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Welträtsel und Naturwunder Teil I.

(Veröffentlicht in GralsWelt Themenheft 11/2003)

D I E   S I E B E N  W E L T R Ä T S E L


Der in Berlin lehrende Naturforscher Emil du Bois-Reymond (1818-1896) hielt im Jahre 1872 in Leipzig eine vielbeachtete Rede über „die Grenzen des Naturerkennens“. Er erklärte, dass es eine Menge naturwissenschaftlicher Probleme gäbe, deren Lösung für alle Zeit unmöglich sei. In Anlehnung an die Zahl der Weltwunder der Antike sprach er beispielhaft von „Sieben Welträtseln“:

1. Das Wesen von Materie und Kraft (Energie)
2. Der Ursprung der Bewegung
3. Die Entstehung des Lebens
4. Die Zweckmäßigkeit der Natur
5. Die Erklärung der einfachen Sinnesempfindung
6. Die Herkunft des vernünftigen Denkens
7. Die Wirklichkeit der Willensfreiheit.

Du Bois-Reymond schloss seine Rede mit den Worten „ignoramus et ignorabimus“ (wir wissen es nicht und wir werden es nie wissen), die hitzige Diskussionen auslösten. Seine Rede wurde bald gedruckt und er beschrieb die seiner Meinung nach unlösbaren Rätsel der Natur genauer in einem Buch „Die sieben Welträtsel“.

Natürlich gab es Streit über Auswahl und Zahl der du Bois’schen Welträtsel, und besonders der in Jena lehrende Zoologe und Darwinist Ernst Haeckel (1834-1919) griff seinen Berliner Kollegen heftig an und behauptete, dass von unlösbaren Fragen keine Rede sei. Die von du Bois aufgelisteten Probleme seien teils lösbar, teils einfach falsch gestellt. Auch du Bois-Reymond räumte später ein (2), dass die Fragen 4, 6, und 7 nicht unbedingt transzendent und damit unlösbar sein müssten.

„Die menschliche Wissenschaft gleicht einer Kugel, die ununterbrochen wächst. In dem Maß wie  ihr  Umfang  zunimmt, wächst auch die Zahl ihrer Berührungspunkte mit dem Unbekannten.“
Blaise Pascal (1623-1662).

Nach einigen Jahren ebbte die Diskussion um die Welträtsel ab, und neue, wichtiger scheinende Fragen beschäftigten die wissenschaftliche Welt, die im 20. Jahrhundert das auch von du Bois-Reymond vertretene Weltbild der klassischen Physik grundlegend revidieren musste.

Doch bis heute bleiben auf dem Gebiet der Naturerkenntnis viele Fragen offen, und niemand kann sagen, ob es je möglich sein wird, die heute noch ungelösten Probleme, sowie viele weitere, die noch kommen werden, zu beantworten.

Was nun die oben genannten „sieben Welträtsel“ betrifft, so hat sich unser Verständnis dieser Problematik geändert, so dass heute kaum jemand mehr diese Fragen in der gleichen Form stellen würde:

Das Wesen von Materie und Kraft (Energie):
Im 19. Jahrhundert verstand man unter Materie die Gesamtheit der chemischen Elemente, die aus unteilbaren Atomen bestehen, die sich zu Molekülen verbinden können.

Die Entdeckungen des 20. Jahrhunderts, dass Atome aus kleineren Teilchen zusammengesetzt sind, dass Materie und Energie (im 19. Jahrhundert noch häufig als „Kraft“ bezeichnet) in einander übergehen können, also nur verschiedene Erscheinungsformen einer grundlegenden Naturgegebenheit sind, hat diese Fragestellung gewandelt.

Auch unsere Vorstellung von den Kräften hat sich verändert. Heutige Physiker kennen vier Grundkräfte des Universums (schwache Wechselwirkung, starke Wechselwirkung, elektromagnetische Wechselwirkung und Gravitation), die im 19. Jahrhundert teilweise noch unbekannt waren; doch niemand weiß sicher, ob das alle in unserer Welt wirksamen Kräfte sind.

Der Versuch, diese Kräfte auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen ist noch nicht abgeschlossen, so wenig wie die als „Weltformel“ bezeichnete Zusammenfassung von Relativitätstheorie und Quantenmechanik in einer (vieldimensionalen?) Quantenfeldtheorie, die möglicherweise eine neue Stufe der Vereinheitlichung bringen wird.

