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Wirtschaft und Soziales

Nie mehr arbeiten ?

(Veröffentlicht in GralsWelt 60/2010)

Die heutige, von der Automatisierung dominierte Arbeitswelt stellt unseren Sozialstaat vor die größten je gekannten Herausforderungen. Eine Bestandsaufnahme – und mögliche neue Wege für ein menschenwürdiges Leben.

Vor kurzem besuchte ich eine Automobilfabrik, in der ich selbst vor 35 Jahren gearbeitet hatte, um mir anzusehen, wie die mir einst gut bekannten Produktionsstraßen heute aussehen. Es war beeindruckend, die moderne, automatische Fertigung in menschenleeren Hallen mit im Takt arbeitenden Industrierobotern zu sehen, und dieser Eindruck regte mich zum Nachdenken an.

Wirtschaftswunder durch fleißige Menschen

In meinem Berufsleben habe ich noch Verhältnisse angetroffen, wie sie für die Mechanisierung typisch waren. Als ich 1958 in einer Reifenfabrik begann, gab es dort sogar noch eine kleine, spezielle Fertigung, in der die Produktionsmaschinen ganz klassisch, wie im 19. Jahrhundert, über Transmissionen mit Lederriemen angetrieben wurden. Heute findet man so etwas nur noch im Technik-Museum, nicht einmal mehr in Entwicklungsländern.

„Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorneherein ausgeschlossen erscheint.“
Albert Einstein (1879–1955).

Dann habe ich Werkhallen erlebt, in denen Hunderte von Menschen im Drei-Schicht-Betrieb rund um die Uhr tätig waren. Die Arbeiterinnen und Arbeiter waren zumeist angelernte Kräfte, ohne Berufsausbildung. Sie konnten in relativ kurzer Zeit für spezielle Aufgaben trainiert werden und waren dann in der Lage, mit Akkordarbeit mehr zu verdienen als ein einfacher Angestellter, der allerdings ein deutlich leichteres Arbeitsleben hatte. Die Akkordarbeit – ich selbst habe mein Geld ein Jahr lang im Drei-Schicht-Betrieb im Akkord verdient – war anstrengend; wer gezwungen war, an einem solchen Arbeitsplatz viele Jahre durchzuhalten, musste mit seiner Gesundheit bezahlen.

Denn das „Deutsche Wirtschaftswunder“ begann mit der harten Arbeit vieler fleißiger Menschen, international konkurrenzfähigem technischen Know-how, niedrigen Löhnen[i] und hohen Dollar-Kursen[ii].

Die Arbeit erleichtern – oder abschaffen?

Mitte der 1950er Jahre kam das Schlagwort „Automation“ auf, das heute kaum noch jemand in seiner ursprünglichen Bedeutung kennt. Pessimisten sahen bereits damals aufgrund dieser Zukunftsperspektive die Massenarbeitslosigkeit am Horizont heranziehen.

Das Wort Automation kommt von dem englischen Wort automatization. Dieser Begriff wurde wohl zum ersten Mal in den amerikanischen Ford-Werken gebraucht und bedeutete um 1910 den selbständigen Transport von Werkstücken zwischen den Maschinen.

In den 1950er Jahren war dann in Deutschland mit Automation eine Weiterentwicklung der bereits vorhandenen Mechanisierung und Automatisierung gemeint. Unter Automatisierung verstand man damals eine (teil-)automatische Steuerung von Fertigungsvorgängen. Steuerung wird meist als Zwangssteuerung definiert, wie man sie von der Ventilsteuerung des Viertaktmotors kennt.

Nun sollte die Automation in der Form Weiterentwicklungen bringen, dass an die Stelle der Steuerung die Regelung trat. Eine (Prozess-)Regelung ist kein von vornherein festgelegter Zwangsablauf mehr, sondern der Regelkreis kann flexibel reagieren. In eine Regelung fließen fortlaufend Messdaten ein, die verarbeitet werden und selbsttätig zu Maßnahmen führen, die den gewünschten Prozess innerhalb von Zielvorgaben halten. Die in den 1950er und 1960er Jahren verfügbaren Regler waren – verglichen mit den heutigen Möglichkeiten – noch ziemlich primitiv, und die Automation kam dementsprechend, je nach Aufgabengebiet, nur langsam voran.

