Kategorien
Wissenschaft

Darwin und die Evolution Teil 2

Die dynamische Welt der Natur

Veröffentlicht in GralsWelt Sonderheft 21/2008

Der Privatgelehrte
Am Ende seiner großen Reise auf der Beagle (Teil 1, „Darwins Reise zur Erkenntnis“) landet Charles Darwin am 2. Oktober 1836 in Falmouth (Cornwall).

Sein Lebensplan, Landpfarrer zu werden, war verflogen, und er widmet sich nun ganz der Naturforschung.

Diese zweite wichtige Epoche seines Lebens begann ganz unspektakulär mit dem Ordnen der auf seiner Reise gesammelten Fundstücke und der Herausgabe von Reiseberichten. Die wichtigste Arbeit geschah, für die Mitwelt unsichtbar, in seinem Kopf.

Darwin macht sich in wissenschaftlichen Kreisen einen Namen. Er wird im Februar 1838 Sekretär der geologischen Gesellschaft und bekommt Kontakte zu bedeutenden Persönlichkeiten.

Im Januar 1839 heiratet der Privatgelehrte Charles Darwin seine Kusine Emma Wedgewood aus einer reichen Fabrikantendynastie. Darwins eigenes und das Vermögen seiner Frau erlauben dem jungen Paar im Jahr 1842 den Kauf eines Landsitzes in Downe, südöstlich von London, wo der junge Ehemann sich ganz seinen Forschungen widmen kann.

Leider bekommt er gesundheitliche Probleme, die ihn immer wieder zur Unterbrechung seiner Arbeit und zu Kuren zwingen. Es sind wohl die Folgen einer Infektion (Schlafkrankheit?) die er in Südamerika eingefangen hat.

Nach Ansicht mancher Chronisten plagt ihn auch ein schwerer innerer Zwiespalt: Nach außen der inzwischen bekannte, angesehene Gelehrte, in dessen unausgesprochenen Gedanken immer deutlicher eine ketzerische Idee reift, die den Abscheu der anglikanischen Kirche erregen und ihn zum Außenseiter stempeln muss.

Darwins Blick auf die Evolution
„Es ist anziehend beim Anblick einer dicht bewachsenen Uferböschung, bedeckt mit blühenden Pflanzen aller Art, mit singenden Vögeln in den Büschen, mit schwärmenden Insekten in der Luft, mit kriechenden Würmern im feuchten Boden, zu denken, dass alle diese künstlich gebauten Lebensformen so abweichend unter sich und in einer so komplizierten Weise von einander abhängig, durch Gesetze hervorgebracht sind, welche noch fort und fort um uns wirken. Diese Gesetze, im weitesten Sinne genommen, heißen: Wachstum und Fortpflanzung; Vererbung, fest in der Fortpflanzung mit einbegriffen; Variabilität infolge der indirekten und direkten Wirkung äußerer Lebensbedingungen und des Gebrauchs oder Nichtgebrauchs; rasche Vermehrung in einem zum Kampf ums Dasein und als Folge zu natürlicher Zuchtwahl führenden Grade, welche letztere wiederum Divergenz des Charakters und Erlöschen minder vervollkommneter Formen bedingt. So geht aus dem Kampfe der Natur, aus Hunger und Tod unmittelbar die Lösung des höchsten Problems hervor, das wir zu fassen vermögen, die Erzeugung immer höherer und vollkommenerer Tiere. Es ist wahrlich eine großartige Ansicht, dass der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat, und dass, während unser Planet den strengen Gesetzen der Schwerkraft folgend sich im Kreise schwingt, aus so einfachem Anfang sich eine endlose Reihe immer schönerer und vollkommenerer Wesen entwickelt hat und noch fort entwickelt.“ Aus „Entstehung der Arten“ von Charles Darwin. (3, S. 571).

Die Rankenfüßler
Etliche Jahre widmet sich Darwin einem anscheinend nebensächlichen zoologischen Gebiet, über das er von 1851 bis 1854 ein vierteiliges Grundlagenwerk herausgibt: Eine Monographie der Rankenfüßler (cirripedia), die heute noch als Standardwerk der Rankenfüßlerforschung gilt. Die cirripedia sind kleine, ortsfeste, oft winzige niedere Krebse mit 800 Arten, selbst heute noch Stiefkinder der Meeresbiologie. Entenmuscheln und Seepocken gehören dazu.