Allerdings fragt man in der Physik längst nicht mehr nach den Ursachen, also nach dem „Warum“, sondern begnügt sich mit der Beschreibung von Naturvorgängen, also des „Wie“. Die Suche nach den Ursachen und dem Wesen der Welt sind damit Philosophen und Theologen überlassen. (Vgl. „Energie, Entropie und Zeit“ unter „Wissenschaft“).

Der Ursprung der Bewegung
Diese Frage kommt aus dem mechanischen Weltverständnis der Antike. Auch Isaak Newton (1643-1727) sprach noch von einem, schon von Aristoteles vermuteten, „ersten Beweger“ und war der Meinung, dass der Schöpfer, nachdem er die Weltenkörper geschaffen, diesen auch noch ihren Anfangs-Impuls gegeben hätte, der sie befähigt, ihre Bahnen um die Sonne zu ziehen.

Heutige Astronomen sehen darin kein Problem; denn in der Verdichtung von Nebelwolken zu Sonnensystemen, ergibt sich bei der Kontraktion dieser Staubwolken zu Himmelskörpern der Impuls der Planeten, die ohne einen Eingriff von außen ihre elliptischen Bahnen finden.
Auch das Lebendige ist mit Bewegung verbunden, doch gilt das heute als ebenso unproblematisch, wie die Beschreibung physikalischer Effekte (z.B. dem Schall) als Bewegungsform.

Die Entstehung des Lebens
Wie aus toter Materie einst das organische Leben entstanden ist, bleibt bislang noch Spekulation. In der GralsWelt haben wir mehrfach davon berichtet (Vgl. „Leben auf dem Mars„, unter „Wissenschaft“), und uns u. a. mit der Frage beschäftigt, ob das Leben auf unserer Erde eine Ausnahme ist, oder ob Leben überall im Universum entsteht, wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind.

Die Zweckmäßigkeit der Natur
Das organische Leben auf unserer Erde hat sich in wunderbarer Weise den Bedingungen unseres Globus angepasst, seit vielen Jahrmillionen weiter entwickelt, dabei die Lebensbedingungen der Erde verbessert und harmonische ökologische Kreisläufe geschaffen. Zweifellos eines der „Wunder der Erde“.

Unsere darwinistische Erklärung der „natürlichen Anpassung“ durch „Versuch und Irrtum“ wirkt schal und wenig überzeugend. Leben ist sicher mehr als Materie und Energie, auch wenn wir das mit wissenschaftlichen Mitteln noch nicht beweisen können.

Die Erklärung der einfachen Sinnesempfindung
Die Neurophysiologie hat seit einem Jahrhundert viele Erkenntnisse sammeln können über die Aufnahme und Weiterleitung von Sinnesreizen.

Wie die Verarbeitung dieser vielfältigen Signale in unserem Gehirn vonstatten geht, ist bisher noch nicht zufriedenstellend geklärt, und man darf gespannt sein, ob Wissenschaftler auf diesem Forschungsgebiet noch dem aus der Naturwissenschaft verbannten menschlichen Geist oder der menschlichen Seele begegnen, als Voraussetzung für vernünftige Entscheidungen und bewusstes Handeln.

Herkunft des vernünftigen Denkens und der Sprache
Die Lösung dieser Frage wird sich von der Problematik der Verarbeitung und Interpretation von Sinnenreizen kaum trennen lassen.

Es geht um den Ursprung des „vernünftigen Handelns“, also zielgerichteter Entscheidungen, wie sie nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Tieren zu beobachten sind.

Die Annahme von „in den Genen verankerten Verhaltensprogrammen“ reicht schon bei Insekten nicht mehr aus; ganz abgesehen davon, dass der Ursprung solcher Verhaltensprogramme durch „Versuch und Irrtum“ allein oft nicht zu erklären ist.

Die Wirklichkeit der Willensfreiheit
Dieses Gebiet liegt nach meiner Ansicht außerhalb der Naturwissenschaften. Hier wären Philosophie oder Religion zuständig. 

Die Problemlösungen
Ein physikalisches Problem gilt in der Regel als gelöst, wenn sich der betreffende Naturvorgang durch einen mathematischen Formalismus beschreiben lässt.