Dann erschien die IT-Technologie und erweiterte den Raum des technisch Möglichen in ungeahnte Dimensionen; die „dritte industrielle Revolution“ konnte beginnen[iii].  

Für uns Ingenieure wird inzwischen unübersehbar, dass wir seit Jahrhunderten dabei sind, die Arbeit abzuschaffen. Es fing ganz bescheiden an, mit dem Ziel der Erleichterung der Arbeit. Arbeitserleichterungen sind aber fast zwangsläufig mit Produktivitätssteigerungen verbunden. Dann stellte sich die Frage: Soll man nun kürzere Zeit arbeiten oder mehr produzieren?

Für die Unternehmer standen von Anfang an die Produktivitätssteigerungen im Vordergrund, und der Wettbewerb tat das Übrige. Für höhere Löhne, die Verkürzung der Arbeitszeit und für bessere Arbeitsbedingungen setzten sich – in dafür günstigen Perioden oft mit Erfolg – Gewerkschaften, Sozialpolitiker und weitsichtige Unternehmer wie Henry Ford ein[iv].

Im 21. Jahrhundert sind wir nun in eine Phase eingetreten, in der die Sozialpolitik noch nach Antworten auf die neuen Gegebenheiten sucht.

Die Maschinen tun mehr und mehr das, was wir eigentlich immer schon wollten: Sie erledigen die Arbeit für uns. Menschen, Arbeiter werden dadurch beim Produktionsprozess immer weniger gebraucht. In den alten Industrieländern sind die Zeiten vorbei, wo vor und nach dem Schichtwechsel Hunderte, Tausende durch die Werkstore strömten. Insbesondere Tätigkeiten für wenig Qualifizierte fallen mehr und mehr weg; wer keine gute, spezialisierte Ausbildung hat, ist auf unserem Arbeitsmarkt nur schwer oder auch gar nicht zu vermitteln, um nicht zu sagen unterzubringen.

Andererseits haben wir uns schon fast daran gewöhnt, dass große Konzerne von Gewinnsteigerungen berichten und gleichzeitig den Abbau von Arbeitsplätzen ankündigen. In der Regel steigen nach solchen Nachrichten die Aktienkurse der betreffenden Unternehmen.

Nur am Rande sei erwähnt, dass mit dem Wegfallen vieler Arbeitsplätze noch ein weiteres, gravierendes soziales Problem entstanden ist: Die einst propagierte Integration der Zuwanderer mit Hilfe von Arbeitsplätzen ist gescheitert, da es für gering qualifizierte Migranten kaum noch Arbeit gibt. So betrug zum Beispiel die Arbeitslosigkeit im Jahre 2005 in Deutschland 11,7 Prozent, im Bundesland Berlin 18,5 Prozent, unter den türkischen Berlinern 48,5 Prozent und den arabischen Berlinern über 90 Prozent! (2).

Gibt es einen Lebensplatz ohne Arbeitsplatz?

Wer hätte denn vor fünf oder sechs Jahrzehnten, als Gastarbeiter ins Land gebeten wurden, gedacht, dass es eine Frage von kurzer Zeit sein würde, bis

• in den Werkshallen der Großindustrie zwischen vielen Robotern nur noch wenige arbeitende Menschen anzutreffen sind;

• im Supermarkt bald kein Kassenpersonal mehr nötig ist;

• die Abbuchung der Fahrtkosten und/oder die Fahrscheinkontrolle automatisch erfolgen kann;

• Geldautomaten die Bankkassierer verdrängen;

• Roboter das Verkaufspersonal ersetzten können;

• Getränkemixsysteme den Barkeeper überflüssig machen;

• satellitengesteuerte Roboter pflügen, säen, düngen, ernten, Rasen mähen usw.;

• Roboter die Kellner ersetzen (in einem Restaurant in Hongkong laufen solche Roboter schon zur Probe);

• Züge ohne Lokführer fahren;

• Flugzeuge ohne Piloten fliegen können;

• Autos ohne Chauffeur fahren können;

• der Internet-Handel die klassischen Vertriebswege in Bedrängnis bringt;

• elektronische Bücher und Lesegeräte das etablierte Verlagswesen und den Buchhandel in Frage stellen …

In letzter Konsequenz wird fast jede menschliche Arbeit, die sich auch von Maschinen erledigen lässt, aller Voraussicht nach früher oder später von Maschinen übernommen werden!