Darwin hat in seiner Monographie über ein seltsam langweiliges Thema mit beharrlichem Fleiß und erstaunlichem Beobachtungsvermögen fundierte Detailkenntnisse bewiesen und ein noch heute angesehenes Grundlagenwerk geschaffen. Er zeigt der Fachwelt, dass er kein Amateur mehr ist, sondern ein bienenfleißiger Forscher mit profunden zoologischen Kenntnissen.

Immerhin trug diese Arbeit dazu bei, dass ihm am 30. November 1853 von der Royal Society eine königliche Medaille für die bedeutendste wissenschaftliche Arbeit des Jahres verliehen wurde. Darwin ist damit als Wissenschaftler anerkannt.

Ein wichtiges Ergebnis dieser Fleißarbeit an einer unverfänglichen, hochspezialisierten Tiergruppe waren zunächst unausgesprochene Erkenntnisse über den Wandel der Arten, die ihm später bei weit schwierigeren Aufgaben zugute kamen. So entdeckte er bei den unscheinbaren Tierchen eine Sensation, die damals außer ihm nicht viele zu würdigen wussten: Bei einer Art sind die Männchen mikroskopisch klein und leben wie Parasiten in Taschen des weit größeren Weibchens. Eine evolutionistische Übergangsform?

Das Weltbild der Kirchen
Das christliche Mittelalter bot ein geschlossenes, geozentrisches Weltbild, in dem sich die Menschen geborgen fühlten:
Die ganze Welt, der Kosmos, das Universum war von Gott geschaffen, aus dessen Hand alles hervorgegangen ist.
Im Mittelpunkt der Welt ruht die Erdkugel. Um sie herum die Sphären der sieben wandelnden Gestirne (Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter, Saturn), und zuletzt die Himmelsglocke, von der aus der Schöpfer sein Werk beobachtet und gegebenenfalls in die irdischen Vorgänge eingreift: Durch Wunder. Im Inneren der Erde, oder auch bei den Antipoden, war die Unterwelt, die Hölle, zu vermuten.
Dieses bibelkonforme Bild des Kosmos schien plausibel und war allgemein akzeptiert. Glaube und Wissenschaft widersprachen sich nicht. Naturphilosophie und Religion waren sich einig. Astrologie und Astronomie waren die gleiche Wissenschaft.
Auch das Alter der Welt ließ sich aus der Bibel berechnen. Die anglikanische Kirche, der Darwin einst als Landpfarrer dienen wollte, glaubte an eine Berechnung des Erzbischofs James Ussher (1580-1621), die den Beginn der Schöpfung auf die Nacht zum 23. Oktober 4004 v. Chr. datierte.
Mit der „Kopernikanischen Wende“ kam das heliozentrische Weltbild der Neuzeit. Die nun bewegte Erde wurde aus dem Mittelpunkt der Welt gerückt. Der feste irdischen Standpunkt ging verloren. Giordano Brunos (1548-1600) kühne These vom unendlichen Kosmos sprengte die Himmelsglocke und degradierte die Heimat des Menschen zu einem unbedeutenden Staubkorn im All.
Zu Darwins Zeiten wussten die Astronomen längst mit welch irrwitziger Geschwindigkeit die Erde durch das All rast. Einen ersten Beweis für die unvorstellbare Weite des Universums lieferte Friedrich Wilhelm Bessel (1784-1846) im Jahr 1838 mit Entfernungsmessungen von Fixsternen (Sonnen). Dieses neuzeitliche astronomische Weltbild zeigt ein Weltall von unerhörter räumlicher Größe.
Darwins Evolutionslehre – gestützt durch viele Funde aus Paläologie und Geologie – sprengte nun auch den zeitlichen Rahmen. Sie fügte den unvorstellbaren räumlichen Dimensionen des Alls eine ebenso unfassbare zeitliche Dimension hinzu und nahm den Menschen das Bewusstsein, direkt von Gott geschaffen zu sein.
Ein zweites Mal innerhalb von drei Jahrhunderten wurde das Begriffsvermögen der meisten Menschen weit überfordert. Das Gefühl, der „gesunde Menschenverstand“ lehnte sich gegen das Neue auf und fand Verbündete in den Kirchen.

