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Religionsgeschichte

Die Religion der nordamerikanischen Indianer

(Veröffentlicht in GralsWelt 33/2004).

Die ersten europäischen Einwanderer nach Nordamerika waren weder Ethnologen noch Religionswissenschaftler und dementsprechend an Sitten, Gebräuchen, Mythen, religiösen Vorstellungen der Indianer nur in so weit interessiert, als es für den Handel mit Indianern bzw. (bei Missionaren) für die Bekehrung nützlich war.

Außerdem verstanden Europäer und Amerikaner unter „Religion“ bis ins 19. Jahrhundert nur das Christentum. Selbst mit der Anerkennung der jüdischen Religion hatten christliche Theologen Probleme, der Islam wurde verteufelt, und Naturreligionen als Abgötterei oder Teufelswerk abgetan.

„Bruder! Höre zu. Du sagst, dass du gesendet seiest, uns zu belehren, wie wir den Großen Geist auf eine Weise anbeten sollen, die ihm wohlgefällt; und wenn wir die Religion nicht annehmen, die ihr Weißen uns lehrt, werden wir im künftigen Leben unglücklich sein. Du sagst, dass du Recht hast, und wir verloren sind. Woher weißt du, dass das wahr ist? Wir erfahren, dass eure Religion in einem Buch aufgeschrieben ist. Sollte sie sowohl für uns wie für euch bestimmt sein, warum hat der Große Geist sie nicht uns gegeben; und nicht nur uns, sondern warum gab er nicht unseren Vorfahren die Kenntnis von diesem Buch und die Mittel, es recht zu verstehen? Wir wissen nur, dass du uns darüber berichtest. Wie sollten wir wissen, wem wir glauben dürfen, nachdem wir so oft von den Weißen hintergangen wurden?“
(Der Seneca Red Jacket, ca. 1756-1830; 8, S. 45)

Keine gute Ausgangslage für die Erforschung indianischer religiöser Ideen, die sich von den Vorstellungen der Christen sehr unterschieden.

Als sich dann die Weißen ernsthafter für die religiösen Vorstellungen der Indianer zu interessieren begannen (so recht eigentlich erst im 19. Jahrhundert), waren bereits christliche Weltbilder in die indianische Mythenwelt eingedrungen, und das Ursprüngliche ließ sich vom aus dem Christentum Übernommenen kaum mehr trennen. Hinzu kamen die Sprachprobleme und die sich daraus ergebenden Missverständnisse, die unvermeidlich sind, wenn verschiedene Kulturkreise mit unterschiedlichen Wertvorstellungen sich begegnen.

Zudem gab es allein in Nordamerika etwa 500 indianische Stämme, Hunderte von Indianersprachen, und entsprechend viele Ausprägungen der transzendenten Welterfahrung, so dass man von der nordamerikanischen Indianerreligion kaum verallgemeinernd sprechen darf. Es kann also nur versucht werden, einige grundlegende Vorstellungen aufzuspüren, die von den meisten indigenen Völkern in Nordamerika mehr oder weniger geteilt wurden.

EINE ANIMISTISCHE NATURRELIGION

Für einen Indianer war die ganze Natur belebt: Gesteine, Pflanzen, Tiere und Menschen. Sich selbst sah er als Teil der Natur, beanspruchte also keine besondere Stellung. Dementsprechend war er bestrebt, sich in das Zusammenspiel der Naturkräfte einzufügen.

Die Zeit spielte in der indianischen Mythologie keine große Rolle – anders als im Christentum mit seiner Heilsgeschichte.

Dafür ist der Indianer eng verbunden mit seinem Land, mit heiligen Orten, wo sich das Übernatürliche täglich neu manifestiert und zur persönlichen Erfahrung wird. Diese transzendenten Erlebnisse des Einzelnen sind teilweise ortsgebunden, beanspruchen keine universelle Gültigkeit. Aus der Verehrung des Landes entstand – wahrscheinlich erst unter dem Einfluss der Weißen – das heute verbreitete Bild von „Mutter Erde“ (und „Vater Himmel“), das historisch nachweisbar zum ersten Mal in den Reden Tecumsehs (1768-1813) auftaucht.