An eine Abschaffung der Maschinen, um auf diese Weise zwangsläufig einen Bedarf an menschlicher Arbeitskraft zu schaffen, brauchen wir nicht zu denken. Dieser Weg hat sich schon zu Beginn der Industrialisierung als Holzweg erwiesen, der nur zurück, nicht vorwärts führen kann. Denn Wohlstand ohne Hightech ist längst unmöglich.

Eigentlich stünden uns damit paradiesische Zustände bevor, in denen die meiste Arbeit von Maschinen erledigt wird, die keine Arbeitszeitbegrenzung und keinen Streik kennen. Man kann sich auf die faule Haut legen, den fleißigen Robotern bei der Arbeit zusehen, und wie im Schlaraffenland leben!

Oder ist das Schlaraffenland, das Leben ohne Arbeit, ohne sinnvolle Tätigkeit, doch eher eine Hölle als das Paradies? Was würden Sie unternehmen, wenn Sie sich nicht mehr gezwungen sähen, um des Überlebens willen täglich an Ihrem Arbeitsplatz zu erscheinen?

Einige Leute werden auch weiterhin die traditionellen Arbeitsplätze bedienen müssen oder dürfen. Die Maschinen, unsere „eisernen Engel“, müssen ja (weiter-)entwickelt, produziert, beaufsichtig, gewartet, repariert werden. Aber dazu genügt nach den Prognosen, die der US-amerikanische Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin in einem Interview äußerte, ein Bruchteil der heutigen Bevölkerung. Seiner Ansicht nach werden bis 2010 nur noch 12 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung in den Fabriken gebraucht. Bis 2020 sollen es dann weltweit nur noch 2 Prozent sein. Diese Schätzung dürfte überzogen sein; aber in der Tendenz trifft sie zu, und das ist erschreckend genug!

Und im Dienstleistungsgewerbe? Auch hier wird rationalisiert, Personal abgebaut, mit weniger Mitarbeitern mehr umgesetzt und ein besseres Ergebnis erbracht.

Was macht aber die Mehrzahl der vom Einkommen Abhängigen, wenn sie weder in der Produktion noch im Dienstleistungssektor gebraucht wird? Wo finden sie einen Lebensplatz, wenn es für sie keinen Arbeitsplatz gibt?

Die größten je gekannten Herausforderungen

Viele Jahrhunderte lang beruhte die Produktion von Gütern und Lebensmitteln und der daraus entstandene Wohlstand auf der Arbeit der Menschen. Es schien daher nur gerecht, Einkommen, die Teilhabe am Wohlstand, von der Arbeit abhängig zu machen. Im Zuge der Entwicklung wurde dann das Einkommen – eigentlich das Auskommen – an einen bezahlten Arbeitsplatz gekoppelt.

Wenn aber Arbeitsplätze mehr und mehr durch Maschinen ersetzt werden, wie kann dann jedem einzelnen ein Arbeitsplatz, also ein „Einkommensplatz“, zur Verfügung stehen? Oder wie kann von Maschinen produzierter Wohlstand in gerechter Weise auf alle Bürger verteilt werden? Nicht nur auf die, die einer Erwerbsarbeit[v] nachgehen, sondern auch auf jene, denen keine vergütete Tätigkeit angeboten werden kann?

Damit stehen wir vor der größten je gekannten sozialpolitischen Herausforderung. Das Arbeitsleben änderte sich mit so rasanter Geschwindigkeit, dass die Wahrnehmung der Umwälzungen durch die Bevölkerung und das Bewusstsein von Politikern nicht ausreichend schnell folgen können. Kaum jemand traut sich, offen auszusprechen, in welchen revolutionär veränderten Bedingungen wir bereits leben:

• Das vielbeschworene, schöne politische Ziel der Vollbeschäftigung ist ein unerfüllbarer Wunschtraum geworden, denn die dazu nötigen Arbeitsplätze schwinden dahin. Da hilft auch kein staatlicher Druck, der zur Annahme von Billig-Jobs zwingen will.

• Auch die Vorstellung, man könne die Arbeit gleichmäßiger verteilen, führt nur zu Dumping-Löhnen; denn es gibt nicht genug ausreichend bezahlte Arbeit für alle!

