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Buch- und Filmbesprechungen

Ehrenrettung für einen verkannten König?

(Veröffentlicht in GralsWelt 35/2005)

Auch wer die bayerische Geschichte kaum kennt, kann zumindest den Namen eines Königs von Bayern nennen: Ludwig II., zu dem es immer wieder etwas neues zu erzählen gibt.

Bevor sich dieser Artikel diesem zuwendet, noch ein kurzer Blick auf andere Regenten des Bayerischen Königreiches, dessen kurze Existenz, im Vergleich zur langen Geschichte des Herzogtums Bayern, nur wie eine Episode wirkt.
Im Jahre 1806 wurde der Kurfürst Maximilian I. (1756-1825) von Napoleons Gnaden der erste Bayerische König.
Dessen Sohn Ludwig I. (1786-1868) prägte mit repräsentativen Bauten das Antlitz Münchens. Er hatte den Traum, seine kleine Residenz zu einer Metropole der Kunst, Kultur und Wissenschaft auszubauen. Die politischen Ereignisse kamen ihm dabei entgegen: Als sein zweiter Sohn Otto (1815-1867) im Jahre 1832 zum ersten König von Griechenland ausgerufen wurde, erfasste eine Woge der Begeisterung für die klassische griechische Kultur die bayerische Hauptstadt, die zum „Isar-Athen“ gestaltet werden wollte. Persönliche Skandale – Beziehungsgeschichten – zwangen Ludwig I. 1848 zur Abdankung, und er übergab seinem Sohn Maximilian II. Joseph (1811-1864) die Staatsgeschäfte. Dieser König nun, der Vater von Ludwig II., war wohl der fortschrittlichste der bayerischen Könige. Er tat viel für die Modernisierung seines Landes und die Verschönerung seiner Hauptstadt. Heutzutage kennt ihn kaum noch jemand, und die wenigsten, die, die Maximilianstraße mit ihren Luxusgeschäften entlangbummelnd, den unübersehbaren Blickfang des Maximilianeums bewundern, denken an diesen, dem Modernen aufgeschlossenen Monarchen.

„Ein ewig Rätsel will ich bleiben – mir und anderen.“
Ludwig II. (1845-1886)

„…aber der König, der König, wer kann sich ein solches Wesen erklären, wer es begreifen – einzig würde ein dramatischer Dichter ihn wiedergeben können, unerklärlich wie er ist …“
Cosima Wagner (1837-1930)

Maximilians Sohn, Ludwig II., der 1864 gekrönt wurde, ist die populärste Figur der bayerischen Geschichte. Unzählige Bücher wurden über ihn, sein Leben, seine märchenhaften Schlösser geschrieben, mehrere vielbeachtete Filme gedreht. Sein Freitod (oder seine Ermordung ?) geben nach wie vor Anlass zu Hypothesen und Spekulationen.
Das Leben des „Märchenkönigs“ war mehr als merkwürdig; geprägt von introvertierter Menschenscheu, Vereinsamung, Flucht in abgelegene Schlösser. War er psychisch krank?
Viele Verhaltensweisen dieses Königs sind aus heutiger Sicht unverständlich. Dazu einige Beispiele:
* An einem der schönsten Aussichtspunkte der bayerischen Alpen, auf dem Schachen,  ließ er sich ein kleines Jagdschlösschen bauen. Doch die Fenster, mit einmaligem Ausblick über Wettersteingebirge, Reintal und Loisachtal, bekamen fast undurchsichtige bunte Scheiben.
* Schloss Herrnchiemsee, ein Abbild von Versailles, liegt – von München aus damals nur umständlich erreichbar – auf einer Insel im Chiemsee.
* Zudem hat er noch Linderhof und das weltberühmte, einmalige Neuschwanstein bauen lassen.
Doch alle diese Schlösser, weitab der Metropolen, reichten ihm nicht. Bei seinem Ableben war auch noch Falkenstein geplant. Dabei gab es nahe Neuschwanstein längst das von seinem Vater rekonstruierte Schloss Hohenschwangau, auf dem er einen Teil seiner Jugend verbracht hatte. Von den Schlössern in und um München gar nicht zu reden.

