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Wirtschaft und Soziales

Erwachen aus unruhiger Nacht

(Veröffentlich in GralsWelt 64/2011)

Ist die USA am Ende, folgt dem „amerikanische Traum“ nun das Erwachen aus einer unruhigen Nacht. Bietet die absehbare große Krise der Welt die Chance für eine naturverträgliche Zukunft?

Wer Aktien besitzt, lauscht gespannt auf die Nachrichten von der Wallstreet. Denn dort ist die bedeutendste Börse, die Leitlinien für den Rest der Welt vorgibt. Wenn die Kurse in New York stark fallen, dann stürzen regelmäßig auch die deutschen Aktien ab. Anschließend erholen sich die amerikanischen Wertpapiere in der Regel schneller als zum Beispiel die europäischen. Die USA sind eben die stärkste wirtschaftliche und militärische Macht, die politische Führungsmacht der westlichen Welt, das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ mit dem US-Dollar als der weltweiten Leitwährung.

Grenzenloser Optimismus

Seit zwei Jahrhunderten träumen sowohl die Auswanderer wie auch die US-Bürger vom schnellen Geld, von der sprichwörtlichen Karriere „vom Tellerwäscher zum Millionär“. Wer hart arbeitet, mit eisernem Willen voranstrebt, der wird auch Erfolg haben. Dieser „amerikanische Traum“[1] ist in historischen Erfahrungen begründet:

Europa bestand in vergangenen Jahrhunderten aus vergleichsweise dicht bevölkerten Ländern mit starren Klassenschranken und verhärteten Strukturen, die nur geringe Aufstiegschancen boten. Politisch zersplittert, durch Kriege heimgesucht, von meist engstirnigen Fürsten absolutistisch regiert, gab es wenig Freiraum für tüchtige Aufstiegswillige, und schon gar nicht für mutige Querdenker.

Die Entdeckung Amerikas wurde dann zur Quelle für Utopien der Neuzeit. Hier konnte sich das Renaissancebild vom „neuen Menschen“ erfüllen, oder der Traum der Philosophen der Aufklärung von der freien Entfaltung der schöpferischen Persönlichkeit.

Die ersten Einwanderer in die „Neue Welt“ – meist Angehörige von in Europa diskriminierten religiösen Minderheiten – überquerten den Atlantik nicht nur mit der Bibel in der Hand, sondern sie lasen auch Thomas Morus’ (1478–1535) „Utopia“, Francis Bacons (1561–1626) „Neu-Atlantis“ oder Thomaso Campanellas (1568–1639) „Sonnenstaat“. Seither ist in der Geschichte der USA die Idee verankert, dass ein göttlicher Plan die Menschheit in „Gottes eigenem Land“ zur Vollendung führe. Diese Verbindung einer gläubigen Grundhaltung[ii] mit einer freiheitlichen Verfassung ist „im Reich des Guten“ (abgeleitet von Jeffersons „empire of liberty, empire of right“) noch heute spürbar.

In den 1776 gegründeten USA stießen mutige Pioniere in unerschlossene Weiten vor. Sie sahen sich in einem grenzenlosen Land mit unerschöpflich scheinenden Ressourcen, in dem alles möglich schien. Ein Boom löste den anderen ab: Zuerst der Pelzhandel, dann die Landnahme bis zum Mississippi, der kalifornische Goldrausch, die Eroberung des Westens bis zum Pazifik, der Eisenbahnbau, die Büffelernte, die großen Viehtriebe, Bergbau, Ölbohrung und Industrialisierung, der Goldrausch von Alaska, die Massenproduktion, das Fließband.

Wer einen Boom versäumt hatte, musste eben die nächste Chance ergreifen. Alles schien möglich, jedem stand theoretisch alles offen, und die eigene Initiative bestimmte, ob ein Lebensweg zum Erfolg führte oder in Armut oder gar in den Tod.

Nach dem Ende des Bürgerkriegs (1865) erlebten die USA zuerst ein „produktives Chaos“, das bald in einen beispiellosen Aufstieg mündete, und die Vereinigten Staaten schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg zur ersten Wirtschafts- und Militärmacht aufsteigen ließ. In der mit dem grandiosen Aufstieg der USA verbundenen Euphorie kam niemand auf die Idee, dass die offensichtlich so florierende amerikanische Wirtschaft ihre Ressourcen rigoros ausbeutet und auf Energie- und Rohstoffverschwendung sowie Naturzerstörung basiert.