Alle Dinge durchdrang ein unpersönlicher Geist oder eine Kraft, etwa wie eine heilige oder göttliche Essenz. Bei den Sioux hieß diese, allen nordamerikanischen Indianern bekannte, Kraft „Wakonda“, bei den Irokesen „Orenda“ (3, S. 79); beide Begriffe wurden mit „Gott“ übersetzt, obwohl „Großes Geheimnis“ den indianischen Vorstellungen näher käme. Man erkennt die Ähnlichkeit dieses „Kraftglaubens“ (Dynamismus) mit alten Lehren Asiens, die eine überall wirkende „neutrale Hauptkraft“ (1) als „Mana“, „Dharma“ usw.(vgl. 4, S. 19) bezeichnen.

DIE WELT DER GEISTER

Indianische Mythen berichten vom Ursprung der Welt und des Menschen, sowie von Geistern – guten und bösen, großen und kleinen -, die überall in der Natur wirken.

Der Mensch bestand aus drei Teilen: Körper, Seele und „Schatten“ (manchmal fälschlich „Geist“ genannt). Die Seele lebte nach dem Erdentod weiter. Der Schatten blieb in der Nähe seines Begräbnisplatzes und nahm am Dasein der Lebenden Teil. Dieser Schatten scheint dem „Astralleib“ der heutigen Esoterik zu entsprechen.

Viele Stämme glaubten an die Wiedergeburt, sowohl von Menschen- wie von Tierseelen. Nicht ganz klar ist, ob sich der Schatten auflöst, und nur die Seele wieder inkarniert, oder ob sich Seele und Schatten zur erneuten Inkarnation zusammenfügen müssen.

Doch darf man von einer Indianerreligion keine ausgearbeitete Theologie verlangen, und nicht selten ist es weiser, in religiösen Fragen vieles offen, in der Schwebe zu halten, als unsichere Meinungen als Wahrheit festzuschreiben.

An der Spitze der Hierarchie der Geister stand angeblich ein „Schöpfergott“, der „Große Gute Geist“, der viele Namen hatte. Dieses oberste der Geistwesen ist dem christlichen Gott ähnlich. Indianerforscher vermuten, dass sich hier indianische und christliche Anschauungen vermischten. In Berichten aus dem 17. Jahrhundert wird das Wort der Algonquinsprache „Manitu“ sowohl mit „Gott“ wie mit „Teufel“ übersetzt (3, S.74). Es wurde mehr allgemein für Geister oder etwas Besonderes, Bewundernswertes, auch als eine Art Allkraft verwendet; erst später fand der Christengott sein indianisches Pendant im „Großen Guten Geist“.

Ähnlich verhält es sich mit dem Widersacher: Ein Oberster der bösen Geister, mit Luzifer vergleichbar, entstand wahrscheinlich erst unter christlichem Einfluss.
Bei den Shawanos z.B. war es „Megissowon“ (7, S. 14), der mit seinem Gefolge aus „Anamaqkiu“ (den Dämonen der Tiefe) Winter, Sturm und Unheil über Mensch und Natur brachte.

Als der große Tecumseh mit Hilfe seines Bruders (dem Propheten Ten-squa-ta-wa, der lange Jahre unter Grenzern verbracht hatte) eine panindianische Allianz bildete und zum Kampf gegen die Landräuber aufrief, wurden die Weißen zu Megissowons Kindern, die mit Feuerwasser die Indianer verderben und sie mit Lug, Trug und Gewalt aus ihrem Land vertreiben. (Vgl. „Kurz, knapp, kurios“ Seite 390 „Eine unglaubliche Ankündigung“).

DER MEDIZINMANN

Der „Medizinmann“ oder auch die „Medizinfrau“ (keine glückliche Bezeichnung für diese „Schamanen“) stand in uralten schamanistischen Traditionen, die möglicherweise aus einer Zeit stammen, bevor frühe Einwanderer über die Behringstraße nach Amerika kamen.

Bis heute finden sich Schamanen oder Zauberer in vielen Regionen, z.B. in Afrika und Asien, als Hüter visionärer Traditionen, wie sie in vor- und frühgeschichtlicher Zeit vermutlich in allen Kulturen anzutreffen waren.