Heute gehören die – aus Sicht damaliger Zeitgenossen unsinnigen – Schlossbauten Ludwigs II. zu den Attraktionen Bayerns. Ebenso das von ihm zum großen Teil finanzierte Festspielhaus in Bayreuth, in dem Opern aufgeführt werden, die es ohne die Rettung Richard Wagners (1813-1883) aus finanzieller Not durch Ludwig II. wahrscheinlich nicht geben würde. So hat das moderne Fremdenverkehrsland Bayern allen Grund, für die seinerzeit viel verdammte Verschwendungssucht seines Märchenkönigs dankbar zu sein.

In den Beurteilungen der Persönlichkeit Ludwigs II. überwiegt die Meinung, dass er ein psychisch Kranker war. Der bei seinem Bruder Otto (1848-1916) voll ausgebrochene Wahnsinn bestärkt diese verbreitete Ansicht.
Idealisten sehen in Ludwig II. von Bayern den letzten Vertreter des wahren, eines geistigen Königtums, das in der uns bekannten Geschichte allerdings kaum zu finden ist.
Man kann über diesen König, der in Ludwig XIV. (1638-1715) und dem Heiligen Ludwig (1214-1270) von Frankreich seine Leitbilder sah, aber immer noch „Neues“ berichten:

Eine jüngst erschienene Dissertation (1) entwickelt ein kaum bekanntes Bild von Ludwig II. von Bayern:
Danach spielte in seinem Leben – neben der von ihm verehrten und geförderten Kunst – die Politik eine weit wichtigere Rolle, als bisher angenommen wurde. Er achtete zu Beginn seiner Herrschaft auf eine gewissenhafte Erledigung seiner Amtsgeschäfte und verfolgte interessiert viele Bereiche des staatlichen Lebens. Sein Ziel war, das monarchische Prinzip gegen den Trend der Zeit zu verteidigen, und die bayerische Unabhängigkeit zu erhalten. Als es ihm nicht gelang, Bayern aus zwei Kriegen (1866 und 1870/71) heraushalten, und er unter dem Druck Preußens auch den Anschluss an das Deutsche Reich nicht verhindern konnte, versuchte er, wenigstens so viele Sonderpositionen Bayerns wie möglich zu wahren.
Mit seinem wichtigsten Anliegen, einem souveränen Königtum, musste Ludwig II. zwangsläufig scheitern. Es konnte ihm nicht gelingen, seine autokratischen Herrschaftsvorstellungen gegen den Trend der Zeit durchzusetzen. Seine tiefe Ablehnung der konstitutionellen Monarchie machte ihn in diesem Punkte unflexibel. Statt seine tatsächlichen Möglichkeiten zu erkennen und zu nutzen, flüchtete er sich in phantastische, völlig utopische Staatsstreichpläne, entfernte sich von der Wirklichkeit und entfremdete sich allen politischen Gruppierungen. Anstatt im Rahmen des Möglichen seine Macht zu erhalten, verlor er an Einfluss und einen Gutteil seiner Unabhängigkeit.

Vor diesem Hintergrund scheint es nicht unbedingt nötig, ausschließlich pathologische Ursachen für sein befremdliches Verhalten zu suchen. Seine Entfremdung von seinem Land und dessen Regierung, sein mangelndes Verständnis der umwälzenden Entwicklungen des 19. Jahrhunderts, das keinen Platz mehr bot für das von Ludwig II. idealisierte souveräne Königtum, können genügen als Erklärung für sein skurriles Leben als ein zutiefst vereinsamter, jedoch vom einfachen Volk noch viele Jahrzehnte später hochverehrter König.

Literatur:
(1) Botzenhart, Christof, Die Regierungstätigkeit König Ludwigs II. von Bayern, C.H. Beck, München, 2004.