Diese beeindruckende, allem Anschein nach ungefährdete und als Fortschritt empfundene Entwicklung hat bisher unser Amerikabild geprägt: schnelleres Lebenstempo, laufendes Wachstum, Mobilität, Flexibilität, immer neue Herausforderungen, die man in den USA bravourös meistert.

Als John F. Kennedy 1961 den Flug zum Mond ankündigte, sprach er von einer „neuen Grenze“ und bezog sich damit auf die Aufbruchsstimmung bei der Eroberung des Westens. Dass dieser Traum vom schnellen Aufstieg in ungeahnte Höhen auch heute möglich werden kann, zeigt unter anderem der Gründer des Software-Imperiums „Microsoft“, Bill Gates. Dieser erfolgreiche Unternehmer erteilt auch den in Europa eifrig gepflegten, geschichtsphilosophischen Betrachtungen eine Absage, wenn er schreibt:
„In unserer Branche verändern sich die Dinge so rasch, dass man sich mit der Rückschau nicht lange aufhalten kann.“

Zum Selbstverständnis der US-Bürger gehört es, die eigenen Vorstellungen von Frieden, Freiheit, Menschenrechten und Demokratie in der Welt zu verbreiten. Nationen, die diesen guten „American way of life“ ablehnen, stoßen in den USA auf Unverständnis. Dabei wird in Nordamerika wie in Europa oft verdrängt, dass
„…weder Demokratie noch die freiheitlichen Grundrechte Garantien sind für Wohlstandsfortschritt. In Europa gibt es vielmehr manche historischen Beispiele dafür, dass demokratische Verfassungen erst nach Erreichen eines gewissen allgemeinen Bildungsstandes und nach Überwindung unmittelbarer existenzieller Not durchgesetzt und dauerhaft etabliert werden konnten.“
Das schreibt Helmut Schmidt in seinem Buch „Die Mächte der Zukunft“ (8, S. 30).

In Asien wurden Japan, Südkorea, Taiwan und Singapur diktatorisch regiert, bevor im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs auch die Demokratisierung fortschreiten konnte, und China – derzeit das Land mit dem größten Wirtschaftswachstum – ist weit von einer demokratisch gewählten Regierung entfernt.

Aus der Traum?

Seit Jahrzehnten leben die USA über ihre Verhältnisse. Die Staatsverschuldung nähert sich der astronomischen Summe von 15 Billionen Dollar (das sind fast 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Der typische Amerikaner steht mit seinen Kartenkrediten bei Banken tief in der Kreide; die privaten Schulden liegen bei fast 14 Billionen Dollar. Hunderttausende wissen nicht mehr, wie sie nach dem Zusammenbruch des Immobilienbooms, der kürzlich erfolgte, in der dadurch ausgelösten Wirtschaftskrise ihre Häuser abzahlen sollen.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer und größer; fast 45 Millionen (von 291 Millionen) Amerikaner gelten als arm. Die Arbeitslosenquote liegt derzeit offiziell bei 10 Prozent; zählt man jene hinzu, die resigniert aufgegeben haben und in keiner Statistik mehr erscheinen, sollen es 20 Prozent sein (2). Sie alle müssen mit einem sehr weitmaschigen sozialen Netz zurechtkommen.

Auch die Löhne steigen nicht mehr so schnell wie vor einer Generation, und die inflationsbereinigten Einkommen sinken – zumindest beim Mittelstand und dem Prekariat. Betriebstreue garantiert keinen sicheren Arbeitsplatz, so wenig wie häufiger Jobwechsel noch jedes Mal ein höheres Gehalt einbringt. Selbst eine erstklassige Ausbildung ist keine Garantie für ein gutes Einkommen. Sogar viele ehemalige Topleute müssen sich nach dem Absturz der „New Economy“[3] mit bescheideneren Gehältern begnügen. Wenn die Haushaltseinkommen nicht sinken sollen, müssen – statt wollen – schon seit Jahrzehnten in immer mehr Familien beide Ehepartner verdienen.