Wie entwickelt sich das Leben?
Seit seiner Rückkehr nach England quält Darwin eine große Frage: Wie entstehen neue Arten?

Seine Materialsammlung und seine Notizen werden länger und länger. Auch ein „Entwurf über die Spezies-Frage“ liegt in seinem Schreibtisch. Im Fall seines plötzlichen Todes soll diese Skizze veröffentlicht werden.

Lange Jahre verlautbart Darwin darüber kaum etwas; denn er war sich der Brisanz seiner Gedanken wohlbewusst: Seine Frau, viele seiner Freunde, die Anglikanische Kirche, die britische Gesellschaft würden seine „unchristlichen“ Ideen verdammen.

So trägt er Mosaiksteinchen um Mosaiksteinchen zusammen, bis sich ein überzeugendes Bild ergibt, das kein ernsthafter Naturwissenschaftler mehr so einfach abtun kann.

Zusätzlich zu seiner eigenen Sammlung lässt sich Darwin von verschiedensten Wissenschaftlern Proben schicken. Er spricht mit Haustierzüchtern, untersucht Tauben und Kaninchen, um zu sehen, was sich durch Kreuzungen erreichen lässt. Wenn in Jahrhunderten durch Züchtung so unterschiedliche Hunderassen entstehen wie Zwergspitz und Dogge, was kann dann die Natur in vielen Jahrtausenden bewirken?

Darwin beweist, dass Pflanzensamen oder Laich von Amphibien Wochen oder gar Monate im Salzwasser überdauern. Meeresströmungen können diese Keime an unbesiedelte Inseln tragen, wo sie in geeigneten Biotopen wachsen und sich weiter entwickeln.

Die Entstehung der Arten
Im Mai 1858 erlebt Darwin eine Überraschung. Aus den fernen Molukken sendet der Naturaliensammler Alfred Russel Wallace (1823-1913) ein Manuskript von zwanzig Seiten mit der Bitte, Darwin möge es prüfen und an eine wissenschaftliche Gesellschaft zur Veröffentlichung weiterleiten.*

Darwin ist schockiert: Wallace beschreibt in kurzer Zusammenfassung genau die Gedanken, die Darwin selbst seit Jahrzehnten verfolgt. Doch von einer Veröffentlichung hat er immer wieder Abstand genommen. Er wollte ein Buch zu diesem Thema frühesten in einigen Jahren fertigstellen. Und nun?

Fair wie Darwin ist, beschreibt er auf einer Versammlung der „Linnean Society“, einer der ältesten wissenschaftlichen Organisationen, kurz seine eigenen Vorstellungen und verliest das Manuskript von Wallace. Diese fundamentalen Erkenntnisse finden kaum Beachtung und gehen in der Fülle der Tagungsbeiträge unter.

Darwins Selektionstheorie:
Folgt man Darwin, dann haben sich alle Lebewesen aus einfachsten Anfängen heraus zu der heutigen Vielfalt entwickelt. Um diese Entwicklung des Lebens zu erklären, genügen einfache, für jedermann nachvollziehbare Annahmen:
· Die Individuen einer Population sind nie ganz gleich, es gibt immer (geringfügige) Unterschiede, die Variationen.
· Jedes Lebewesen produziert mehr Nachkommen, als in seiner natürlichen Umwelt ihren Platz finden. Ein großer Teil kann daher das fortpflanzungsfähige Alter nicht erreichen.
· Die größten Aussichten, ihre Erbeigenschaften an Nachkommen weiterzugeben, haben die am besten angepassten, also die „geeignetsten“ Individuen. So sorgt die natürliche Auslese (Selektion) dafür, dass vor allem die am besten auf ihren Lebensraum angepassten Lebensformen sich fortpflanzen, die weniger geeigneten ausscheiden. Das ist der vielzitierte, nicht sehr glücklich mit „Überleben der Passendsten“ (Bestangepassten) übersetzte „survival of the fittest“.
Diese verblüffend einfachen Annahmen brachten im 19. Jahrhundert eine grundlegende Wende im Denken der Biologen. Die neuen Erkenntnisse beeinflussten weit darüber hinaus Weltanschauungen und die Politik, ja sie ließen sogar Religionen nicht unberührt. Der Erfolg des Darwinismus ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass er ein weiterer wichtiger Schritt der Naturwissenschaften war, die Bevormundung durch die Kirchen abzuschütteln.

