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Religionsgeschichte

Wer glaubt denn heute noch an die Hölle?

(Veröffentlicht in GralsWelt 12/99)

Hölle und Teufel gehören im landläufigen Verständnis zusammen. Wer (wie heute die Mehrzahl, auch der Theologen) nicht mehr an den Teufel glaubt, für den wird es wohl auch keine Hölle geben. In Heft 11 ging GralsWelt-Redakteur Siegfried HAGL der Frage nach, ob die Vorstellung von einem „Widersacher Gottes“ *) wirklich nur Folklore ist; diesmal geht es um die sogenannte „Unterwelt“. Denn: Wer glaubt denn heute noch an die Hölle…?

Überraschender Weise ist der Glaube an die Hölle weit älter als der an einen Widersacher Gottes, an Luzifer, den Teufel. Von der Totenreise in die Unterwelt erzählen die verschiedensten alten Völker: Mesopotamier, Ägypter, Perser, Inder, Etrusker, Griechen, Römer, Germanen, Afrikaner, Indianer…

„… leicht ist zum Avernus der Abstieg,
Nacht und Tag steht offen das Tor des düsteren Pluto,
Aber zurückzulenken den Schritt zu den Lüften des Himmels,
Leistung ist es und Last…“
Vergil (70-19 v. Chr.), Aeneis VI, 126

„Alles Deuteln nutzt nichts: Der Gedanke ewiger Ver­dammnis, der sich im Judentum der beiden letzten vor­christlichen Jahrhunderte zusehends ausgebildet hat­te…hat seinen festen Platz sowohl in der Lehre Jesu…wie in den Schriften der Apostel… Insofern steht das Dogma auf festem Grund, wenn es von der Existenz der Hölle…und von der Ewigkeit ihrer Strafen spricht.“
Kardinal J. Ratzinger, 1977.

„Hölle: Biblisches Wort für den Ort der ewigen (vgl. Mt 25,41). Verdammnis (auch Scheol oder Gehenna); greift die Vorstellungen einer Unterwelt auf, wie sie dem alten orientalischen Weltbild ent­sprach. Gott will die Hölle nicht; der Mensch be­reitet sie sich selbst, wenn er bewusst und ausdrück­lich ablehnt, was Gott ihm schenken will.
Aus dem katholischen Katechismus „Grundriss des Glaubens“, 2. Aufl. 1984.

Berichte aus der Unterwelt

Diese alten Völker be­richten von einem dunklen, unterirdischen Ort. Um dorthin zu ge­langen, muss der Abgeschiedene einen Fluss überschreiten, entweder mit Hilfe einer Brücke oder durch die Dienste eines Fährmanns. In Urzeiten der Zivilisationen herrschte vermutlich die Vorstel­lung, dass alle Toten den gleichen Aufenthaltsort haben, und das Jenseits für alle in gleicher Weise düster und trostlos sei. Eine besondere Bestrafung der „Bösen“ oder eine Belohnung der „Guten“ wurde nicht gelehrt. Das Schicksal aller Abgeschiedenen war traurig: Sie irren als Schatten umher und sehnen sich nach dem Licht der Sonne.

Mit der fortschreitenden kulturellen Entwicklung wurden auch die Vorstellungen vom Weiterleben nach dem Tode differenzierter. So entstand z.B. in Ägypten von der Mitte des 3. Jahrtausends v.Chr. an ein ausgefeiltes Bild von der „Seelenreise“, die in altägyptischen Gräbern und im ägyptischen Totenbuch erläutert wird. Der Abgeschiedene muss im Jenseits für seine Taten Rechen­schaft ablegen – sein Herz wird gewogen. Schlechte Menschen haben vielfache Qualen durch dämonische Ungeheuer zu befürchten. Man darf annehmen, dass diese ägyptischen Höllenbilder großen Einfluss auf jüdische, griechische, christliche Vorstellungen hatten.