Bei der Einordnung des Medizinmanns unter die Schamanen sind die Meinungen der Ethnologen allerdings geteilt, und mache begrenzen das Schamanentum auf Eurasien. Denn Medizinmann (oder afrikanischer Zauberer) und Schamane gleichen sich zwar in den äußeren Erscheinungen bzw. Verhaltensweisen, doch die Inhalte ihrer Religionen unterscheiden sich:

In Asien zwingen „die Geister“ einen Auserwählten durch Erkrankung und das Erleben einer rituellen Tötung Schamane zu werden (vgl.  „Schamaninnen in Korea“ unter „Buchbesprechungen“). Inhalt dieser schamanistischen Religion im engeren Sinne sind Ahnenkult, Kontakte zu Naturwesen und zu ungeborenen Seelen.

Für einen Medizinmann (zumindest bei den Algonquin) fehlte diese Zwangsberufung durch die Geister, und das entscheidende Element seiner Religion war „Manitu“, die bereits erwähnte Allkraft, zu der er Kontakt aufnehmen sollte.

Der indianische Medizinmann war Visionär, Wahrsager, Heiler, Hüter der Mythen und Traditionen. Er sollte den Kontakt zur „Welt der Geister“, oder zum „Manitu“, aufrecht erhalten, hellsehend sein und wissen, wo Wild aufzufinden war, wie sich das Wetter entwickeln würde, ob dem Stamm Gefahren drohten und wie diese abzuwenden seien.

In manchen, besonders den sesshaften Stämmen, gab es neben dem Medizinmann noch das erbliche Priesteramt. Auch Indianer kannten also den Unterschied zwischen Priester und Prophet:
„Während durch die Priester der Mensch zu Gott spricht, spricht durch die Propheten Gott zu den Menschen“ (3, S. 132).

Als Weiße das Indianerland überfluteten, halfen dem Medizinmann weder die alten Mythen, noch das Manitu, oder die Geister der Verstorbenen. Den aus Europa eingeschleppten Seuchen waren die indianischen Heilkundigen ebenso hilflos ausgeliefert wie ihre christlichen Priester-Kollegen in Europa der großen Pest des 14. Jahrhunderts.

DIE WELT DER TRÄUME

Ein Indianer kannte keine Trennung von Dies- und Jenseits. Träume und Visionen sollten ihm zu Kontakten zum Übersinnlichen verhelfen. Traumerfahrungen waren dementsprechend für einen Indianer wichtig, und bei manchen Völkern galten Träume als Offenbarungen, durch die überirdische Wesen lebensnotwendiges Wissen vermittelten (3, S. 115).

Solche Offenbarungs-Träume wurden auch aktiv gesucht, z.B. durch Fasten oder Rituale, teilweise (z.B. bei den Sioux) wurde mit Payote[i] nachgeholfen, um in Trance zu fallen.

Der folgende Tatsachenbericht soll zeigen, wie ernst ein Indianer seine Träume nahm:

Der Chippewa Wawatam hatte im Jahr 1758 eine Vision, in der er einen ihm unbekannten Engländer sah und den Auftrag erhielt, den fremden Weißen wie seinen eigenen Sohn anzunehmen. Drei Jahre später begegnete Wawatam tatsächlich diesem Engländer: Es war der Händler Alexander Henry. Wawatam nahm den erstaunten Weißen wie ein eigenes Kind in seine Familie auf und rettete ihm während des Pontiac-Krieges mehrmals das Leben. (2).

GEBETE, OPFER, ZEREMONIEN

Wie in allen alten Kulturen galten auch bei Indianern Gebete und Opfer als Kommunikationswege zum Übersinnlichen. Bei manchen Stämmen gab es rituelle Spruchformeln – unseren Zaubersprüchen vergleichbar – die teilweise geheim waren und vererbt wurden. Geopfert wurden Gegenstände (z.B. Muschelschalen, Schmucksteine), Pflanzen (besonders Tabak), Tiere (Hunde, Teile erlegter Tiere beim Jagdopfer) und auch Menschen.

Gleich anderen Naturvölkern hatten Indianer Zeremonien für besondere Lebensabschnitte. Beim Erwachsenwerden als Beispiel mussten männliche Jugendliche durch strenges Fasten zu visionären Erfahrungen gelangen, und dabei ihrem Schutzgeist begegnen. Danach erhielten sie einen neuen Namen.

In so gut wie ganz Nordamerika hatte das Kalumet[ii] rituelle Bedeutung (vgl. „Das war der wilde Westen“ Teil 1, unter „Geschichte“).

Ackerbauern war der Regen- oder Fruchtbarkeitszauber wichtig.

