläne verbrennen, Logbücher und wissenschaftliche Aufzeichnungen der großen Forschungsreise vernichten. Nur wenige Berichte und Dokumente blieben erhalten. Ein Jahrhundert später waren die Entdeckungsreisen vergessen, die Kunst des Baues großer Schiffe für China verloren, der Überseehandel zusammengebrochen.

Endnoten:

[i] Die „Santa Maria“ des Kolumbus wird auf 24 m Länge und 8 m Breite geschätzt (vgl. Landström, Björn: „Das Schiff“, Bertelsmann, Gütersloh, 1973, S. 103).

[ii] Im Anhang seines Buches berichtet Menzies von wissenschaftlichen Nachprüfungen dieser Methode, die überraschend genaue Ergebnisse lieferten.

[iii] Genaueres zur Längenmessung in „Kurz, knapp, kurios“ Seite 188 „Der schicksalhafte Kampf um die Länge“.