• Gesetzliche Mindestlöhne könnten denen, die Arbeit finden, eine angemessene Existenz sichern. Doch vervielfacht würden die Arbeitsplätze dadurch nicht. Manche Ökonomen befürchten, dass Lohnuntergrenzen die Verlagerungen von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer beschleunigen müssten.

• Einige Neo-Liberale möchten die Arbeitslöhne am liebsten ganz dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage überlassen. Dann wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Einkommen der abhängig Beschäftigten weltweit angeglichen hätten. In den Industrieländern bedeutete das einen regelrechten Absturz der Löhne. Die damit verbundenen sozialen Verwerfungen sind nur schwer vorstellbar.

• Die Koppelung des Einkommens an den Arbeitsplatz wird sich nicht aufrechterhalten lassen – ebenso wenig, wie die im Zuge der Globalisierung zunehmende Abhängigkeit vom internationalen Kapital.

• In wie weit sich solche Entwicklungen durch ein (im Zeitalter der Globalisierung utopisches) Abschotten der Industrieländer von den Schwellenländern aufhalten ließen, ist umstritten. (Vgl. „Der Globalisierungsschwindel“ unter „Wirtschaft und Soziales“).

 Neue Wege zur Rettung des Sozialstaates

Wenn wir nicht in vorrevolutionäre Zustände schlittern wollen, die schnell außer Kontrolle geraten können, müssen wir über  völlig neue Wege zur Rettung des Sozialstaates und vor allem des sozialen Friedens nachdenken. Die in etlichen Ländern – auch Europas – schon aufflackernden gewaltsamen Proteste sollten uns warnen.

Auf die Gefahr hin, dem Unverständnis mancher Leser zu begegnen, erwähne ich einen in jüngerer Zeit wieder angedachten  – eigentlich schon alten – Vorschlag, der ganz neue Wege gehen will: Ein bedingungsloses Grundeinkommen[vi] für alle Staatsbürger! Diese Grundsicherung befreite den Einzelnen von der Sorge um das tägliche Brot und gäbe ihm die Freiheit, zu arbeiten was er möchte und sich im Rahmen seiner  Persönlichkeit zu entwickeln. Es böte jedem die Möglichkeit, zu lernen, Arbeit zu kreieren, zu studieren, freiwillige Dienste zu leisten, künstlerisch kreativ zu werden, Ehrenämter zu übernehmen, oder sonstige gemeinnützige Leistungen zu erbringen, bezahlt oder unbezahlt.

Für den Staat ergäben sich Einsparungen, da ein großer Teil der sozialen Leistungen  samt der dazugehörigen Bürokratie entfiele.

Unterstützt werden müssten diese neuen Wege, die momentan vielen utopisch erscheinen, durch eine grundlegende Umschichtung der Steuern. Unser Steuersystem stammt ja aus einer Zeit der Binnenwirtschaft, in der sich große Teile der Bevölkerung selbst versorgten. In der Zeit der weltweiten Arbeitsteilung (Globalisierung) ist diese einkommensbasierte Besteuerung kontraproduktiv. In Zukunft sollte nicht das Einkommen durch Arbeit des Einzelnen besteuert werden, sondern sein Konsum. Statt der Einkommenssteuer also eine Konsumsteuer, die besonders den Energie- und Rohstoffverbrauch belastet, nicht die Arbeit. Das wäre auch ökologisch sinnvoll, denn leichte und energiesparende Geräte würden interessant, Reparaturen könnten sich lohnen, Schwarzarbeit gäbe es nicht mehr. Sogar über eine Maschinen-Steuer – an Stelle der heutigen Lohnsteuer – ließe sich nachdenken. Schließlich hatten in der deutschen Industrie die Personalkosten im Jahre 2007 nur noch einen Anteil von etwa 17 Prozent an den Gesamtkosten. Gleichzeitig stiegen die Unternehmensgewinne, während die inflationsbereinigten Netto-Einkommen der Arbeitnehmer sanken. An diesen geringen Lohnanteilen hängen die Sozialleistungen und ein großer Teil der Steuereinnahmen (Lohnsteuer), während die Maschinen durch Abschreibungen steuerlich subventioniert werden.