Eine erweiterte Vorstellung vom Jenseits entsteht im ersten vorchristlichen Jahrtausend im Iran. Beim Tod löst sich demnach die Seele vom Körper. Sie besitzt Leidensfähigkeit und Bewusstsein. Eine sündige Seele wird in die Hölle hinabgestoßen. Dort erwar­ten sie vielerlei Qualen – je nach der Schwere ihrer Verfeh­lungen -, die jedoch nicht ewig dauern, sondern der Läuterung dienen, damit sie am Tage des Weltgerichts mit auferstehen darf. Dann wird alles Falsche, auch die Hölle, vernichtet.

Hinduismus und Buddhismus verbanden solche Gedanken mit der Re­inkarnationslehre: Seinen Taten entsprechend muss der Mensch auf Erden oder im Jenseits in die Verhältnisse geraten, die er sich durch sein Verhalten erworben hat. So kann eine Inkarnation auf Erden ebenso eine Hölle sein, wie der Aufenthalt in den düsteren Ebenen der Unterwelt, die phantasievoll beschrieben werden.

Auch griechische und römische Dichter und Philosophen haben über die Hölle nachgedacht.
Platon (427‑347 v.Chr.) glaubte an ein jenseitiges Gericht, das verurteilte Seelen in den Tartaros schickt, die Edlen aber auf die „Inseln der Seligen“. Damit hat Platon die traditionellen Höllenvorstellungen mit geprägt.
Andere Philosophen wie Aristoteles (384‑322 v.Chr.) und Cicero (106‑43 v.Chr.) lehnten die Hölle gänzlich ab.
Ausgesprochen „modern“ urteilte Lukrez (97‑55 v.Chr.). Er warf den Religionen vor, diese Höllengeschichten, die unsere Angst schüren, erfunden zu haben, während es „meistens die Religion selbst war, die ver­abscheuungswürdige und verbrecherische Taten hervorbrachte.“
Am bekanntesten wurde die Beschreibung der Qualen des Tartaros, die Vergil (70‑19 v.Chr.) in der Aeneis gibt. Doch auch die Hölle des Vergil ist nicht ewig. Wenn die Seelen geläutert sind, wartet auf sie ein Aufenthalt im Elysium, und tausend Jahre später werden sie, nachdem sie Vergessen aus dem Fluss Lethe getrunken haben, in einem anderen Körper wiedergeboren.

Jüdisch-frühchristliche Vorstellungen

In den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung verbreitete sich die Vorstellung von einer Hölle als jenseitigem Ort der Bestrafung. Auch der altjüdische Kulturkreis blieb von diesen Strömungen nicht verschont. Laut Altem Testament soll die Be­strafung der Bösen aber entweder schon während des Erdenlebens erfolgen, oder erst bei einem Gericht „am Ende der Tage.“ (Dan. 12,13).

Zu Christi Lebenszeit gab es dann drei wichtige Strömungen inner­halb des Judentums:
* Die Sadduzäer, denen einflussreiche Aristokraten und Priester an­gehörten, kannten weder ein Weiterleben nach dem Tode noch eine Auferstehung.
* Die Pharisäer glaubten an eine Wiederauferstehung, ein Gericht und eine Bestrafung im Jenseits. Nach Flavius Josephus lehrten sie sogar die Reinkarnation:
„Sie glauben, dass die Seelen un­sterblich sind, dass sie in einer anderen Welt gerichtet, belohnt oder bestraft werden, je nachdem, ob sie in dieser Welt tugend­haft oder lasterhaft waren. Sie glauben, dass die einen auf ewig in diesem anderen Leben gefangen bleiben und dass die anderen auf diese Erde zurückkehren.“
* Die dritte wichtige Gruppe waren die Essener, die im Neuen Tes­tament nicht genannt sind. Johannes der Täufer soll ein Essener gewesen sein, und Jesus hatte wahrscheinlich Kontakte zu Essenern, die nach Flavius Josephus „glauben, dass die Seelen als unsterb­lich geschaffen sind, um nach dem Guten zu streben und sich vom Bösen abzuwenden, dass die Guten in diesem Leben noch besser wer­den durch die Hoffnung auf eine Glückseligkeit nach dem Tod, und dass die Bösen, die glauben, ihre schlechten Taten in diesem Leben verbergen zu können, in der anderen Welt durch ewige Qualen be­straft werden.“

Entsprechende Lehren finden sich auch im Neuen Testament, aus dem sich die später so populären Glaubenssätze von Hölle und Auferstehung ableiten lassen (z.B. bei Mark. 9,43‑48, Matth. 8,12 / 10,28 / 11,23 / 23,15 /25,46, Luk. 12,4 / 16,19‑31, Joh. 15,6, Offb. 14,10 / 19,20 / 21.8 usw.).