Der internationale Wettbewerb ist härter geworden, und die Globalisierung ist auf bestem Weg, die Vorherrschaft der westlichen Industrienationen zu beenden. So gingen auch in den USA viele Industriearbeitsplätze verloren. Amerikanische und europäische Arbeiter stehen in Konkurrenz mit Arbeitsuchenden in Entwicklungsländern, die – nicht selten gut ausgebildet – billiger „zu haben“ sind.

Läutet die von amerikanischen Regierungen geförderte Globalisierung nun das Ende des amerikanischen Traumes ein? Wird die Weltwirtschaft mit offenen Grenzen zum Bumerang, der die amerikanischen (und die europäischen) Arbeitnehmer hart trifft?

Vermutlich ist das der Preis, der dafür gezahlt werden muss, dass eine Weltwirtschaft, in der, wie Peter Scholl-Latour es ausdrückt, „profitbesessene und untaugliche Manager“ (7, S. 51) das Sagen haben, ihr Ziel allein im geldwerten Profit, sogar allein im „Shareholder Value“ sieht. Vergessen scheint, dass die Ökonomie für den Menschen da ist, und nicht der Mensch für die Ökonomie. Der Austausch zwischen Geben und Nehmen, der ausgeglichen sein muss, um eine funktionierende Zivilisation zu erhalten, ist außer Sicht geraten, ebenso wie das Wissen, dass ideelle Werte wirklich einen Wert haben.

In der Vergangenheit versuchten schlechte Regierungen inneren Krisen zu entkommen, indem sie außenpolitische Abenteuer riskierten. Doch dieser Weg wird in der heutigen Welt immer schwieriger, und kein Staat (die übermächtigen USA eingeschlossen) darf mehr darauf hoffen, dass er seine Finanzen durch Krieg und Raub sanieren kann. So ging es auch mit den USA seit dem Vietnamkrieg bergab. Der Staat musste sich durch eine immense Rüstung und überschäumende Kriegskosten immer mehr verschulden und verlor an Ansehen und Glaubwürdigkeit in der Welt.

„In Europa geht das Wort um, dass unsere Sache auch die Sache der Menschheit ist, und dass wir, indem wir für unsere Freiheit kämpfen, auch für die Freiheit Europas kämpfen.“
Benjamin Franklin (1706–1790).

„… es sind Moral und Religion allein, welche die Prinzipien begründen, auf denen Freiheit sicher stehen kann.“
John Adams, 2. Präsident der USA (1735–1826).

„Ah, Genueser, dein Traum! Dein Traum! Jahrhunderte nachdem du ins Grab gelegt, macht das Gestade, das du entdeckt, deinen Traum zur Wahrheit.“
Aus der „Hymne auf Kolumbus“ des amerikanischen Dichters Walt Whitman (1819–1892).

„Dieses Land wird nicht von seiner Bürgerschaft regiert, in der jeder von uns eine Stimme hat, sondern von der Börse, die entsprechend ihren Anteilen den Aktionären gehört.“
Der amerikanische Romancier Philip Roth (geb. 1933).

Europa als Vorbild?

Der Amerikaner Jeremy Rifkin, bekannter Autor, Globalisierungskritiker, Gründer und Vorsitzender der „Foundation on Economic Trends“ (FOET) in Washington, sieht die USA im Niedergang begriffen. Er sagt, dass viele Amerikaner an der Zukunft des einst unbestrittenen amerikanischen Traums zweifeln. Wie aber lässt sich die außer Kontrolle geratene Ökonomie nach amerikanischem Vorbild zähmen und auf menschlichere Wege lenken? Wie kann eine USA aussehen, die nicht nur den Reichen und den Börsenspekulanten einen Amerikanischen Traum ermöglicht?

Nach Rifkins Meinung, indem man auf europäische Beispiele zurückgreift:
„Unser Traum stützt sich auf uneingeschränktes Wirtschaftswachstum, materiellen Reichtum und individuellen Fortschritt, der europäische Traum aber auf Lebensqualität, nachhaltige Entwicklung und eine nährende Gemeinschaft“ (10).