Wenn niemand mehr arbeiten muss …

Was würde geschehen. wenn niemand mehr zur Arbeit gezwungen ist?
Die Einstellung zur Arbeit war in verschiedenen Epochen des Abendlandes sehr unterschiedlich. Lange galt es als Privileg, nicht arbeiten zu müssen. Die Reichen konnten dementsprechend die notwendigen Tätigkeiten zum großen Teil den Ärmeren oder auch Sklaven überlassen, sich selbst auf die Leitung der Arbeiten beschränken, oder sich künstlerischen und wissenschaftlichen Gebieten widmen. Das änderte sich mit dem Aufkommen der „Protestantischen Arbeitsethik“[vii]. So könnte man es als begrüßenswerten Zustand ansehen, wenn in Zukunft keiner mehr dem Zwang zum Arbeiten „um zu essen“ unterliegt.

Wahrscheinlich wären wir überrascht, was sich in einer Gesellschaft ohne Arbeitszwang für die Befriedigung der Grundbedürfnisse an sinnvollen Entwicklungen ergeben könnte.

Vielleicht würden einige wenige ihr Leben vor dem Fernseher verbringen oder ihre Zeit mit Computerspielen totschlagen. Doch die Mehrzahl der Menschen würde meines Erachtens arbeiten, lernen, mitwirken, einen sinnvollen Beitrag zur Gestaltung unserer Gesellschaft leisten; kurz: kreativ sein. Man muss ihnen die Chance dazu geben! Sie brauchen sich nur zu fragen, was Sie persönlich tun würden.

So könnten sich ganz neue Entwicklungen in Teilen von Kultur und Zivilisation ergeben, die bisher als „nicht wirtschaftlich“ vernachlässigt werden. Zum Beispiel in der Kinderbetreuung, in Schulen, in der Kranken- und Altenpflege, in religiösen Gemeinschaften, in Landschaftspflege, Naturschutz, Kunst, Musik, Sport, Theater, Vereinen, die alle ihre Lebendigkeit aus der freiwilligen Mitarbeit von Menschen beziehen. Auf diesem sogenannten „dritten Sektor“[viii], dem „Nonprofitsektor“ sind die größten Zuwachsraten für eine sinnvolle Betätigung möglich!

Gelingt es nicht, diesen Sektor auszubauen und für die aus der Einkommenswelt durch einen Arbeitsplatz Ausgestoßenen attraktiv zu machen, dann wird sich der „vierte Sektor“ dramatisch entwickeln: der Schwarzhandel, die Schwarzarbeit und besonders die (organisierte) Kriminalität. Die Gesellschaft wird dann korrupt und labil, die Gefängnisse quellen über.[ix]

Das Schicksal von Millionen Menschen …
„Das Schicksal von Millionen Menschen liegt in der Hand profitgieriger Unternehmer und untätiger Regierungen. Viele Arbeitnehmer, die in Angst vor einer Entlassung leben, die sich unfreiwillig mit einer Teilzeitarbeit und einem geringen Gehalt zufrieden geben müssen oder die gar auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, spüren die Folgen der globalen Umstrukturierung der Wirtschaft am eigenen Leib. Mit jeder neuen Erniedrigung sinkt ihr Selbstvertrauen und ihr Selbstwertgefühl weiter. Sie werden nicht mehr gebraucht, sie wurden überflüssig und verschwinden schließlich ganz hinter dem Glanz der neuen Hightech-Ökonomie.“               Jeremy Rifkin (3, S. 157).

„Brot und Spiele“ taugen wenig zur geistigen Förderung!

Ich wage zu sagen, dass wir grundlegend andere sozial- und gesellschaftspolitische Lösungen brauchen, als die in den vergangenen Jahrhunderten gewohnten. Viele Gruppen, deren Interessen die derzeitigen Verhältnisse noch dienen, werden sich dabei heftig gegen die unvermeidbaren Neuerungen wehren, die dem Altgewohnten widersprechen. Doch Abwarten und Nichtstun ist sicher das schlechteste Modell. Auch das Argument, dass so etwas nur „global“ angegangen werden könne, sollte uns nicht vom Nachdenken abhalten.