Furcht vor der Verdammnis

Mit dem Fortschreiten der Zeit werden die Bilder von der Hölle immer deutlicher und detaillierter.
In den ersten Jahrhunderten nach Christus beginnen sich die Kirchenväter mit der Hölle zu beschäftigen, und es tauchen erste Berichte von der „Höllen­fahrt Christi“ auf, welche frühe Christen sehr beeindruckten.
Im 6. Jahrhundert beginnt die Kirche eine offizielle Doktrin über die Hölle zu formulieren, und ab dem 4. Jahrhundert er­scheint die Hölle sogar in christlichen Glaubensbekenntnissen. Noch in unserer Zeit kann man im katholischen Glaubensbekennt­nis („hinabgestiegen in das Reich des Todes“) die einstige Über­zeugung von der Höllenfahrt Christi ahnen. Die Angst vor der Hölle wird ein wesentlicher Antrieb für Mönche, Gläubige und Konvertiten, an Jesus zu glauben und nach seinem Wort zu leben. So verlangt z.B. die Ordensregel des Benedikt von Nursia (480-­547), „den Tag des Gerichtes zu fürchten und vor der Hölle zu zittern“.

Illustrationen zu den theologischen Systemen liefern zahlreiche Visionen, an deren Echtheit mittelalterliche Menschen unbedingt glaubten. Entweder kehren Tote aus dem Jenseits zurück und berichten von ihren Erlebnissen, oder Visionäre schauen die dunklen Ebenen der Verdammten. Es ist eine lange Kette solcher Schauungen, die sicher nicht erst bei Ägyptern beginnen, sich bei Griechen (Homer und Hesiod), Römern (Vergil) fortsetzen und über Dantes „Göttliche Komödie“ und die Visionen der Theresia von Avila (1515‑1582) bis in unsere Zeit reichen. (Z.B. Garabandal, 1961).

So entsteht ein immer ausgefeilteres Bild von Hölle, Fegefeuer und Verdammnis. Prediger bemächtigen sich dieser Illustrationen und jagen ihren gläubigen Zuhörern Angst und Schrecken ein. In der bildenden Kunst häufen sich entsprechende Darstellungen.

Man kann den Eindruck gewinnen, dass es mittelalterlichen Geistli­chen als der beste Weg zum Seelenheil erschien, ihren Hörern panische Angst vor den Strafen im Jenseits einzutrichtern; und dieses „kirchliche Mittelalter“ reicht bis weit in die Neuzeit.
Ein prominentes Beispiel für einen neuzeitlichen Horror‑Prediger liefert der im Jahr 1925 heilig gesprochene „Pfarrer von Ars“ (Jean‑Marie Vianney, 1786‑1859), der sein ganzes Leben mit dem Teufel zu kämpfen hatte und an eine Verdammung des größten Teiles der Menschheit glaubte.

Islamische Höllenbilder

Anders als die Bibel, die mit Einzelheiten über die Hölle zurück­haltend ist, geht der Koran ausführlich und konkret darauf ein. Es scheint, als habe Mohammed auf die stark entwickelte Höllenmyth­o­lo­gie des vorderen Orients zurückgegriffen und ägyptische, semitische, jüdische und christliche Elemente übernommen.

So entstand eine „volkstümliche Hölle“, die so konkret beschrieben wird, dass es nicht allzu schwer scheint, daran zu glauben. Wenn auch die bildreiche Sprache des Korans manches offen lässt, so gibt es doch unter den Muslimen weniger Spekulationen über die „Gehenna“ als bei Christen über die „Hölle“.

