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Geschichte/Historik

Die große Krise

(Veröffentlicht in GralsWelt 19/2001) 

In Erinnerungen an die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wird von den „golden twenties“, den „goldenen zwanziger Jahren“ gesprochen. In diesem Jahrzehnt, zwischen 1920 und 1930, erholte sich Europa langsam von den Wunden des Krieges, Kunst und Kultur blühten auf. Viele Entwicklungen, deren Auswirkungen bis heute spürbar sind, wie der Aufstieg der Filmindustrie, nahmen damals ihren Anfang. Auch das von Kriegsfolgen und Reparationen schwer belastete Deutsche Reich erlebte eine kurze (Schein-)Blüte.

Diese, im sentimentalen Rückblick zumindest für die Oberschicht und die Intellektuellen glückliche Zeit, fand ein abruptes Ende durch den Börsenkrach von 1929, der die bisher einschneidendste Weltwirtschaftskrise einleitete.

„Man kann mit einem gewissen Recht behaupten, dass die Weltwirtschaftskrise wegen ihrer Auswirkungen auf die Verhaltensweise des Menschen das bis jetzt wichtigste Ereignis des Jahrhunderts war – jedenfalls für die Amerikaner.“                                John Kenneth Galbraith.

Vorausgegangen war ein Aktienboom, der viele Spekulanten ermutigte, mit kreditfinanzierten Aktien zu spekulieren. Banken gaben bereitwillig Kredite, die durch Aktien gedeckt schienen. So lange die Aktienkurse schneller stiegen, als sich Kreditzinsen anhäuften, war das ein gutes Geschäft. Doch kein Boom dauert endlos; wenn die Kurse im Übermaß stiegen, folgte noch jedes Mal eine „Korrektur“.

In den USA begann der Kursrutsch am 24. Oktober 1929 (einem „schwarzen“ Donnerstag), der sich am „schwarzen Dienstag“ dem 29. Oktober zu einem erschreckenden Kurssturz ausweitete.
Die als Sicherheit hinterlegten Aktien deckten nach dem Kursverfall die Kredite nicht mehr; die Banken forderten ihre Gelder zurück. Aktien wurden panikartig verkauft. Die Kurse stürzten und stürzten; leichtfertige Spekulanten waren bankrott.

Und so sahen die Fakten aus:
Der Aktienindex der New York Times stieg von Ende 1924 bis Sommer 1929 von 134 auf 449; also in weniger als 5 Jahren um das mehr als Dreifache. Im Juli 1932 stand dieser Index dann bei 58, also etwas mehr als einem Achtel des Höchstkurses! Den Immobilien erging es nicht anders; vorübergehend fielen sie bis auf ein Zehntel des Wertes von 1929.
Aus Angst vor Bankzusammenbrüchen zogen viele Anleger ihre Bareinlagen ab; die Hälfte der amerikanischen Banken wurde zahlungsunfähig und das ihnen von ihren Kunden anvertraute Geld war verloren.

Dieser Crash blieb nicht auf die USA begrenzt. Aufgrund der monetären Verflechtungen (die europäische, besonders die deutsche, Wirtschaft war zu einem großen Teil durch Kredite aus den USA gestützt) stürzte auch die europäische und damit die Weltwirtschaft in eine tiefe Krise. Firmenpleiten, Entlassungen, Liquidationen, Produktionseinschränkungen, Preisverfall und Lohnsenkungen dominierten das Geschehen rund um den Globus, und die Massen arbeitsloser Menschen stiegen explosionsartig an.
1932 gab es Bürgerkrieg in China, Krieg in Südamerika, Ölkrieg in Kleinasien. Industrieproduktion und Erzeugerpreise waren drastisch gesunken und Arbeitslose gab es überall (in Deutschland fast 7 Millionen, in den USA 13 Millionen).

Ein Ausweg aus dieser Weltdepression musste gefunden werden!
Heute ist man der Ansicht, dass diese Börsenkrise, wie sie nach einer Überhitzung einzutreten pflegt, nicht zu einer Wirtschaftskrise hätte führen müssen. Die verantwortlichen Regierungschefs dachten zu restriktiv und handelten nicht koordiniert.

Dem Deutschen Reichskanzler Heinrich Brüning (1885-1970) muss man zugute halten, dass er der Welt beweisen wollte, wie unerfüllbar die Reparationsforderungen des Versailler Vertrages waren. Doch auch Herbert Hoover (1874-1964), der 31. Präsident der USA, wusste für sein reiches Land kein Mittel gegen die Depression. Beide – Hoover wie Brüning – mussten ihre Posten räumen.

In den USA wurde im Januar 1933 Franklin D. Roosevelt (1882-1945) Präsident. Er machte unter der Überschrift „new Deal“ staatliche Mittel verfügbar und startete vielfältige Maßnahmen um die erlahmte Wirtschaft anzukurbeln. *)
In Deutschland verhalf die Krise am 30. Januar 1933 Adolf Hitler (1889-1945) zum Amt des Reichskanzlers. Fachleute rieten Hitler zu einem ähnlichen Programm, wie es Roosevelt wagte. Allerdings mit dem Unterschied, dass das „Dritte Reich“ vor allem in die Rüstung investierte, während in den USA zivile Investitionen vorgesehen waren.

Weltweit geriet die „freie Marktwirtschaft“ in Verruf, die angeblich zwischen Boom und Crash pendelt. Es folgte eine Zeit, in der Devisenkontrollen, hohe Zölle und Kontingentierungen den Welthandel behinderten. Dafür wurde auf bilaterale Zusammenarbeit gesetzt. Totalitäre Wirtschaftsweisen, wie in der UDSSR oder im nationalsozialistischen Deutschland, konnten sich durch die von der freien Wirtschaft verursachte Krise bestätigt fühlen, und die Politik der „Achse Berlin-Rom“ lag ebenfalls im Trend der Zeit.

Endnote:
*) Die dazu noch fehlende Wirtschaftstheorie des „deficit spending“ lieferte John Maynard Keynes (1883-1946) dann 1936 nach.
Literatur:
(1) Ambrosius, Gerold „Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Europas im 20. Jahrhundert“, C.H. Beck, München 1986.
(2) Fernau, Joachim „Deutschland, Deutschland über alles…“, Gerhard Stalling, Oldenburg 1952.
(3) Galbraith, John K. „Geld“, Droemer-Knaur, München 1976.
(4) Senf, Bernd „Der Nebel um das Geld“, Gauke, Lütjenburg 1987.
(5) Zierer, Otto „Neue Weltgeschichte“ Bd. III, Fackel, Stuttgart o.J.