Darwin steht unter Druck. Er muss dringend seine umfangreichen Notizen ordnen und seine epochalen Ideen in Buchform herausbringen. Im November 1859 erscheint dann endlich das grundlegende Werk:

„Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ (On the Origin of Species by Means of Natural Selection). Die erste Auflage von 1250 Exemplaren ist sofort vergriffen. Bis zu Darwins Tod folgen etwa 400 weitere Ausgaben in 29 Sprachen. Wallace hat freimütig zugegeben, dass er selbst nicht in der Lage gewesen wäre, eine so umfangreiche, fundierte Arbeit zu schaffen.

Noch wagt Darwin nicht direkt auf die Abstammung des Menschen einzugehen, sondern deutet nur in einem Satz an, dass auch der Mensch zu den Lebewesen gehört, die sich im Laufe einer langen Naturgeschichte entwickelt haben.

Er will auch die zu erwartenden Wogen glätten und meint:

„Ich sehe keinen Grund, warum die in diesem Buche (Entstehung der Arten) aufgestellten Ansichten gegen irgend jemandes religiöse Gefühle verstoßen sollten. Es dürfte wohl beruhigen, (da es zeigt, wie vorübergehend derartige Eindrücke sind) daran zu erinnern, dass die größte Entdeckung, welche der Mensch jemals gemacht hat, nämlich das Gesetz der Attraktion oder Gravitation, von LEIBNITZ auch angegriffen worden ist, weil es die natürliche Religion untergrabe und die offenbarte verleugne. Ein berühmter Schriftsteller und Geistlicher hat mir geschrieben, er habe allmählich einsehen gelernt, dass es eine ebenso erhabene Vorstellung von der Gottheit sei, zu glauben, dass sie nur einige wenige der Selbstentwickelung in andre und notwendige Formen fähige Urtypen geschaffen, als dass sie immer wieder neue Schöpfungsakte nötig gehabt habe, um die Lücken auszufüllen, welche durch die Wirkung ihrer eigenen Gesetze entstanden seien‘“ Aus „Entstehung der Arten“ (3, S. 561).

Doch die Lunte glimmt, bald werden Diskussionen um die neue wissenschaftliche Theorie beginnen, aus denen sich Darwin weitgehend heraushält.

Den teilweise heftigen Auseinandersetzungen zwischen Bibelgläubigen und Naturforschern um die Entwicklung der Lebewesen und die Entstehung des Menschen sei das nächste Kapitel dieser Darwin-Reihe gewidmet.

Fortsetzung Teil 3.

Literatur:
(1) Clark Ronald W., Charles Darwin, Fischer, Frankfurt, 1985.
(2) Darwin Charles, Die Fahrt der Beagle, marebuch, Hamburg, 2006.
(3) Darwin Charles, Entstehung der Arten, Schweizerbart, Stuttgart, 1867.
(4) Hagl Siegfried, Auf der Suche nach einem neuen Weltbild, Verlag der Stiftung Gralsbotschaft, Stuttgart, 2002.
(5) Hagl Siegfried, Die Kluft zwischen Wissenschaft und Wahrheit, Verlag der Stiftung Gralsbotschaft, Stuttgart 1986.
(6) Hagl Siegfried, Wenn es kein Wunder war, Verlag der Stiftung Gralsbotschaft, Stuttgart, 2000.
(7) Junker Reinhard, Scherer Siegfried, Evolution, Weyel, Gießen, 1998
(8) Schmitz Siegfried, Hermes Handlexikon Charles Darwin, ECON, Düsseldorf, 1983.
(9) Schmitz Siegfried, Charles Darwin, dtv, München, 1982.