Ausgerechnet das „alte Europa“ soll zum Vorbild für die US-Ökonomie werden?
Die europäischen Staaten sind ebenfalls überschuldet. Sie stöhnen unter entscheidungsschwachen Regierungen, einer schwerfälligen, wenig demokratischen Bürokratie in Brüssel, leiden unter Arbeitslosigkeit und werden vom weltweiten Wettbewerb hart in die Zange genommen. In die Hochlohnländer Mitteleuropas drängen immer mehr Arbeiter, die sich mit niedrigem Lohn abspeisen lassen, und gleichzeitig wandern ganze Industriezweige in Niedriglohnländer aus.

Viele bequeme Sozialleistungen sind im globalen Kampf um Absatzmärkte und Arbeitsplätze „zu teuer“ geworden. Aber Einschnitte in das soziale Netz werden vom einzelnen Menschen als Verlust erlebt und provozieren zwischen den Sozialpartnern sowie zwischen den politischen Parteien harte Auseinandersetzungen, die den inneren Frieden bedrohen und die Stabilität der demokratischen Strukturen gefährden.

Nicht zuletzt belasten Rettungsaktionen für den kranken Euro die europäischen Staaten. Dass diese Währung seinerzeit – gegen die Warnungen der Ökonomen – ohne die notwendigen wirtschaftspolitischen Harmonisierungen überstürzt eingeführt wurde (als Preis für die deutsche Einheit? Oder als Ersatz für Reparationen?), wollen die verantwortlichen deutschen Politiker heute nicht mehr wissen. Dafür behaupten sie, dass Deutschland der größte Nutznießer des Euro sei; wohl eine Vorbereitung auf kommende Forderungen, die uns noch teuer zu stehen kommen können!

Wird Europa einen Weg aus seinen Problemen finden, der ein Vorbild werden kann für die USA und andere Industrieländer?

„Kennst du das Land, wo Grabsch und Humbug blüh’n,
Die Herzen einzig für den Dollar glüh’n,
Wo Geld vor adliger Gesinnung geht,
Die Schlauheit hoch, die Treue niedrig steht,
Kennst du das Land, dahin, dahin
Würd’ ich, hätt’ ich die Wahl, nie wieder zieh’n.
Kennst du die Stadt, mit ihrem großen Dreck,
Ein Wirtshaus steht an jeder Straßeneck
Und in Fabriken schwitzt die Menschenbrut,
Es saugt das Kapital ihr rotes Blut,
Kennst du die Stadt, dahin, dahin,
Laß’ niemals mich, o ew’ger Vater, zieh’n.
Du Stadt am Michigan, voll Weh und Ach,
Wo manches hoffnungsvolle Herz zerbrach,
Die Sterne nachts am Himmel schau’n mich an,
Was hat man dir, du armes Kind, getan?
Kennst du die Stadt, dahin, dahin,
Laß dich von keinen tausend Pferden zieh’n.“
Emerenz Meier (1874–1928).

Krisen als Chancen?

Ein oft zu Unrecht als abgedroschen bezeichnetes Wort sieht in jeder Krise auch – oder besonders – eine Chance. Krisen sind zwangsläufig ein kräftiger Anstoß, über Veränderungen, Reformen, Entwicklungen, neue Ideen nachzudenken, und erhöhen den Zwang, etwas zu tun. So hoffen Optimisten, dass sich aus der derzeitigen wirtschaftlichen, finanziellen (und politischen) Krise der USA und der gesamten westlichen Welt ein neuer Anfang, ein neuer Boom herausschälen wird. Nach den historischen Erfahrungen der USA war ja bisher jede Krise auch ein Übergang in eine neue Aufschwungphase.

Dürfen wir auch in unserer Zeit auf den kommenden Boom hoffen? Dazu müsste sich die westliche Welt auf eine Zukunft einstellen, in der vieles anders ist, als in den vergangenen dreihundert Jahren:

• Europa und dann Nordamerika waren über Jahrhunderte die innovativsten Kontinente. In diesen Zeiten des Aufschwungs der westlichen Welt spielte es keine Rolle, dass einst China die Technologieführerschaft hatte und Europa auf chinesischen Erfindungen aufbauen konnte. China und Indien waren noch im 15. Jahrhundert die dominierenden Länder[4], die zusammen etwa 40 Prozent des Bruttosozialproduktes der Erde erzeugten, was damals in Europa allerdings kaum wahrgenommen wurde. Im Laufe des 21. Jahrhunderts werden diese beiden größten Nationen voraussichtlich wieder so weit kommen.
Dabei wird China etwa ab der Jahrhundertmitte ein Sozialprodukt wie die Vereinigten Staaten erwirtschaften, aber aufgrund seiner hohen Bevölkerungszahlen im Pro-Kopf-Einkommen noch länger ein Schwellenland bleiben.
In Indien wurden die staatlichen Maßnahmen zur Geburtenkontrolle eingestellt, so dass seine Bevölkerungszahl im Laufe des 21. Jahrhunderts die Chinas übertreffen dürfte. Trotz wirtschaftlichen Wachstums wird Indien daher voraussichtlich größere sozialpolitische Herausforderungen meistern müssen als China.
In beiden Ländern drohen gravierende Umweltprobleme.