Viele arbeitende Menschen schöpften und schöpfen ihr Wertbewusstsein aus ihrem Beruf und ihrer Arbeitsleistung. Wird ihnen die Arbeit genommen, stehen sie vor einem inneren Vakuum, das nach Sinnerfüllung schreit. „Brot und Spiele“ allein bieten kein erfülltes Leben und taugen wenig zur geistigen Förderung des Menschen; das hat sich schon in der römischen Geschichte gezeigt. Daher muss unsere Gesellschaft in einer neuen Weise organisiert werden, die jedem Mitmenschen nicht nur einen Lebensplatz sichert, eine (bescheidene) Teilhabe am Wohlstand erlaubt, sondern ihm besonders auch eine individuelle Mitwirkung an der Gestaltung unserer Gemeinschaft ermöglicht. Neben den irdischen Tätigkeiten muss dabei der inneren, der geistigen Entwicklung ein hoher Stellenwert eingeräumt werden.

Im Grunde stehen wir weiterhin vor der seit Jahrhunderten diskutierten Frage der Verteilungsgerechtigkeit[x]. Anarchisten, Kommunisten, Ökonomen, Philanthropen, Philosophen, Sozialisten, Sozialpolitiker, Theologen haben dazu gestern wie heute vielseitige Vorstellungen entwickelt. Für uns alle unstrittig ist, dass wir jetzt über die zukünftige Organisation unserer Gesellschaft nachdenken müssen, damit wir rechtzeitig und möglichst ohne katastrophalen Handlungsdruck agieren können! Dazu ist „brain-storming“ unerlässlich – auch das Einbringen von exotischen, auf den ersten Blick utopischen oder zu weit gehenden Vorschlägen, aus denen sich dann aber etwas wirklich Neues, Brauchbares herauskristallisieren kann.

Literatur:
(1) Der Spiegel Nr. 51/2007, vom 17. 12. 2007.
(2) Ghadban Dr. Ralph, „Europäisierung des Islam oder Islamisierung Europas?“, Vortrag am 22. März 2007 auf Schloss Bückeburg, Carl Friedrich von Weizsäcker Gesellschaft e.V.
(3) Rifkin Jeremy, Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, Campus, Frankfurt 2004.
(4) Werner Götz W. Einkommen für alle, Kiepenheuer & Witch, Köln 2007.
(5)Werner Götz W. Das bedingungslose Grundeinkommen (Audio-CD).
(6) http://de.wikipedia.org/wiki/bedingungsloses_Grundeinkommen.
http://de.wikipedia.org/wiki/grundeinkommensmodell_nach_G%C3%B6tz_Werner
http://www.archiv-grundeinkommen.de/.

(7) http://www.destatis.de.

(8) http://www.freiheitstattvollbeschaeftigung.de.

Endnoten:
[i] Mein Stundenlohn als Fabrikarbeiter war Anfang 1958 DM 2,13 (Tariflohn DM 2,08 + 0.05 Schichtzulage).
[ii] Nach der Währungsreform lag der US$ längere Zeit bei DM 4,20.
[iii] Unter der „Ersten industriellen Revolution“, die Ende des 18. Jahrhunderts begann, kann man die Dampfmaschine und die Verwendung von Kohle als Energieträger verstehen. In der „Zweiten industriellen Revolution“ trat Öl in Konkurrenz zur Kohle und die Elektrizität wurde wichtig (zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bis nach dem Ersten Weltkrieg). Die „Dritte industrielle Revolution“ begann nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Computertechnik.
[iv] Vgl. „Ein total verrücktes Experiment“ unter „Wirtschaft und Soziales“.
[v] Die typische „weisungsgebundene, bezahlte, sozialversicherungspflichtige Erwerbsarbeit“.
[vi] Die Idee eines „Sozialeinkommens“ wurde meines Wissens zum ersten Mal 1963 in den USA von einem „Ad Hoc Committee an the Triple Revolution“ in die Öffentlichkeit gebracht (3, S. 205). Inzwischen treten private Initiativen oder politische Parteien (zum Beispiel in Frankreich) dafür ein.
[vii] Vgl. den Kasten „Armut ist keine Schande“ in- „Warum wir in die -Bevölkerungsfalle stolpern“ unter „Ökologie“.
[viii] Der erste Sektor ist die Industrie, der zweite die Dienstleistungsbranche.
[ix] Im Jahr 1980 betrug die Anzahl der Gefängnisinsassen in den USA 330.000. Bis zum Jahr 2000 saßen fast 2 Millionen Menschen in den Haftanstalten! (3, S. 11.).
[x] Vgl. „Die Gerechtigkeitslücke“ unter „Wirtschaft und Soziales“.