Ein bei vielen Stämmen praktiziertes Ritual war der Sonnentanz. Er besteht aus tagelangen Tänzen um einen Zeremonialpfahl, ohne Essen und Trinken (manchmal noch mit schmerzhaften Selbstfolterungen), bis die Tänzer in Trance fallen und halluzinieren.

Der Tod war für Indianer der Übergang in eine anderen Daseinsform, von der aus sich der Abgeschiedene erneut als Mensch inkarnieren konnten.

Einige Stämme, z.B. die Navaho, fürchteten die Seele eines Verstorbenen, begruben Tote möglichst schnell und zerstörten deren Eigentum.

Im östlichen Waldland gönnte man dem Abgeschiedenen einen längeren Zeitraum, sich vom Diesseits zu lösen, und brachte ihm noch Nahrung und Tabak ans Grab. Erst nach einem oder mehreren Jahren gab man ein Abschiedsfest, um die Seele endgültig von dieser Welt zu trennen.

Die viel zitierten „Ewigen Jagdgründe“, als der Aufenthaltsort der Verstorbenen, sind kaum eine originäre indianische Vorstellung. Sie entspringen wahrscheinlich christlichen Einflüssen.

SINNKRISEN

„Um die Mitte des 19. Jahrhunderts erzählten Ojibwa und Ottawa die Geschichte von einem christlichen Indianer, der nach seinem Tod an der Pforte zum Himmel von Petrus abgewiesen wurde, weil er ein Indianer war, und dem als Christ der Zugang zu den ewigen Jagdgründen versperrt blieb. Notgedrungen auf die Erde zurückgekehrt, legte er sein Christentum ab, weil er kein Weißer werden konnte.“ (3, S. 193).

In dieser Fabel einer untergehenden Kultur liegt die ganze Tragik der Indianer: Aus der „Steinzeit“ herausgerissen, wurde ihnen keine Chance gelassen, sich anzupassen.

Den übermächtigen Eindringlingen, die ihre Kultur zerstörten, konnten Indianervölker nicht Stand halten. Häuptlinge wie Medizinleute wussten keinen Rat, und die Geister schwiegen.

Für Indianer gab es keine Zukunft: Bekehrten sie sich zum Christentum oder wurden sie Farmer, um in Frieden zu leben, wurden sie von anderen Indianern verachtet, gar bekämpft (wie die Mohikaner von den Irokesen), oder von weißen Siedlern und der Armee vertrieben, ermordet, ausgerottet (wie die „Fünf Zivilisierten Stämme“; vgl. „Kurz, knapp, kurios“ Seite 404  „Ein kaum bekannter Genius“).

Zuletzt, als nach Tecumsehs Tod und der Zwangsumsiedlung in Reservate (meist in kargen, für Weiße unbrauchbare Landschaften), auch die letzten Versuche zur Befreiung vergebens gewesen waren, traten noch Propheten auf, die mit irrationalen Vermischungen von indianischen und christlichen Mythen eine bessere Zukunft versprachen, auf die ein Indianer im 19. Jahrhundert aber nur im Jenseits hoffen konnte.(Vgl. „Das war der wilde Westen“, Teil 6, unter „Geschichte“).

Literatur:
(1) Abd-ru-shin: „Im Lichte der Wahrheit“, Verlag der Stiftung Gralsbotschaft, Stuttgart.
(2) Eckert, Allan W.: „The Conquerors“, Bantam, New York, 1981.
(3) Feest, Christian: „Beseelte Welten“, Herder, Freiburg , 1998.
(4) Hagl, Siegfried: „Spreu und Weizen“, Gralsverlag, Purgstall, 2003.
(5) Hetmann, Frederik: „Die Erde ist unsere Mutter“, Herder, Freiburg, 1998.
(6) La Farge, Oliver: „Die große Jagd“, Walter, Olten 1961.
(7) Steuben, Fritz: „Großer Häuptling Tecumseh“, Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart, 1966.
(8) Vanderwerth, W. C.: „Indian Oratory“, University of Oklahoma, 1971.
(9) http://home.t-online.de/home/gymbarntrup/re/natur.html.
Endnoten:
[i] Payote (Payoti) ist ein kleiner, stachelloser Kaktus mit psychedelischer Wirkung
[ii] Die bei Ritualen verwendete Tabakpfeife