• Damit geht die Dominanz der weißen Rasse zu Ende. Die weit zahlreicheren Menschen Asiens werden wirtschaftlich und technologisch aufholen; mit dem Ziel, die Weltspitze zu bilden. Das wird sich weder mit wirtschaftlichen, schon gar nicht mit militärischen Mitteln aufhalten lassen; denn die Zeit des Kolonialismus und der Raubkriege geht zu Ende. Auch der Neo-Kolonialismus wird mit seiner Ausbeutung der unterentwickelten Länder an Grenzen stoßen. Meines Erachtens besteht Übereinstimmung in der Weltbevölkerung darüber, dass dies ein Fortschritt in die richtige Richtung ist.

• Der Kampf um die knapper werdenden Ressourcen hat begonnen, wie das nicht nur am Beispiel Öl spürbar wird. Die Zeiten sind vorüber, als Europäer und weiße Amerikaner, die um 1900 etwa 25 Prozent der Weltbevölkerung ausmachten, die restlichen 75 Prozent als hilflose Ausbeutungsobjekte ansehen konnten und sich die Ressourcen in aller Welt – nicht selten gewaltsam – aneigneten. Mächtige Gegenspieler wie China mischen nun kräftig mit!
Bald wird sich auch vielerorts Wasserknappheit auswirken (voraussichtlich sogar in einigen Staaten der USA). Versuche westlicher Konzerne, in Entwicklungsländern die Wasserversorgung zu privatisieren und auch noch an dieser Verknappung zu verdienen, können heftige Gegenreaktionen der Betroffenen auslösen.

• Die Bevölkerungsexplosion geht weiter. Armutsflüchtlinge suchen in zunehmender Verzweiflung Plätze zum Überleben. Wege aus dieser Misere sind nicht erkennbar[v]. So läuft, vielen unbewusst, die größte Völkerwanderung aller Zeiten: Afrika, wo die Entwicklungshilfe so gut wie gescheitert ist, und der mittlere Osten üben einen starken Migrationsdruck auf Europa aus; von Mittel- und Südamerika kommt ein entsprechender Einwanderungsstrom auf Nordamerika zu. Beide Kontinente – Europa wie Nordamerika – sind mit Hunderten von Millionen Einwanderungswilliger völlig überfordert. Selbst in China, dem Land mit dem größten Wirtschaftswachstum, kämpfen 150 Millionen Wanderarbeiter um Jobs.

• Aus ökologischer Sicht müsste das langfristige Ziel jedes Landes sein, weitgehend mit seinen eigenen Ressourcen zurechtzukommen und sich so wenig wie möglich von Importen abhängig zu machen. Mitteleuropa hat hier den unschätzbaren Vorteil, das es über gute Böden und ausreichend Regen verfügen kann. Innovationen, die uns der Unabhängigkeit von Importen aus Übersee näher bringen, wären die wichtigste Zukunftssicherung[6].
Die damit verbundene Abkehr von den „monopolkapitalistischen Manipulationen, die man heute als ‚Globalisierung‘ schön redet“ (7, S. 114), und einer Weltwirtschaft um jeden Preis werden viele Ökonomen als Rückfall in die Zeit des Merkantilismus[7] missverstehen. Doch das bei Politikern und sogar Ökonomen beliebte Schönreden kann nicht verschleiern, dass die Globalisierung größere Probleme schafft als sie löst. Nach dem Scheitern des Sozialismus dominiert anscheinend unangefochten ein Turbo-Kapitalismus, der in der globalisierten Ökonomie und in weltweiten Finanzspekulationen seine hässlichsten Seiten entblößt. Eine humane Alternative zu dieser menschenverachtenden Wirtschaftsweise ist dringend gesucht.