Auch der Islam kennt ein Jüngstes Gericht. Die Seelen werden mit ihrem Sündenregister konfrontiert, das auf der Waage der Gerech­tigkeit gewogen wird. Dann müssen sie die Brücke Sirât überqueren, dünn wie ein Haar und scharf wie ein Schwert, die sich über die Hölle spannt. Die Bösen werden von Dämonen gestoßen und stürzen, während die Auserwählten, von Engeln geleitet, leicht hinüber ge­langen.

Allerdings bleibt auch im Islam Raum für Spekulationen. Wie bei den Christen, hat auch hier die Wartezeit zwischen Tod und Jüngstem Gericht Fragen aufgeworfen. Es scheint nicht sicher, ob die Bösen – wie die Mehrzahl der Muslimen glaubt – sofort nach ihrem Ableben Qualen ausgesetzt sind, die jedoch weniger hart sein sollten als die definitiven Höllenqualen nach dem Jüngsten Gericht. Auch ist nicht klar, ob die Hölle – wie bei den Christen – ewig ist. Da Allah allgütig und barmherzig ist, dürfen im Islam auch die Verdammten noch hoffen.

Die neue Zeit

Eineinhalb Jahrtausende lang wurde die Existenz der Hölle im Abendland kaum in Frage gestellt.
Was die Kirchenväter schon in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten begannen – eine Theolo­gie der Hölle zu entwickeln – wurde von mittelalterlichen Scho­lastikern fortgeführt.
Ab dem 12. Jahrhundert fügt sich die Hölle vollkommen in die christliche Lehre ein. Nicht länger zwischen Folklore und theologischer Spekulation schwankend, wird sie – von allen Ständen akzeptiert – zu einen unentbehrlichen Pfeiler des Weltbildes. Die Zweifler werden selten, bzw. zu Ketzern er­klärt, wie die Katharer, welche die Existenz der Hölle leugneten**).
Erst in der Neuzeit wurden die „höllischen Lehren“ ernsthaft in Frage gestellt. Die Kirchen mussten sich respektlos kritisieren las­sen und waren zuletzt gezwungen, stillschweigend von überkommenen Lehren abzurücken.

Heute breitet sich Schweigen über das einst zentrale Thema christlicher Verkündigung, und Worte wie „Fegefeuer“, „Hölle“ und „Ver­dammnis“ sind aus offiziellen kirchlichen Verlautbarungen gestri­chen.
Im neueren katholischen Katechismus erscheint das Wort „Hölle“ gerade noch in einer kleingedruckten Anmerkung von fünf Zeilen. Der Satz „außerhalb der Kirche kein Heil“ bleibt zwar noch bestehen, doch fragt man nach seinem Sinn im Zeitalter der Ökumene, in dem der Papst eine Synagoge besucht, die evangelische Taufe von der katholischen Kirche anerkannt ist, und christliche und buddhistische Mönche ge­meinsam meditieren. Mit der „Angst vor der Hölle“ lassen sich leere Kirchen jedenfalls nicht mehr füllen.

Endnoten:
*) Vgl. „Der Teufel, das ist doch nur Folklore“. 
**) Die Katharer leugneten die Hölle angeblich mit folgender Begründung: Da die Welt von Luzifer ge­schaffen wurde, wäre es abwegig zu glauben, dass dieser einen Ort der Qualen für sich selbst und seine Helfer geschaffen hätte…Die Katharer hatten demnach ein gnostisches Weltbild, demzufolge die sicht­bare Welt nicht von dem guten Gott, sondern von seinem Widersacher, dem Demiurgen (=Luzifer?) geschaffen wurde. Allerdings ist von der Religion der Katharer nur wenig Zuverlässiges bekannt.
Literatur:
(1) Flavius Josephus: „Antiquitates Judaicae“, Buch XVIII.
(2) Georges Minois: „Die Hölle“, Diederichs, München, 1994.
(3) „Grundriss des Glaubens“, Katholischer Katechismus, Kösel, München, 1980.