Leider werden die benötigten Algorithmen immer komplizierter und unanschaulicher, und die Zeit ist längst vorüber, als man für alle physikalischen Vorgängen anschauliche, unserer menschlichen Erfahrung zugängliche Modelle fand. Wichtige Forschungsergebnisse sind dadurch in steigendem Maße nur noch Spezialisten verständlich.

Dann wird Naturwissenschaftlern häufig vorgeworfen, dass sie sich ausschließlich an materialistische Konzepte klammern, selbst dann, welche solche Ansätze anscheinend nicht ausreichen. Ein typisches Beispiel wäre der Neo-Darwinismus, dem viele nicht zutrauten, das 20. Jahrhundert zu überleben.

So falsch dieses Festhalten an Wissenschaftstheorien des 19. Jahrhunderts scheinen mag, so sollte man doch ein wenig Verständnis für wissenschaftlich Arbeitende aufbringen. Der naturwissenschaftliche Ansatz, der eine mathematische Problemlösung anstrebt, hat sich auf vielen, fast allen Gebieten des praktischen Lebens bestens bewährt, und unzählige abergläubische Vorurteile widerlegt.

Würde man erneut alles, was man derzeit nicht erklären kann, auf das „Wirken höherer Kräfte“ zurückführen, was wäre damit gewonnen? Wäre es hilfreich, eine neue Variable einzuführen, über die nichts Definitives ausgesagt werden kann, um so alles (oder nichts) zu erklären? Lange genug wurden die Menschen mit religiös genannten, abergläubischen Erklärungen ruhig gestellt, die nur der Machterhaltung des Klerus dienten und jeden Fortschritt hemmten.

Wahre Wissenschaftler werden immer offen sein für Einsichten, die über das derzeitige Weltbild hinausreichen, und es ist zu hoffen, dass eines Tages bei den Forschungen, z. B. auf dem Gebiet der Psychologie, das Transzendente so deutlich wird, dass man nicht umhin kann, es in die wissenschaftlichen Theorien einzubeziehen, selbst wenn es sich der mathematischen Beschreibung entziehen sollte.

Ungelöste Fragen
Nicht alle der im 19. Jahrhundert formulierten Welträtsel sind entschlüsselt, und die offenen Grenzfragen sind eher mehr als weniger geworden.
Auch die Art der Fragestellung hat sich gegenüber dem 19. Jahrhundert verändert; denn

„…gerade so fragt der Naturforscher nicht: welche Fragen sind die wichtigsten, sondern welche sind augenblicklich lösbar oder auch nur bei welchen ist ein kleiner reeller Fortschritt erreichbar? Solange die Alchimisten bloß den Stein der Weisen suchten, die Kunst des Goldmachens anstrebten, waren alle ihre Versuche fruchtlos; erst die Beschränkung auf scheinbar wertlosere Fragen schuf die Chemie. So verliert die Naturwissenschaft die großen allgemeinen Fragen scheinbar ganz aus dem Auge…“ (4, S. 20 f.).

Durch die Beschränkung auf das derzeit lösbar scheinende, verliert die Forschung an Attraktivität für die breite Öffentlichkeit, die vor allem an den Grundfrage interessiert ist, also an den „Neuen Welträtsels“, wie sie in der populären Literatur vielfach diskutiert werden.

Im Folgenden wollen wir uns einige dieser neuen Welträtsel näher ansehen, die meist auch Wunder der Natur sind. 

Fortsetzung Teil II.

LITERATUR:
(1) Aescht, Dr. Erna u.a. (Redaktion) „Welträtsel und Lebenswunder, Ernst Haeckel – Werk, Wirkung, Folgen“, OÖ Landesmuseum, Linz, 1998.
(2) Du Bois-Reymond, Emil „Rede vor der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, am 8. Juli 1880“.
(3) do. „Die sieben Welträtsel“, Berlin, 1881.
(4) Ferris, Thimothy „Das intelligente Universum“ DTV München, 1992.
(5) Gööck, Roland „Die letzten Rätsel dieser Welt“, Praesentverlag, Gütersloh, 1990.
(6) Haeckel, Ernst „Die Welträtsel“, Emil Strauß, Bonn, 1899.
(7) Jefromow, Iwan „17 Welträtsel“, DVA, Stuttgart, 1972.
(8) Naab, Friedrich „Die großen Rätsel und Mythen der Menschheit“, Bechtermünz, Augsburg, 1995.