Eine naturverträgliche Zukunft

Der „alte amerikanische Traum“ vom fortlaufenden Wachstum durch Produktion materieller Dinge, diese weltweit nachgeahmte Verschwendungswirtschaft, ist nicht zukunftsfähig.

Der von Rifkin propagierte „Europäische Traum“ der nachhaltigen Nutzung der Ressourcen und der sozialen Ausgewogenheit enthält einige zielführende Ansätze; doch auch er ist noch weit von einer umfassenden Problemlösung entfernt.

Die Zukunft gehört dem sparsamen Umgang mit nicht nachwachsenden Ressourcen, der intelligenten Nutzung der eigenen Möglichkeiten, dem Verzicht auf überflüssige Exoten und Bescheidenheit (nicht Ärmlichkeit) in den materiellen Ansprüchen der Lebensgestaltung. Eine große Falle, in die wir getappt sind, ist: Glücklichsein als proportional zum Dinge-Besitzen zu denken.

Eine glückliche Zukunftsgestaltung verlangt nach dem „naturgemäßen Traum“ einer Wirtschaft und Gesellschaft im Einklang mit der Natur. Die Gestaltung dieser „ökologisch-sozialen Ausgleichswirtschaft“, als Gegenentwurf zur Globalisierung des Raubtier-Kapitalismus, müsste das wichtigste Anliegen von Politikern, Ökologen und Ökonomen sein.

Literatur:
(1) Cooke Alistair, Geschichte Amerikas, Pawlak, Herrsching 1975.
(2) Der Spiegel, Nr. 44/2010, S.72 f.
(3) Gates Bill, Der Weg nach vorn, Hoffman & Campe, Hamburg 1995.
(4) Hey Monika, Der amerikanische Traum, TR-Verlagsunion, München 1990.
(5) Rifkin Jeremy, Der Europäische Traum, Campus, Frankfurt 2004.
(6) Scholl-Latour Peter, Der Fluch des neuen Jahrtausends, Goldmann, München 2004.
(7) Scholl-Latour Peter, Koloß auf tönernen Füßen, Ullstein, Berlin 2005.
(8) Schmidt Helmut, Die Mächte der Zukunft, Siedler, München 2004.
(9) Wuermeling Henric L., Die Lust an der Freiheit, TR-Verlagsunion, München 1987.
www …
http://www.wissenschaft.de/wissen/news/150431.html.
Endnoten:
[1] Der Begriff „amerikanischer Traum“ entstand erstaunlicherweise erst während der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, von der auch die USA schwer gebeutelt wurden. (siehe Literaturverzeichnis, 4).
[2] Vgl. Literaturverzeichnis (7), Seite 15: „Etwa 80 Prozent aller US-Bürger suchen jeden Sonntag einen Gottesdienst auf. In Frankreich sei die Zahl der regelmäßigen Kirchgänger auf sieben Prozent, in England sogar auf fünf Prozent geschrumpft.“ Mir persönlich scheinen die 80 Prozent allenfalls für das flache Land glaubhaft, besonders im mittleren Westen, nicht für die Ballungszonen.
[3] New Economy (engl.) = Neue Wirtschaft. Verbunden mit der Idee, dass durch Computer und neue Kommunikationsmedien eine durch die Globalisierung geprägte neue Wirtschaftsform entsteht. Die industrielle Massenfertigung verlöre demnach an Bedeutung. Die Prioritäten lägen nun im weltweiten Wettbewerb um innovative Ideen, in der Verarbeitung von Informationen.
[4] Vgl. „China II: China und der Westen“, unter „Geschichte“ und  „1421 – Als China die Welt entdeckte “ unter „Buchbesprechungen“.
[5] Vgl. „Wieviel Mensch verträgt die Erde?“, unter „Ökologie“.
[6] Hoffentlich denkt niemand, ich würde hier in der verschrobenen nordkoreanischen „Juche“-Ideologie mit ihrer erzwungenen Abkapselung ein Vorbild sehen.
[7] Merkantilismus = die Wirtschaftspolitik der europäischen Staaten im 17. und 18. Jahrhundert. Gekennzeichnet war der Merkantilismus durch wirtschaftlichen Nationalismus und staatlichen Dirigismus.